Читать книгу Das verschwundene Gold. Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand 1612-1616 - Astrid Keim - Страница 11

8.

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Die Krönungsfeierlichkeiten liegen nun zehn Tage zurück. Es ist Ende Juni 1612. Kaiserpaar und Kurfürsten haben die Stadt bereits verlassen, zu unsicher war ihnen ein längerer Aufenthalt. Nachdem auch nach drei Wochen weder vom Kaiser noch von den Kurfürsten noch vom Rat Antwort auf ihr Schreiben gekommen war, entstand Missstimmung unter der Bürgerschaft. Fettmilch, als inzwischen gewählter Sprecher eines neu gegründeten Bürgerausschusses, forderte in einer zornigen Rede auf dem Römerplatz den Rat auf, Stellung zu beziehen.

Mit vierhundert Söldnern im Rücken fühlten sich die Ratsherren stark genug für eine hochmütige Antwort, die auf den Treppen des Rathauses verlesen ward. Man wolle sich auf ein Entgegenkommen herablassen. Die Bürgerrechte würden aus den Abschriften verlesen werden. Man sei bereit, mit fünf Prozent Zinsen Darlehen zu gewähren, wenn denn genügend Geld in der Stadtkasse sei. Mit den Juden habe man nichts zu tun, das sei Angelegenheit des Kaisers und was den geforderten Kornmarkt beträfe, so läge dies im Bereich des Möglichen, falls man die Bauern überreden könne, ihr Getreide in die Stadt zu bringen.

Fettmilch und die anderen Mitglieder des Bürgerausschusses trauen ihren Ohren nicht, als dieser verächtliche Bescheid vor dem Rathaus verlesen wird. »Bei Gott«, bricht es aus ihm heraus, »so kann man mit uns nicht umspringen. Wir werden behandelt wie unmündige Kinder. Abschriften von irgendwas, die Bauern überreden, ihr Getreide in die Stadt zu bringen, als habe man es ihnen nicht bei Leibesstrafe verboten.« Wütend stampft er mit dem Fuß auf. »Das können wir nicht hinnehmen!«

»Ja, Vincenz, ja«, schallt es ihm entgegen, »wir müssen handeln. Lasst uns den Ratssaal stürmen, die Herren sollen uns Rede und Antwort stehen.«

Als einige Anstalten machen, das Vorhaben gleich auszuführen, hat sich Fettmilch wieder soweit in der Gewalt, um sich ihnen entgegenzustellen. »Freunde!« Er wartet ein paar Sekunden, bis es wieder ruhiger wird. »Freunde, damit würden wir uns ins Unrecht setzen. Ich gehe mit Georg Ebel und Conrad Gerngroß und bitte um Einlass und Redeerlaubnis. Die Herren werden sich nicht weigern können, freie Bürger anzuhören.«

Sauer und Schopp murren, diese Vorgehensweise sei allzu zahm, die meisten aber schrecken vor Gewaltsamkeiten zurück und stimmen dem Vorschlag zu. Schließlich wird eine Gasse für die drei gebildet.

Es dauert kaum eine halbe Stunde, bis die Männer zurückkehren. Ebel flammt vor Zorn. Sein Gesicht leuchtet nicht weniger rot wie Bart und Haupthaar. Er schreit seine Wut in die Menge. Noch nicht einmal vorgelassen hätte man sie, im Vorraum mussten sie warten. Und dann, seine Stimme überschlägt sich, habe der Ratssyndikus ausrichten lassen, dass eher die Stadt unterginge, als dass die Privilegien verlesen würden, und Pyrander, der Stadtschreiber, erdreistete sich gar zu behaupten, es gäbe überhaupt keine.

»Und jetzt kommt das Allerbeste.« Ebel holt tief Luft, »Außerdem sagt er, wären wir an unserem Elend selbst schuld. Immer hätte die Stadt Geld für fünf Prozent Zinsen angeboten, wir aber seien aus lauter Verstocktheit lieber in die Judengasse gelaufen, um das Nötige dort zu leihen.«

Ein Aufschrei der Empörung geht durch die Versammlung. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Die Wachen mit ihren gekreuzten Hellebarden werden einfach überrannt und mehrere hundert Menschen stürmen ins Rathaus. Weit kommen sie nicht, denn auf der Treppe haben sich Söldner mit angelegten Musketen postiert. Sie schießen über die Köpfe. Der Lärm ist ohrenbetäubend, Pulverdampf hängt dicht in der Luft, die Situation ist kaum überschaubar. Einige haben sich schreiend zu Boden geworfen, andere versuchen Deckung zu finden, eine Handvoll zieht Messer und Dolche, drängt nach vorn.

