Читать книгу Schwarzes Schaf - Ascanio Celestini - Страница 8
Vier
ОглавлениеIch wollte Tarzan sein, um Marinella zu erobern, die ist nämlich wunderschön. Schöner als Rita, Antonietta und Lucia, das sind die anderen Mädchen aus meiner Klasse. Schöner als Sofia Loren und Marilyn Monroe, als Gina Lollobrigida und sogar als Dschäin aus dem Tarzan-Film. Ich wollte Tarzan sein und stattdessen bin ich ein Karnickel mit rostigem Ohr.
Auch Zorro wäre noch gegangen. Selbst als so was wie der schwarze Pirat hätte ich Marinellas Herz erobern können, die als Ballerina verkleidet ist.
Ich wäre auch lieber als Ballerina gegangen. Auch wenn dann alle anderen aus der Klasse, die ganzen Zorros oder Piraten, Tarzans oder sonstwas, behauptet hätten, ich wär als Schwuler verkleidet … da bin ich doch lieber schwul. Lieber schwul als Karnickel! Deshalb wollte ich auch nicht zu der Karnevalsfeier im Gemeindesaal gehen. Aber meine Großmutter hat mich mit Gewalt hingeschleppt. Sie hat sich Schuhe und die festen Strümpfe aus der Apotheke angezogen und mich zu diesem Fest in die Kirche geschleppt. Meine Großmutter war angezogen wie eine Oma und zwischen uns allen sah sie aus, als hätte sie sich für Karneval verkleidet. Als alte Frau.
Und im Gemeindesaal ist auch Pancotti Maurizio, das ist der größte Schwachkopf der ganzen Schule. Er isst Erde und hat ganz dreckige Zähne. Dreckig vor lauter Erde, und einmal hat er sich ein Stück Zahn abgebrochen, als er auf einen Stein gebissen hat, und er hat angefangen zu heulen und ist zum Pfarrer gerannt. Und dann hat er gelacht, weil der Pfarrer ihm gesagt hat »das ist ja sowieso ein Milchzahn und wenn du größer wirst, wächst da ein gesunder Zahn nach.« Er ist echt der weltgrößte Schwachkopf. Und er war als Zauberer verkleidet. Und seine Mutter hat ihm so ein Kostüm gekauft, mit dem ganzen Zauberkram dabei, so Zauberkarten, wo Pancotti Maurizio immer zu dir sagt »wähle eine Karte«, und dann errät er die Karte. Und mit einem Zylinder, wo Pancotti Maurizio immer eine unechte, vertrocknete Taube draus hervorzieht. Und mit einem Zauberstab, der sich in einen Blumenstrauß verwandelt und Pancotti Maurizio schenkt ihn Marinella und ich polier ihm die Fresse, dem Pancotti Maurizio, wenn er versucht, sie in sich verliebt zu machen. Und der Pfarrer, als er mich in dem Kaninchenkostüm kommen sieht, sagt zu Pancotti Maurizio »hast du das auch aus deinem Zylinder gezaubert?« und alle lachen.
Und der Pfarrer ist auch ein Schwachkopf.
Und ich gehe in die Sakristei, um Insekten totzumachen. Ich kann ja auch Erde essen. Ich kann aber sogar Ameisen essen, und Fliegen und Spinnen.
Ich setze mich zu den ganzen Heiligen und Marias, die der Pfarrer in der Sakristei liegen hat, weil sie nicht alle in die Kirche passen. Ab und zu wechselt er dann die Spieler aus. Er stellt den Heiligen Antonius rein mit dem Teufel, der ihn in Versuchung führt, und nimmt den Heiligen Georg raus, der den Drachen tötet. Er stellt den Heiligen Franziskus rein, der mit dem Wolf redet, und nimmt den Heiligen Rochus raus, der mit dem Hund redet. Er wechselt Heilige aus und schickt sie in die Sakristei in Urlaub.
Ich schau mir diese Puppen an und kann nicht glauben, dass sie Heilige sind. Sie kommen mir vor wie riesige Pfarrer, die sich zu Karneval als Heilige verkleidet haben mit einem Heiligenschein aus Draht. Einem unechten Heiligenschein wie der Draht, der in meinem Karnickelohr steckt. Und mitten in dieser ganzen Spitzenmannschaft von Kirchengrößen taucht plötzlich Marinella als Ballerina verkleidet auf. Marinella, die selbst wie eine Heilige aussieht, auch wenn sie kleiner ist als die Statuen. Marinella ist die Hosentaschen-Madonna.
Marinella kommt zu mir und sagt »ich halt das nicht mehr aus, diesen Pancotti Maurizio mit seinen Zaubertricks«, und ich sage zu ihr »Pancotti Maurizio ist das schwachköpfigste Kind aller Zeiten!« und sie fängt an zu lachen. Also mache ich weiter und sage »komm, wir nehmen Pancotti Maurizio und schicken ihn mit einer Raumkapsel nach oben, wie diese Hündin Laika, die die Russen ins All geschickt haben. Pancotti Maurizio landet auf dem Planeten der Schwachköpfe, aber er ist so schwachköpfig, dass selbst die Schwachköpfe im All ihn schwachköpfig finden und ihn als Clown in den Weltraumzirkus tun. Und alle gehen in den Zirkus, um Pancotti Maurizio zu sehen, aber keiner will Eintritt zahlen, weil alle sagen, wir sind zwar schwachköpfig, aber nicht so schwachköpfig, dass wir Eintritt zahlen, um diesen Schwachkopf Pancotti Maurizio zu sehen. Und alle gehen rein ohne zu zahlen. Und am Ende der Vorstellung kommen sich die Schwachköpfe allesamt vor wie Professoren, denn im Vergleich zu dem Schwachkopf Pancotti Maurizio sind sie wahre Genies. Und dann verleihen die Bewohner des Schwachkopfplaneten sich gegenseitig den Nobelpreis. Der Bürgermeister verleiht dem Elektriker den Elektrik-Nobelpreis. Und dann verleiht der Elektriker dem Schreiner den Schreiner-Nobelpreis, und dann verleiht der Schreiner dem Fischhändler den Fischhändler-Nobelpreis, und dann …«, und dann Schluss. Ich sage nichts mehr, denn Marinella lacht wie diese Tiere, denen im Gehirn ein Knochen wächst und die verrückt werden. Und ich denke, wenn sie noch fünf Sekunden weiterlacht, explodiert ihr Kopf.
