Читать книгу Schöner Tod - Astrid Keim - Страница 9
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ОглавлениеSolange es notwendig war, hat Angela Mohrhaupt den Anschein von Gelassenheit aufrechterhalten können. Jetzt, im Gang, lehnt sie sich erschöpft gegen die Wand. Sie fühlt sich ausgelaugt und leer. Viel länger hätte sie es im Zimmer nicht ausgehalten. Gott sei Dank ist die Besucherin gekommen, Laura Mahler, wenn sie den Namen richtig verstanden hat. Gott sei Dank konnte sie noch die Fassung bewahren. Das hier ist eine ganz andere Sache als die fast schon Routine gewordene Konfrontation mit dem Ende des Lebens. Sie fürchtet, dass die Nachricht den Lebenswillen der alten Dame brechen wird, und weiß, dass sie die Verantwortung trägt, bestmögliche Unterstützung zu leisten. Sie weiß allerdings nicht, wie sie das schaffen soll. Es gelingt ihr nur mit Mühe, die Patienten zu versorgen. Schon das morgendliche Aufstehen kostet Überwindung. Sie muss sich zusammenreißen, sie kann nicht hier stehen bleiben, was sollen die anderen denken, wenn sie jemand sieht?!
Es sind nur ein paar Schritte bis zur Toilette. Mit beiden Händen stützt sie sich aufs Waschbecken und schaut in den Spiegel. Die Augen sind umschattet, ihr Blau steht in scharfem Kontrast zu den dunklen Ringen. Keine Ringe. Tränensäcke, verbessert sie sich erbarmungslos. Sie studiert die Striche, die sich von der Nase zum Mund ziehen, die Fältchen um die Augen, die Linien um den Hals. Das ist eine Fremde im Spiegel, eine müde, verblühende Frau mit blassem Gesicht und leerem Blick. Kein Wunder, dass sie Alex verlassen hat, irgendwann musste das kommen. Das hat sie schon gewusst, als es begann. 17 Jahre Altersunterschied lassen sich nicht einfach ignorieren, auch wenn es anfangs so aussah. Die gemeinsame Basis fehlte.
Er, nach dem Germanistikstudium und dem Volontariat bei einer großen Tageszeitung als Journalist übernommen, ist dort heute stellvertretender Chefredakteur mit ausreichendem Salär. Er konnte reisen, das Leben genießen, sie musste ihren Pflichten nachkommen. Der Freundeskreis war nicht kompatibel. Zwei oder drei Versuche machten das klar, sodass sie keine weiteren unternahmen. Trotzdem lebten sie zusammen, besser gesagt, er nahm das Angebot an und zog bei ihr ein, als seine Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. Im Nachhinein gesehen wohl aus Bequemlichkeit, denn nie machte er den Versuch, nach seinem eigenen Geschmack etwas mitzugestalten, brachte nur ganz wenige Möbel mit. Anfangs war sie darüber verwundert, aber er beteuerte, dass er sich wohlfühle und nichts vermisse. Jetzt ist sie überzeugt, dass alles für ihn nur ein Provisorium war, bis sich etwas Besseres böte.
Vor drei Wochen ließ er sie wissen, dass er sich neu verliebt habe. Leider. Er bedauere das sehr, und sie dürfe nicht glauben, dass das leicht für ihn sei. Aber so sei es nun einmal und die Trennung für alle das Beste. Ein klarer Schnitt. Mit dem Altersunterschied habe das überhaupt nichts zu tun, auch wenn Bettina erst 22 sei, eine Studentin, die ihr Praktikum in der Redaktion mache. Gestern hat er letzte Sachen aus ihrer Wohnung geholt und sich mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange verabschiedet. Tschüss, das war’s.
Bis vor drei Wochen wurde ihr Leben von strenger Disziplin bestimmt, die nun ins Wanken geraten ist. Der Tag hat sich nicht geändert, wohl aber der Abend. Sie hatten miteinander gegessen, zu Hause oder auswärts, waren ins Kino gegangen oder in das kleine Weinlokal nicht weit entfernt von ihrer Wohnung.