Fettmilch gelingt es, sich einen Weg zu bahnen und auf die Treppe zu gelangen. Er breitet die Arme aus. »Zurück!« Seine Stimme donnert durch den hohen Raum. »Zurück, sage ich! Wollt ihr euch erschießen lassen, wollt ihr Blut fließen sehen? Euer Blut? Glaubt mir, die hohen Herren haben sich oben unter starker Bewachung im Saal verschanzt. Nun ist es klar, weshalb sie die Söldner angeworben haben. Nicht zum Schutz gegen Ausschreitungen bei den Krönungsfeierlichkeiten, nein, zum Schutz vor uns, vor den eigenen Mitbürgern. Gute Leute, es muss etwas Wichtiges sein, das wir nicht wissen sollen, sonst wäre dieses Aufgebot nicht notwendig.«

»Recht hast du!«

»Verdammte Feiglinge, sie sollen sich zeigen!«

»Wir wollen Antworten!«, schallt es ihm entgegen.

Wieder hebt Fettmilch Ruhe gebietend seine Hände. Wir werden sie zwingen, uns Rede und Antwort zu stehen, aber nicht auf diese Art und Weise. Der Kaiser selbst steht in der Pflicht, unsere Rechte zu schützen. Wir sind freie Reichsbürger und nur ihm, nicht den Ratsherren untertan. Er ist der Vater, wir seine Kinder. Er kann uns seine Unterstützung nicht versagen, denn so wie wir geschworen haben, ihm die Treue zu halten, ist er uns gegenüber durch Eid verpflichtet.«

Gottlieb, ein Geselle der Metzgergilde, der immer etwas einzuwenden hat, baut sich drohend vor Fettmilch auf und schüttelt die Faust. »Wir sind an der Nase herumgeführt worden. Der Rat denkt überhaupt nicht daran, irgendwelche Zugeständnisse zu machen.« Er dreht sich zu den Mitstreitern um. »Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen. Mir nach!«

Er macht Anstalten, Fettmilch beiseite zu schieben, doch der weicht keinen Millimeter, packt ihn am Handgelenk und dreht es nach außen, so dass der kräftige Mensch in die Knie geht. Gespannte Stille ist eingetreten, alle verfolgen jetzt die Auseinandersetzung.

Fettmilch lässt den Metzgergesellen los. »Geht nach Hause Leute, setzt nicht euer Leben aufs Spiel für etwas, das hier nicht gewonnen werden kann. Ich will im Namen des von euch gewählten Bürgerausschusses Verhandlungen führen. Wir sind mächtig genug, sie einzufordern.«

»Verhandlungen, Verhandlungen! Was sollen die schon bringen?«, zischt Gottlieb blass vor Wut und reibt sich das Handgelenk. Fettmilch ignoriert ihn, spricht zu den anderen. »Wir sind auf eurer Seite. Gebt uns ein wenig Zeit.« Seine Stimme ist fest und voller Selbstvertrauen. »Ihr werdet sehen, was wir mit Verhandlungen erreichen können und du«, er tritt dicht an Gottlieb heran, »stell deinen Verstand an und mach dir Gedanken darüber, was es nutzen soll, ins offene Messer zu laufen.«

Seine Worte hinterlassen Eindruck, mehr aber die noch immer angelegten Waffen. Georg Ebel zieht eine Grimasse, wischt sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Hol’s der Teufel, ich hätte nicht übel Lust, die da oben beim Kragen zu packen, aber das müssen wir wohl verschieben.« Er dreht sich zum Eingang, Schopp und Geiß folgen ihm. Nicht ohne Verwünschungen und Flüche auszustoßen, schließen sich die anderen an. Vincenz und Gerngroß verlassen als letzte die Eingangshalle des Rathauses und streben zum Großen Christophel, um sich zu beraten.

Das verschwundene Gold. Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand 1612-1616

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