Читать книгу Das Model und der Walflüsterer - Ava Lennart - Страница 8
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ELLE
Dieser Kerl hat sie doch nicht mehr alle! Arrogant? Zimtzicke? Ich? Okay, ich hätte daran denken können, dass er meinen Titel für ihn nicht so prickelnd gefunden hat. Kann ja keiner ahnen, dass er Deutsch versteht. Bei ihm passt die Bezeichnung Hinterwäldler schließlich. Man muss ihn nur anschauen in seinen ölverschmierten Klamotten. Aber wenn jemand auf der Welt keine arrogante Zicke ist, dann ich. Ich kenne mich mit arroganten Zicken bestens aus. Schließlich arbeite ich in der Modebranche. Da sind sogar die meisten Männer arrogante Zicken. Dagegen bin ich eher der Typ besonnene Pragmatikerin.
Oh, ich hyperventiliere fast, so wütend bin ich. Warum bringt der Typ mich so auf die Palme? Er kann mir doch egal sein. Es muss am Stress liegen. Tief inhaliere ich die Seeluft. Ein und aus. Und noch mal. Meine Mutter behauptet immer, das hilft. Tatsächlich beruhige ich mich ein wenig. Der Walboottyp kommt in mein Blickfeld. Verstohlen mustere ich den unverschämten Kerl, dem ich soeben näher gekommen bin, als ich wollte.
Ich gebe zu, er riecht gut. Eine Mischung aus Mann und frisch gemähtem Gras, was ich in der Meeresluft in Kombi mit dem unförmigen Hafenarbeiteroutfit erstaunlich finde. In diesem Seemannspulli und der Jacke hat er im ersten Moment an den Stripper erinnert, der eine prickelnde Show auf dem Junggesellenabschied meiner Schwester hingelegt hatte. Kurz verliere ich mich in Gedanken an dessen definierte Bauchmuskeln und kreisende Hüften, die die Mädels damals zum Kreischen gebracht hatten. Ob der Typ hier auch einen stählernen Körper hat? Wenn er nach Gras duftet, scheint alles möglich. Ich wische mir über die Stirn, um die albernen Gedanken fortzuscheuchen. Wie komme ich jetzt auf Sex? Der Mangel an Sinnlichkeit in meinem Leben fordert offenbar seinen Tribut. In letzter Zeit ertappe ich mich bei pikanten Tagträumen. Ich besinne mich auf die Gegenwart. Denn, dass der Mann vielleicht sexy ist, ändert nichts daran, dass er Schuld hat, wenn ich die nächsten Stunden nicht erreichbar bin. Ich wage kaum daran zu denken, dass das Handy größeren Schaden genommen haben könnte. Nicht auszudenken, was während meiner Funkstille passieren könnte. Schließlich ist in drei Wochen die große Show und es brennt an allen Ecken und Enden. Alle, die in den letzten Wochen so hart gearbeitet haben, verlassen sich auf mich.
