Читать книгу Schwein im Glück - Astrid Seehaus - Страница 7
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ОглавлениеEin Räuspern schreckte mich aus meinen Gedanken.
„Jetzt nicht“, murmelte ich, vertieft in das Manuskript vor meiner Nase und gequält von der Frage, was ich damit machen sollte.
„Bille, deine Mutter hat jetzt schon das dritte Mal angerufen. Es könnte etwas passiert sein, so dringend wie sie klang.“ Nesrin, unsere neue Volontärin, verharrte ungeduldig vor meinem Schreibtisch.
Ich krauste die Stirn. Ob man die Heldin wirklich Melanie Marschall-Müller nennen sollte. MMM? Melanie Marschall-Müller, ihres Zeichens leidenschaftlich und feurig, so stellte es sich die Verfasserin Evelyn Weber vor, hatte sich vor eine Kutsche geworfen, in der Hoffnung, dadurch ihrem bösen und sehr, sehr attraktiven Widersacher Black Mambo zu entkommen. Natürlich würden die beiden sich am Ende der Geschichte finden.
Ich seufzte, weil ich nicht darum herum käme, das Manuskript bis zum Schluss zu lesen, wo ich doch erst auf Seite fünfzehn war. Das war die Aufgabe eines Lektorats. Bis zum bitteren Ende, in der Hoffnung, doch noch Perlen der geschmeidigen Unterhaltung zu finden. Und ich las es natürlich auch deswegen, weil mich mein ehemaliger Chef Dieter Weber darum gebeten hatte.
„Heißt das, du rufst zurück?“, funkte Nesrin erneut dazwischen. „Ich werde die Nummer schon mal anwählen.“ Meine Mutter Jette konnte sehr hartnäckig sein, und Nesrin schien zu befürchten, dass sie an diesem Tag überhaupt nicht mehr dazu käme, ihre Nägel zu lackieren, wenn Jette ständig anrief.
„Nein, ich rufe zurück“, entgegnete ich gereizt.
„Hab ich das nicht gerade eben gesagt?“ Nesrin rollte theatralisch die Augen.
Ich atmete hörbar aus, um meine Ungeduld zu kaschieren. „Aber nicht jetzt.“ Mir war danach, das Manuskript in den Papierkorb zu pfeffern, wo es meines Erachtens schon lange hingehört hätte. Und zwar noch bevor die Bäume für das Papier gefällt worden waren.
Nesrin stöhnte ein weiteres Mal auf. „Mann! Jetzt lass dich doch nicht lange bitten!“
„Meine Mutter hat noch nie um etwas gebeten“, sagte ich abwesend, gedanklich immer noch bei MMM und Black Mambo und den Verstrickungen, die man im wahren Leben niemals so finden würde. Die Tatsache, dass mein Liebesleben ähnlich trocken wie die Wüste Gobi war, ignorierte ich.
„Ich meine doch mich. Ich komme überhaupt nicht mehr dazu, mir einen Kaffee zu holen, um mit dem Neuen zu flirten.“ Ungeduldig klackerten ihre langen Fingernägel auf meinem Schreibtisch und machten mich nervös.
Ich kniff die Augen zusammen und taxierte sie. Sie hatte sich ihre Haare bis zur Decke hochtoupiert, mindestens ein Pfund Haarfestiger hineingesprüht und sah fast aus wie eine Dragqueen. Erstaunlich für mich war, dass sie das Verlagshaus nach Büroschluss wieder so verließ, wie sie am Morgen gekommen war: unscheinbar. Ich beobachtete diese Verwandlung seit drei Monaten, von dem Augenblick an, als sie als Volontärin bei uns angefangen hatte.
„Was heißt das denn? Willst du andeuten, dass du etwas dagegen hast, dass ich mit ihm flirte, oder einfach nur, dass du grundsätzlich etwas gegen das Flirten hast?“ Sie sah mich an, als ob sie sich nicht sicher sei, inwiefern ich mit diesem Begriff überhaupt etwas anfangen konnte.
Mein Seufzer war nicht minder theatralisch als Nesrins Augenrollen. „Entschuldigung. Ich meinte nicht dich. Was Weber mir von seiner Nichte vorgesetzt hat, ist noch schlimmer, als die Manuskripte davor. Geh du deinen Kaffee trinken. Ich glaube aber nicht, dass ein Mann, der mit einer Registrierkasse in der Brust lebt, sich sonderlich für deine oder Gefühle anderer interessiert.“
„Abwarten! Das gilt es herauszufinden. Ich bin jung und schön“, trällerte Nesrin.
Für einen kurzen Moment sah ich mich ihrer Prüfung ausgesetzt, die mir ziemlich unangenehm war.
