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DER HAIKUTTER

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Der Begriff Haikutter hat seinen Ursprung keineswegs darin, dass dieser Kuttertyp auf den Haifang spezialisiert gewesen wäre, sondern er erklärt sich vielmehr dadurch, dass der Schiffstyp als besonders effektiv galt. Hin und wieder mag mal ein Hai als Beifang ins Netz gegangen sein, aber das entsprach nicht der eigentlichen Bestimmung dieser Kutter.

Die Haikutter verfügten meistens schon über Dieselmotoren, als andere nur Segel führten, waren damit wendiger, von Wind und Wetter unabhängiger und landeten daher auch die größeren Fänge an. Für jene Fischer, die noch auf älteren, weniger seetüchtigen und kleineren Kuttern ihrer Arbeit nachgingen, war dieser neue Kuttertyp wie ein gefräßiger Hai, der den anderen die Fische stahl. Zu Beginn hatte der Begriff also weniger mit einer bestimmten Rumpfform zu tun, als vielmehr mit einer zunehmenden Mechanisierung der Fischerei. Da zu dieser Zeit aber fast alle größeren Kutter ein überhängendes, elliptisches Heck und einen geraden Steven aufwiesen, verfestigte sich im Sprachgebrauch der Name Haikutter auf eben jenen Rumpftypus. Das überhängende Heck entspricht dem eines klassischen Segelschiffs, und auch die Linien aus der Segelschiffzeit sind nahezu unverändert übernommen worden. Pate hatten den dänischen Bootsbauern die englischen Smacks gestanden, die auch vor der jütländischen Küste fischten und dabei ein hohes Maß an Seetüchtigkeit bewiesen. Vermutlich fanden auch einige dieser Smacks dänische Eigner, die dann offenbar sehr genau die Vor- und Nachteile einer derartigen Konstruktion untersuchten.

Die englischen Segelschiffe, von denen es zum Glück ja auch heute noch einige hervorragend erhaltene Exemplare gibt, zeichneten sich durch sehr gute Segeleigenschaften aus, da sie scharf geschnitten waren, einen großen Tiefgang aufwiesen und auch bei Sturm gut beiliegen konnten. Sie hatten aber wenig Decksprung. Durch die geringe Reserveverdrängung des Vorschiffs fuhren sie sehr nass; Wellen schlugen schnell über das Vorschiff und rannen nach achtern. Die dänischen Bootsbauer modifizierten daraufhin ihre Konstruktion. Der schlanke Längsschiffverlauf wurde zwar beibehalten, dafür ließen sie aber den Kuttern einen kräftigen Decksprung sowie ein fülliges Vorschiff angedeihen. Dadurch wirkten die dänischen Kutter vielleicht nicht so schnittig wie die englischen Smacks, waren aber vermutlich die besseren Arbeitsschiffe, da sie trockener fuhren. Im Gegensatz zu den Engländern, die eine ausgeprägte Schiffbautradition hatten, waren die Dänen zu diesem Zeitpunkt eher bereit, Veränderungen und neue Ideen einzustreuen, um ältere Konstruktionen weiterzuentwickeln. Dabei zollte man dem Umstand Rechnung, dass die jütländische Westküste den Stürmen voll ausgesetzt ist und die Ansteuerung der Häfen bei Sturm und steilen Seen nur von herausragenden Seeschiffen gemeistert werden konnte.


Die BODIL ist ein genauso großer Haikutter wie die DAGMAR AAEN, aber mit dem traditionellen Ketschrigg ausgestattet.


Surfriding. Ein dänischer Fischkutter kehrt in stürmischer See von der Fangreise zurück.

Rumpf und Spanten waren aus massiver Eiche gefertigt, das Deck meist aus Nadelholz unterschiedlicher Qualität – je nach Finanzkraft des Eigners. Auch wenn es von Werft zu Werft geringfügige Unterschiede gab – der Haikutter wurde zu einer Art Standardfahrzeug für die dänische Fischerei und überzeugte über Jahrzehnte hinweg durch seine unglaubliche Robustheit und Seetüchtigkeit. Anders als wir es heute gewohnt sind, nahm man damals das Wetter, wie es kam, drehte bei zu viel Wind bei oder lief vor dem Sturm ab. Die Qualität des Kutters war wie eine Art Lebensversicherung, deshalb wurde in aller Regel auch sehr viel Augenmerk in den Erhalt des Schiffes gelegt. Und natürlich auch, weil sich der Kutter von einer Generation zu nächsten vererbte. Man plante und investierte langfristig und nicht wie heute in vergleichsweise kurzen Zeiträumen. In seinem seit langem vergriffenen Buch DAGMAR AAEN beschreibt Niels Bach eine Episode über eine Durchkenterung eines Haikutters, die ich hier wiedergeben möchte:

»Die TOVE war von der Doggerbank unterwegs in einem Südweststurm. Ein Orkan war im Anmarsch… Sie legten mithin den Kutter mit dem Steven vier Strich am Wind, das Großsegel wurde eingeholt und Gaffel und Baum lagen auf Deck gezurrt. Mein Bruder stand mit einem der vier Besatzungsmitglieder im Ruderhaus. Kurz nach Mitternacht sah und hörte mein Bruder einen gewaltigen Brecher, der hoch getürmt auf den Kutter zuraste. (…) Der Brecher wälzte den Kutter herum, sodass er kieloben lag, aber dank des guten, festen Ballasts im Schiffsboden richtete sich die TOVE wieder auf und lag jetzt mit 25° Schlagseite.«