Was Margot denken mag? Hoffentlich hat sie ihren Auftrag so weit verstanden, die verzögerte Lieferung Stoff auf jeden Fall bis Ende der Woche nach Kanada zu beordern. Mist. Ich hätte die treue Margot nicht anfahren dürfen. Sie ist eine verlässliche Hilfe und meine Kontaktperson zu den deutschen Großhändlern. Manchmal wird mir alles zu viel. Hoffentlich bringt der Tag mit Mister Chang den ersehnten Durchbruch. Ich hätte nicht so lange telefonieren sollen. Wie gut, dass Valérie ihn mit ihrem Charme vom ersten Augenblick an eingewickelt hat und mir so etwas Luft verschafft hat. Vor aufwallendem Stress presse ich die Hände so fest um die Reling, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten. Es tut gut, die leichte Panik, die sich in mir ausbreitet, in glühende Wut auf diesen, diesen ... Walboottypen zu kanalisieren. Mit brennenden Augen bekomme ich mit, wie meine Tochter sich dem Typen auch noch freundlich vorstellt. Das hat man davon, wenn man seine Kinder zur Höflichkeit erzieht. Tja, Wunderwaffen haben leider auch Nebenwirkungen. Mister Chang, Valérie und der Walboottyp haben ihre Begrüßung beendet und alle drei wenden sich mir zu. Ich stutze. Die erwarten nicht etwa, dass ich mich jetzt ebenfalls diesem Typen höflich vorstelle? Kommt nicht infrage! Handymörder. Stinkender Handymörder, füge ich bissig hinzu. Okay, nach Gras. Aber trotzdem. Die Hand schüttele ich ihm auf keinen Fall. Man muss ja nur die Trauerränder unter seinen Fingernägeln anschauen, dann ist alles klar. Solche Typen rotzen bei jeder Gelegenheit auf den Boden. Eklig! Außerdem ist er dafür verantwortlich, dass ich in meinen nassen Klamotten friere, wie ich im Augenblick feststelle. Was, wenn ich ausgerechnet in dieser Stresszeit krank werde? Daran ist er schuld! Mein Unbehagen muss sich auf meinem Gesicht gespiegelt haben. Sonst würde dieser freche Typ nicht so grinsen. Bemerkt dieser unsensible Holzklotz nicht, wie stinkwütend ich auf ihn bin? Wie heißt er überhaupt? Das habe ich in meiner Gedankenflut gar nicht mitbekommen. Mein Blick bleibt an zwei Grübchen hängen, die sich links und rechts seiner schwungvollen Lippen bilden. Unter anderen Umständen finde ich Grübchen anziehend. Aber bei so einem? Nö! Sein Lächeln erstirbt schlagartig. Im selben Moment legt mir jemand behutsam von hinten eine Decke über die Schultern. Mehr den Lumpen einer Decke, aber die wohlige Wärme, die mich sogleich umhüllt, brauche ich dringend. Sehr aufmerksam. Ich wende mich zu dem unbekannten Wohltäter um.
„Elle, lange nicht gesehen. Was hast du so gemacht?“
Überrascht blicke ich in ein jungenhaftes, aber verflucht attraktives Männergesicht, das von feurigen Locken umrahmt ist. In der hintersten Ecke meiner Erinnerung ertönt ein leises „Ping“ des Erkennens.
„O´Ryan? Neil O´Ryan?“
„Wow, du erinnerst dich. Dann muss ich damals einen bleibenden Eindruck bei dir hinterlassen haben, obwohl es nur eine Nacht war.“ Vielsagend spielt Neil mit seinen roten Brauen. Ein ungläubiges Schnauben ertönt. Der Walboottyp wendet sich ab und begibt sich an den Bug zu den anderen Fahrgästen. Was hat der denn? Wenn es nicht so abwegig wäre, könnte man glauben, er sei eifersüchtig. Das Schnauben wiederholt sich, kommt diesmal von hinter mir. Als ich den Kopf wende, ragt keine zwanzig Meter von mir entfernt ein riesiger Walkörper aus den Fluten, bevor er nach einem eleganten Winker mit der Fluke geschmeidig unter der Wasseroberfläche verschwindet.
„Mama, hast du das gesehen? So nah waren wir noch nie dran.“ Valérie blickt begeistert zwischen mir, Mister Chang und der Stelle, wo der Wal untergetaucht ist, hin und her. Nachdem ich beim Anblick des behäbigen Meeresriesen ehrfürchtig erstarrt bin, fange ich mich.
„Ja, Valérie. Aber so schön es ist, diese Tiere aus der Nähe zu betrachten, sollte man Abstand zu ihnen halten, um ihren Lebensraum zu respektieren.“
Ein Schnauben ertönt seitlich von mir. In freudiger Erwartung, noch eines dieser seltenen Walexemplare zu sehen, ruckt mein Kopf in Richtung des Geräuschs. Mein Lächeln erstarrt, als ich stattdessen auf die grimmig zusammengekniffenen Augen des Walboottypen treffe.
