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Die Kollegin

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Gizmo freute sich, als sein Herrchen endlich wieder bei ihm war. Er bellte, wedelte mit dem Schwanz und drehte sich auf der Rückbank im Wagen von Alois Kreithmeier immer wieder um die eigene Achse.

»Können Sie mich mitnehmen?«

Kreithmeier drehte sich um und blickte in die blauen Augen von Melanie Schütz, die plötzlich hinter ihm stand und ihn anlächelte.

»Sind Sie denn nicht....«

»Nein, bin ich nicht. Ich bin mit einem Taxi hierher gekommen«, unterbrach sie ihn, »mein Auto steht noch vor dem Polizeirevier, ich hatte ihn gestern Abend dort stehen lassen.«

»Warum denn das?«

»Fragen Sie lieber nicht. Nehmen Sie mich mit?«

»Natürlich! Steigen Sie ein!«

Alois Kreithmeier öffnete die Beifahrertür. Gizmo sprang sofort nach vorne auf den Beifahrersitz und wollte sich lauthals bellend hinaus drängen. Doch Melanie blickte ihn streng an und sagte ein paar Worte zu ihm, die Alois nicht hören konnte. Sofort beruhigte sich der Hund, kletterte wieder zurück auf die Hinterbank und legte sich ohne zu kläffen auf seine Decke.

Es war jenseits aller Vorstellungskraft von Kreithmeier, wie Melanie Schütz es immer wieder schaffte, Gizmo ruhig zu stellen. Bereits wenige Tage nach ihrem ersten Zusammentreffen hatte Gizmo recht schnell gelernt, wer von ihnen beiden das Sagen hatte. Melanie zeigte keinerlei Angst vor dem stämmigen Vierbeiner. Gizmo akzeptierte ihre natürliche Dominanz. Alois hätte gerne etwas davon abbekommen, denn Gizmo hörte nicht immer auf ihn, schon gar nicht, wenn es ums Bellen oder andere anzuknurren ging.

Gizmo hatte bisher noch niemanden gebissen. Gott sei Dank. Aber er produzierte sich jedes Mal vor Fremden oder ihm nicht bekannten Personen, bellte sie an, fletschte die Zähne und knurrte giftig. Es reichte auf jeden Fall aus, dass die vermeintliche Person Angst vor dem Hund bekam und ihm Respekt zollte. Und das war auch Gizmos Absicht, Macht über andere zu haben. Irgendwo musste in dem Mischling ein Wach- oder Kampfhund, oder Teile der DNA eines Wolfes stecken. Erst nach einiger Zeit gab er Ruhe oder wurde durch ein Leckerli bestochen.

Melanie Schütz stieg ein und setzte sich neben Kreithmeier. Gizmo wedelte mit dem Schwanz und himmelte sie an. »Männer!«, dachte Alois, »Männer! Sogar männliche Hunde verfielen dem Charme oder der Führungsmentalität dieser Blondine.«

Er dachte an den Feuerwehrmann, den sie vor der Villa kurz zusammengefaltet hatte und der ohne zu Murren ihrem Befehl gefolgt war. Ob sie eine Bereicherung für seine Dienststelle war oder nicht, diese Entscheidung hatte er bislang noch nicht getroffen. Auf jeden Fall hatte sie in Freising etwas frischen Wind in das barocke Dienstgebäude in der Haydstrasse gebracht. Wenn er selbst etwas von den Kollegen wollte, musste er immer alles deutlich erklären, warum, weshalb und wieso. Sie bekam immer alles mit einem Aufschlag ihrer blauen Augen. Das Leben war einfach ungerecht.

»Was hältst du von der ganzen Geschichte?«, fragte sie ihn. Schon wieder duzte sie ihn. Sie war mittlerweile mit der gesamten Polizeiinspektion per Du. Er wollte den offiziellen Anstand wahren und siezte alle.

»Warum fragen Sie?«

»Weil man dich doch zuerst an den Tatort gerufen hat. Du bist doch die Leiter hochgeklettert und hast alles von oben gesehen. Du sahst süß aus mit deinem Feuerwehrhelm. Hat dir irgendwie gepasst. Und niemand hat gemerkt, dass du Angst vor der Höhe hast. Mein Held!«

»Jo mei!«

»Und?«

»Ich weiß nicht, ich finde das alles lächerlich und übertrieben. Und ich glaube der Frau Löbinger kein Wort.«

»Wieso denn das?«

»Weil sie nach dem angeblichen Einbruch und dem Tod ihres geliebten Haustieres nicht ihren Mann angerufen hat. Das gibt es doch nicht.«

»Wir wissen ja nicht, was die für ein Verhältnis miteinander haben. Ein tolles Haus, gut erzogene Kinder, teure Möbel. Das kann auch ein goldener Käfig sein.«

