Читать книгу Der Berg der Kelten. Die Erben des Glaubergs - Astrid Rauner - Страница 10

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Mit den Tagen des Sommers zogen über den Glauberg goldene Tage hinweg. Der Wechsel aus sonnigen Mittagen, feinem Nieselregen und meist sternenklaren Nächten ließ das Korn auf den Feldern gedeihen. Jeder Mensch kehrte früher oder später wieder in den ewigen Kreis des Alltages zurück, sodass jeder Krieg, gleich wie viele Opfer er gefordert hatte, fern schien. Die Zukunft selbst lebte nur in Gerüchten. Weder die Rückkehrer aus der Raino, noch Dhalaitus selbst hatten ihr neues Wissen mit den Bewohnern der Siedlung geteilt. Borigennos und Dunaan erwarteten fieberhaft, dass der Fürst deswegen endlich eine eigene Ratsversammlung einberufen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Noch nicht.

In einer dieser Nächte hatte Dunaan so schlecht geschlafen, wie schon lange nicht mehr. Drei Tage nach ihrer Ankunft am Glauberg hatte sie ihre Zeit kaum mit anderen Dingen ausfüllen können, als ihre Flucht in die Einsamkeit zu suchen. Die Einsamkeit der Wälder oder des Schlafes, das war ihr bisher gleich gewesen. Der Tod ihres Vaters lag wie ein bleischwerer Schatten auf ihrer Seele, und auch, wenn sie im Moment noch im Haus ihres Onkels Dhalaitus übernachtete, hatte sie doch keine Möglichkeit, den Erinnerungen an Bhranag zu entkommen.

Borigennos ging es nicht anders. Nachts fand auch er keinen Schlaf und über den Tag hinweg flüchtete er sich genau wie Dunaan in wirre Träume – aus unsicherem Halbschlaf geboren. Der Kummer schmerzte wie eine einzige Wunde, die zwei Seelen teilten. Vielleicht hatte es auch deshalb noch keiner von ihnen gewagt, das Zelt des Bhranag im Heerlager seiner ehemaligen Truppen zu betreten.

Bald wurde es jedoch Zeit. Dunaan hatte nur kurz einen Gedanken an die Gewissheit verloren, wie schwer es ihr erst fallen würde, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Einen Herzschlag lang beschäftigte sie sich mit dieser Frage. Dann verdrängte sie den Gedanken in ihren Hinterkopf und konzentrierte sich auf die Absicht, die sie an der Seite ihres Onkels Borigennos nach drei Tagen endlich auf den Weg zum Heerlager geschickt hatte.

Es war der Gedanke des Fürstenbruders gewesen: Bhranags Nachfolge. Genügend Zeit war seit dem Tod des Fürsten verstrichen, um den verbliebenen zweihundert Männern einen neuen Anführer zu geben. Dunaans Gefühle waren in diesem Moment abgestumpft genug, um ihre alte Nervosität mit Ignoranz zu strafen. Sie liefen zu den Bauergehöften und kleinen Hütten außerhalb der Pfostenschlitzmauer an der Nord-Ost-Seite, wo Bhranags Männer noch immer ihr Lager bezogen hatten. Von Weitem hörte sie schon die Stimmen der Krieger. Sie kannte so viele von ihnen seit Kindertagen. Dutzende davon hasste sie mehr als vieles andere. Die Jahre waren vergangen, doch manche Dinge hatten sich nicht geändert. Es war an der Zeit, herauszufinden, wie viel ihres Respekts Dunaan hatte gewinnen können.

Die Rufe Dunaans und Borigennos’, welche die verbliebenen Männer zusammenholten, trafen auf erstaunte Mienen und fragende Blicke. Dunaan hatte auf einer natürlichen Anhöhe Position bezogen, die ihr eine gute Sicht über die Menge bot und beobachtete die sich sammelnden Krieger. Im Grunde fehlte in ihrem Kopf der Platz für solche Fragen, Fragen, die ihre Zukunft wie Späher umkreisten und doch vielleicht eine Abhilfe aus dieser Misere bieten konnten. Oder zumindest einen ersten Schritt heraus. Borigennos’ leiser Atem, der ihren Nacken streifte, die Nähe ihres brudergleichen Onkels, war ein Rückhalt, den sie mehr als alles andere brauchte. Aus ihm zog sie die nötige Kraft, um vor der Menge, die geduldig ihre Ansprache abwartete, zu beginnen: „Männer meines Vaters!“ Nun verklangen auch die letzten leisen Gespräche.

„Der Tod unseres Heerführers Bhranag kam unerwartet und hat uns alle getroffen: Euch, die ihr vielleicht noch in seinen letzten Augenblicken bei ihm weilen konntet und mich noch viel mehr, da ich bis vor wenigen Tagen nicht einmal davon erfahren hatte.“ Dunaan schluckte eine Träne hinunter. Eine weinende Frau passte nicht zu der Position, die sie anstrebte.