Der Kutter war durch die »Eskimorolle« damals schwer beschädigt worden, aber dennoch gelang es der Mannschaft, das Schiff wieder notdürftig herzurichten und unter eigener Kraft den Hafen von Esbjerg zu erreichen. Dabei sollen die Fischer sogar die Hilfe eines anderen Trawlers abgelehnt haben. Auch der Kutter DANMARK war im selben Sturm durchgekentert und hatte aus eigener Kraft den Hafen erreicht. Und auch die DAGMAR AAEN soll im Bereich der wegen ihrer steilen Grundseen berüchtigten Doggerbank einmal durchgekentert sein. Um es mit Niels Bachs Worten zu sagen:

»Selbst wenn man überlebte, soll die Freude an einem derartigen Erlebnis außerordentlich gering sein. Ein erfahrener alter Esbjerger Fischkapitän (…) sagte mir einmal: ›Von denen, die eine solche Durchkenterung mitgemacht haben, ist nachher die Hälfte nie mehr recht bei Trost.‹«

Auch wenn das Wissen darum, dass selbst eine Durchkenterung möglich und damit überlebbar ist, vielleicht in gewisser Hinsicht beruhigend wirken mag – ernsthaft erleben möchte es wohl keiner.


Das einzige verbliebene Schwesterschiff der DAGMAR AAEN – die EBBA AAEN. Auch wenn sie heute anders aussieht – der Rumpf ist baugleich. Die EBBA lief einen Monat vor der DAGMAR auf der N. P. Jensen Werft in Esbjerg vom Stapel.

VOLKER WENZEL


Auf unseren Reisen ist der Schiffsbetrieb im sogenannten Drei-Wachen-Rhythmus organisiert. Vier Stunden ist eine Wache komplett für das Schiff zuständig, dann übernimmt die nächste Wache usw. So entsteht der permanente Wechsel von vier Stunden Wache, acht Stunden Pause und wieder vier Stunden Wache. Rund um die Uhr. 24/7. Eine Wache besteht meist aus drei Crewmitgliedern. Und die verbringen so viel Zeit miteinander, dass man sich automatisch näher kennenlernt. Auf langen Seepassagen ist – wenn das Wetter mitspielt – nicht unbedingt viel zu tun. Die Wache steht an Deck, navigiert – und erzählt. Zum Beispiel die »22-Uhr-Geschichte«. Die habe ich mir mal auf einer Reise nach Island ausgedacht. Immer zur Hälfte der 8/12 Wache muss jeweils eines der drei wachhabenden Crewmitglieder ein Erlebnis aus seinem Leben erzählen. Egal, was. Einer, der diese Geschichten liebt, ist Volker Wenzel, ein Nautiker bei uns an Bord. Volker gehört zu den ganz wenigen Crewmitgliedern, die die DAGMAR AAEN schon über große Strecken als verantwortlicher Kapitän geführt haben. Auch für ihn ist das Schiff etwas ganz Besonderes:

In mir ist immer noch das Gefühl der Dankbarkeit gegenüber DAGMAR gegenwärtig. Zum Beispiel, als wir 2015 nach etwa 12 Wochen auf See im argentinischen Hafen Ushuaia ankamen. Ich hatte zwar das Schiff geführt, den Kurs bestimmt, das Wetter gecheckt, aber das alles hätte nichts genutzt, wenn der Grundstock, das »Material«, nicht gestimmt hätte: Ohne ein vernünftiges Schiff wäre ich da schlicht nicht angekommen. Das Vertrauen in die DAGMAR hat sich ziemlich schnell eingestellt. Ich erinnere mich noch an meinen ersten echten Sturm auf ihr. 9 bis 10 Beaufort. Das Übliche vor Island. Es war unglaublich! Nicht der Sturm als solcher, so etwas in der Art hatte ich schon öfter erlebt. Aber wie das Schiff sich völlig unbeeindruckt durch die See wühlte – da kann man nur staunend zusehen und sich an der schiffbaulichen Kunst erfreuen.

DAGMAR – das bedeutet für mich die Summe unzähliger kleiner Erlebnisse – auch wenn sie an sich nicht spektakulär sind. So wechselte ich irgendwann gemeinsam mit Arved den Kühler unseres Callesen-Diesel. Davor war ich über ein Jahr nicht an Bord gewesen. Doch kaum dass ich in der Navi stand, war ich sofort da – zu Hause. Dieser ganz spezielle Geruch; eine Mischung aus Holz, Pl, Teer, Salzwasser, dieses ganze Gefühl, dort zu stehen, das ist mir so vertraut. Ich habe so viele Stunden an Bord erlebt, und das Erleben dort fühlt sich oft auch in Kleinigkeiten oder Alltäglichem intensiv an. Dabei habe ich die alte Dame oft verflucht! Zum Beispiel, wenn ich gekrümmt hängend im Maschinenraum irgendwelche schmierigen Teile zerlegen musste. Aber wenn alles wieder tuckert und läuft, dann ist tatsächlich alles vergessen. Zumindest fast vergessen: Man braucht ja Erzählstoff für die 22-Uhr-Geschichten.


Arktische Riviera. Schönwettersegeln entlang der Ostküste Grönlands.

Durch Sturm und Eis

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