»Was wissen Sie denn von einem goldenen Käfig, Frau Schütz. Sie waren nie verheiratet und Ihre Beziehungen haben, so viel ich weiß, nie lange angehalten, oder?«

Melanie Schütz drehte sich um und blickte Alois Kreithmeier streng von der Seite an. Dieser fuhr ruhig weiter und schaute nach vorne auf die Straße. Er spürte ihren Blick. Er hatte gerade den Finger in eine offene Wunde seiner Kollegin gebohrt, eine der wenigen schwachen Stellen der Kommissarin. Sie drehte sich sofort wieder um. Er war froh, dass sie nicht auf seine dumme Bemerkung einging. Die letzte Nacht war für sie wohl auch nicht so gut gelaufen. Sie hatte sicher noch die Ausgehfummel vom gestrigen Abend an: Minirock, enge Bluse, hochhakige Pumps. Sie hatte noch keine Zeit gehabt, sich zu Hause umzuziehen, wahrscheinlich war sie noch nicht einmal zu Hause gewesen, kam vielleicht sogar direkt von ihrem Date.

»Soll ich Sie kurz nach Hause fahren, dann könnten Sie sich noch umziehen?«

»Nein. Nein. Passt schon. Aber noch einmal, wie kommt ein Dackel auf ein so hohes Dach?«, schweifte sie sofort vom Thema ab.

»Das weiß ich nicht. Wir sollten auf die Spurensicherung warten, was die alles herausgefunden haben.«

»Auf jeden Fall. Aber dieser versuchte Einbruch. Wenn es denn überhaupt einer war? Da macht sich einer die Mühe und schneidet ganz vorsichtig ein Loch in die Fensterscheibe. Ich wüsste nicht einmal, wo ich das entsprechende Werkzeug herbekomme. Dann öffnet er leise die Tür, ohne dass die schlafenden Hausbewohner etwas mitbekommen, und dann nimmt er nichts weg, rein gar nichts. Entweder sie haben nichts bemerkt oder sie lügen.«

»Die Einbrecher sind gestört worden. Wahrscheinlich von dem Hund. Dann sind sie schnell abgehauen, haben den Hund aber vorher noch zum Schweigen gebracht.«

»Getötet? Aber ja, das könnte sein. Es klärt aber immer noch nicht den Tatbestand wie der tote Dackel in die Dachrinne kommt. Oder? Und wenn diese Töle die Einbrecher entdeckt hätte, müsste er doch gebellt haben, dass bekommt jeder im Haus mit und vielleicht sogar die Nachbarn. Wer hat die Nachbarn eigentlich befragt, Kreiti?«

Er hasste es, wenn sie Kreiti zu ihm sagte, er biss sich auf die Lippen und antwortete: »Damit habe ich Polizeiwachtmeister Dallinger beauftragt. Er wird uns heute Nachmittag alles erzählen.«

»Aber wie kommt dieser Hund, wie hieß der noch mal, aufs Dach?«

»Joschi!«

»Was für ein komischer Namen für einen Hund. Heißen die Dackel bei euch in Bayern nicht alle Waldi, Wastl oder Max. Aber Joschi. Was für einen Namen? Joschi?«

»Der Name kommt von Joshua. Ein davon abgewandelter Spitzname.«

»Wer nennt denn seinen Hund Joshua?«

»Keine Ahnung.«

»Wer kam denn bei deinem Hund auf den Namen Gizmo. Und was bedeutet das?«

»Den Namen hat der Vorbesitzer ausgesucht. Ich habe den Hund aus dem Tierheim. Gizmo ist der Name für einen Mogwai.«

»Ein Mogwai? Was soll das denn sein?«, lachte sie.

»Ein kuscheliges Wesen mit Fledermausohren. Aus einem Kinofilm in den 80 er Jahren. Gremlins hieß er. Kleine Monster. Ist bei euch wohl nicht im Kino oder Fernsehen gelaufen?«

Melanie Schütz blickte ihn wieder streng an.

»Ein Mogwai ist ein Fabelwesen«, fuhr er fort, »das sich leicht in ein Monster, in ein Gremlin verwandeln kann.«

»Hä?«

»Ja, wenn man ihm nach Mitternacht etwas zu essen gibt oder ihn mit Wasser bespritzt.«

»Aha! Und dann?«

»Dann werden die kuscheligen Mogwai zu Monstern. Sie vermehren sich und zeigen große Vorliebe für Zerstörung, Panik, Vandalismus und Chaos.«

»Also ganz so wie dein Hund, Alois. Jetzt verstehe ich es. Das macht Sinn.«

»Blödsinn! Mich wundert nur, dass Sie nicht schon früher mal danach gefragt haben.«

»Nach was?«

»Na, nach den Namen.«

»Ich habe mir bei dem Namen nichts gedacht. Und Gizmo und ich verstehen uns gut. Gell Gizmo.«

Melanie drehte sich nach hinten und kraulte Gizmo das Fell im Nacken. Es gefiel dem Hund, er wedelte mit seinem Stummelschwanz und gab Geräusche des Wohlfühlens von sich.