„Dreimal dürfen Sie raten, meine Teuerste, wer dafür verantwortlich ist, dass wir den Mindestabstand nicht einhalten. Wenn Sie mich mit Ihrem verdammten Handy nicht kirre gemacht hätten, wäre das nicht passiert.“ Er schluckt weitere Worte runter, wie ich fasziniert an der starken Auf- und Abbewegung seines ausgeprägten Adamsapfels erkenne. Gerade setze ich zu einer Erwiderung an, als ich dem interessierten Blick von Mister Chang begegne. Herrgott, was mache ich? Ich darf mir vor diesem stets besonnenen Mann nicht die Blöße geben und von dem Hafenarbeiter provozieren lassen. Mister Changs Ausgeglichenheit ist völlig unnatürlich, wenn man mich fragt. Vielleicht wächst auf seiner Teeplantage noch etwas anderes…. Aber er ist schließlich der Investor und mein Job ist es, ihm den Tag seines Lebens zu verschaffen.
Wenn mir das gelingt, unterstützt er mich hoffentlich und investiert in die Kollektion. So ist das mit meiner Freundin und Assistentin Jill abgemacht. Die Walbeobachtungstour habe ich für einen perfekten Einstieg gehalten, um Mister Chang das Lebensgefühl von Vancouver nahezubringen. Aber im Moment läuft stimmungsmäßig alles aus dem Ruder. Wenn diese maritime Metapher mal nicht hierhin passt!? Unfassbar, was einem so im Bruchteil von Sekunden durch den Kopf stürmt. Das muss an der salzigen Luft liegen.
Kurz sammle ich mich. Höflichkeit ist schließlich die beste Methode, einem Feind den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ha, schon wieder! Vielleicht sollte ich statt Mode zu designen lieber ein Heftchen mit maritimen Redewendungen veröffentlichen?
„Es tut mir leid, wenn Sie sich durch mich haben ablenken lassen. Ich freue mich, wenn wir an Land versuchen, das Telefon, das ich dringend für meine Arbeit benötige, zu bergen.“ Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln kombiniert mit einem subtilen Augenaufschlag, der bislang noch jeden Mann in die Knie gezwungen hat. Auch wenn es bei diesem Exemplar Mann nur als „Perlen vor die Säue werfen“ zu bezeichnen ist. Offenbar wälzt er meinen Satz hin- und her und sucht nach einer versteckten Beleidigung. Zufrieden wende ich mich meinem Kavalier zur Rechten zu.
„Selbstverständlich erinnere ich mich an dich, Neil. Das war eine wilde Zeit während der Secondary High.“ Ein Blick auf meine Tochter zeigt mir, dass diese von einem auftauchenden Wal abgelenkt ist. Dennoch senke ich beim nächsten Satz die Stimme zu einem sinnlichen Säuseln.
„Besonders die Strandbude an den Spanish Banks.“ Neil errötet bis an die Haarspitzen, als er meine Anspielung versteht. Ich sehe ihm an, dass er sich daran erinnert. An den Moment, den er nach einem vielversprechendem Kuss an der dunklen Hüttenwand gewählt hatte, um das letzte, schlechte Bier von sich zu geben. Nur ein beherzter Sprung zur Seite hatte mich vor Schlimmerem bewahrt. Anschließend war er in ein Koma gefallen. Ich war abgetörnt und habe ihn den Rest der Schulzeit, die für mich nach jenem Sommer ohnehin vorbei war, ignoriert. Zwischen uns war außer dem Kuss wegen seiner ekligen, unreifen Aktion also nichts gelaufen. Im Nachhinein war ich erleichtert darüber. Hatte ich doch kurz darauf herausgefunden, dass er alle Frauen angrub, die nicht bei drei auf den Bäumen waren.
„Du bist vor Ende jenes Sommers weggezogen, Elle!“ Es klingt wie ein persönlicher Vorwurf.
„Ja, ich bin nach Europa gegangen. Ein Jobangebot in Paris.“ Klingt das arrogant? Neils Mund formt ein erstauntes „Oh. Paris!“.
Ein weiteres Schnauben ertönt. Wal oder Walboottyp? Was für ein spannendes Spiel. Aha, kein Wal. Der Hinterwäldler kneift die Augen zusammen und heftet den Blick auf Neil, der sich fängt.
„Was nicht ist, kann ja noch werden, Prinzessin.“ Sein Mund verzieht sich zu einem selbstgefälligen Grinsen.
Träum weiter, Neil!
Diesmal ist es an mir, zu schnauben.