Sie ringt darum, das innere Gleichgewicht wieder zu erlangen. Es dauert nur wenige Minuten, dann wendet sie sich entschlossen ab. Die Routine der beruflichen Anforderungen ist eine Stütze. Sie schiebt die dunklen Locken zurück, wischt mit einem Papiertuch über die schweißnasse Stirn und schüttelt die Haare wieder zurecht. Wenigstens die machen keine Probleme, konstatiert sie und spürt, wie ihr Puls wieder ruhiger wird. Sie zieht den Lippenstift aus einem Seitenfach der Handtasche, malt den Mund mit aller Sorgfalt nach und vergewissert sich, dass die unnatürliche Blässe verschwunden ist. Die Schwäche ist vorbei, sie fühlt sich gerüstet, ihrer Arbeit wieder nachzugehen.
Laura setzt sich auf den freigewordenen Stuhl und nimmt erneut Ellis Hand. Noch sind deren Augen vom Weinen gerötet, aber die Tablette tut ihre Wirkung. Laura überlegt kurz, von ihrem Part bei dem Todesfall zu berichten, entscheidet sich aber dagegen. Er tut nichts zur Sache, ändert nichts an den Gegebenheiten, würde höchstens weitere Aufregung hervorrufen. »Wann hat man es dir gesagt?«, fragt sie stattdessen.
»Heute, nach dem Mittagessen. Man wollte mir wohl nicht den Appetit verderben. Frau Dr. Mohrhaupt war dabei. Sie wusste es bereits.«
Laura nickt. »Das war bestimmt richtig so, meinst du nicht?«
Elli zögert einen Moment. »Zuerst habe ich es als ungeheuerlich empfunden, aber im Nachhinein bin ich dankbar dafür, dass ich nicht alleingelassen wurde. Nein, alleingelassen worden, das wäre ich ohnehin nicht«, korrigiert sie sich, »das Pflegepersonal kümmert sich wirklich sehr gut um uns, aber zur Frau Doktor habe ich doch ein intensiveres Verhältnis. Sie kennt mich besser als die anderen. Sie weiß, dass es das Ende meiner Familie ist.«
Und Lauras Frage vorwegnehmend: »Wir hatten nur ein einziges Kind, unsere Tochter Ina. Sie studierte Kunstgeschichte und reiste mit einer Exkursion nach Südfrankreich, um romanische Kirchen zu besuchen. Im Kloster St. Trophîme in Arles lernte sie einen jungen Mann kennen, der sich dort sein Studium als Fremdenführer verdiente. Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Wieder zuhause, sprach sie von nichts anderem als von Jérôme und der Schönheit seiner Heimatstadt, von der südlichen Sonne und den Lavendelfeldern. Das Lebensgefühl dort sei ein ganz anderes. Frankfurt, wo sie ihre Jugend verbracht hatte, erschien ihr plötzlich eng und kalt und ohne Perspektive. Sie blieb noch ein Jahr, machte ihr Diplom und zog dann zu Jérôme nach Arles. Kurz darauf heirateten sie.«
»Das dürfte nicht so ganz einfach für euch gewesen sein. Das einzige Kind hätte man doch wohl gerne in der Nähe?«
»Natürlich, aber andererseits konnten wir ihre Wahl verstehen, der junge Mann war höflich, respektvoll, aufmerksam und stammte aus einer alteingesessenen Familie. Vor allem aber liebte er Ina offenbar aufrichtig. Zur Hochzeit drei Monate später reisten wir nach Arles und konnten uns von ihrem Glück überzeugen. Und 14 Monate später war Ina tot, gestorben bei der Geburt von Marie …«
Elli schließt die Augen, als wolle sie die Erinnerung ausblenden. Schließlich fährt sie fort: »Wir hätten das Kind gerne zu uns geholt, wussten aber, dass das nicht möglich sein würde. Jérôme hätte seine Tochter nie weggegeben, außerdem kümmerte sich die ganze Familie rührend um die Kleine. So blieb es also bei gegenseitigen Besuchen, leider meist nur einmal im Jahr. Ich habe mich so gefreut, als sie sich nach dem Tod ihres Vaters entschloss, hierher zu kommen.«
Laura sieht, wie die Augen wieder feucht werden, und streichelt ihre Hand. Sie hat Elli kaum unterbrochen. Offenbar war es ihr wichtig, die ganze Geschichte zu erzählen. Ein Vertrauensbeweis, denkt Laura, und ich erwidere ihn nicht. Ich verschweige Dinge, die sie vielleicht wissen sollte. Wieder kämpft sie mit sich, ihr die Wahrheit zu sagen, und wieder entscheidet sie sich dagegen. Und sie wird auch Thomas bitten, nichts darüber verlauten zu lassen, sollte er sie befragen; es würde nur neuen Schmerz auslösen.