»So wir sind da. Polizeiinspektion Freising. Alles aussteigen.«

Gizmo hatte sofort bemerkt, dass sein Herrchen auf den Parkplatz des Polizeireviers gefahren war. Er stand auf seinen Beinen, bellte und wollte aus dem Auto.«

»Ja, ja, ich komme ja gleich«, rief Kreithmeier und öffnete die Fondtür. Gizmo nutzte die Gelegenheit und sprang mit einem Satz aus dem Wagen. Sofort rannte er zu Melanie und holte sich ein paar zusätzliche Streicheleinheiten ab. Kreithmeier murmelte nur »Verräter« und schritt voran.

Der wachhabende Polizist öffnete ihnen die Tür, dabei lächelte er die drei schelmisch an. Obwohl Gizmo den Wachhabenden freudig anbellte, konnte Kreithmeier einige verächtliche »Wau, Wau, Wauwau« aus dem Mund des Polizisten nicht überhören. Aha, dachte er, ohne darauf zu reagieren, es war also auch schon in die Haydstrasse vorgedrungen, dass der Leichenfund am frühen Morgen nicht menschlich gewesen war. In so einer kleinen Stadt wie Freising blieb nichts verborgen. Und die Leute von der Feuerwehr waren dafür berühmt, dass nicht nur ihr Wasserschlauch recht locker saß, sondern auch ihre Gosch.

Kreithmeier zwängte sich durch die schwere Eingangstür und hielt sie galant für seine Kollegin und seinen Hund offen, dann drehte er sich Richtung Treppenhaus, nicht ohne dem Polizisten noch kurz den Mittelfinger gezeigt zu haben. Der lachte nur laut auf und sprach sofort zu einem der Kollegen hinter der Panzerscheibe. Er hatte mit seiner Bemerkung Erfolg gehabt, das hatte die Reaktion des Kriminalhauptkommissars gezeigt.

Das Büro der Kriminalabteilung lag im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes. Die beiden Kommissare unterhielten zusammen ein großes Büro mit zwei Schreibtischen, einen Vernehmungsraum und eine kleine Teeküche mit Kaffeemaschine und Mikrowelle. Der Kaffee war genießbar und besser als der Automatenkaffee der Bereitschaft. Die Mikrowelle benutzte hauptsächlich Melanie Schütz für ihre diversen Convenience Produkte aus dem Supermarkt.

Gizmo lief zum Schreibtisch seines Herrchens und legte sich auf seine Decke. Er leckte sich die Pfoten und den Schritt, dann gab er Ruhe und beobachtete, was die beiden Menschen taten.

Kreithmeiers erste Tat im Büro war es die Kaffeemaschine einzuschalten. Hatte die Feuerwehr ihn doch heute aus seinem alltäglichen Morgenritual herausgerissen. Aufstehen, Zähne putzen, Waschen und Rasieren, Anziehen, dann mit Gizmo Gassi gehen, dann wieder zu Hause einen heißen Kaffee und zwei Scheiben Toast mit Marmelade genießen, das Freisinger Tagblatt lesen und eine Zigarette auf dem Balkon rauchen. Bis zum Gassi gehen und einer Zigarette an der frischen Luft war er gerade noch gekommen. Frühstück und Zeitung waren untergegangen. Und nicht wieder aufzuholen. Und wie er den blinden Aktivismus seiner Kollegin einschätzte, wurde jetzt die Planungstafel ins Büro geschoben, Zettel und Bilder darauf befestigt und mit abwaschbaren Filzstiften Linien und Pfeile dazwischen auf das White Board gezogen. Den ganzen Mist kannte sie entweder von der Thüringer Polizeischule oder aus dem Fernsehen: Aus ihren Lieblingssendungen Navy CIS oder CSI Miami oder aus dem Tatort. Seine bevorzugten Fernsehermittler, die Rosenheim Cops oder der Bulle von Tölz, brauchten diesen modischen Schnickschnack nicht. Die kamen immer nach 45 Minuten durch Fragen, Observieren oder Analysieren zum Erfolg. Die klassische Arbeitsweise der Kriminalpolizei.