„Ich weiß von euch allen“, fuhr sie fort, „wie sehr ihr seinen Tod betrauert, aber trotz allem befinde ich es an der Zeit – auch wegen meiner ungewollten Abwesenheit – dass ihr nun über den Wunsch meines Vaters richten sollt, mich an seiner statt zu eurer Anführerin zu machen!“

Überraschte und teils gar erregte Stimmen wurden in der Menge laut. Dunaan konnte nicht sagen, ob es sie nun beklommen oder neugierig stimmen sollte. Manche Krieger tauschten sogar fassungslose Blicke, als wäre der Tochter ihres verstorbenen Heerführers eine wichtige Neuigkeit entgangen. Dunaan wurde diesen Eindruck nicht los und fühlte sich auf einmal ungewollt bestätigt, als ein rotblonder Krieger von achtundzwanzig Jahren aus den Reihen seiner Gefährten vortrat und mit einem ebenso verblüfften wie unsicheren Blick der jungen Frau entgegnete: „Es … überrascht uns alle, Dunaan, dass man Euch diese Nachricht vorenthalten hat, aber …“ Er warf einen kurzen Blick zu einem der Krieger. „… wir haben bereits einen neuen Anführer erwählt!“

Zuerst musste Dunaan schlucken, dann hakte sie mit einem Ausdruck in den Augen nach, als hätte man ihr vor den Kopf geschlagen: „Und … auf wen bitte ist eure Wahl gefallen?“

„Auf mich!“ Die Menge der Krieger begann sich zu teilen. Dunaan brauchte ihn nicht zu sehen. Nur seine Stimme genügte, damit ein Schwall purer Verachtung über sie hereinbrach.

„Das hattest du nicht erwartet, Dunaan, nicht wahr? Nicht, nachdem mein Bruder versucht hat, euch beide aus dem Weg zu schaffen!“ Mit einem abschätzigen, hässlichen Lächeln sah Gredon zu der Fürstennichte hinauf. Alles an ihm strahlte im Triumph, der die junge Frau an die Grenze ihrer Beherrschung brachte. Am liebsten hätte sie vor lauter Zorn einfach ihr Schwert gezogen und es dem lästigen Konkurrenten in den Hals gerammt. Borigennos’ Hand aber streifte schnell genug ihre Seite und gab ihr zu verstehen, dass Jähzorn das letzte Mittel war, das ihr helfen konnte.

Gefasst, wenn auch sichtlich bestürzt über die Wahl der Männer, machte dieser einen Schritt vor und fragte langsam: „Euer Anführer soll der Bruder jenes Mannes sein, der unser Vertrauen ausgespielt und versucht hat, mich aus einem Hinterhalt zu ermorden?“

„Aehlos hat sich an Euch vergangen“, verteidigte sich Gredon. „Nicht ich! Ich habe von seinem Verrat nichts gewusst, das habe ich schon Dutzende Male vor unserem Fürsten beschworen!“

Borigennos trat ein Stück näher. Sein Blick hatte etwas Drohendes gewonnen, ein unheilvolles Versprechen, als erkannte er in Gredon dessen Bruder wieder, an dem es galt, für seine Verbrechen Rache zu nehmen – so wie es einem Verräter gebührte. Einen Herzschlag lang sah der Bruder des Fürsten dem neuen Heerführer in die Augen. Seine Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken, als er dem Krieger zuhauchte: „Ich kann dir nichts beweisen, ich habe nichts gesehen und nichts gehört. Doch ich weiß, dass du von Aehlos’ Verrat wusstest. Und du hast ihn hingenommen wie ein Geschenk, als es darum ging, deine Konkurrentin aus dem Weg zu schaffen!“

Gredon zog unbeeindruckt eine Augenbraue in die Höhe. „Ihr habt recht, Borigennos! Wie wollt Ihr mir das beweisen?“

Schweigend starrten sich die beiden Männer in die Augen. Die Spannung, die sich zwischen ihren Blicken aufbaute, schien mit Händen greifbar. Borigennos wollte etwas sagen. Dunaan erkannte, dass ihm Dinge auf der Zunge lagen, die besser unausgesprochen blieben. Sie wollte bereits an die Seite ihres Onkels treten, als dieser auf einmal von Gredon abließ und mit gefasstem Ton, wenn auch innerlich aufgewühlt, zu den ehemaligen Männern des Bhranag sagte: „Krieger! Ihr habt eure Wahl getroffen und einen neuen Anführer erwählt, der euch in Zukunft in die Schlacht führen soll. Was ich aber sagen will: Glaubt ihr nicht, in der Abwesenheit meiner Nichte Dunaan etwas voreilig gehandelt zu haben?“

