Читать книгу Adelaide - Augusta von Goldstein - Страница 7

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Blutströme hatten jetzt Bellonas Durst gestillt, und ihre Fackel ausgelöscht. Ein allgemeiner Frieden in Deutschland zerstreute nun gänzlich jede Besorgniß Ludmillas, daß Alexis bei seinem thätigen unruhigen Geist doch noch der Versuchung unterliegen würde, eine Rolle auf dem Theater des Krieges zu übernehmen. Doch zu bald sah sie ein, daß die Gefahr ihn zu verlieren, wenigstens sich auf lange, unbestimmte Zeit von ihm trennen zu müssen, näher war, als jemals.

Graf von der L...., als Generalissimus nach Portugal berufen, erachtete es für keinen geringen Vortheil und Zuwachs des ihn umgebenden Glanzes, wenn er seine fast königl. Suite, mit welcher er sich das nächste Frühjahr einzuschiffen dachte — durch Anwerbung der tapfersten vielversprechensten Männer — um welche Monarchen sich beneideten, für die Truppen, deren Befehlshaber er wurde, noch mehr verherrlichen könnte. Es gelang ihm, Graf Alexis von Wallersee durch die lockendsten Aussichten auf Größe und Ruhm — der sich selbst in fremde Welttheile erstrecken würde, für seine Wünsche zu gewinnen. — Vergebens umfaßte Ludmilla die Knie ihres Gemahls, vergebens schmiegte der kleine Theodor seine Händchen um den unbiegsamen Nacken des ihm zum Lebewohl segnenden Vaters.

„Ich werde Euch wiedersehen; zwei Jahr aufs längste — und ich heiße Euch auf portugiesischen Boden willkommen, oder ich kehre in eure Arme zurück, um dann mich nie wieder von Euch zu trennen. Uebrigens — im Fall Freund Hayn mich noch vor dieser Zeit in eine andre Heimath rufen sollte — so wirst du, liebes Weib, in Rücksicht der Güter und des Majorats, welches ich aus den Herrschaften Tomsdorf und Wallersee zu machen Willens bin — das Benöthigte schon verfügt und bei der Regierung niedergelegt finden; hier ist die Abschrift meines deponirten Willens. — Du wirst dich überzeugen, daß ich beflissen war, deine Zufriedenheit auch als Wittwe zu begründen.“

Ludmilla hörte kaum mehr die letzten Worte; ohnmächtig brachte man sie auf ihr Ruhebett; Alexis küßte den Abschied auf ihre blassen Lippen, und als sie wieder ihr Bewußtseyn erhielt, war er schon auf dem Wege nach Hamburg, den er mit Couriersschnelle Tag und Nacht fortsetzte, um mit dem Grafen von der L...., welcher nebst seiner zahlreichen Reisegesellschaft ihn daselbst erwartete, an Bord zu gehen.

Keine Art zu reisen ist wohl geschickter, Menschen die sich auf der nehmlichen Tour in einer und derselben Equipage befinden, sich näher zu bringen, und ihre gegenseitigen Beobachtungen über des andern Karakter und Meinungen ungestörter zu befördern, als die Reise zur See. Die beiden Gegenstände Himmel und Wasser, welche sich Tage, Wochen, ja oft Monathe hindurch ohne die geringste Abwechselung unserem Auge darbiethen, hören die ersten zwölf Stunden schon auf, unserer Beobachtung werth zu seyn. — Weder Posthäuser noch Gastwirthe, weder gute noch schlecht gebaute Städte und Marktflecken, weder zu respektirende Feldgarnison, noch Bürgermilizwache — so andern Reisenden auf einem Wege von zehn Meilen wenigstens ein auch wohl zweimal während des Examinirens um Nahmen, Karakter und Geschäfte beim Einpassiren an den Thoren, abwechselnde Empfindungen und Unterhaltung gewähren — nichts dergleichen bietet sich uns auf der übrigens vortrefflichen Chaussée in Neptuns Reiche dar. — Genug, man ist lediglich auf sich und seine Reisegesellschaft reduzirt; und so wie bald alle Zeremonie in Ansehung des Ankleidens und das Bemänteln häuslicher Gewohnheiten auch wohl Unarten aufgehoben wird — so wie bald jeder Passagier in seinem Kaftan oder Schlafrock und Nachtmütze bleibt, in welche er sich des Morgens beim Erwachen warf, eben so bequem macht es sich sein innrer Mensch. Im weiten ihnen beliebigen Spielraum spatzieren Launen, Meinungen, gute und böse Gedanken ohne allen Rückhalt auf dem Verdeck der Conversation herum, und sind für die übrigen Personen eben so auffallend, als diese — welche sich einer gleichen Freiheit bedienen, entweder mit ihren, jenen widersprechenden Grundsätzen und Ansicht der Dinge chokiren, oder durch Sympathie sich zur festesten Vereinigung hingezogen fühlen.

