Читать книгу Der Berg der Kelten. Die Erben des Glaubergs - Astrid Rauner - Страница 6
Was bisher geschah …
ОглавлениеManchmal treffen die Götter rätselhafte Entscheidungen. Dass ich in dem Frühling, da meine Schwester Raelhia heiraten wollte, den Beginn dieses Krieges erleben sollte, des legendären Krieges, von dem noch die Kinder meiner Kindeskinder erzählen werden, wie hätte ich das ahnen können? Ich, Hahles, der Sohn von Ihlain dem Schmied und Darra vom Glauberg, war auf dem Rückweg einer Handelsreise niedergeschlagen worden, am Ostrand der Vogelberge, von Wegelagerern eines Stammes, der mit dem meinen durch göttliche Abstammung verbrüdert war.
Mein Volk, die Eberleute, und die Widderleute aus den hügeligen Ländern der Raino entstammen den alten Legenden nach Uedhor, dem Gott des Wassers, der mit einer Menschenfrau zwei Söhne zeugte und ihnen unsere Heimat, die Uedhoreiba, zum Geschenk machte. Im Laufe der Generationen hatten sich die Widderleute die Raino östlich der Uedhoreiba erobert und dort ein mehr oder weniger wachsendes Reich aufgebaut, während die Eberleute von der Fruchtbarkeit ihrer Länder und den Handelsbeziehungen bis weit in den Süden zehrten.
Brüder sind die Ahnenväter unserer Stämme gewesen – und so waren unsere Fürsten Geschwistern gleich, einig in allen Kriegen. Männer dieses Stammes schlugen mich nieder, jedoch nicht, um mich auszurauben. Nein – ich entdeckte bei ihnen einen Gefangenen, der die Sprache meiner Leute beherrschte und von dem diese Verbrecher später als Schamanen redeten. Zurück bei meinen Leuten vermisste niemand diesen Unbekannten. Stattdessen schickte der Widderfürst uns Krieger zur Verteidigung gegen unseren alten Feind, die Hirschleute, die jenseits des gewaltigen Stroms des Moenus lebten.
Die entscheidende Schlacht endete zu unseren Gunsten. Dann aber erreichte uns die Nachricht, dass ein Verräter Dunaan, die Nichte unseres Fürsten Dhalaitus, entführt und verkauft hatte. Ohne Spur schien Dhalaitus’ Bruder Bhranag daran zu verzweifeln, dass seine Tochter unauffindbar war. Und ausgerechnet ich fand den allerersten Anhaltspunkt.
Ich hatte beobachtet, wie der Verräter Aehlos – zu dieser Zeit noch unentdeckt – mit einem Widdermann über wertvolle Belohnungen verhandelte. Der Widdermann war einer der Wegelagerer gewesen, die mich niedergeschlagen hatten. Also erteilte unser Fürst mir den Auftrag, seinen jüngsten Bruder Borigennos und einen seiner Freunde zu den Widderleuten zu führen, den heimkehrenden Kriegern folgend. Hier hätte die Spur ins Leere gehen können – direkt nachdem wir erfuhren, dass Dunaan sich tatsächlich in der Hand derselben Wegelagerer befand, die auch den Schamanen entführt hatten. Nur erfuhr ich, während ich einen der Männer belauschte, was ich am liebsten nie gewusst hätte.
Verwickelt in die Entführung war Boriana. Meine Boriana. Meine Eltern hatten sie mir als Ehefrau ausgesucht und die Ehe arrangiert, waren sie doch schon seit Jahren Freunde und Handelspartner. Das allein waren gute Voraussetzungen gewesen. Doch ich hatte tatsächlich mehr Gefallen an ihr gefunden, als es für Freunde aus Kindertagen üblich gewesen wäre. Sie hätte gut enden können – unsere Geschichte. Damals aber dachte ich, sie wäre schon zu Ende gewesen, bevor diese hier begonnen hatte. Boriana löste unsere Verbindung. Sie selbst. Sie redete so lange auf ihren Vater ein, dass ihre Wahl auf einen anderen Mann gefallen war, bis dieser bei Ihlain die Verlobung aufheben ließ.
Für mich hätte es eigentlich eine Genugtuung sein müssen, dass Boriana in Dunaans Entführung verwickelt war. Aber das war es nicht. Ich fürchtete mich beinahe, Borigennos in ihr Dorf zu führen. Und dort fanden wir sie, Dunaan. Ich wurde von den Männern festgesetzt, während einer der Wegelagerer versuchte, Dunaan fortzuschaffen. Ausgerechnet Boriana war es, die mir zur Flucht verhalf. Borigennos aber verlor Dunaans Spur und musste uns bei einer Köhlerin in den Wäldern der Raino verbergen.
Wir wussten nicht, dass Dunaan sich währenddessen selber hatte befreien können – gemeinsam mit dem Schamanen, von dessen Entführung bis dahin nur ich gewusst hatte. Sein Name war Cernos, und es handelte sich bei ihm um einen Widdermann, der bei unseren Leuten aufgewachsen war. In Gefangenschaft geraten war er, da er Dhalaitus hatte warnen wollen. Vor einem Verrat. Einem Verrat, der die Geschichte von Eber- und Widderleuten in Frage stellen wollte, von göttlicher Brüderlichkeit und uralten Verbindungen. Ein Schamane war zum Berater des Widderfürsten Eburatos geworden, der zu viel Macht erlangt hatte. Mit einem fremden Söldnerheer hatte er die Widderleute gegen einen verfeindeten Stamm verteidigt. Eburatos hatte sich aus Dhalaitus’ Schatten lösen wollen, war unzufrieden mit der Raino, wo der viele Regen die Ernten verdarb und der Schnee bis weit im Frühling nicht abschmolz.
Wie viel Macht der fremde Schamane dadurch erlangt hatte, wurde Eburatos erst bewusst, als es beinahe zu spät war. Die Reichtümer des Widderfürsten genügten nicht, um die Söldner auszuzahlen, die nun auf seinem Land saßen und sich genauso schnell gegen ihn wenden konnten. Eburatos war nur noch das Werkzeug des Fremden, der es in seinem Machthunger auf die Uedhoreiba abgesehen hatte. So zumindest erzählte es Cernos. Wir ahnten nicht, welches Geheimnis dieser Fremde verbergen sollte – und wer dieses Geheimnis unglaublich fürchtete …