Читать книгу Das verschwundene Gold. Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand 1612-1616 - Astrid Keim - Страница 5
2.
ОглавлениеAuf dem Liebfrauenberg trennen sich ihre Wege. Martin strebt der Töngesgasse zu, Hans geht in Richtung Neue Kräme. Im Haus zum Hasen, in dem die Familie Fettmilch wohnt, herrscht eine bedrückte Stimmung. Katharina, die Mutter, ansonsten niemals untätig, sitzt mit den Händen im Schoß am Küchenfenster, und starrt in den Garten, zwei der Kinder kauern ihr zu Füßen, eines hat den Kopf in den Schoß gelegt. Nur die Kleinen sind munter wie immer.
Martin spürt die Veränderung sofort. »Was ist los?«, wendet er sich an die Mutter.
Die deutet mit dem Kinn auf seine älteste Schwester Elisabeth. »Sie mag erzählen, mir ist nicht danach zumute. Mein Gefühl sagt mir, dass etwas Ungutes im Gang ist.« Elisabeth berichtet, dass drei Zunftmeister den Vater abgeholt hätten, Conrad Schopp, Conrad Gerngroß und der hitzköpfige Rotbart aus Sachsenhausen, Georg Ebel.
Martin nickt. Er kennt sie. Enge Freunde des Vaters. »Weißt du, warum?«
»Sie haben gesagt, dass sie etwas gegen die Ungerechtigkeit tun müssen, dass es so nicht weitergehen kann, dass es viele gibt, die auch so denken. Sie wollen sich heimlich im Nebenraum vom Christophel versammeln. Und sie haben gesagt, dass Vater dabei sein muss, weil er über alle Dinge Bescheid weiß, weil er lesen und schreiben kann, weil er Latein spricht und weil er gut reden kann.«
»Hast du mitbekommen, was sie vorhaben?«
»Ich glaube, sie wollen sich an König Mathias wenden, wenn er in ein paar Tagen hierher kommt, für seine Krönung zum Kaiser. Dann soll ihm ein Brief mit Forderungen der Bürger an den Rat übergeben werden. Diese Schrift wollen sie wohl aufsetzen.«
Martin horcht auf. Forderungen an den Rat. Kein Bittgesuch, sondern Forderungen. So ist das also, das meinte der Vater, wenn er immer wieder davon sprach, dass vieles im Argen läge, dass man handeln müsse, dass von allein die Missstände nicht aufhören würden. Er hatte diese Reden nicht allzu ernst genommen, aber nun begreift er, dass etwas im Gang ist.
Er wendet sich zur Mutter. »Und deshalb macht Ihr Euch Sorgen?«
Katharina nickt. »Ich habe Angst, dass sich Vincenz auf etwas Gefährliches einlässt. Widerstand gegen die Obrigkeit wird hoch bestraft.«
»Aber man will doch nur ein Schreiben übergeben, das ist kein Widerstand.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Forderungen offene Ohren finden. Ich kenne deinen Vater. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt er nicht auf. Was glaubst du, was passiert, wenn der Rat ablehnt?«
Jetzt wird Martin klar, was die Mutter beunruhigt. Natürlich, eine Ablehnung wird man nicht so einfach hinnehmen. Es wird Widerstand geben. Und scheinbar sind sich die Zunftmeister auch schon einig. Warum nur hatte der Vater ihm nichts davon erzählt? Seit zehn Jahren arbeitet er jetzt schon in der Backstube, die das ganze Erdgeschoss des Hauses einnimmt und trägt zum Unterhalt der Familie bei. Bald legt er die Gesellenprüfung ab. Ist das nichts? Hält er ihn für zu jung oder seines Vertrauens nicht wert? Zornig ballt er die Fäuste. Mit siebzehneinhalb ist man erwachsen, ein Mann, kein Kind mehr. Er wird eine Erklärung fordern. Fordern und nicht bitten.
»Ich bin froh, dass du zurück bist, mein Sohn«, unterbricht Katharina seine Gedanken. Sie ist aufgestanden und streicht energisch die Schürze glatt. »Diese Versammlung bedeutet nichts Gutes. Wenn sie geheim sein muss, ist sie gefährlich. In der Bürgerschaft gärt es. Mit mir spricht er nicht über seine Gedanken, aber ich muss wissen, was vor sich geht. Lauf zum Christophel, mein Sohn, und versuche herauszubekommen, was geplant wird.«
Martin kommt dieser Bitte nur zu gerne nach, denn Lene, eine Nichte des kinderlosen Ehepaars Straub, das die Gaststätte Zum Großen Christophel betreibt, geht ihnen in der Schankstube zur Hand. Auf sie hat er ein Auge geworfen und das Interesse ist wohl nicht einseitig, wenn er ihr Lächeln richtig deutet. Die schlanke Gestalt, das feine Oval des Gesichts mit den betonten Wangenknochen und leicht schräg stehenden grauen Augen, gesäumt von dichten, dunklen Wimpern erscheint ihm vollkommen und jedes Mal, wenn er an sie denkt, fängt sein Herz an zu pochen.
Zu dieser Zeit ist sie bestimmt da. Hin und wieder trifft er sie auch zufällig beim Gottesdienst in der Nikolaikirche. Einmal gelang es ihm, verstohlen ihre Hand zu drücken. Sie zog sie gleich wieder zurück, doch unter den gesenkten Lidern fing er einen Blick auf, der ihn hoffen ließ, dass die kühne Annäherung nicht unwillkommen gewesen war.
Um einen guten Eindruck bei Lene zu machen, schlüpft er noch schnell in seine Kammer, kämmt das Haar und zieht ein frisches Hemd an, bevor er sich auf den Weg macht.