Graf von der L**** war unbegrenzt stolz, herrschsüchtig, rauh, hart bis zur Grausamkeit gegen seine Untergebenen; falsch und verschlagen gegen seines Gleichen, um sie zu täuschen und an sich zu ziehen, wann es sein Vortheil heischte, übrigens keines Menschen Freund. Geitzig, wo Edelmuth gebot es nicht zu seyn; verschwenderisch, wo sein Stolz verlangte, mit seinem Glanz Fürsten zu beschämen. In Ermangelung jeder andern Tugend glaubte er mit einer seltnen Tapferkeit, mit einem Muth, der ihn in die Lavafluthen des Vesuvs kaltblütig springen ließ, und der Spartanischen Härte, welche er gegen sich selbst in Entsagung jeder Bequemlichkeit des Lebens bewies — keiner andern zu bedürfen, um ein Ehrfurcht gebietender verdienstvoller Mann zu seyn. Nie ruhete er auf einem Federbette oder einer Matratze. Ein langer Tisch, oder wenn es die Umstände wollten, eine Gurtbank, war sein Lager, die eiserne Chatulle, in welcher Gelder und seine wichtigsten Papiere sich befanden, sein Kopfkissen. Mit dem Haß seiner Dienerschaft bekannt — geliebt zu seyn, verlangte er nicht, denn er liebte ja keinen Menschen — hegte er stetes Mißtrauen und erwartete immerwährend einen Anschlag auf sein Leben. Deßhalb lagen, wenn er sich zur Ruhe auf sein hartes Lager warf, ein Paar geladene Pistolen mit aufgezogenem Hahn auf dem ihm zur Seite stehenden Tisch, und ein Dolch unter seinem Kopf. Zwei Bedienten hatten die Nachtwache, und wehe demjenigen, welcher sich der geringsten Nachläßigkeit, oder einer Anwandlung des Schlummers zu Schulden kommen ließ. Bei dem leisesten Geräusch wich sein unruhiger Schlaf, und er griff nach der Pistole. So traf es sich, daß er einen Bedienten erschoß, dem — als der Unglückliche das Nachtlicht putzen wollte — die Scheere, weil er schlaftrunken war, aus der Hand fiel.

„Wie,“ sagte Alexis von Wallersee zu sich selbst — „mit diesem kleinen Tyrannen — unter seiner Protection sollte ich ein Ziel zu erreichen streben, und zwar in einem Militair, welches das vernachläßigste, stupideste aller kristlichen und unkristlichen Kriegsheere der Welt ist? — Ruhm und Größe erwerben wollen, die mir durch Nachgiebigkeit gegen einen Arnulph zu theuer erkauft schien — einen Arnulph, dem jener sich zum Despoten aufwerfende Miethling nicht werth ist, die Schuhriemen aufzulösen? — Nein, dabei kann es nicht bleiben; noch bin ich durch nichts gebunden. Die erste Landung macht Sie — mein Herr Generalissimus — um einen Obersten ärmer.“