Selbst auf die beiden von der Spurensicherung wollte er sich im Notfall nicht verlassen. Rainer Zeidler sah aus wie der ewige Student, nur nicht mehr so jung. Seine langen Haare trug er in einem Zopf, wahrscheinlich schon 30 Jahre lang. Niemand der Dienststelle konnte sich ihn ohne lange Haare vorstellen. Sie waren immer mit einem Gummiring sauber nach hinten zu einem Zopf gebunden. Zeidler war seit vielen Jahren bei der Spurensicherung. Er hatte vor der Polizei in der Qualitätssicherung von Weihenstephan gearbeitet. Damals hatte er noch dafür gesorgt, dass die gute Weihenstephaner Milch und die leckeren Joghurts in einem hohen Qualitätsstandard an die Verbraucher gehen. Jetzt untersuchte er nicht mehr Käse- und Schimmelsporen, sondern die jeweiligen Tatorte nach Fingerabdrücken, DNA Spuren und allerlei Hinweisen, die dem ermittelnden Kommissar helfen sollten, die Verdächtigen zu überführen.

Zu der Marotte mit den langen Haaren kam noch hinzu, dass er einen alten VW Käfer fuhr. In Kreithmeiers Augen eine alte Rostlaube, in Zeidlers Augen ein ehrenwerter Oldtimer mit Historie. Mit Rainer über alte Autos zu reden half nichts. Er hatte immer Recht. Zu jeder alten Rostbeule fiel ihm eine originelle Geschichte ein. Und er war sogar Mitglied in einem Oldtimerverein. Kreithmeier fuhr privat einen Golf 2, Baujahr 1992, mit über 180.000 Kilometern auf dem Tacho. Rainer meinte, dass der Wagen jetzt bald ein Youngtimer werden würde, wenn er den Wagen pflegen und hegen würde. Alois war der Wagen ziemlich egal. Das Vehikel musste ihn von A nach B bringen. Und für einen neuen hatte er kein Geld. Seit der Trennung von seiner Frau, war es finanziell nicht mehr ganz so einfach für ihn. Sie hatten zwar keine gemeinsamen Kinder, aber trotzdem musste er einen Teil seines monatlichen Salärs an sie abtreten. Einige Jahre noch. Dann hörte das auch auf. Wenn der Golf nicht mehr durch den TÜV kommen sollte, dann müsste er sich um einen neuen Fahruntersatz kümmern. Doch bis jetzt lief der alte VW noch. Und außerdem hatte er ja noch seinen Dienstwagen, einen Dreier von BMW.

Zeidlers Kollege Schurig dagegen war ein komischer Kauz. Wesentlich schlimmer. Ein rigoroser Korinthenkacker, Erbsenzähler. Keinen Humor, kein Lachen. Nur immer die Arbeit im Kopf. Mister Mikroskop, wie er gerne mal von den Beamten genannt wurde. Kurzgeschorene Haare, bleiches Gesicht, gerade Zähne, immer frisch rasiert. Stechend blaue Augen. Ehemaliger Chemiker bei Wackerchemie. Dann hierher nach Freising gezogen. Sicher nicht der Liebe wegen. Dallinger hat mal im Kaffeeraum den Spruch losgelassen, dass der Schurig seinen Namen geändert hätte, und zwar von Schaurig zu Schurig. Alle hatten gelacht. Und dass er, bevor er mit einer Frau etwas anfange, zunächst einen Abstrich machen würde und er mit Sicherheit in seinem Schlafzimmer ein Mikroskop stehen hätte. Kreithmeier hatte das nicht so lustig gefunden, doch die Kollegen hatten sich bei diesem Witz fast kaputt gelacht. Sogar Melanie Schütz fand das lustig. Seither hatte der Schurig seinen zweiten Spitznamen weg: Schaurig.

Melanie Schütz setzte sich auf ihren Bürostuhl, zog ihre Pumps aus, öffnete eine Schublade ihres Schreibtisches und stellte die Schuhe ordentlich dort unter. Aus einer anderen Schublade zauberte sie ein paar Rosa farbene Filzpantoffel hervor und schlupfte hinein.

»Ach, das tut gut. Jetzt habe ich diese Treter fast über 10 Stunden an. Mit kleinen Pausen. Eine unnatürliche Art des Laufens. Aber die Männerwelt will es so.«

»Wer schön sein will, muss eben leiden.«

»Diese dummen Sprüche gab es sogar in unserer Welt vor dem Mauerfall. Nun ja, in einem anderen Dialekt, aber der Sinn war der Gleiche.«

»Stimmt doch, oder?«

»Klischees. Nichts als Klischees. Ihr Männer wollt doch, dass wir Frauen immer Top aussehen. Lange rasierte Beine, keine Falten und immer ein Lächeln auf den Lippen. Und ist der Busen zu klein, verdient eine Armada an Schönheitsschnipplern ein Vermögen daran, das zu ändern. Und warum das alles? Nur weil ihr Männer niemals mit dem zufrieden seit, was ihr bekommen habt.«

