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der Weltliteratur von bleibender Aktualität 1. Augustinus – eine prägende Gestalt
des abendländischen Christentums
ОглавлениеWer jemals eine Barockkirche betreten hat, kennt wahrscheinlich die überwältigende Darstellung des Bischofs mit dem flammenden Herzen. Die Kunst des Barock hat die herausragende Bedeutung des antiken afrikanischen Bischofs für die Christentumsgeschichte wohl recht gut zum Ausdruck gebracht. Wilhelm Geerlings hat in Anspielung auf ein Diktum über Platon gemeint, man könne mit Recht die gesamte Geschichte der abendländischen christlichen Theologie als eine Reihe von Fußnoten zu Augustinus verstehen.1 Selbst wenn man so weit nicht gehen mag, muss man doch zugestehen, dass die Wirkungsgeschichte Augustins – auch im Verhängnisvollen – kaum zu überschätzen ist. Sein Profil und seine Konturen gewann das junge Christentum erst in Auseinandersetzung mit den philosophischen Weltdeutungen der Antike – und hier spielt Augustin eine Schlüsselrolle. Augustinus war es vor allem, der den christlichen Glauben mit Hilfe der neuplatonischen Philosophie interpretierte. Die Überwindung materialistisch-naiver bzw. anthropomorpher Gottesvorstellungen, der Aufstieg zu Gott als Weg des Geistes von Außen nach Innen, die Deutung der Schöpfung mit Hilfe der platonischen Ideenlehre – diese Grundmotive werden gerade in den »Bekenntnissen« (vgl. insbesondere das Buch 10) deutlich. Der biblische Text selber bietet Anknüpfungspunkte für diese neuplatonische Deutung des Christentums, so etwa die Rede vom »Logos« im Johannesevangelium. Allerdings sperrt sich der biblische Glaube an entscheidenden Stellen gegen neuplatonische Begrifflichkeit. Das ist etwa für die Idee einer Schöpfung aus dem Nichts der Fall, aber auch für den Gedanken der Auferstehung des Fleisches oder der Menschwerdung des göttlichen Logos. Gerade die Notwendigkeit aber, die Übereinstimmung mit den biblischen Grundüberzeugungen herzustellen, ließ das Denken Augustins so schöpferisch und auch philosophisch so fruchtbar werden. So sind zumindest zwei große Abschnitte aus den »Bekenntnissen« zu bleibenden Bezugstexten auch der modernen Philosophie geworden: die Analyse des Gedächtnisses (»memoria«) und die Herausarbeitung seiner transzendentalen Dimension im Buch 10 sowie die Betrachtungen über die Zeit im elften Buch der »Confessiones«. Auch eine von den Ergebnissen der neurologischen Forschung geprägte moderne »Philosophy of mind« und eine von den Einsichten der Relativitäts- und Quantentheorie ausgehende Zeitphilosophie kommen heute an Augustins Reflexionen nicht vorbei.
Großen Raum in den »Bekenntnissen« nimmt die Auseinandersetzung mit dem Manichäismus ein. Dieser vom Perser Mani ausgehenden Lehre fühlte sich Augustin selbst lange zugehörig. Die Widerspüche der menschlichen Existenz deutet der Manichäusmus mit Hilfe eines dualistischen Grundmythos von zwei gleichberechtigten, miteinander im Wettstreit liegenden Prinzipien – dem guten und dem bösen Prinzip. Alles Materielle, Fleischliche, wird dem bösen Prinzip zugeordnet, von dem sich die Lichtseele befreien müsse. Augustinus spricht in Auseinandersetzung mit dem Manichäismus – und damit mit seiner eigenen Biographie – dem Bösen jede eigenständige Seinsqualität ab. Die Substanzlosigkeit des Bösen, das nur in der Form der Negation des Guten, als Abwesenheit des Guten existiert, ist ein Grundgedanke, der zur entscheidenden geistesgeschichtlichen Mitgift des Christentums gehört. Bei Augustin findet er sich allererst in dieser Klarheit, und er wird im Hochmittelalter wirkmächtig von der Scholastik, vor allem von Thomas von Aquin, weitergeführt.
Allerdings setzt sich Augustin bis heute dem Verdacht aus, in seinen leibfeindlichen Tendenzen dem Manichäismus auch nach seiner Bekehrung immer noch stark verhaftet gewesen zu sein. Friedrich Nietzsche nennt ihn deshalb gar ein »Untier der Moral«.
Zu Augustins Erbe gehört auch eine durch und durch pessimistische Sicht des Menschen, dessen an sich freier Wille von Grund auf korrumpiert ist durch die Sünde Adams. Sie wird durch das fleischliche Begehren weitergegeben. Die »Erbsündenlehre« gehört wohl zu den verhängnisvollsten Traditionen, deren Ausgangspunkt Augustin ist. Die Kehrseite der Korrumpiertheit der menschlichen Natur ist der Primat der Gnade Gottes – eine theologische Position, die Augustin in seiner Auseinandersetzung mit den Pelagianern eloquent vertritt und die gerade mit der Reformation wieder in den Vordergrund rückt. Auch die extreme Form dieser Gnadenlehre, die Lehre von Gottes souveräner Gnadenwahl (Prädestination), wie sie Calvin vertrat, ist bei Augustin grundgelegt.
Die Wirkungsgeschichte des Augustinus bleibt ebenso beeindruckend wie ambivalent. So kann man nicht verschweigen, dass er sich als Bischof in seiner Auseinandersetzung mit den »häretischen« Donatisten schließlich zu einer theologischen Rechtfertigung der gewaltsamen »Bekehrung« versteigt. Seine Argumentation wirkt lange nach: Unter anderem greift die »Conquista« Lateinamerikas auf Augustins verhängnissvollen Missbrauch des neutestamentlichen Wortes »cogite intrare« (»Zwingt sie, einzutreten«) zurück.
Ein oftmals vernachlässigter Aspekt von Augustins Beitrag zur Christentumsgeschichte ist seine Bereicherung der monastischen Lebensform. Aus der nach seiner Bekehrung gewählten, ganz der Wahrheits- und Gottsuche gewidmeten gemeinschaftlichen Lebensform in Cassiciacum (vgl. das 9. Buch der »Bekenntnisse«) geht schließlich jene »Augustinerregel« hervor, die – neben Benedikt von Nursia – das abendländische Mönchtum entscheidend prägen wird. Jenseits von detaillierten Vorschriften und Reglementierungen für das Alltagsleben ist diese Mönchsregel vor allem ein äußerst inspirierender spiritueller Text. Auch Martin Luther lebte nach dieser Regel. Über die Gemeinschaften, die Augustins Namen tragen (Augustiner Chorherren bzw. Augustiner Eremiten), hinaus ist die Augustinerregel für eine wesentlich breitere Tradition monastischen Lebens zur spirituellen Grundlage geworden – so etwa für den Dominikanerorden.