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Ungeduldig saß ich im Café Prüsse an der Außenalster und wartete auf Esme, meine Freundin. Esmeralda Lehmann. Natürlich war ihr Vorname seltsam, mindestens ebenso wie meiner. Wir hatten schon endlose Diskussionen darüber geführt, was unsere Mütter mit diesen Namen verbunden hatten, als sie sie uns gaben und waren zu keiner Erklärung gekommen außer der der Postnatalen Depression.

Esme war so alt wie ich, einunddreißig. Sie war selbstbewusst, reich, schön, unabhängig, auch wenn sie erst mit zweiundvierzig über das ganze Erbe ihrer Großmutter verfügen dürfte und damit dann wirkliche Unabhängigkeit erlangt hätte. Bis dahin hatte sie eine Tante am Hals, die nicht nur unglaublich exzentrisch war (sie sammelte alte Autos wie die Guggenheim Kunstobjekte), sondern auch als Nachlassverwalterin fungierte. Trotz dieser unglücklichen Konstellation beneidete ich Esme.

Ich hatte einen Master in Literaturwissenschaft. Mein Studium hatte ich mehrmals unterbrechen müssen, um Geld zu verdienen, unter anderem auch als Aushilfe in dem Verlagshaus, für das ich arbeitete. Das war im Rahmen des Üblichen, wenn man studierte. Man sollte nur am Schluss seines Studiums nicht komplett verblödet sein. Ich hatte einen Fehler gemacht, und den bereute ich wieder und wieder. Da hatte es auch einen Damian Winter gegeben, einen Mann, der Herzen brechen konnte. Nur hieß er Carlo und war abgehauen. Er der Dozent, ich die Studentin. Wir hatten alle Klischees erfüllt. Er war ein guter Redner, und ich himmelte ihn an, wie die fünfzig anderen Studentinnen auch. Aber er erhörte mich. Später erfuhr ich, nicht nur mich hatte er geliebt, auch die anderen fünfzig. „Er hat Schlag bei den Frauen“, hätte mein Opa gesagt, und ich hatte einen Schlag in der Birne, so sah es Jette, meine Mutter.

Ich schlug die Ratschläge meiner Eltern in den Wind. Liebe machte wirklich blind. Mein Erspartes war weg, mein Traum, mit Carlo in den USA zu leben, ebenso, und ich zahlte immer noch die Schulden ab. Meine Eltern waren mir entgegengekommen und hatten einen Teil übernommen, was mir ein schlechtes Gewissen bereitete, zumal sie nicht reich waren. Nicht, dass meine Eltern darüber sprachen, das brauchten sie auch nicht. Meine Mutter rieb es mir jeden Tag filetiert unter die Nase, indem sie mir demonstrativ, über Gebühr und sich wiederholend wie das Fernsehprogramm zeigte, wie wenig sie mir zutraute. Es fehlte nicht mehr viel, und sie würde von mir erwarten, dass ich wieder vor zehn Uhr abends nach Hause käme. Ich hatte zu meinem großen Leidwesen meine Wohnung aufgeben müssen und lebte wieder bei meinen Eltern. In meinem Kinderzimmer. Wo die Poster vergangener Teenieträume immer noch an den Wänden hingen.

Ich sah Esmeralda schnaufend auf mich zukommen. Sie war wie immer eine Augenweide, ohne Make-up, ohne raffinierte Frisurenexperimente, und das schaffte sie allein dadurch, dass sie Fahrrad fuhr. Esme war so etwas wie ein Enfant terrible, eine Naturgewalt mit leichtem Hang zur Dramatik. Ich liebte sie wie meinen Zwillingsbruder Ben.

„Du siehst …“ Ihr Blick blieb an meiner Bluse hängen, „ungewöhnlich aus.“

Ich erhob mich und umarmte sie. „Wie schön, dass du gleich Zeit hattest.“

„Klar doch, ich hatte heute ohnehin nichts vor, außer zu shoppen.“ Sie grinste mich an. Esme liebte Schuhe, Flohmärkte, sinnlosen Krimskrams und ihren Hund Floh (ich weiß, ein unglücklicher Name).