Ihre Fingernägel unterbrachen das nervige Klackern. Sie beugte sich über den Schreibtisch, so dass unsere Köpfe fast zusammenstießen, und flüsterte: „Du siehst heute chaotisch aus, aber egal. Ich werde mir schon mein schönes Geschenk selber machen.“
Verwundert sah ich sie an. „Ist dein Geburtstag nicht erst nächstes Jahr?“
„Man muss sich doch nicht immer nur zum Geburtstag etwas schenken. Hör zu! Er ist der Richtige. Weil lecker, ein guter Küsser und ein sehr, sehr, sehr guter Liebhaber.“ Kichernd streckte sie sich und stolzierte auf ihren High Heels davon.
Woher wollte sie wissen, ob er ein guter Liebhaber war? Beim dritten ‚sehr’ hatte ich meine Ohren zugeklappt und mich an die schüchterne Nesrin erinnert, wie sie vor drei Monaten ausgesehen hatte, als sie im Verlag anfing: mit Kopftuch, Jeans und Turnschuhen. Und um wen es ging, wusste ich auch: um den Neuen, wie sie ihn nannte. Ich hatte da ganz andere Begriffe für ihn: Wolf, Schnösel oder Mein-mir-vor-die-Nase-gesetzter-neuer-Chef.
Damian Winter. In Wirtschaftskreisen hatte dieser Mann einen solchen Ruf, dass er einen blenden würde, liefe er als Reklametafel herum. Sein Wirtschaftsstudium hatte er mit magna cum laude abgeschlossen, und seine Aufgabe war es, Unternehmen wieder auf Vordermann zu bringen. In diesem Fall – wahrscheinlich wie in allen Fällen, von denen ich gehört hatte –, mit Maßnahmen, die uns schmerzen würden: mit Kündigungen.
Er war ein paar Jahre älter als ich und verkörperte Black Mambo, wie er in Evelyns Manuskript stand: unberechenbar und arrogant. Und was das gute Aussehen betraf: man konnte geteilter Meinung sein. Wer gut aussah, dem wurde es zu leicht im Leben gemacht, und später brachen sie einem dann sowieso das Herz. Eine Gefahr, die Nesrin nicht kümmerte.
Damian Winter war meiner Ansicht nach wie Rotkäppchens Wolf. An sich hatte er keine Ahnung vom Büchermachen, das hatte ich schon in den ersten Gesprächen mit ihm festgestellt, aber Dieter Weber hatte sich ins Abseits befördert. Über die Interna konnte lediglich spekuliert werden. Ich nahm an, dem Vorstand war Dieter Weber zu alt und zu konservativ. Bücher machte man nicht mehr so leicht wie noch vor dreißig oder vierzig Jahren, als Weber dabei war, den Zenit zu erklimmen. Die Zeiten hatten sich geändert: Webers Befugnisse waren beschnitten, und ein Winter durfte nicht erfahren, dass die Manuskripte von Webers Nichte lektoriert wurden, nicht nur weil es meine Arbeitskraft band, sondern auch weil Wäschereißer nicht ins Programm des Verlages gehörten. Noch nicht, dachte ich. Wenn es weiter so schlecht mit dem Büchermachen ging, würden auch die Erotika ins Auge gefasst werden. Was tat man nicht alles, um einen Verlag zu retten?
Weber hatte mich inständig gebeten, die Geschichte seiner Nichte zu glätten, was in Wahrheit eine totale Umschreibung des Textes erfordert hätte, und dabei schlich Winter um mich herum, als ob er den Braten riechen würde. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich es Weber erklären sollte, dass seine Nichte untalentiert war.
Die Tür sprang auf. Ich hoffte, dass es mein Kollege Weber sein würde, sah mich dann aber meinem schnöseligen Chef gegenüber, der mich beäugte, als ob ich Klapperschlangen unter dem Schreibtisch versteckt hätte. Ich erhob mich und schob das Liebespaar MMM und Black Mambo unauffällig unter meine Mappe.
Als ich im Verlag anfing, war es meine Aufgabe, Kinderbücher zu lektorieren, neuerdings half ich auch bei der Unterhaltungsliteratur aus. Während der Zeit als Kinderbuchlektorin hatte ich meine Liebe zu den Bilderbüchern entdeckt. Die Zusammenarbeit mit den Illustratoren war angenehm und kurzweilig. Ich freute mich jedes Mal wieder, wenn der Verlag ein Bilderbuchprojekt machen wollte. Aber das würde, wenn sich Winter durchsetzte, wohl bald zu den Märchen gehören. Es war einmal … Winter wollte das Bilderbuchsegment abschaffen. Das hatte mir Dana, seine Assistentin, unter dem Mantel der Verschwiegenheit erzählt. Mir schien, Winter wollte noch viel mehr, nämlich auch uns Lektoren abschaffen. Natürlich fragte ich mich, wer dann die Texte lektorieren sollte. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass Winter Nesrin ins Auge gefasst hatte, die, so lieb sie auch war, gedanklich nicht über Nagellack und Haarentferner hinauskam, dafür aber nichts kostete. Vielleicht machte aber auch Ana, unsere litauische Putzfrau, das Rennen.
