Читать книгу Heilige und Gesegnete - Aurelia Dukay - Страница 8
4. Das Debüt
ОглавлениеEs versprach ein ruhiger Nachmittag im Kommissariat zu werden. Die Sonne strahlte in den stahlblauen Himmel hinein. Caterina saß am Schreibtisch in einem schwarzen Hosenanzug und glamouröser Föhnfrisur, die ihr den schmeichelnden Vergleich mit Rita Hayworth eingebracht hatte. Sie war gerade vom Frisör gekommen und arbeitete am Abschlussbericht des Falls Bellacqua. Plötzlich brach Hektik aus. An ihrer geöffneten Tür rannten alarmierte Polizisten vorbei, ein aufgebrachter Tommaso stürzte zu ihr ins Zimmer.
Angelehnt am Türrahmen mit den Autoschlüsseln in der Hand keuchte er: „Commissario, ein Mord in der Nähe des Rathauses.“
Caterina sprang vom Schreibtisch auf, nahm Marke und Dienstwaffe aus der Schublade und lief gemeinsam mit Tommy zum Fuhrpark, wo die Dienstwagen standen. Das Adrenalin war ihr in alle Gliedmaßen geschossen, angesichts des ersten Mordfalls hier in ihrem Revier. Endlich würde sie sich beweisen können.
„Wo ist Ispettore Grillo?“, fragte sie Tommaso am Steuer eines Alpha Romeo.
„Am Tatort, Commissario.“
„Tommaso, hör schon auf mit dem Commissario, wir können uns duzen“, sagte sie in der Aufregung, und Tommaso schien sich über die unerwartete Anerkennung zu freuen. Sie rasten mit Sirenen und Aufgebot von fünf Streifenwagen zum Tatort.
Die Via del Pistacchio lag im Herzen der Stadt und verband die bevölkerte Einkaufsstraße Viale Mandorla mit der Piazza Europa, wo sich das Rathaus befand und vor dem man ein Denkmal von Alcide de Gasperi errichtet hatte. Neben einem offenen Tabakladen und einer Werkstatt gab es zu dieser frühen Nachmittagszeit nur heruntergelassene Rollläden. Eine gespenstische Stille lag in der Luft, obwohl es helllichter Tag war.
Der Notarztwagen war bereits eingetroffen und die Forensik hatte mit der Sicherung des Tatorts begonnen.
Der leicht übergewichtige Mann lag bäuchlings mit gespreizten Beinen neben der Kreuzung. Die anthrazitfarbene Bundfaltenhose und das weiße Hemd waren in eine Blutlache getaucht. Augen und Mund waren weit geöffnet in einem erstarrten Ausdruck des Schreckens, dessen einheitliche Linie nur an den Lippen von einem daran klebenden Zigarillo unterbrochen wurde. An seinem Hinterkopf klaffte eine enorme Wunde, die grauen Haare verklebt mit Blut, das vom Hals herunter in den Rinnstein floss.
Solange die Spurensicherung noch ihre Fotos machten, konnte die Kommissarin nur am Rande zusammen mit dem Gerichtsmediziner Professore Mariano Monte warten, während Tommy die undankbare Aufgabe der Zeugenbefragung übernahm.
Keine Spur von der Tatwaffe. Zumindest war es das, was Caterina schon aus der Ferne erkennen konnte. Und natürlich wieder Schaulustige, Kameras, Äußerungen der Bestürzung hinter den Absperrungen.
„Diesmal kannst du dich nicht vor der Presse drücken, Commissario“, sagte Tommy als er wieder zu ihr zurückkam.
„Gib mir Details, Tommy. Wo zum Henker ist Ugo?“
„Ich vermute er ist hier irgendwo und befragt ebenso Zeugen“, sagte Tommy.
„Ich rufe ihn an!“ Caterina nahm ihr Handy und das Telefon läutete ein, zwei, drei, vier Mal.
„Pronto, Commissario!“
„Ugo, wo steckst du?“
“Beim Buchhalter, Commissario.”
“Beim Buchhalter! Wir haben einen Mord und du bist beim Buchhalter?“
„Entschuldigung, Commissario, ich komme sofort.“
Caterina warf Tommy einen wütenden Blick zu. Der zuckte mit den Schultern.
„Nimm es mit Philosophie, mit Lebensart, Commissario.“
„Darüber reden wir noch“, zischte sie. Sie wusste von Ugos Wettsucht und dass Tommy ihn deckte. Aber das ging zu weit.