Und dieser Vorsatz wurde in Calais ausgeführt. Die Schiffe lagen einige Tage in diesem Hafen vor Anker; die Mannschaft gieng ans Land, und Alexis machte dem General die unerwartete Erklärung: daß er nicht portugiesische Dienste nehmen, sondern sich hier von ihm trennen wolle. L**** wandte alle Ueberredungskünste an, den Obersten von seinem Entschluß abzubringen; als dies nichts fruchtete, ward er beleidigend, und der Streit endigte mit einem Zweikampf.

Der General gieng, um eine Narbe über den linken Backen reicher, wieder an Bord; und Alexis, am rechten Arm nur leicht verwundet, fand in demselben Gasthof, in dem er sich einquartiert hatte, den Viskomte de Paluzzo, dessen Bekanntschaft er auf seinen ersten Reisen durch Italien in Neapel gemacht hatte, und der jetzt — im Begriff von seiner Gesandschaft in Paris abgelöst zu werden — seiner mit einem Schottländer entflohenen Tochter nachzueilen gezwungen war. Hier erfuhr der Viskomte, daß es zu spät sey. — Maria Paluzzo befand, nachdem sie durch Priesters Hand bereits mit ihrem Entführer unzertrennlich verbunden, sich schon unter brittischem Schutz, und dem betrogenen Vater blieb nichts übrig, als seine Rache durch Enterbung der ungehorsamen Tochter zu befriedigen. Jetzt war es ihm Trost in Alexis Busen seinen Unmuth, den Kummer über vernichtete Vaterfreuden ausschütten zu können, und während die beiden Freunde sich gegenseitig ihren Verdruß über getäuschte Hoffnungen, erlittene Hintergehungen, und ihrentheils angenehme und theils unangenehme Erfahrungen mittheilten, verschwand allmählig der erste, nehmlich der stärkste Eindruck der gehabten Verdrießlichkeiten, und die Reminiscenzen genußreicherer Begebenheiten gewannen immer herrschenderes Licht.

„Und jetzt wollt ihr nach Deutschland zurück?“ — frug Paluzzo.

„Wo sonst hin? — Mein frommes Weib hat es doch wohl vom Himmel erbeten, daß ich hier umkehren soll — und so will ich denn auch nicht länger meinem Schicksale widerstehen. Mein Junge wird mir nun wohl schon entgegenlaufen; ihm will ich meine Sorgfalt widmen; ein treuer Hausvater, ein fleißiger Landwirth will ich nun werden, und keiner Macht in der Welt mehr meinen Degen anbieten.“

„Schön, recht solid! — Aber Freund — dazu ist’s nach Jahren noch Zeit. Die Gräfin ist nun schon auf eure längere Entfernung gefaßt; in Resignation sind die Weiber Heldinnen. Eure frühere Rückkunft würde ihr kaum die Freude des Triumphs ersetzen, den sie durch längere Ertragung eurer Abwesenheit verdient hätte. Sie dulden gern, um sagen zu können: Ich litt ohne Murren. — Hauptsächlich eure Deutschen blauäugigten sanften Weiber.“

„Unter denen meine Ludmilla wohl die sanfteste ist. So wahr Gott lebt! ein treffliches edles tugendhaftes Weib! — In vier Tagen breche ich auf; ist’s möglich, noch früher, um sie je eher je lieber an mein dankbares Herz, für alle ihre Liebe mit innigster Zärtlichkeit, zu drücken.“

„Auch Giuliana läßt ihre Jugendblüthe in Liebe für euch hinschmachten. Deutsche Weiber lieben, leiden und leben in heroischer Ruhe — so nicht die unsern: die Glut hoffnungsloser Liebe höhlt ihnen ein frühes Grab.“

