Читать книгу Segel setzen (E-Book) - Astrid Warbinek - Страница 26
Exekutive Funktionen als Grundlage für selbstregulatorische Prozesse
ОглавлениеUns als Erwachsenen erscheint ein solcher Prozessverlauf völlig logisch und normal. Das hat damit zu tun, dass wir die Abläufe gefühlt schon ein Leben lang umsetzen. Allerdings war dies alles nicht immer schon selbstverständlich, und wie gut wir darin geworden sind, hängt davon ab, wie stark unser exekutives System ausgeprägt ist. Für diese kognitiven Prozesse ist der Frontallappen des Hirns zuständig.
Diese Fähigkeiten, die für die Selbstregulation relevant sind, lassen sich vor allem in die drei Funktionen Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität einteilen.[43] Das Arbeitsgedächtnis ermöglicht die Vergegenwärtigung von Regeln, Arbeitsanweisungen und eigenen Zielsetzungen. Die Inhibition befördert dieses zielorientierte Tun durch die Regulierung von Emotionen: die Hemmung unerwünschter Impulse, die Steuerung der Aufmerksamkeitsprozesse und das Ausblenden von störenden Reizen. Die kognitive Flexibilität ermöglicht die Auswahl von Handlungsstrategien in wechselnden Situationen durch Einbeziehung von Fehlerauswertungen und Perspektivwechseln sowie bei abwägenden Reflexionsprozessen.
ARBEITS-GEDÄCHTNIS | INHIBITION | KOGNITIVE FLEXIBILITÄT | |
Funktionen | –Merkfähigkeit–Logisches, strategisches Denken–Ziele setzen, planen | –Frustrations-toleranz–Impulskontrolle–Aufmerksamkeits-lenkung | –Handlungs-verläufe reflektieren–Entscheidungs-findung–Kreatives Denken–Anpassungs-fähigkeit–Problemlöse-fähigkeit |
Beispiele von entsprechenden Leistungen im Schulkontext[44] | Ihre Schülerinnen und Schüler wissen, wo sie morgens ihre Jacken hinhängen, auf welchem Platz sie sitzen und welche Arbeitsmaterialien auf dem Tisch liegen sollen.Sie bringen unterschriebene Laufzettel von zu Hause mit, erinnern sich an die Arbeitsaufträge in der Stunde vollständig, erinnern sich auch in spannenden, emotionsgeladenen Situationen an die Regeln.Sie übernehmen das Tafelbild korrekt und zügig in ihre Notizen, aktivieren Vorwissen und erinnern Vokabeln, Formeln, Aufsatzverläufe usw.Sie planen zielorientiert und können Handlungs-strategien anwenden. | Ihre Schülerinnen und Schüler können Störreize von Tischnachbarn ausblenden.Sie rufen nicht ins Unterrichts-gespräch rein, sondern warten, bis sie drankommen.Sie können auftretende Emotionen regulieren und etwa still (bewegungs- und wortlos) am Platz sitzen, unaufgeregt warten, bis sie dran sind, auch «blöde» Äußerungen von anderen ertragen, ohne «auszurasten», sich am Unterrichts-geschehen weiter beteiligen, obwohl sie falsch geantwortet, die Lösung nicht gefunden oder ein schwaches Ergebnis erzielt haben.Sie können alte Routinen aufgeben und neue übernehmen (Automatismen bremsen, aushalten, dass etwas nicht vertraut ist).Sie machen die Hausaufgaben, statt sich an den Computer zu setzen. | Ihre Schülerinnen und Schüler können zügig zwischen einzelnen Arbeitsphasen wechseln (für sich lesen – zuhören – sich melden – anderen zuhören …).Sie können sich auf neue Aufgaben, neue Sitzordnungen, neue Situationen einlassen.Sie können bei einem Streit, bei Problem-löseaufgaben oder ähnlich verschiedene Perspektiven einnehmen und zu neuen, kreativen Lösungen kommen.Sie können argumentieren und aus Fehlern lernen. |
Einige, vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler brauchen für «so eine einfache» Aufgabe wie etwa ein Tafelbild abzuschreiben (gefühlt unendlich) lange. Ihre exekutiven Funktionen sind noch nicht so ausgeprägt wie bei Erwachsenen. Es kann hilfreich sein, sie beim Aufbau kleinschrittig zu begleiten und zu fördern. Strukturen und klare Vorgaben dienen den Lernenden wie ein Gerüst: Daran können sich jene festhalten, die selbst noch keine Handlungsalternativen vorschlagen oder erfinden können und in den Anweisungen deshalb Klarheit und Transparenz brauchen. Geduld ist auch wichtig, für alle Beteiligten. Gleichzeitig unterstützen Lehrkräfte den Aufbau dadurch, dass sie wachsam bleiben und registrieren, welche Kinder in welchen Bereichen bereits Stärken haben, und diese betonen. Erst dann können sie durch konkretes Anleiten helfen, schwache Funktionen aufzubauen. Durch eine genaue Passung der Anforderungen können Schülerinnen und Schüler erfolgszuversichtlich Fertigkeiten entwickeln und erweitern. Die Anregungen zur Gestaltung von Raum, Gruppe und Lernsituation (siehe Abschnitt 3.6) tragen in ihrer Umsetzung zur Stärkung der exekutiven Funktionen einzelner Schülerinnen und Schüler bei.[45]
REFLEXION | ||
Überlegen Sie für Ihren Unterricht: Welche Anforderungen können Schülerinnen und Schüler besser erfüllen, wenn ihre exekutiven Funktionen ausgeprägt/trainiert sind? | ||
Fachspezifisch | Überfachlich | |
Ähnlich wie ein Muskel unseres Körpers können auch Hirnareale trainiert werden. Und wie beim Sport ist es wichtig, diesen «Muskeln» täglich zu trainieren. Eine regelmäßige gezielte Aktivierung der Areale im Frontalhirn hilft beim Aufbau exekutiver Funktionen. Die Erklärung dafür liegt in der Neuroplastizität: Durch Reize entstehen, wachsen und vernetzen sich Nervenzellen. Das kann
•über spielerische Bewegungsanreize,
•über Sport,
•über ein konkretes Strategietraining in den Bereichen Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität
geschehen. Voraussetzungen dafür sind eine entsprechende Gestaltung von Raum, Gruppe und Lernsituation sowie die konkrete Unterstützung der Selbstregulation, wie es in Abschnitt 3.6 und Kapitel 4 beschrieben wird.
Das exekutive System baut sich ab dem vierten Lebensjahr schrittweise auf.[46]
ABB. 8 | ENTWICKLUNG DES EXEKUTIVEN SYSTEMSnach Walk/Evers, 2013 |
Wie beim Sport wirkt das Training auch hier als Stimulus. Bleibt der aus, bilden sich Muskeln und System zurück. Gerade in der Schulzeit können wichtige Stimuli für das Training der Selbstregulation gesetzt werden. Darauf muss sich die Klassenführung ausrichten – mit gesellschaftlicher Notwendigkeit.