»Sie hat mich einmal in der Woche besucht«, nimmt Elli den Faden wieder auf, »und das waren Tage, auf die ich mich sehr freute. Sie sieht Ina so ähnlich, und ich hatte immer das Gefühl, auch meine Tochter bei mir zu haben, wenn Marie da war. Ich weiß nicht, wie es nun weitergehen soll, ich sehe keinen Sinn mehr im Leben. Wenn Kinder vor den Eltern gehen, die Enkelin sogar vor ihrer Großmutter, ist die Natur auf den Kopf gestellt. Wäre ich gläubig, würde mir Gott vielleicht einen Weg zeigen, aber jetzt glaube ich weniger denn je, dass Gott weiß, was er tut, es sei denn, er nähme mich auch von der Erde.«
Sie dreht den Kopf zur Seite, schließt die Augen und faltet die Hände über der Bettdecke, als sei jetzt alles gesagt. Laura nimmt es als Signal, dass Elli nun allein sein will. Sie fühlt sich hilflos, und ihr wollen keine Worte des Trostes einfallen. So beugt sie sich über das Bett, streift mit ihren Lippen die Wange der Freundin und verlässt das Zimmer mit dem Vorsatz, am nächsten Tag wieder nach ihr zu schauen.
Es war der letzte Besuch, denn in der Nacht ist Elli gestorben.
Laura sitzt auf dem Balkon, obwohl es deutlich kühler ist als am Vortag. Sie braucht frische Luft, denn ihr ist immer noch ganz wackelig zumute, obwohl bereits zwei Stunden seit der Nachricht vergangen sind. Sie wollte Elli anrufen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Unter der vertrauten Nummer meldete sich eine Männerstimme, die zunächst um Auskunft über ihre Person bat. Da Laura keine Unbekannte auf der Station ist, hat man sie über die Umstände des Todes informiert. Herzversagen. Im Schlaf. Kein Hinweis auf Suizid oder Fremdverschulden. Der Totenschein sei bereits ausgestellt.
Ellis Herz war gebrochen, da ist sie sich sicher und auch, dass der Tod als Freund gekommen ist. Vielleicht hat sie ihn zu sich gerufen, um dem Schmerz ein Ende zu bereiten.
Neben dem Kummer verspürt Laura auch einen Hauch von Erleichterung, denn sie weiß nicht, ob sie Elli in ihrer Trauer angemessen hätte begleiten können. Die eigene Trauer um Christoph ist noch zu präsent, um andere bei der Verarbeitung ihres Schmerzes wirklich unterstützen zu können.
In welchen Wirbel von Ereignissen ist sie da hineingezogen worden. Laura ist auf einmal persönlich betroffen, denn das tote Mädchen ist keine Unbekannte mehr. Neben der Traurigkeit beginnt auch Wut aufzukeimen. Jetzt hat der Mörder schon zwei Menschen auf dem Gewissen, denn moralisch ist er auch schuld an Ellis Tod, da gibt es gar keinen Zweifel. Das ist schwer zu ertragen.
Sie ruft noch einmal an, um sich über das weitere Geschehen zu erkundigen und erfährt, dass Elli schon vor mehreren Jahren ein Testament hinterlegt hat, in dem sie ihr Begräbnis genau regelt. Das Beerdigungsinstitut ist bereits informiert, die erforderliche Summe bezahlt. Man wird Laura wissen lassen, wann die Urnenbeisetzung erfolgt.