„Wo ist Floh?“

„Den hat die Tante. Sie liebt ihn, auch wenn sie ihn Oliver Cromwell nennt. Floh kommt ihr nicht über die Lippen. Sie kann froh sein, dass ich ihn nicht Schnaps genannt habe. Oder Viagra.“ Mit einem Rumms fläzte sie sich auf den Stuhl gegenüber.

Ich kicherte. Keine Frau konnte weniger eitel sein als Esme. Bei ihr war alles groß: großer Busen, großer Po, großer Bauch, großes Herz. Solange ich sie kannte, und ich kannte sie seit Kindergartentagen, hatte sie noch niemals eine Diät angefangen. Und die Männer gaben ihr Recht, indem sie sie umschwärmten, denn Esme besaß neben ihren körperlichen Vorzügen auch eine Menge natürlichen Charme.

„Was ist, Schätzchen? Wieder der Mann mit den stechenden Augen?“, fragte sie unverblümt.

„Ich hasse ihn“, grunzte ich und bestellte zwei Latte macchiato für uns.

„Das ist aber ein sehr großes Wort so früh am Tag.“

Es war elf. Und ich brauchte einen Drink. Irgendwo auf der Welt war es bereits Abend. Was sollte ich so lange warten? Der Tag würde nicht besser werden. Fuchtelnd winkte ich die Bedienung herbei, bestellte einen Batida Chérie, eine Mischung aus Batida de Coco, Sekt und Sauerkirschsaft, und erzählte Esme von den Anrufen meiner Mutter, meinem schlechten Gewissen und dem Gefühl, in der Falle zu sitzen.

„Sie lieben dich doch nur“, entgegnete Esme und fixierte das Getränk, das mir gebracht wurde.

„Auch einen?“, fragte ich sie und hob das Glas.

„Nee, ich muss noch fahren.“

„Sie lieben mich, weil ich manipulierbar bin“, sagte ich und schlürfte das Zeug wie Wasser. „Abhängig. Sprechen wir es doch aus: Ich bin die Tochter, die es nicht geschafft hat, mit einem Bruder –“, ich erhob den Finger, so wie es meine Mutter oft tat, „einem Zwillingsbruder wohlgemerkt, der alles schafft, indem er uns vormacht, wie man die Dinge richtig anpackt.“

„Dabei geht es aber bei ihm immer nur um Geld“, konterte Esme.

„Ja“, sagte ich. „Bei Börsenmaklern geht es hauptsächlich um Geld. Aber das ist eben das, was man unter dem Strich sieht.“ Ich betrachtete das Glas, das ich halbleer getrunken hatte und musste feststellen, dass ich dem Angriff der Prozente auf meine Synapsen nicht gewachsen war. Den Rest ließ ich stehen.

„Das reicht aber doch nicht“, wollte Esme mich davon abhalten, mich wieder mal in Selbstmitleid zu suhlen.

„Geld kann man sehen und riechen, man kann sich gut damit fühlen und sicher, und man kann damit Schulden bezahlen“, klagte ich. „Meine Eltern haben mich quasi zurückgekauft. Sie können mit mir machen, was sie wollen. Ich bin deren Sklave.“

„Übertreib nicht so schamlos. Sie wollen doch nur, dass du glücklich bist.“

„Ja, klar“, murrte ich. „Sie wollen, dass ich heirate. In welchem Jahrtausend leben wir denn? Ich will doch nicht heiraten.“

Esme grinste breit.