„Also Tommy, was weißt du bisher. Wer war der Mann?“
Als Caterina vor die Kameras trat, dankte sie Gott, dass sie zuvor beim Friseur gewesen war. Mit einigen Handgriffen zupfte sie ihre Haare zurecht, setzte eine souveräne Miene auf und wartete, bis die unzähligen Mikrofone und Diktiergeräte unangenehm nah an ihren Mund fuhren. Tommy stand stramm neben ihr wie ein General und machte ein bedeutungsvolles Gesicht, was ihm später im Kommissariat den Spott der Kollegen einbringen sollte. Es wurde still, nur das leise Knipsen der Fotoapparate war noch zu hören. Hoffentlich machte sie keinen Fehler bei ihrem Debüt. Ruf und Glaubwürdigkeit standen auf dem Spiel. Sie kannte diesen Politiker nicht, unmöglich nach so kurzer Zeit. Sie hatte keine andere Wahl, als auf Tommys Informationen zu vertrauen.
Die Kameras liefen, sie war angespannt, als ob gleich etwas Aufregendes passieren würde. Drei, zwei, eins -
„Wir können loslegen“, sagte einer der Kameramänner und das Wort ging an Caterina, die versuchte, trotz der Anspannung ihre Stimme zu kontrollieren.
„Ein Mann wurde heute Nachmittag auf offener Straße ermordet. Nach den ersten Ermittlungen – und ich betone, es handelt sich nur um erste Vermutungen - verlief der Tathergang wie folgt:
Um circa 15.45 verließ das Opfer den Tabakladen auf der Via del Pistacchio und lief in Richtung Piazza Europa, als sich der Täter, vermutlich auf einem motorisierten Fahrzeug, dem Opfer von hinten näherte und ihn mit einem noch undefinierten Gegenstand auf den Hinterkopf schlug. Das Opfer fiel bewusstlos nieder. Als der Krankenwagen eintraf, erlag er bereits seinen Verletzungen. Dank seines Ausweises konnten wir das Opfer identifizieren: Es handelt sich um Kommunalpolitiker Amerigo Della Porta. Das ist alles, vielen Dank!“
Ein großes Raunen ging durch die Menge. Einige, vermutlich die
Agenturjournalisten, zückten ihre Handys und riefen in den Redaktionen an. Nur wenige Minuten später war die Schlagzeile im Netz, sodass die Polizisten Mühe hatten, die ankommenden Gaffer vom Tatort fernzuhalten.
Der Bezirksstaatsanwalt hatte derweil alle Autoritäten informiert, und so füllte sich die kleine Nebenstraße rasch mit unzähligen kondolierenden Persönlichkeiten: erst kam der Polizeipräsident, dann der Oberstaatsanwalt dicht gefolgt vom Bürgermeister. Obwohl „nur“ ein Kommunalpolitiker, musste das Opfer, angesichts des Aufmarsches, eine einflussreiche Persönlichkeit gewesen sein, dachte sich Caterina und wurde sich der öffentlichen Bedeutung ihres ersten Falls in dieser Stadt erst richtig bewusst.
Das wusste auch Polizeipräsident Visconte, der – überzeugt davon, dass Frauen im Chanel-Kostüm an die Seite von uniformierten Männern und nicht in die Uniform selbst gehörten – als Erster vor Ort war. Er kam, begleitet von einem Oberstleutnant, dem Kabinettschef und dem Pressesprecher, direkt auf Catarina zu.
„Commissario, das ist eine entsetzliche Tragödie, der Abgeordnete war ein wichtiger Mann. Ein großer Verlust für die Politik. Dieser Fall hat oberste Priorität, und ich will über jeden Schritt der Ermittlungen informiert werden. Soll ich Ihnen einen Ermittler an die Seite stellen, Commissario, einen Mann mit viel Erfahrung?“
Caterina kniff die Augen zusammen, ihr Magen wurde hart wie Stein. Dass sie ihre Wut hinter einem ausdruckslosen Gesicht verbergen konnte, verdankte sie den unzähligen Poker-Turnieren, an denen sie regelmäßig teilnahm.
„Danke, Questore, sehr großzügig, aber ich denke, mein Ermittlerteam ist bestens gerüstet.“ Sie setzte ein souveränes Lächeln auf.
„Mein Angebot gilt Commissario, überlegen Sie es sich. Ich dulde kein Versagen. Und gehen Sie diskret vor, sehr diskret.“
„Aber natürlich Questore, Sie haben mein Wort.“
„Und keinen Ton zur Presse, ohne es mit mir abgesprochen zu haben!“
Dann wandte sich der Polizeipräsident ab, um mit ernstem Gesicht tröstende Worte an die dazugekommenen Familienangehörigen zu richten, er versicherte den Presseleuten den vollen Einsatz der Ermittler, sagte dem Oberstaatsanwalt seine Kooperationsbereitschaft zu und während der Questore sich mit dem noch ungläubigen Bürgermeister unterhielt, kam eine weitere Menschentraube angetrabt, die größte und wichtigste von allen. In ihr erkannte Caterina ihren Helfer vom Markt und wusste nun zu wem er gehörte: Regionalpräsident Santo Rey, der mächtigste Mann der Region.