Das ist also das Ende. Letzte Formalitäten sind noch zu erledigen, dann schließt sich die Akte. Gibt es Menschen, die um Elli trauern? Ihr wird bewusst, wie wenig sie über Ellis Alltag weiß. Die Gespräche drehten sich meist um längst vergangene Zeiten, deren Erlebnisse umso mehr an Bedeutung gewannen, je weniger die Zukunft versprach. When we were kings: Eine Zeitspanne gibt es in jedem Leben, die die glücklichste, aufregendste oder auch prägendste gewesen ist. Für Elli waren es die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg, und viele ihrer Erinnerungen bezogen sich auf diese Zeit. Ja, auch von ihrer Ehe hatte sie erzählt, aber eher beiläufig, und den frühen Tod ihrer Tochter lediglich gestreift. Vielleicht war das eine mit dem anderen eine Verbindung eingegangen, deren Thematisierung Schmerz bereitete. Laura empfindet ein Gefühl von Verlust, als sie erkennt, wie dürftig ihre Informationen sind, wie wenig Zusammenhänge sich erschließen, wie vieles ungesagt geblieben ist. Wenigsten die alten Fotoalben wird sie sich erbitten, falls niemand anderes Interesse daran zeigt. So kann sie die schönsten Erinnerungen mit Elli teilen.
Ein paar Wolken sind aufgezogen, und Laura beginnt zu frösteln. Das Klingeln des Telefons fällt mit dem Entschluss zusammen, nach drinnen zu gehen und die Heizung anzuschalten. Der Frühling scheint sein kurzes Gastspiel wieder beenden zu wollen. Eigentlich ist ihr nicht nach Telefonieren zumute, aber als Thomas’ Nummer auf dem Display erscheint, meldet sie sich. Er hat bereits erfahren, dass sie Maries Großmutter kannte, und will nun wissen, ob die etwas über ihre Enkelin erzählt habe, das weiterhelfen könnte.
»Wir müssen uns ein Bild von dem Mädchen machen: welche Freunde, überhaupt welchen Umgang sie hatte. Ob sich in der letzten Zeit etwas verändert hat, ob es einen Partner gab.«
Laura bedauert. »Manchmal kam schon die Sprache auf sie, aber nur ganz beiläufig, ich kann dir also leider nicht mit Details dienen. Aber hast du nicht gesagt, dass sie mit einer Kommilitonin zusammenlebte? Die müsste doch Auskunft geben können?«
»Das schon, und wir haben sie auch bereits ein erstes Mal befragt, aber es ist natürlich immer besser, wenn Aussagen auch von anderer Seite bestätigt werden.«
»Tut mir leid«, wiederholt Laura bestimmt, »ich kann dazu leider nichts beitragen«, und hat plötzlich ein dringendes Bedürfnis, dieses Gespräch zu beenden. Neugier und Spannung sind verflogen, eigentlich möchte sie nichts mehr mit der Sache zu tun haben, denn sie geht ihr zu nahe. Mit der Entschuldigung, einen Arzttermin wahrnehmen zu müssen, verabschiedet sie sich von Thomas und lässt sich in ihren Lieblingssessel sinken, ein Erbstück der lange verstorbenen Großtante. Er ist hoch, mit ausladenden Ohren und hat etwas Höhlenartiges. Hierhin flüchtet sie sich immer, wenn sie Ruhe haben will. Hier kann sie abschalten. Christoph lästerte gern darüber, dass sie sich in ihren Bau verziehe, um die böse Welt zu vergessen. Damit traf er den Nagel auf den Kopf, und auch heute funktioniert diese Strategie. Laura spürt, wie sie ruhiger wird, die Gedanken aufhören zu kreisen.
Sie muss sich eine Auszeit nehmen. Nicht mehr nachfragen, wie die Sache steht, keine nutzlosen Vermutungen anstellen. Vielleicht ein paar Tage verreisen? Mit Christoph hat sie häufig Südfrankreich besucht, Arles zum Beispiel, eine Stadt, in der die Geschichte bei jedem Schritt präsent ist. Die Alys Champs fallen ihr ein, die Elysischen Felder. In Paris sind es die Champs Elysées: Begräbnisstätten an den großen Ausfallsstraßen der römischen Stadtgründungen. In Arles wurde dort in frühchristlicher Zeit auch der Heilige Trophîme begraben, und viele Gläubige ließen sich in seiner Nähe bestatten. Auch solche aus weiter entfernten Gegenden. Die Angehörigen legten ihren Verwandten ein Goldstück in den Mund und ließen sie in kleinen Booten die Rhône hinuntertreiben. In Arles holte man die Boote ein, nahm den Obolus und bestattete den Verstorbenen an den Alys Champs. Wenn alles gut ging. Ja, diese Stadt würde sie gerne wieder einmal besuchen. Und das frühe Frühjahr ist eine schöne Reisezeit. Dort blühen bestimmt schon die Magnolien. Man müsste nur sicher sein, dass der Mistral nicht weht, der eisige Wind, der bei strahlend blauem Himmel die Freude am Aufenthalt im Freien verdirbt. Vielleicht hätte Renate Lust, mitzukommen?