»Und ihr Weibsleut wollt auch immer an uns herum schulmeistern. Jede Frau, die ich kennengelernt habe, wollte mich verändern. Man tut das nicht und man tut das nicht und so weiter. Frauen und Männer verstehen sich halt nicht.«

»Aber sie sollten zueinander finden. Und Männer sind wie junge Pferde, immer auf dem Sprung. Leicht zu erschrecken, vor allem mit zwei Worten.«

»Mit welchen zwei Worten?«

»Liebe und Heirat. Kurz ausgesprochen und schon rennen sie wild von der Koppel.«

»Schmarren.«

»Ach Kreiti lassen wir das. Das ist eine neverending Story. Und wir beide werden das nicht ändern. Kaffee?«

»Ja, bitte, mit Milch. Ein Schuss Milch nur.«

»Als ob ich das nicht wüsste. Wie lange kennen wir uns? Holst du mal bitte das White Board.«

»Das was?«

»Die weiße Tafel auf Rollen.«

»Ich ahnte es.«

»Was?«

»Das Sie wieder alles auf diese weiße Tafel kleben.«

»Und warum nicht. Dafür haben wir doch dieses Ding.«

»Immer dieses neumodische Zeugs.«

Melanie Schütz schüttelte den Kopf: »Ich hole uns erstmals Kaffee. Einen Schuss Milch für dich. Wie immer halt.«

Sie verschwand aus dem Büro und Alois hörte sie in der Teeküche klappern. Er setzte sich in seinen Sessel und lehnte sich zurück. Dabei kam ihm eine Idee. Er schnappte sich den Hörer, klappte sein Notizbuch auf und wählte eine Nummer.

»Ja, guten Tag, hier ist noch mal Hauptkommissar Kreithmeier, Frau Löbinger. Haben Sie in der Zwischenzeit Ihren Mann erreichen können? Nein, sagen Sie. Er hat doch sicher ein Handy. Keinen Empfang. Aha. Nein, sonst habe ich nichts weiter auf dem Herzen. Wann können Sie mit Ihren beiden Kindern bei uns sein? Ja um 16 Uhr, das passt. Gut, dann bis später.« Er legte auf.

Melanie kam zurück ins Zimmer und stellte ihm einen Becher dampfenden Kaffee vor die Nase.

»Danke«, und nippte vorsichtig an der heißen Tasse, »Die Familie Löbinger kommt um vier Uhr. Ist doch Okay.«

»Passt schon. Wir sollten vorher noch mit den beiden Freaks von der Spurensicherung gesprochen haben. Ich möchte wissen, an was der Hund gestorben ist und welche Fingerabdrücke sie im Haus gefunden haben.«

»Und wo ist die Tafel?«

»Hallo? Das war dein Job!«

Melanie verließ ein zweites Mal das Büro und kam nach ein paar Sekunden wieder zurück, eine schwere Magnetoplantafel vor sich her schiebend. Sie stellte sie provozierend vor Kreithmeiers Schreibtisch und lehnte sich lasziv daran.

»Und jetzt?«, fragte Kreithmeier gelangweilt.

»Jetzt machen wir unsere Arbeit«, sagte sie und trank einen Schluck Kaffee. Der Schaum machte ihr auf der Oberlippe ein kleines Bärtchen. Ganz langsam leckte sie den Schaum mit der Zunge ab. Dabei blickte sie ihrem Kollegen tief in die Augen. Sie liebte es ihn zu verwirren. Seit sie zusammen arbeiteten, duzte sie ihn, das hatte er sich nicht ein einziges Mal getraut. Er hasste es, wenn sie ihn Kreiti nannte und noch mehr, wenn sie ihn anbaggerte.

Alois Kreithmeier war in ihren Augen nicht unbedingt unattraktiv. Doch er machte sich bewusst oder unbewusst hässlicher als er tatsächlich war. Diese schrecklichen Anzüge aus dem Supermarkt. Kunstlederschuhe mit Plastiksohle ohne Fußbett. Darin konnte man nur schlurfen und nicht aufrecht gehen. Wie ein Mann! Und dann seine Frisur. Wer schnitt ihm die Haare? Sicher kein fachkundiger Frisör. Seine Mutter? Seit seine Frau ihn verlassen hatte, war er immer mehr verwahrlost. Auch zu Zeiten seiner Frau wirkte er immer älter als er tatsächlich war.

