Читать книгу Schwarzes Schaf - Ascanio Celestini - Страница 7
Drei
ОглавлениеIch erinnere mich, dass ich als Kaninchen verkleidet war.
Ich erinnere mich, dass es Karneval in den sechziger Jahren war.
Ich erinnere mich, dass ich lange Ohren mit Draht drin hatte, damit sie hochstanden, aber eines war zerrissen und man sah den rostigen Draht. Ich hasste dieses alberne Kaninchenkostüm. Den ganzen Tag war ich ganz still vor lauter Wut auf das Kostüm, und meine Großmutter hat zu mir gesagt »es ist besser, wenn du eine Weile hierbleibst bei der Schwester auf der Station der Katatoniker-Irren. Bleib hier bei der Schwester.« Ich setzte mich neben die Schwester, die auf einem Stuhl saß und den Rosenkranz betete. Sie sah aus, als führte sie Selbstgespräche … dabei redete sie mit Gott! Aber sie redete so leise, dass ich glaube, selbst Gott muss gedacht haben, sie führt Selbstgespräche.
Dann hat meine Großmutter ein frisches Ei aus dem Kittel gezogen, hat mit dem langen Nagel von ihrem kleinen Finger ein Loch hineingebohrt und es mir zum Trinken gegeben. Meine Großmutter war angezogen wie eine alte Frau, mit den Omaschuhen und den Strümpfen aus der Apotheke und sie hat mich mit der Schwester allein gelassen, die betend zwischen all den Betten voll mit Irren saß, die aussahen wie Kinderleichen. Ich habe das Ei getrunken und dann gedacht »wenn nun der Tod persönlich vorbeikommt und diese halbtoten Irren sieht, und die Schwester, die wie eine lebende Leiche aussieht und mich, wie ich hier so still sitze wie der Tod. Dann bringt der uns am Ende noch alle ins Jenseits.« Da habe ich angefangen zu reden.
Ich habe auf die Schwester eingeredet, die mir nicht zuhörte.
Wie einer, der den Inhalt einer Plastiktüte auf dem Boden ausleert, eine Tüte voll mit so Zeug aus dem Supermarkt. Eine Tüte voll mit Nesquik, Spüli und Halspastillen und alles landet auf dem Boden und die Bonbons schwimmen im Spüli und das Pulver fliegt durch die Luft und es riecht überall nach Kakao und Kinderfrühstück … Ich habe den Mund aufgemacht und ihr gesagt, was mir durch den Kopf geht. Ich habe mein Gehirn über ihr entleert.
Ich habe gesagt »ich hasse dieses Kaninchenkostüm. Das Kostüm wandert durch unser ganzes Haus, ich bin der Jüngste im Haus und dieses Kostüm ist für Neunjährige wie mich. Aber dieses Kaninchenkostüm wandert seit fast zwanzig Jahren durch unser Haus und alle ziehen es an. Es ist ein Kostüm aus den fünfziger Jahren. Ein fades Kostüm. Es ist so doof wie die fünfziger Jahre. Und ich bin bestimmt der hundertste Doofmann, der dieses doofe Kostüm anzieht. Und außerdem ist ein Drahtohr verrostet.
Ich wollte ein Tarzankostüm. Kennst du Tarzan? Das ist der Held aus so einem Dschungelfilm. Das ist so einer, der kann kein einziges Wort sagen außer Ich, Du, seinen Namen und den von dem Affen, der heißt Tschita. Und im Film lernt er noch den Namen von einer schönen weißen Frau, die heißt Dschäin. Und sein ganzes Leben kann er nur Sätze mit diesen Wörtern sagen, so wie ›ich Tarzan, du Tschita‹ oder ›ich Tarzan, du Dschäin‹, oder er ruft ›Tschita!‹, wenn er den Affen braucht, oder ›Dschäin‹, wenn die weiße Frau in Gefahr ist. Aber irgendwann wird dann klar, dass der Affe eifersüchtig ist auf die weiße Frau, und dann ist der Affe eingeschnappt und redet nichts mehr. Eigentlich redet er sowieso nicht im Film, bis auf so ein paar spitze Schreie, wenn er sauer ist …
Der Affe kann nicht mal seinen Namen sagen, er sagt nicht ›ich Tschita‹. Dafür redet die Frau wiederum ständig. Sie redet für alle. Sie redet dermaßen viel, dass sie einem viel zurückgebliebener im Hirn vorkommt als der Affe. Aber der Affe ist ganz behaart und das findet Tarzan eklig. Während die Weiße ganz unbehaart ist und Tarzan total staunt deshalb. Aber dann verliebt er sich und meine Großmutter sagt ›Tarzan hat entdeckt, dass auch die Weiße Haare hat. Aber nur da, wo es nötig ist, und Tarzan gefällt diese Frau und diese Haarverdichtung. Sie gefällt ihm mehr als der Affe.‹
Tarzan schwingt sich an den Lianen durch den Dschungel und schreit seine ganze wilde Liebe zu Dschäin heraus. Er hat eine zerrissene Unterhose an und kann nur fünf Wörter sagen. Meine Großmutter sagt, er ist liebeskrank. Sie sagt, die Liebe hat sein Hirn krank gemacht. Sie sagt, sein Irrenhaus ist der Dschungel und dort lebt er wie die Irren in der Anstalt. Er wacht auf, isst, pisst, kackt, schwingt an den Lianen, spricht fünf Wörter, isst wieder, pisst wieder und geht wieder schlafen. Und das Leben geht weiter.«