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Sechstes Kapitel

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Aber lass mich dennoch reden zu dir, dem barmherzigen Gott, mich, der ich Staub und Asche bin. Lass mich dennoch reden, denn siehe, deine Barmherzigkeit ist es, zu der ich rede, nicht ein Mensch, der meiner spottet. Auch du spottest vielleicht meiner, aber du wirst dich mir zuwenden und dich meiner erbarmen. Was ist es denn aber, das ich reden will, mein Herr und mein Gott, als dass ich nicht weiß, von woher ich hierher gekommen? Soll ich sagen in dieses sterbliche Leben oder in dieses lebendige Sterben? Es empfingen mich die Tröstungen deiner Barmherzigkeit, wie ich es erfahren habe von meinem irdischen Vater, aus welchem du mich, und von meiner irdischen Mutter, in welche du mich in der Zeit gebildet hast, denn ich kann mich ja dessen nicht selbst erinnern. Dann empfingen mich die Tröstungen der Muttermilch. Doch nicht meine Mutter oder meine Ammen füllten sich aus eigener Kraft die Brüste, sondern du spendetest mir durch ihre Vermittlung die Nahrung meiner frühesten Kindheit, gemäß deiner Einrichtung und deinem Reichtum im tiefen Sein der Dinge angelegt. Du verliehst mir auch die Eigenschaft, nicht mehr zu verlangen, als was du mir gabst, und denen, die mich nährten, den Willen, mir zu geben, was du ihnen gabst. Denn gemäß dem von dir angeordneten Liebestriebe gaben sie mir gern von dem Überflusse, den du ihnen verliehen. Denn das Gute, das sie mir erwiesen, tat ihnen selbst wohl; aber nicht aus ihnen stammte es, sondern nur durch sie kam es mir zu. Denn von dir allein kommt ja, mein Gott, alles Gute, und alles Heil strömt mir zu von meinem Gott. Später freilich erkannte ich dies erst, als du mich mahnend riefst zu dir, durch alles das, was du innerlich und äußerlich mitteilst, denn damals verstand ich nur die Muttermilch zu saugen und in behaglichem Genusse der Ruhe zu pflegen und bei leiblichem Schmerze zu weinen; weiter aber nichts. Dann begann ich zu lächeln, zuerst im Schlafe, dann aber auch im Wachen. So ist es mir wenigstens erzählt worden, und ich habe es geglaubt, weil wir dasselbe auch bei anderen Kindern wahrnehmen, denn meine Erinnerung reicht nicht daran. Doch siehe, allmählich empfand ich, wo ich war, und wollte meine Wünsche denen kundtun, die sie erfüllen sollten; doch nicht vermochte ich es, weil jene in meinem Innern wohnten, diese aber außer mir, und mit keinem ihrer Sinne vermochten sie es, in die Tiefe meiner Seele zu dringen. Daher strampelte und schrie ich in einer meinen Wünschen, deren nur wenige waren und nur solche, die meiner Fähigkeit entsprachen, nicht ganz gleichenden Weise. Denn ganz entsprechend waren sie nicht. Und entsprach man nicht meinem Willen, weil man entweder meine Wünsche nicht verstehen konnte oder ihre Erfüllung spärlich war, so ward ich zornig auf die Großen, die mir nicht untertan, und die Freien, die mir nicht zu Diensten waren, und suchte mich an ihnen durch Geschrei zu rächen. Dass solches der Kinder Art ist, habe ich kennen gelernt an denen, deren Bekanntschaft ich machte, und dass ich selbst ebenso war, haben sie mich in ihrer Unwissenheit besser als meine Ernährer, die es doch wussten, gelehrt. Aber siehe, meine Kindheit ist längst geschieden, und ich lebe noch. Du aber, o Herr, der du lebst von Ewigkeit zu Ewigkeit und in dem nichts stirbt, denn vor dem Anfang der Zeiten und vor allem, was Vorzeit genannt werden kann, bist du, Gott und Herr bist du deiner gesamten Schöpfung, und auf festem Grunde ruhen in dir der Urgrund aller an sich unbeständigen Dinge und alles Wandelbaren unwandelbarer Ursprung; in dir leben die ewigen Ideen alles Vernunftlosen und Zeitlichen; so sage mir, o Gott, mir, der dich anfleht in heißem Gebet, sage es in göttlichem Erbarmen, ob meine Kindheit einem schon vergangenen Leben gefolgt sei oder ob jenes dasselbe ist, welches ich im Mutterleibe zubrachte. Denn auch darüber ist mir einiges erzählt worden; auch habe ich mit eigenen Augen schwangere Frauen gesehen. Doch was war ich noch vor jener Zeit, meine Wonne, mein Gott; war ich überhaupt irgendwo oder irgendwer? Denn ich habe niemanden, der es mir sagen könnte, weder Vater noch Mutter vermochten es, weder anderer Erfahrung noch meine eigene Erinnerung (klärten mich darüber auf). Verlachst du etwa solche Frage und befiehlst, dass ich dich nach meinem besten Wissen lobe und dir mein Bekenntnis ablege? So will ich dir denn bekennen, du Herr des Himmels und der Erden, und will dich preisen im Danke für meinen Ursprung und meine Kindheit, deren ich mich nicht mehr erinnere. Du hast dem Menschen die Fähigkeit verliehen, von anderen auf sich zu schließen und in Bezug auf die eigene Person auch dem Zeugnis der Frauen fest zu vertrauen. Denn schon damals war und lebte ich, und schon an der Grenze meiner Kindheit suchte ich Zeichen, um anderen meine Empfindungen deutlich zu machen. Woher aber kommt ein solch beseeltes Wesen, wenn nicht von dir, o Herr? Gibt es irgendjemanden, der die Kunst besäße, sich selbst zu erschaffen? Oder quillt anderswo irgendeine Quelle, aus welcher Sein und Leben in uns fließen, als bei dir, Herr, der du uns geschaffen hast, bei dem es keinen Gegensatz zwischen ewigem und zeitlichem Leben gibt, denn beider Herr bist du selbst? Denn der Höchste bist du und unveränderlich; in dir vergeht nicht der heutige Tag, und dennoch vergeht er in dir, weil du alles (auch die Zeiten) umfassest. Denn nicht würden sie auf geordneten Bahnen dahinziehen, wenn du sie nicht zusammenhieltest. Denn da deine Jahre kein Ende nehmen, sind deine Jahre wie der heutige Tag, und wie viele unserer und unserer Väter Tage sind schon vorübergezogen durch dein ewiges Heute und erhielten von ihm das Gepräge und waren, wie sie waren, und werden noch vorüberziehen und ihr Gepräge empfangen und sein, wie sie waren. Du aber bleibst, wie du bist, und alles Morgige und was darüber hinausgeht und alles Gestrige und noch weiter Zurückgehende wirst du machen zum Heute und hast das schon in der Ewigkeit deiner Gegenwart gewirkt. Was kümmert es mich, wenn es jemand nicht begreifen sollte? Möge auch er sich freuen, der spricht: »Was ist das?« Auch er freue sich, und möge er dich lieber finden, indem er dich nicht findet, als dass er dich nicht finde, indem er (hochmütig) dich gefunden zu haben wähnt.

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