Читать книгу Das verschwundene Gold. Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand 1612-1616 - Astrid Keim - Страница 12
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ОглавлениеAuf diese Idee sind allerdings auch andere gekommen. Der Gastraum ist brechend voll. Vincenz und seine Freunde überlegen gerade, wohin sie ausweichen können, als die Gäste sie entdecken und mit Klatschen, Johlen und Pfeifen empfangen. Einige trommeln mit den Fäusten auf die Tische, rücken dann zusammen, um den Neuankömmlingen Platz zu machen.
Theobald Straub streckt Vincenz die Hand entgegen. »Ich weiß über die Vorkommnisse Bescheid. Auch wenn nicht alle meiner Meinung sind«, er lässt die Blicke über seine Gäste schweifen und schaut dabei vor allem Gottlieb fest in die Augen, »du hast richtig gehandelt. Es ist unstrittig, dass es so nicht weitergeht, aber Schaden darf keiner nehmen.«
»So ist es«, stimmt ihm Balthasar Knorpel zu, der wenige Minuten zuvor eingetroffen war und die letzten Worte gehört hatte.
»Was will denn der hier?«, meldet sich ein altgedienter, magerer Schneider.
»Spionieren, was sonst?«, verlautet Ebel mit abfälligem Ton.
Knorpel drückt den Rücken durch, hebt das Kinn. Seine Stimme ist fest. »Keineswegs. Obwohl ich auf der dritten Bank im Rat sitze, gefällt auch mir nicht, was da vor sich geht. Uns gewählten Zunftmeistern wird die Mitbestimmung von den Patriziern verwehrt, obwohl wir ein Recht dazu haben.«
»Gewählt, dass ich nicht lache, von der Patrizier Gnade sitzt ihr im Rat.« Hermann Geiß, der Anführer unter den Schneidern, hat das Wort ergriffen. Seine Stimme ist scharf, die Augen schmal.
»Ihr wurdet nicht gewählt, sondern ausgewählt, weil von euch am wenigsten Widerstand zu erwarten war. Woher dieser plötzliche Sinneswandel?«
Knorpel ist anzumerken, dass ihn die Worte treffen, seine Schultern fallen für einen kurzen Augenblick nach vorn, dann strafft er sie wieder und hält entgegen. »Sieh es, wie du willst. Ich jedenfalls bin mit festem Vorsatz angetreten, für unsere Interessen, die Interessen des Handwerks zu streiten, und werde morgen zurücktreten, weil ich es nicht vermag.«
»Hört, hört.« Geiß fühlt den Wind aus seinen Segeln genommen und der Ton mildert sich. »Soll das heißen, dass du die Seiten gewechselt hast?«
»Wenn du so willst.« Balthasar Knorpel zuckt die Achseln. »Jedenfalls stehe ich dem Rat nicht mehr zur Verfügung und glaubt mir, andere werden es mir nachtun. Ich rede von anderen, nicht von allen, denn manche sind Verpflichtungen eingegangen, indem sie Vergünstigungen annahmen. Aber eins sage ich euch. Wenn wir unsere Rechte durchsetzen wollen, darf es kein Blutvergießen geben. Vincenz hat recht, wir müssen verhandeln.«
»Dass du dafür bist, darauf hätte ich wetten können. Verhandeln! Ich kann das Wort nicht mehr hören.« Gottlieb ist aufgesprungen. Er war schnurstracks vom Römer ins Wirtshaus geeilt und hat einen großen Schnapsbecher vor sich, der bereits zur Hälfte geleert ist. Seine Fäuste sind geballt, eine Zornesader klopft an der Schläfe. »Wir werden hingehalten, verspottet und bedroht. Wie lange wollen wir uns das noch gefallen lassen? Sind wir Feiglinge, die sich nicht wehren können? Der Magistrat kümmert sich einen Dreck um unsere Bedrängnis. Wir haben kaum etwas zu beißen, essen Brei aus grobem Körnerschrot und die feinen Herren stopfen sich die Wänste voll. Bei ihren Gelagen fehlt es an nichts, kein Gewürz ist zu teuer, kein Linnen gut genug. In unseren Kannen ist nur saurer, verdünnter Wein aus den Rebgärten von Sachsenhausen und dem Lorberg, aber die ihrigen sind mit edelsten Tropfen gefüllt, die von weit herkommen, um den verwöhnten Kehlen zu schmeicheln. Und wer bezahlt das alles?« Auffordernd schaut er in die Runde.