Gredon sah Borigennos spöttisch an, während dieser jedoch unbeeindruckt einen Schritt auf die Menge zumachte und mit seiner Rede fortfuhr: „Dunaan hat sich all die Jahre bemüht und sich von ihrem Vater ausbilden lassen, dass sie eines Tages fähig sein wird, tapfere Männer wie euch in den Kampf zu führen. Wann immer sie konnte, hat sie sich auf eure Seite gestellt! Glaubt ihr nicht, es wäre von Vorteil, eure Entscheidung noch einmal zu überdenken?“

„Ist sie denn jetzt überhaupt fähig, eine Heerführerin zu sein?“ Der Mann, der bereits Dunaan die Nachricht von der Wahl des neuen Anführers überbracht hatte, war vorgetreten und machte keinen Hehl aus seinem Zweifel. Gredon im Auge, dem seine ganze Überzeugung zu gehören schien, erwiderte er dem Bruder des Fürsten: „Gredon haben wir kämpfen sehen. Er hat an unserer Seite die Schlacht gegen die Hirschleute geschlagen. Doch was ist mit ihr?“ Er nickte fragend zu Dunaan. „Kann sie uns anführen? Ist sie fähig zu kämpfen, wie es einem Heerführer abverlangt wird?“

„Findet es heraus!“ Von den Einwänden des Mannes unbeeindruckt, hielt Borigennos seinen Blick. „Überzeugt euch selbst, wer von ihnen beiden der bessere Kämpfer ist – Gredon oder Dunaan!“

Aus der Menge drangen zustimmende Bemerkungen. Borigennos beobachtete mit Wohlgefallen, wie die Männer ernsthaft jene Vorstellung in Erwägung zogen, während Gredon – entsetzt über ihr Misstrauen in seine Fähigkeiten – ausstieß: „Das meint ihr doch nicht im Ernst!“

Der Krieger drehte sich zu seinem neuen Anführer um. „Warum nicht? Fürchtet Ihr, im Kampf gegen eine Frau nicht bestehen zu können?“

„Für wen haltet ihr mich?“, spuckte Gredon aus. Nun aber war es sein Zorn, der an Dunaans neu gefundener Gelassenheit abprallte. So gut tat es! Für Schadenfreude hatte Dunaan sich immer verachtet, heute aber schien sie der einzige Grund, der sie am Leben hielt. Dieser Herausforderung hätte sie sich viel früher stellen sollen! Bhranag hatte nicht sein halbes Leben daran verschwendet, aus ihr einen Krieger zu machen, wenn sie nicht jetzt, da er so plötzlich von ihnen gegangen war, ihr Geburtsrecht annehmen sollte. Beinahe konnte sie es genießen, wie Gredon sie ansah, feindlich und boshafter als je zuvor. Das Gefühl, die erzwungenen Heucheleien älterer Tage ablegen zu können, befreite einen Zorn, der mehr Kraft spendete, als jede Hoffnung in eine ungewisse Zukunft.

Die Krieger schienen von Borigennos’ Idee angetan. Mehr belustigt, als wahrhaft an dem Ausgang des Kampfes interessiert, war es ihnen allen eine Abwechslung des täglichen Lebens, einen Krieger wie Gredon gegen eine Frau kämpfen zu sehen. Dem war Dunaan sich völlig bewusst. Zustimmend wandte sich eben der Krieger, der mittlerweile Fürsprecher seiner Männer schien, an Borigennos und antwortete: „Eure Idee ist gut! Heute bei Sonnenuntergang kehren wir an diesen Ort zurück. Wenn Gredon der fähige Krieger ist, für den wir ihn alle halten, wird es für ihn eine Leichtigkeit sein, Dunaan zu schlagen!“

Der Krieger warf einen bestimmenden Blick zu seinem bisherigen Befehlshaber, als fordere er diesen Beweis von dem Mann, der sie alle anführen wollte. Gredon antwortete nicht. Sein Blick verriet, dass er sich den Fähigkeiten der jungen Frau wohl bewusst schien, die ihn soeben durch ihren Onkel zum Kampf herausgefordert hatte. Jedoch hielt dieser Ausdruck nur Herzschläge an. Mit einem herablassenden, hässlichen Lächeln sah er zu Dunaan auf und fragte dabei in die Menge: „Die Waffen?“

„Ein Schwert, eine Lanze, ein Messer und Eure Körperkraft!“

Gredon fragte Dunaan herausfordernd: „Seid Ihr einverstanden?“

„Natürlich!“

Mit diesen Worten wurden freudige Rufe laut. Während die Menge sich auflöste, wirkte es, als ob die Männer in ihrer Langeweile seit Tagen schon nach einer solchen Abwechslung strebten. Es war Dunaan ein zynisches Gefühl, zu wissen, dass wohl niemand wahrlich auf ihren Sieg vertraute – so wie es immer gewesen war. Jetzt würde sie es ihnen allen zeigen!

