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Tobias Löbinger

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Melanie Schütz rollte sich ein paar Spaghetti auf die Gabel und schob sie sich genüsslich in den Mund. Etwas Tomatensoße rannte über ihre Lippen, die sie sofort mit einer gekonnten Bewegung ihrer Zunge ableckte. Alois Kreithmeier hatte sich zunächst gesträubt, aber dann doch die Einladung zu »Pasta & More« in den Lindenkeller oberhalb der Freisinger Innenstadt angenommen. Es war ganz gut, mal von zu Hause wegzukommen. Saß er doch, seit seine Frau ihn verlassen hatte, fast jeden Abend allein vor der Glotze, seinen schnarchenden Hund neben sich und zappte durch die Fernsehprogramme.

Obwohl er seine Kollegin über fast zwei Jahre kannte, war er ihr noch nie so nah gewesen wie heute Abend, dachte er so für sich und schaute zu, wie sie eine Gabel nach der anderen dampfender in Tomatensoße getränkter Spaghetti in ihren sinnlichen Mund stopfte. Das letzte Mal saßen sie beim Essen zusammen, als Melanie ihren Einstand gefeiert hatte. Na, und das war eben zwei Jahre her, sinnierte er.

Ein blöder toter Dackel hatte dafür gesorgt, dass er diesmal nicht nach Hause geflohen war. Melanie kannte seine Leidensgeschichte, hatte alles mitbekommen, und ab und zu mit unterstützenden Worten versucht, ihn aufzurichten. Vor knapp zwei Jahren fing es an. Seine Frau und er hatten sich auseinander gelebt. Er arbeitete zu viel und sie zu wenig. Und das war das Problem. Er war nie da und sie hatte Langeweile. Und so begann sie eine Affäre mit einem Fliesenleger. Als er schließlich dahinter kam, war es schon zu spät. Ohne gemeinsame Kinder war die Trennung recht einfach. Eine Schuldfrage wurde von keinem von beiden gestellt. Jeder hatte wohl oder übel seinen Teil dazu beigetragen. Sie trennten Bett und Tisch. Die große Dreizimmerwohnung im Neustift wurde verkauft und die Möbel aufgeteilt. Seine Frau zog mit ihrem Fliesenleger zusammen. Und er suchte sich eine kleine Wohnung mit Balkon, die er sich leisten konnte: im Lerchenfeld, dem südlichsten Stadtteil von Freising, mit relativ vielen neuen Mehrfamilienhäusern. Und um nicht ganz allein zu sein, hatte er sich einen Hund zugelegt: Gizmo. Der knuddelige Hund, der sich jetzt unter dem Tisch an sein Bein schmiegte, hatte wenigstens einen zweiten Herzschlag in sein tristes Heim gebracht.

»Schmeckt es dir?«, fragte plötzlich seine Kollegin, störte seine Gedanken und brachte ihn zurück in die Wirklichkeit.

»Ja, lecker. Ich war schon lange nicht mehr aus. Und an meine letzte Pizza, die nicht aus dem Tiefkühlregal stammt, kann ich mich nicht mehr erinnern.«

»Ich finde es hier super. Viele Studenten hier, ganz gemütlich und die Preise sind in Ordnung. Was meinst du?«

»Ja, ja. Alles gut.« Kreithmeier war es nicht mehr gewohnt, Small Talk in einem Speiserestaurant mit einer hübschen Frau zu sprechen. Die letzten Jahre waren da eher bescheiden ausgefallen.

»Weiß du Kreiti, was mir aufgefallen ist, die Löbingers haben so sonderbare Namen, überhaupt nicht bairisch. Die sprechen auch nicht mal Dialekt. Wo kommen die her?«

»Ich weiß es nicht. Aus Freising?«

»Wie heißt der Vater mit Vornamen, kannst du dich noch daran erinnern, sie hat es uns heute früh gesagt?«

»Tobias, glaube ich.«

»Richtig Tobias.« Melanie schob sich eine Gabel Nudeln in den Mund, dann sagte sie mit vollen Backen: »Sara, Hannah, David, Tobias und Joshua.«

»Joshua?«

»Der tote Hund. Joschi war nur sein Spitzname.«

»Ja, du hast Recht.«

»Das sind alles jüdische Namen, wenn ich mich nicht irre.«

»Wie kommst du denn da drauf?«

»Also bei Sara und David, da weiß ich es definitiv, bei Joshua auch, bei Hannah und Tobias bin ich mir nicht ganz sicher.«