Und er hatte Übergewicht. Trotz kräftiger Arme und Beine hatte er einen Bauch. Einen Bierbauch. Oder Schweinsbratenbauch oder Knödelfriedhof, wie die Bayern sagten. Egal. Hier half nur Sport. Ausdauersport. Die paar Minuten mit Gizmo täglich in den Isarauen konnten da nicht helfen. Sie hatte ihm schon öfter angeboten, ihn mal beim Joggen mitzunehmen, doch Kreiti fand immer wieder eine Ausrede, um nicht mitzugehen. Obwohl, seit er den Hund hatte, er nicht mehr ganz so introvertiert war, wie kurz nach der Trennung von seiner Frau. Sie schaute ihn provozierend an und leckte sich ein weiteres Mal ihre Lippen ab.

Kreithmeier achtete nicht darauf, er kramte in seinen Unterlagen auf dem Schreibtisch, schnappte sich ein paar Papiere und Bilder, stand auf und befestigte sie mit Hilfe runder Magneten an der Tafel.

»Also! Hier haben wir die Löbingers. Unbescholtene Familie, zwei Kinder. Vater betreibt ein Baugeschäft.....«

»Wieso unbescholten? Baugeschäft? Da hängt immer Dreck dran. Ich habe gelesen, es gibt fast keine Baustelle mehr ohne kriminelle Machenschaften: Schwarzarbeiter, Bestechung, Betrug und Pfusch am Bau. Also das Unbescholten muss noch bewiesen werden. Richtig?«

»Frau Schütz. Können wir erst einmal unvorbelastet an die Sache herangehen. Und wenn Sie dabei so lange Ihre Weisheiten aus der Tagespresse etwas zurück stecken würden. Das wäre super.«

»Von mir aus. Nur mein Bauchgefühl sagt mir, dass nicht alles Gold ist was glänzt.«

»Immer diese Verallgemeinerungen. Schrecklich. Also weiter. Familie Löbinger. Zur Tatzeit im Haus, bis auf den Ehemann. Und wo der steckt, weiß gerade niemand. Dann das Haus. Versuchter Einbruch oder so ähnlich. Ein toter Hund in der Dachrinne.«

»Dackel! Ein toter Dackel!«

»Kollegin Schütz!«

»Kollege Kreithmeier?«

»Ja, ein Dackel. Und weiter?«

»Ein Dackel ist nicht so schwer wie ein Bernhardiner. Diesen Tatbestand sollten wir nicht unter den Tisch kehren.«

»Gut! Und was wiegt ein Dackel?«

»Ich weiß es nicht. Ich kann ja mal im Internet nachschauen. Aber er ist um einiges leichter als ein Bernhardiner, so viel ist sicher«, lachte sie und setzte sich an ihren Computer. Sie gab etwas ein und blickte konzentriert auf den Bildschirm.

»Ein Dackel wiegt maximal 9 Kilogramm, ein Bernhardiner fast 80 Kilogramm. Schon ein Unterschied. Was wiegt eigentlich dein Gizmo?«

Kreithmeier dachte nach. »15 bis 20 Kilogramm. Ich weiß es nicht genau. Habe nur mal geschätzt.«

»Okay. Könntest Du ihn ohne weiteres zehn Meter hoch werfen?«

»Niemals.«

»Na siehst du. Und einen Dackel? Acht Kilogramm Lebendgewicht?«

»Sicherlich nicht lebend, der würde sich wehren und mich beißen.«

»Aber tot?«

»Ich glaube schon.«

»Das heißt doch, jemand muss den Hund nach oben geworfen haben. Nur wer macht so etwas?«

»Ein Unfall?«

»Papperlapapp. Niemals. Wo bleiben die Freaks aus der Spusi? Die müssten doch schon erste Resultate haben. Ich ruf mal unten an.«

Melanie Schütz wählte eine interne Nummer.

»Ah, der liebe Rainer. Hat dich die Feuerwehr heute um deine tibetischen Übungen gebracht. Nicht. So viel Zeit muss sein. Da hast du Recht.« Mit dem Zeigefinger drehte sie ein paar Kreise vor ihrer Schläfe.

»Aha, ihr habt schon was für uns. Na dann kommt mal. Erster Stock. Nicht schwer zu finden. Immer der Nase nach. Habe heute Chanel Nummer 5 an. Rosenöl und Orangenschalen. Ihr Spusis müsst das doch erreichen können. Ja, bis gleich.«

»Was war das denn?«, fragte Alois Melanie.