Ich wusste, was sie dachte, und winkte ab. „Bei Carlo ist es etwas anderes gewesen. Mit Carlo verband mich eine Seelenverwandtschaft.“

Der Latte macchiato kam, und Esme prustete los, als die Bedienung außer Hörweite war. „Ich hoffe, doch nicht. Das hieße ja, du würdest lügen, betrügen, mit hunderten von Männern ins Bett gehen und den Mann, der dich liebt, dem du vorgemacht hast, dass du ihn heiratest, sitzen lassen. Du bist die ehrlichste, anständigste und organisierteste Frau, die ich kenne. Auch wenn dir das nicht so vorkommt, Bille, du bist etwas Besonderes.“

Ich lächelte sie an. Das waren genau die tröstenden Worte, die ich brauchte. „Findest du?“

„Fishing for compliments nenne ich das jetzt mal“, sagte Esme und nippte am Kaffee. „Der ist mal wieder so richtig gut.“ Sie stellte die Tasse ab und bekam diesen seltsamen Ausdruck im Gesicht, der sie immer dann befiel, wenn sie mich etwas fragte, von dem sie wusste, dass mir der Inhalt der Frage nicht behagte. „Bahnt sich etwas zwischen deinem Chef und dir an?“

Ich war vorbereitet und empörte mich augenblicklich: „Damian Winter? Niemals! Hast du mir nicht zugehört?“ Ich konnte nicht anders, als näher an Esme zu rücken und ihr atemlos von seinem LSD-Gefasel zu erzählen. „Der hat sie doch nicht mehr alle. LSD! Schnieft er das Zeug, und wir kriegen das alle nicht mit?“

Sie grinste. „Das wird gespritzt, soweit mir bekannt ist. Aber vielleicht wollte er nur einen Witz machen. Du hast dich also doch in ihn verliebt und weißt es vielleicht nur noch nicht.“ Sie malte nun Gänsefüßchen bei ‚verliebt’ in die Luft und beobachtete mich. „Du redest sehr viel über ihn.“ Da ich nicht antwortete, fuhr sie fort: „Warum auch nicht? Die Sache mit Carlo ist jetzt über drei Jahre her. Es wäre einfach schön, dich wieder glücklich zu sehen. Dieser Damian Winter ist ein gut aussehender Mann. Das hast du selbst gesagt. Und er ist kein Schleimer. Das hast du auch gesagt.“

„Nein, das ist er nicht“, gab ich widerwillig zu. „Wenn ich es mal objektiv …“

„Ich bitte darum“, unterbrach mich Esme.

„Obsjektiv betrachte …“ Mir war auf einmal entfallen, was ich hatte sagen wollen. Rätselnd ließ ich die Worte auf der Zunge zergehen und lauschte ihnen nach … Obsjessjion? … Obsjessjiv? „Wenn ich es obsjervativ betrachte, ist er ein … äh …“ Ich versuchte, mich zu erinnern. Mann, dieses Gesöff haute ja unheimlich rein!

„Aha“, machte Esme.

Ich gab auf. Mir fiel kein geeigneter Ausdruck für Damian Winter ein. „Ich weiß nicht, wie ich einen Mann beschreiben soll, der sich mir gegenüber korrekt verhält, wobei ich mich falsch fühle.“ Ich sah an meiner Bluse herunter, und der fehlende Knopf sprang mir wieder ins Auge wie ein rotes Warnschild. Mein Finger kreiste in der Luft herum und versuchte, den nicht vorhandenen Knopf zu treffen. „Wie so etwas. Wie ein fehe-lender Knopf. Ich bin und werde es immer sein: unzuhu-länglich. Er ist perfekt.“

„Niemand ist perfekt“, sagte sie.

„Du kennst ihn nicht. Er ist perfekt. Er trägt den perfekten Anzug, dazu eine perfekte Krawatte, farblich perfekt aufeinander abgestimmt. Er trägt perfekte Schuhe. Er zeigt ein perfektes Benehmen. Er ist ein Mann ohne Makel.“

„Das schreit ja regelrecht danach, dass du willst, dass er dir an die Wäsche geht!“ Esme kicherte. „Und ich dachte schon, er sei arrogant und ein Wiesel.“

„Das habe ich nie behauptet. Ich habe gesagt, er ist arrogant und ein Schnösel.“

„Ach so. Na dann.“ Sie wurde schlagartig ernst. „Ich meine es gut, Bille, wenn ich sage, dass du wieder einen Mann in dein Leben lassen solltest. Man wird seltsam, wenn man allein ist.“

„Willst du damit andeuten, ich sei seltsam?“, fragte ich irritiert.

