Читать книгу Schwarzes Schaf - Ascanio Celestini - Страница 6
Zwei
ОглавлениеIn den sechziger Jahren gingen wir immer in die Irrenanstalt.
Meine Großmutter ging dorthin und brachte frische Eier.
Ich ging mit und sie belud meine Arme mit Plastiktüten voll eingewickelter Eier und ging so mit mir zum Tor. Die Schwester machte uns auf und führte uns in die Küche. Jemand kackte auf den Boden und die Schwester sagte »ihr müsst entschuldigen, dass er gekackt hat, aber er ist wie eine Pflanze. Eine Pflanze, die auf die Erde kackt.« Die Schwester sagte »da kann man nichts machen, manche Irre sind wie Esel, die Iah schreien und austreten, wenn man Eseln etwas Gutes tut, erntet man nur Tritte.« Sie sagte, das ist normal, dass sie auf den Boden kacken. Es ist leichter, die Kacke wegzuwischen, als ihnen beizubringen, aufs Klo zu gehen. Leichter als ihnen beizubringen, sich mit Klopapier abzuputzen, sich den Hintern im Bidet zu waschen und so weiter …
Und ich sah all diese armen Irren, die kackten und an die Wand spuckten. Und die Wände waren voll mit Schleim, der langsam wie eine Schnecke unter Drogen den Putz hinabkroch. Er kroch so lange, bis die trockene Luft ihn an der Mauer festklebte. Die ausgetrocknete Spucke blieb als Stickmuster an der Wand haften, bis der Pfleger mit einem Schaber vorbeikam und sie ablöste wie Miesmuscheln. Und dann gab es Irre, die sich in die Hose machten. Sie pissten sich in die Hose, die war immer entweder zu eng oder zu weit, weil die Pfleger sie morgens nackig aus dem Bett holten. Dann zogen sie aus einem Plastiksack die Kleider hervor und verteilten sie auf gut Glück. Und die Kleider gab es nur in zwei Größen, nicht etwa wie im Kaufhaus, wo es alle Größen gibt. In der Anstalt … da hatte vielleicht einer eine Plauze und bekam eine enge Hose, während ein ganz dünner Irrer sich die weite Hose anzog. Die Schwester sagte »das ist nicht wichtig, ob den armen Kerlen die Hose runterrutscht. Wichtig ist nur, dass sie schnell aufstehen und pünktlich zum Frühstück erscheinen. Die Anstalt achtet darauf, dass der Zeitplan eingehalten wird.« Aufwachen, waschen, kacken, pissen, anziehen, essen, schlafen. Alles nach Plan. Und das Leben geht weiter.
Die Schwester sagt, das nennt man Pflege der Moral. Die Unordnung im Gehirn wird durch die Ordnung in der Anstalt kuriert. Die Pfleger stellen alle Betten in einer Reihe auf. Die Kleider haben alle dieselbe Farbe, denn in der Waschmaschine wird eh alles bei neunzig Grad gewaschen zum Desinfizieren, die Farben mischen sich und heraus kommt ein Irrenhausgrau, das haben dann alle Kleider. Die Schwester sagt, dass man die Pflege der Moral auch daran erkennt, dass alle dasselbe essen. Nun essen wir eine schöne gekochte Birne! Die Birne, ein bisschen Wasser, keinen Wein, keinen Kaffee. Messer und Gabel nein, nur Holzlöffel und Aluminiumgeschirr. Manches Besteck ist eben gefährlich.
Und ich sah immer all diese armen, von der Schwester dressierten Irren, wie sie aus dem Bett sprangen und sich die falschen Kleider anzogen. Die Schwester zählte sie und schickte sie in den Speisesaal. Die Irren setzten sich in Bewegung wie die Clowns im Zirkus, die am Ende der Nummer eine Runde durch die Manege drehen und winken. Nur dass den dressierten Irren niemand zuschaute. Dass niemand ihnen am Ende der Nummer applaudierte. Nur ich und meine Großmutter sahen die Vorstellung mit unseren Plastiktüten voll mit Eiern, aber wir lachten kein bisschen und klatschten auch nicht.
Dann gibt es noch einen speziellen Typ von Irren, und das sind die Katatoniker.
Sie liegen still im Bett. Einige werden morgens geweckt und auf eine Bank gesetzt, wo sie bis zum Abend bleiben, dann packt man sie wieder unter das Bettlaken. Ein paar können alleine ins Bad gehen, brauchen aber den lieben langen Tag dafür.
Sie wachen auf, gehen los, kommen an, kacken, gehen zurück und legen sich schlafen. Und das Leben geht weiter.
Die Schwester sagt »es ist gut, dass es in der Anstalt auch die Katatoniker gibt und nicht nur die, die schreien und alles kaputtmachen. Außerdem, wenn die Betten knapp werden, können wir auch mal drei davon in eins legen … das spart Platz.«
Die Katatoniker sehen wie Tote aus und meine Großmutter lässt mich oft bei ihnen zurück, weil sie mir nichts tun können. Sie sagt »das ist wie im Leichenschauhaus mit diesen armen reglosen Irren. Die sind ganz lieb. Sie sind wie Pflanzen.«