Borigennos schenkte seiner Nichte ein zustimmendes Nicken, als er wieder an ihrer Seite stand. Während sie sich gerade auf den Weg zum Glauberg hinauf machten, erkannte die junge Frau auf einmal Gredon noch immer unberührt auf der Stelle stehen. Ein Funkeln lag in seinen Augen, als er Dunaans Blick berührte. Er durchbohrte sie, schien in sie eindringen zu wollen. Niemals zuvor hatte die junge Frau einen solchen Hass in ihrem Geist aufflammen gespürt. Es war an der Zeit, ein für alle Mal zu zeigen, wer sie war und welche Würdigung einer Frau wie ihr zustand!

Gredon grinste witzlos und wartete ab, bis sie umkehrte. Seine Augen spiegelten alle Feindseligkeit wider, die seit Jahren in ihm geschwelt hatte. Sich in diesem Augenblick vor ihm zu fürchten, war leicht. Nur flüsternd fasste er seine Drohung in Worte: „Du bist sehr mutig für die Schmächtigkeit deines Könnens. Das muss man dir zustehen!“

„Sei vorsichtig, mich zu unterschätzen!“ Dunaan stand vor ihm. Sie fühlte, wie sein heißer Atem einem Windhauch gleich ihre Lippen berührte und ihr wurde übel von dem Geschmack, der sich in ihrem Mund verbreitete. Niemals zuvor in ihrem Leben war Dunaan sich so bewusst gewesen, was es bedeutete, zu hassen. Sie hasste ihn! Ihn, Gredon, seine ganze Familie! Er, der Zeit ihres Lebens nur eine Last gewesen war. Nichts hatte er ausgelassen, was sie hätte demütigen können. Er hatte sie verfolgt, sie immer wieder gefunden, sie verraten. Sein Bruder hatte Borigennos töten wollen, Dunaan selbst an die Widderleute verkauft. All diese Dinge schossen in jenem Moment durch den Geist der jungen Frau – und wurden doch von einer Gewissheit verdrängt, die einen Zorn in ihr beschwor, wie sie ihn nicht gekannt hatte. Gredons Vater hatte Bhranag getötet. Der verwirrte Bauer und einfache Krieger hatte ihren Vater, der mit Recht das Urteil über den Verräter Aehlos vollstreckt hatte, heimtückisch und feige ermordet.

Sie alle, Gredons gesamte Familie, trugen die Schuld von Bhranags Tod! Sie allein – und nun sollte Dunaan dem letzten Verbliebenen das Erbe ihres Vaters überlassen?

„Die Zeit meiner Rache ist gekommen!“, zischte sie ihm entgegen. „Und ich schwöre dir, du wirst büßen für den Verrat, den du und dein Bruder an meiner Familie begangen haben!“

Höhnisch begann Gredon zu lachen. „Spar dir deine Kraft für den Kampf, Mädchen! Du wirst sie brauchen!“

Blitzschnell schoss Dunaans Hand in die Höhe. Ihre Finger vergriffen sich so schnell und heftig in Gredons Kragen, einen Finger breit von seiner Kehle entfernt, dass der Krieger im ersten Moment nur erstaunt nach Luft schnappte. Dunaan konnte nicht mehr. All ihre Beherrschung war binnen eines einzigen Herzschlags verloren gegangen. Blind und rasend vor Wut wollte sie ihn zurückwerfen, um ihn zu würgen, als eine Hand auf ihrer Schulter sie plötzlich zurückhielt.

„Dunaan!“

Es war Borigennos. Der Bruder des Dhalaitus zog sie sanft und mit ruhigem Griff zwei Schritte nach hinten, sodass sich ihre verkrallte Hand von Gredons Leinenhemd löste. Beherrscht, wenn auch den Blick auf den Krieger gerichtet, sprach Borigennos ihr zu: „Du bekommst die Zeit, deiner Rache Ausdruck zu verleihen. Nur sollen dabei auch alle anderen teilhaben können!“

Seine letzten Worte waren ein Versprechen. Das wussten sie alle. Gredon musste mit sich kämpfen, um ihnen doch einen Kommentar hinterherzuwerfen, doch er verflog in den lodernden Emotionen beider Seiten. Die junge Frau konnte sich nur schwerlich zurückhalten, den Kopf noch einmal zu wenden und sich daran zu weiden, wie die Angst auch Gredon einholte. Denn ganz gleich, wie dieser Kampf ausgehen mochte. Borigennos war jetzt schon sein Feind. Der mächtigere von ihnen beiden.

Der Berg der Kelten. Die Erben des Glaubergs

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