„Paluzzo! Die Pflichten ehelicher Treue sind den Deutschen Männern eben so heilig wie den Weibern.“

„O daß doch bei Euch die Pflichten des gewissenhaften Mannes erst in ihre Rechte treten, wann Ihr vom Traualtar kommt! — Früher ist Euch die Zerstörung weiblicher Ruhe erlaubtes Spiel.“

„Nichts mehr davon; kann ichs ändern? — Thorheit habe ich mir vorzuwerfen, aber kein Verbrechen. Kann ich dafür, daß mein guter Wille, sie dem ewigen Jammer zu entreißen, eine Quelle neuen Grames für sie ward? — Und wie kann ein Dritter wissen, welcher schmerzliche Kampf mir selbst daraus erwuchs? — Basta! — bei unsrer Freundschaft, kein Wort mehr davon!“

„Wie Ihr wollt. Aber Neapel hat doch mit Eurem Kampf und Eurem Gewissen nichts zu schaffen. Begleitet mich dahin, seht ob es Euch jetzt wieder so gefallen mögte wie einst. — Ihr kennt unsern Hof, auch so ziemlich unsere Regierungsform, unsern Zustand der Armee. Beliebts Euch Vorschläge anzunehmen, die man Euch vielleicht auf das ehrenvollste machen würde. Herrlich! — Verwerft Ihr sie — gut; ihr sollt durch Zudringlichkeiten nicht belästigt werden.“

„Nun dann, es sei. Aber die Meerenge passiere ich nicht wieder; ich habe in Messina nichts zu schaffen. Und — den kommenden Frühling, will ich auf vaterländischen Boden begrüßen.“

Alexis hielt nur in so fern Wort, daß er die glänzendsten Anerbietungen des Neapolitanischen Hofes ausschlug, und wenn nicht den nächsten Frühling, doch gegen Ende des darauf folgenden Sommers in Ludmilla’s Arme zurückeilte. — Aber Messina — hatte er dennoch besucht. Giuliana war ja verheyrathet, und Menschenpflicht rief ihn dahin; heftige Erderschütterungen hatten Habe und Gut eines großen Theils der Einwohner in Trümmer zusammengestürzt. Unter den dadurch verarmten Familien befand sich auch Giuliana und ihr Gatte. Letzterer ward, als er noch auf Rettung einiger Kostbarkeiten bedacht seyn wollte, selbst tödlich beschädigt; und Alexis erschien jetzt zum zweiten Male als helfender Schutzengel der neunzehnjährigen Wittwe. Er sorgte für sie und ihren dreijährigen Knaben Zynthio; erhielt ihr die Spolien des Vermögens ihres Mannes, söhnte sie mit ihren Eltern aus, welche in Rometo Handlung trieben, und diese Tochter fürs Kloster bestimmt hatten, folglich mit ihrer Heyrath sehr unzufrieden waren, und Antonio Camillo nie als Schwiegersohn erkennen wollten.

Giuliana, aufgelößt in Dankbarkeit und Liebe — Alexis hingerissen von der Allgewalt der durch das Trauergewand erhöheten Reitze des schönen Weibes, ihrer Zärtlichkeit — Beide erwachten nach einer gefährlichen Abendstunde zu spät aus ihrem verbotnen Rausch, und sahen mit Entsetzen ein, daß sie sich früher hätten trennen sollen. Es war geschehen; Alexis versprach als ehrlicher Mann nie den Folgen dieser Stunde auszuweichen, er lebe oder sterbe, er sey an welchen Ende der Welt das Schicksal ihn auch festhalte. Maasregeln wurden getroffen, und der Abschied rückte heran.

„Giuliana! noch einmal sehen wir uns in diesem Leben wieder; für diesen Augenblick erhalte dich mir.“

Mit diesen Worten riß er sich aus ihrer Umarmung, und von innrer Unruh getrieben, eilte er jetzt rastlos nach Deutschland zurück.

Adelaide

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