Gerade als sie zum Hörer greifen will, muss sie auflachen. Abstand will sie gewinnen, auf andere Gedanken kommen, und das ausgerechnet in Arles, Maries Heimatstadt? Da hat ihr das Unterbewusstsein einen ganz schönen Streich gespielt. Ausblenden lässt sich die Angelegenheit also nicht, dazu ist sie zu nahe dran.
Sie wählt Renates Nummer, erzählt, was geschehen ist, und spricht von ihrem Dilemma. Renate versteht sie. »Es ist unwahrscheinlich, dass du es schaffst, dich abzugrenzen, dazu steckst du viel zu tief in der Sache drin. Du kannst nur versuchen, sachlich damit umzugehen, deine persönliche Betroffenheit hintanzustellen, sonst verlierst du dich in Spekulationen. Warum wartest du nicht die weiteren Ermittlungsergebnisse ab?«
»Genau deswegen. Weil ich persönlich betroffen bin.«
»Und was folgt daraus?«
»Du hast mich zwar davor gewarnt, mich persönlich zu involvieren, trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich zur Aufklärung beitragen könnte.«
»Und wie?«
»Indem ich Gespräche führe. Das kann ich nämlich, da habe ich jahrzehntelanges Training.«
»An wen denkst du?«
»Zum Beispiel an die Mitbewohnerin. Ich bin eine Freundin von Maries Großmutter, vielleicht finde ich eine andere Verständigungsebene als die Polizei. Vielleicht erfahre ich etwas Neues, zumindest aber erfahre ich etwas über Marie selbst. Ich möchte wissen, was sie für ein Mensch war, warum sie ihre Heimatstadt, ihre Freunde und Angehörigen verließ, um in das fremde Frankfurt zu kommen.«
Renate seufzt.
»Also gut, ich sehe, dass ich dich nicht davon abhalten kann. Meinst du, dass Thomas dir die Adresse gibt?«
»Ich denke schon. Schaden kann ich schließlich nicht anrichten, die offizielle Befragung ist ja bereits erfolgt. Wenn also etwas dabei herauskommt, ist es gut, wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm.«
Gleich nach dem Gespräch ruft sie Thomas an und erzählt von ihrem Plan. Wie erhofft, hat er keine Einwände, bittet Laura aber, mit dem Besuch noch einen Tag zu warten, da Iris Kirchner vorhat, zunächst noch ein weiteres Gespräch mit der jungen Frau zu führen.
»Außerdem wollte ich dich sowieso anrufen. Jenny will heute Abend für ein paar Freunde bei mir kochen. Hast du nicht Lust, vorbeizukommen?«
Soll das heißen, dass sie schon bei ihm wohnt? Laura liegt die Frage auf der Zunge. »Ja, gerne«, antwortet sie stattdessen und meint es ehrlich. Die Neugier ist zu stark, um da widerstehen zu können. Endlich wird sie die neue Flamme kennenlernen.
»Dann also gegen sieben. Ich bin sicher, dass dir Jenny gefallen wird. Umgekehrt natürlich auch.«
Leicht befremdet legt Laura den Hörer auf. Woher nimmt er nur diese Sicherheit? Oder ist es schieres Wunschdenken? Immerhin treffen sich hier zwei Frauen zum ersten Mal. Und nicht nur das, beide haben eine Bindung zum gleichen Mann. Zwar anders geartet, wenn man es genauer betrachtet, aber doch keineswegs oberflächlich. Ihre anfängliche Vorfreude relativiert sich. Sie spürt einen leichten Anflug von Eifersucht. Nein, eigentlich keine Eifersucht, sondern ein Gefühl von Verlust. Als würde sie nach Christoph nun auch Thomas verlieren.
Unsinn, ruft sie sich zur Raison. Thomas hat jedes Recht auf eine neue Beziehung, und ich überhaupt keins zur Missgunst. Wenn er sich sicher ist, dass wir uns verstehen, sollte ich die Sache gelassen auf mich zukommen lassen.