»Ja, der Rat muss weg!«, springt ihm Lukas, Geselle der Getreidehändler, ungestüm zur Seite. »Wir wollen Einsicht in die Bücher, wollen sehen, wo unsere Abgaben geblieben sind, wollen eine gerechte Verteilung der Einnahmen. Freiwillig wird das niemals geschehen, und freiwillig werden sie uns Gesellen und den Tagelöhnern auch kein Bürgerecht gewähren, obwohl wir zahlen müssen. Wenn sie keine Angst vor uns haben, bleibt alles beim Alten. Ich jedenfalls bin bereit, für unsere Freiheit auch mein Leben zu riskieren.«
»Ich auch! Ich auch!«, tönt es aus mehreren Kehlen. Und: »Was soll aus unseren Kindern werden, sollen sie hungers sterben, nur weil ihre Väter nicht den Mut aufbringen, sich den Verursachern zu stellen?« Und: »Lasst uns den Rat verjagen, wir können selbst regieren!«
Vincenz überlegt, ob er nochmals das Wort ergreifen soll, entscheidet sich aber dann dagegen. Hier entwickelt sich etwas, das seinen Ansichten zuwiderläuft, aber nicht beeinflussbar ist. Zumindest im Moment nicht. Das weitere Vorgehen muss im engsten Kreis genau geplant werden, jetzt darf er sich nicht provozieren lassen, keine Dinge sagen, nichts versprechen, was nicht eingehalten werden kann. Jedes weitere Wort könnte die Stimmung noch mehr aufheizen. Es ist wohl besser, das Wirtshaus zu verlassen, als sich einer unbeherrschbaren Situation auszusetzen. Eines ist aber vorher noch zu erledigen.
Er gibt Balthasar Knorpel ein Zeichen, zu ihm zu kommen. Der schaut erst nach rechts, dann nach links, um sich zu versichern, dass wirklich er gemeint ist. Als ihm Fettmilch zunickt, folgt er zögernd der Aufforderung. Was kann dieser einflussreiche Mann von ihm wollen?
Erstaunt vernimmt er dessen Worte: »Es ist recht von dir, dich unserer Sache anzuschließen, und ich weiß es wohl zu schätzen, dass du abdanken und auf die Vorteile deines Amtes verzichten willst, aber du würdest unseren Belangen mehr nützen, wenn du auf deiner Bank bliebst.«
»Was soll das heißen?« Knorpel hebt fragend die Augenbrauen. »Ich bin entschlossen, ein Zeichen zu setzen, damit auch andere mir folgen.«
Vincenz zieht ihn am Ärmel etwas zur Seite. »Überleg dir das gut. Ein Rückzug von dir und deinen Gesinnungsgenossen würde keinem etwas nutzen, schon gar nicht unserer Sache. Auch wenn ihr mit euren Stimmen nichts ausrichtet, könntest du mir doch berichten, was im Rat vor sich geht. Wir wären so immer einen Schritt voraus und in der Lage, uns rechtzeitig abzustimmen.«
Knorpel wiegt den Kopf hin und her, schweigt einige Augenblicke und nickt schließlich. »Wenn ich es recht bedenke, ist das wohl die bessere Lösung. Ich bleibe also und halte dich auf dem Laufenden.«
»Setz einen vertrauenswürdigen Boten dafür ein, komm nicht direkt zu mir, dass niemand Verdacht schöpft.«
Vincenz drückt dem Zunftmeister die Hand und wendet sich zum Gehen. Einige der Gefährten begleiten ihn, Ebel und Gerngroß aber bleiben. Die Dämmerung hat bereits eingesetzt und auf dem Nachhauseweg kommen ihnen immer mehr Männer entgegen, die in Richtung Römer streben. Vincenz ahnt, dass sie sich sammeln und durch die Straßen ziehen wollen. Er bespricht sich mit seinen Begleitern. Was sollen sie tun? Umkehren vielleicht und beschwichtigen? Nein, man wird sich nicht beschwichtigen lassen wollen. Sie beschließen, für heute den Dingen ihren Lauf zu lassen. Ihre Anwesenheit würde nichts verändern.