Am Tag vorher hatte Nesrin mir erzählt, dass sie Winter in der Herrentoilette gehört hätte, wie er etwas von einer LSD-Lampe gefaselt hatte, aber schlau wäre sie daraus nicht geworden.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ich und unterdrückte mein Wanken, als mich sein Blick aus stechend blauen Augen traf, von dem Nesrin behauptete, davon bekäme man weiche Knie. Sie hatte Recht.
„Benita, nicht wahr?“, ertönte seine Stimme, die zu meinem Verdruss höchst angenehm klang. Konnte dieser Mann nicht krächzen wie ein Rabe? Es wäre mir dann leichter gefallen, ihn unsympathisch zu finden.
Benita! Was hatten sich meine Eltern nur dabei gedacht, mich auf einen nach Fußpilztinktur klingenden Namen taufen zu lassen? Benita war vor gefühlten hundert Jahren irgendeine Tante irgendeines Cousins meiner Mutter gewesen, hatte drei Männer zu Grabe getragen, zehn Kinder großgezogen und das Geschäft, laut meiner Mutter, allein betrieben. Ich hatte nichts von Benitas Genen. Ich war vor einem Monat, im Juni, bei einer unspektakulären Feier einunddreißig geworden und Single, sah fünf Jahre jünger aus, und fühlte mich, nun, da mich Winter anstarrte, schlagartig wie zwölf.
„Äh, ich habe nicht ganz verstanden“, stammelte ich und versuchte herauszufinden, warum er mir etwas davon erzählte, dass eine Frau beim Einkauf in einem Beleuchtungsgeschäft eine LSD-Lampe verlangt hatte.
Das war genau das, was ich an diesem Mann hasste. Er schaffte es immer wieder, dass ich mir wie eine Idiotin vorkam. Er hatte etwas gefragt, und ich hatte nicht zugehört. Und nun wusste ich nicht, was er von mir erwartete.
Winter schaute auf seine Schuhspitzen. „Äh … ja, ach so. Nun … Ich wollte nur wissen, wie es Ihnen geht, keine Examina bei Ihnen durchführen.“ Er lachte verlegen und sah mich weitaus interessierter an, als mir lieb war.
Wie schon bei Nesrin versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Ich hatte an diesem Morgen verschlafen und deswegen in der Eile die Bluse vom Vortag angezogen. Sie saß heute irgendwie besonders schlecht und war leider auch ungebügelt. Den fehlenden Knopf versuchte ich mit meiner Hand zu kaschieren, was etwas unglücklich wirkte, denn ich sah aus, als ob ich mich gleich übergeben würde, was Winter auch zu der beunruhigten Äußerung „Ist Ihnen nicht gut?“ veranlasste.
Wahrscheinlich war es die pure Angst vor dem Verlust meiner Arbeitsstelle, kombiniert mit meinem Hungergefühl. Vor lauter Arbeit kam ich oft nicht zum Essen. Mein Puls raste, und ich wusste nicht weshalb. Man musste nicht jedes Mal wieder so nervös werden, wenn man von azurblauen Augen gemustert wurde. Seitdem ich schmählich von Carlo sitzen gelassen worden war – Männer waren Lügner –, versuchte ich mich gegen diese Spezies zu immunisieren. Das war mir bisher auch ganz gut gelungen. Aber dieser Mann vor mir, dieser Wolf im Schafspelz, der sich mir nun besorgt näherte, brachte mich durcheinander. Und das war nicht gut.
„Ich …“, fing ich an und wurde von Nesrin unterbrochen, die instinktiv im richtigen Moment ins Zimmer stürmte.
Meine Dankbarkeit kannte keine Grenzen. Ich wüsste nicht, was ich laut ausgesprochen hätte, bar jeden Verstandes. Vielleicht so etwas wie Rauben Sie mir sofort meine Unschuld auf dem Schreibtisch.
Black Mambo hatte ganze Arbeit an mir geleistet. Ich war unzurechnungsfähig, hormonell dysfunktional, geradezu gefährlich blöd. Noch so ein Manuskript von Webers Nichte, und ich würde Winter zuvorkommen und kündigen müssen.
Nesrins Auftauchen war meine Rettung. Sie zirpte mit ihrer Singsang-Stimme, und Winter wandte sich ihr zu. Die Gelegenheit nutzend griff ich nach meiner Handtasche. Während Nesrin unseren Chef mit Blicken verschlang, nahm ich, wie meine Heldin, Reißaus, froh, dass keine Kutsche im Weg stand.