»Na, ja, ich weiß, dass der Rainer jeden Morgen, komme was wolle, seine fünf Tibeter macht.«

»Was? Fünf Tibeter?«

»Das sind fünf Übungen, die den Körper und Geist gesund halten sollen. Würde dir auch mal gut tun.«

»Wieso denn das?«

»Ich meine ja nur. Die Fünf Tibeter sind eine einfach geniale Kombination von fünf Bewegungsabläufen. Sie gehören zu den ältesten fernöstlichen Methoden, Entspannung, Wohlbefinden und Fitness zu finden und somit neue Kräfte und Energien zu tanken. Mir kommt es so vor, als wäre es für dich nicht schlecht, wenn du mal deine Batterien, so für den Alltag, mit Energieübungen regenerieren und aufladen könntest. Du wirkst halt manchmal etwas verspannt. Sprich doch mal mit Rainer. Der macht das seit fünfzig Jahren.«

»So alt ist er doch gar nicht.«

»Du weißt nicht mal wie alt er ist, weil er immer jünger aussieht. Im Gegensatz zu dir.«

»Was heißt denn das jetzt wieder?«

»Das du älter aussiehst als du bist. Und das kann man sehr leicht ändern.«

»Mit den Tibetern?«

»Unter anderem. Ach lassen wir das. Verlorene Liebesmüh. Jeder so wie er will. Ein bisschen Yoga und Meditation kann nie schaden. Vielleicht hilft es dir sogar gegen deine Angst vor der Höhe.«

»Ich habe keine Höhenangst.«

»Das habe ich auch nicht gesagt. Aber du wirst mir doch Recht geben, dass es nicht zu deinen bevorzugten Hobbies gehört, Leitern, insbesondere Feuerwehrleitern in die Höhe zu klettern. Und in die Berge zieht es dich ja auch nicht.«

»Und was hat das jetzt alles mit unserem toten Hund zu tun?«

»Natürlich nichts. Es sollte nur mal gesagt werden.«

»Typisch Frau, ihr könnt die Männer nicht so lassen, wie sie sind, immer etwas daran herum zu mäkeln und herum zu ändern.«

»Wir wollten euch nicht unterbrechen. Ich mag diese Grundsatzdiskussionen zwischen Mann und Frau. Bitte macht ruhig weiter, wir können gerne auch später wiederkommen.«

Rainer Zeidler und Joseph Schurig standen in der Tür. Sie hatten zugehört. Alois und Melanie hatten sie nicht bemerkt. Wie viel sie von ihrer Grundsatzdebatte mitbekommen hatten, konnten sie nur erahnen. Etwas irritiert bat Alois sie hereinzukommen: »Was habt ihr für uns?«

»Einiges. Vorab: Die DNA Testergebnisse werden wir vor morgen früh nicht bekommen. Die KTU arbeitet noch dran.«

»Also?«, bohrte Alois nach. Melanie setzte sich auf ihren Schreibtisch und schlug ihre langen Beine übereinander. Rainer Zeidler fuhr fort mit seiner Erklärung, doch seine Blicke blieben an Melanies nackten Knien hängen, während Schurig steif daneben stand und nur auf die weiße Tafel starrte.

»Fangen wir mit dem Opfer an, dem Hund, ein Rauhaardackel, vier Jahre alt, 7,8 Kilogramm. Er ist erschossen worden. Kaliber 7,65. Könnte von einer Walther, einer Luger oder Ähnlichem stammen. Ich schätze auf Luger, eine alte Wehrmachtspistole. Schuss direkt in den Kopf. War sofort tot. Die Kugel ist durch den Hundekopf ohne Probleme durchgegangen. Er ist auf der Terrasse erschossen worden. Dort haben wir die Kugel gefunden und Blutspuren. Hülse leider keine. Aber es müsste eine Waffe mit Schalldämpfer gewesen sein. Wir haben fast keine Schmauchspuren auf dem Hund und auf der Terrasse gefunden.«

»Ich wusste gar nicht, dass es für die Luger einen Schalldämpfer gibt.«

Joseph Schurig nahm das Wort auf: »Die Luger war seit 1900 die Standardwaffe der kaiserlichen Armee, sie wurde auch unter dem Namen Parabellum bekannt. Entwickelt und erfunden von Georg Luger in Österreich. Anfangs mit Kaliber 7,65, später auch mit Kaliber 9 mm im Handel. Wurde später als P 08 berühmt. Im Zweiten Weltkrieg die Standardwaffe der deutschen Offiziere innerhalb der Wehrmacht. Es gab auch einen Schalldämpfer für sie. Später hat man.....«

»Danke das reicht, Joseph«, unterbrach Rainer Zeidler seinen Redefluss, »Joseph, unser wandelndes Lexikon.«

»Also eine Wehrmachtspistole. Mit Schalldämpfer. Höchstwahrscheinlich eine unregistrierte Waffe. Ein Relikt des Krieges. Wer hat so etwas? Waffennarren? Waffensammler? Kriegsfetischisten?«, fasste Kreithmeier zusammen.

»Wird schwierig sein. Wir haben eine Aufnahme der Kugel ans BKA und LKA geschickt. Vielleicht wissen die etwas. Okay. Weiter. Der Hund muss also nach seinem Ableben in die Dachrinne gekommen sein. Wie, das ist uns noch unklar. Geworfen? Von unten nach oben? Von oben nach unten?«

»Von oben nach unten?«, fragte Melanie.