Ich denke, dass ich bisher den lustigen Jungen gespielt habe, aber Mädchen mögen keine lustigen Jungs, auch wenn sie sie zum Lachen bringen. Mädchen mögen Helden.
Deshalb beschließe ich, etwas Heldenhaftes zu tun. Ich nehme eine Spinne und esse sie bei lebendigem Leib, und dabei schaue ich ihr in die Augen.
Und sie verliebt sich augenblicklich in mich.
Jetzt kann ich anstellen mit ihr, was ich will. Ich kann sogar wie ein Drache rülpsen und ihr übers Gesicht lecken, denn sie ist wie hypnotisiert von mir. Aber sie ist schneller und bevor ich einen Mucks tun kann, steckt sie ihre perfekte Hand in ein Loch, wo ein staubverdrecktes Spinnennetz hängt. Auch sie will ein Held sein wie ich, sie will mithalten. Sie zieht die Hand aus dem Schmodderloch und steckt sie in den Mund und sagt »ich hab auch eine Spinne gegessen!«
Aber das ist gar nicht wahr.
Sie sagt, sie hat sie gegessen, aber ich weiß, dass das gelogen ist. Und ich sage wütend zu ihr »das ist gelogen. Du hast nur so getan, als ob du sie in den Mund steckst, dabei hast du sie gar nicht gegessen. Das ist gelogen. Wenn du sie in echt gegessen hast, dann sag mir, wonach sie geschmeckt hat. Ich esse Spinnen, ich esse in echt Spinnen und ich weiß, wie sie schmecken. Aber du weißt es nicht, weil du sie nicht gegessen hast. Und du wirst es nie wissen, weil du nicht den Mut dazu hast. Du hast nur so getan. Lügnerin!«, und sie schaut mich reglos an, weil ich ihren gemeinen Betrug aufgedeckt habe. Also stehe ich schnell auf und gehe eine Spinne suchen, ich reiße sie aus einem Spinnennetz und sage zu ihr »iss sie! Zeig mir, wie du sie isst.«
Marinella packt die zappelnde Spinne an einem Bein, ohne sie anzusehen, denn sie sieht mich an. Sie sieht mir in die Augen, so unverfroren, als sei ich die Spinne, die sie an einem Beinchen festhält. Und ich sage, nie wieder in der Menschheitsgeschichte wird eine so perfekte und reine Hand das Bein einer so dreckigen und haarigen Spinne halten. Marinella öffnet den Mund und nimmt die Spinne zwischen die Zähne. Sie hält sie mit den Zähnen fest, ohne die Lippen zu schließen, um mir live das Sterben der zermalmten Spinne zu zeigen. Und wenn ich daran zurückdenke, kommt es mir vor als hörte ich noch einmal, wie die Schale der Spinne zwischen Marinellas Zähnen knackt.
Sie schluckt dieses zermanschte Spinnengehäuse runter und ich bin glücklich, denn jetzt ist Marinella auch ein Held.
Ich und sie, wir sind jetzt wie Batman und Catwoman, wir sind zwei unzerstörbare Atomroboter. Zwei Bionic-Kids.
Dann merke ich, dass sie ihren Blick nicht von mir abgewandt hat, seit ich ihren Betrug enttarnt habe. Sie starrt mich mit aufgerissenen Augen an, aber sie ist nicht mehr vor Liebe hypnotisiert. Sie sieht mich eher so an wie meine Großmutter, wenn sie mich schlagen will … mich dann aber nicht schlägt, weil ich ihr leidtue. Sie sagt zu mir »wir hätten für immer zusammen sein können, aber du hast unsere Liebe kaputt gemacht. Ich hätte dich geliebt bis zum Tod. Ich hätte Kinder mit dir gehabt und sie in aller Armut aufgezogen. Ich wäre an deiner Seite alt geworden und wir hätten alles geteilt, jeder eine halbe Pizza bianca, ein halbes Langnese-Cremino, ein halbes Glas Milchkaffee. Ich hätte dich daran erinnert, deine Medikamente zu nehmen und dich sogar vor aller Welt auf den Mund geküsst. Es stimmt, es war gelogen. Es stimmt, ich hatte die Spinne nicht gegessen, aber du, warum hast du mir nicht geglaubt? War es wirklich so wichtig, dass ich dieses haarige Vieh esse? Du hättest mir glauben müssen, auch wenn es nicht stimmt, du hättest an mich glauben müssen. Weil ich es bin. Und ich hätte dich für immer erwählt. Aber jetzt weiß ich nicht mehr, ob ich dich erwähle …
Pancotti Maurizio hätte es geglaubt. Er hätte es geglaubt, weil er ein Schwachkopf ist.
Schwachköpfe glauben alles.«