„Schau dich an! Dein Haar ist so schön, aber du trägst eine Frisur …“, sie deutete auf meinen Knoten im Nacken, „die dich wesentlich älter macht, als du bist. Du trägst eine zerknitterte Bluse mit einem fehlenden Knopf. Warum eigentlich? Hast du nur eine in deinem Kleiderschrank?“ Sie schaute auf meinen Rock, schwarz und schlicht. „Du siehst nicht wie eine Frau aus, die mit Kinderbüchern zu tun hat. Man könnte annehmen, du arbeitest für die Addams Family. Was sollen denn diese schwarzen Kostüme und die weißen Blusen?“

„Das gilt allgemein als seriös.“

„Ach Schätzchen“, seufzte sie. „Sieh mich an! Wirke ich in bunten Farben weniger seriös?“

Ich musterte ihre Kleidung. Ihre Turnschuhe (ein Zugeständnis ans Fahrrad, sonst trug sie Pumps) waren auf ihr rotes Kleid abgestimmt und ein farblich passender rot changierender Schal wie ein Gürtel um ihre Taille gebunden. Ein ähnliches Tuch hielt ihr kastanienbraunes, dickes Haar aus dem Gesicht.

„Du bist schön. Du kannst alles tragen.“

Ungeduldig winkte sie ab. „Das lasse ich nicht gelten. Deine Attraktivität steht meiner in nichts nach. Du wälzt dich halt nur gerne wie ein alter Klepper in Selbstmitleid.“

Das war mir nicht neu. Ich tat es bereits seit über drei Jahren. „Du hast Recht“, gab ich zu. „Ich weiß, dass ich seit Carlo Angst habe, mich auf eine neue Beziehung einzulassen. Ich dachte, er wäre der Richtige. Und alles, was ich mal wollte, ein eigenes Übersetzungsbüro oder einen eigenen kleinen Verlag, habe ich nicht erreicht. Du kennst meinen Traum: Kinderbücher machen. Ich habe es nicht geschafft, Esme. Das hat mich für Jahre gezeichnet.“

„Ja gut, aber diese Jahre sind vorbei. Ich hoffe doch, dass du daraus keinen Dauerzustand werden lässt. Du kennst meine Meinung: Deine Eltern, besonders deine Mutter, regieren zu sehr in deinem Leben herum. Es konnte niemand wissen, dass Carlo sich so verhalten würde. Er ging nach Amerika und hat dich nicht nachgeholt. Deine Eltern wären auch furchtbar traurig gewesen, wenn du gegangen wärst, aber das heißt nicht, dass du dich ihnen mit Haut und Haaren überlassen musst.“ Sie beugte sich vor und tätschelte meine Hand. „Du hast aufgegeben.“

Ich fühlte mich tatsächlich wie ein Hund, der von seinem Herrchen im Stich gelassen wurde. „Das stimmt“, schniefte ich vernehmlich. Ich fühlte mich schlimmer als ein Hund, ich fühlte mich wie eine Versagerin.

„Und jetzt gehen wir shoppen.“ Esme lehnte sich zurück und winkte der Bedienung. „Die Getränke gehen auf mich.“

„Ich muss zurück ins Büro.“

„Sag deiner Nesrin, dass du dir einen Magen-Darm-Virus eingefangen hast.“

„Das glaubt sie mir nie.“

„Dann sag, dass du ihr Winter überlässt.“

Ich nickte. Ja, so könnte es funktionieren.

Schwein im Glück

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