»Ja, aus einem der Dachfenster.«

»Aha. Aber dann müsste der Dackelwerfer im Haus gewesen sein.«

»Richtig! Und im Haus haben wir keine Spuren finden können. Nichts.«

»Wirklich nichts?«, hakte Alois nach.

»Es gibt auch keine Spuren an der Tür. Wir haben die Kugel, aber keine Hülse, keine Fußspuren, keine Fingerabdrücke.«

»Wer hinterlässt bei einem Einbruch keine Spuren? Wer tötet kaltblütig mit einem Kopfschuss einen Hund und wirft ihn dann im hohem Bogen durch die Luft, so dass er in einer Dachrinne landet? Wer macht so was? Profis? Fanatiker?«

»Sicher keine Tierfreunde. Ein bisschen was müsst ihr ja auch noch tun, denn sonst bräuchten wir euch ja gar nicht«, laberte Rainer Zeidler.

»Hallo?«, feixte Melanie.

»Ich meinte ja nur.«

»Da haben wir noch viel zu tun, wenn ihr weiter nichts habt. Hat der Hund vielleicht jemanden gebissen?«

»Ob ihr es glaubt oder nicht, auch am Hund keine fremden DNA Spuren. Sein Gebiss war sauber, wie geputzt.«

Melanie rutschte vom Tisch. Dabei zog sich ihr Rock verdammt weit hoch. Rainer starrte auf ihren Schoss. Melanie glättete mit den Händen so gut es ging ihren Rock und warf Rainer einen strengen Blick zu. Wie ein ertappter Lausbub entzog er sich ihrem Blick und schaute betroffen auf den Boden.

Melanie stellte sich vor die Tafel und schrieb ein paar Stichpunkte auf. Dann drehte sie sich um und fragte Schurig: »Es ist doch komisch, dass ein toter Hund, über den wir anfangs noch gelacht haben, uns ein paar Rätsel aufgibt, die wir nicht so einfach lösen können, als es mir im Moment noch scheint. Nur ein toter Hund? Und was regen wir uns denn auf? Eine unbekannte Waffe. Ein vereitelter oder abgebrochener Einbruch. Zu mehr ist die Freisinger Unterwelt nicht in der Lage«, lachte sie. Und sie lachte immer heftiger und lauter.

Schurig stand wie versteinert da und sagte nichts. Auch Kreithmeier starrte die Kollegin an. Er wusste nicht, was er sagen wollte. Es war jetzt besser die Unseligen von der Spusi zu verabschieden, sie sollten Melanies hysterischen Anfall nicht mitbekommen.

»Okay, Jungs, das war schon mal recht ordentlich fürs Erste. Kommt morgen wieder, wenn ihr mehr wisst. Ihr habt Recht, jetzt müssen wir unsere Arbeit machen.«

Während Melanie weiter lachte und nicht aufhören wollte, geleitete Alois Kreithmeier die beiden Männer sanft aber bestimmt zur Tür. Nachdem er die beiden aus dem Büro geschoben hatte, verschloss er die Tür und setzte sich auf seinen Tisch. Melanies Lachen war ansteckend. Ob sie hysterisch war oder ganz einfach nur mit der Situation überfordert, das wusste er nicht, aber sie wollte einfach nicht aufhören zu lachen. Er sah sie an. Sie war eine hübsche Frau. Ihr Busen hob und senkte sich, ihr ganzer Körper zitterte vor Anstrengung, und sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Es war ansteckend. Kreithmeier fing auch an zu lachen. Sie hörten erst damit auf, als jemand von der Bereitschaft seinen Kopf durch die Tür steckte und rief, die Familie Löbinger wäre jetzt da.

Alois Kreithmeier und Melanie Schütz stellten sofort ihr Lachen ein, holten tief Luft und bedankten sich bei dem Beamten. Sie würden sofort kommen. Einen Moment noch.

»Frische Luft!«, rief Melanie und riss eines der Fenster auf. Die kalte Novemberluft brachte sie schnell wieder runter. Tief atmeten sie beide durch. Dann verließen sie das Büro, um sich um die Familie zu kümmern. Auf jeden Fall wussten sie jetzt einiges mehr. Ob es der Familie weiter half, zu wissen, wie ihr kleiner Hausfreund ums Leben gekommen war, das könnten sie auch noch später entscheiden. Vorerst wollten sie etwas mehr über die Familie, etwaige Feinde und falsche Freunde wissen. Und wo der Herr Vater geblieben ist, das wäre auch interessant. Ein letzter Blick auf die Wand, dann verließen sie ihr Büro.

Der tote Hund in der Dachrinne

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