»Tobias heißt „der Herr ist mein Gut“«, klärte Alois sie auf, »Tobias ist auch ein jüdischer Vorname. Und Hannah kommt von Johanna. Auch ein biblischer Name, heißt so viel wie „Gnade oder Anmut“.«

Melanie pfiff anerkennend durch die Zähne: »Woher weißt du das alles? Das ist ja geil.«

»Meine Frau und ich wollten vor Jahren unbedingt ein Kind. Da hatten wir im Vorfeld schon einige Vornamen ausgewählt. Aber letztendlich hatte es nicht sollen sein. Also gut, zurück zu den Löbingers, alles biblische Namen. Könnten die Löbingers Juden sein? Und was spielt es für eine Rolle, und wenn, ja?«

Melanie legte ihre Gabel auf den Teller, putzte sich die Hände an der Serviette ab, griff in ihre Handtasche und zauberte ein Smartphone daraus hervor. Mit dem Daumen gab sie sekundenschnell ein paar Buchstaben ein.

»Hier Löbinger«, sie hielt ihrem Kollegen das Display vor die Nase, »schau mal. Namenkundelexikon. Löbinger ist ein jüdischer Name. Ein alter jüdischer Name, stammt von Levi: Sohn des Jakob. Du hast Recht. Die Löbinger sind alles Juden.«

»Es ist doch nicht verboten, Jude zu sein. Was wollen Sie mir damit sagen?«

»Gar nichts. Es war mir nur aufgefallen. Ich habe übrigens mal die Einkommensverhältnisse der Familie überprüft.«

»Wann haben Sie das denn getan, Frau Schütz?«

»Als du die Frau vernommen hast.«

»Und?«

»Und was?«

»Was haben Sie herausgefunden?«

»Ach so. Der Löbinger Bau geht es nicht so gut. Der letzte größere Auftrag war der Ausbau des Münchner Flughafens. Beim Terminal 2 haben sie mitgearbeitet. Das Vorfeld stammt von ihnen. Und einige Betonplatten, unter anderem auch für dieses riesige Parkhaus neben dem Airport Center.«

»Das ist aber schon 10 Jahre her. Was haben sie in der Zwischenzeit gebaut?«

»Sie haben am Flugplatz in Memmingen einen Auftrag gehabt, aber größtenteils sich mit kleineren Projekten über Wasser gehalten. Flugplätze werden ja auch nicht in der gleichen Anzahl gebaut wie Einfamilienhäuser. Es laufen im Moment Ausschreibungen in Wien, in Salzburg, für die Dritte Startbahn hier im Moos und eine am Flughafen Dortmund.«

»Und alle diese Bauvorhaben sind politisch noch nicht abgesegnet und schweben in der Luft. Gefährlich, sich auf so etwas einzulassen. Es wäre gut, wenn Sie da mehr recherchieren würden. Wer weiß was da noch alles zu Tage kommt?«

»Etwas Süßes, etwas zum Nachtisch, oder nur einen Espresso«, fragte Melanie ihren Kollegen.

»Einen Espresso, das reicht, Danke, ich habe sowieso viel zu viel gegessen. Und wenn ich da an Ihre Bemerkung von heute morgen denke. Übergewicht, zu wenig Sport, zu wenig Bewegung, und dass ich älter aussehe als ich tatsächlich bin. Wie alt ist eigentlich der Zeidler?«

»Wer?«

»Na, der Zeidler aus der Spurensicherung.«

»Ach der Rainer. Was schätzt du denn?«

»So alt wie ich.«

»Denkste. Der hat dieses Jahr seinen Fünfzigsten gefeiert. Da staunste was? Was so ein bisschen Sport und die richtige Ernährung alles bewirken können. Ich sage nur fünf Tibeter.«

»Dann hätte ich aber nicht mit essen gehen dürfen.«

»Jetzt übertreibst du es aber. Klar! Eine mittlere Pizza hätte es auch getan, und nicht die Familiale mit 33 cm Durchmesser.«

»Und Sie können ohne Probleme abends Nudeln, also Kohlenhydrate essen, und Sie nehmen nicht zu?«

»Mein lieber Kreiti, wenn du dich am frühen Morgen von deinem Hund durch die Nebelschwaden der Isarauen ziehen lässt, jogge ich durch den Kranzberger Forst, jeden Tag 8 bis 10 Kilometer. Das macht Kondition, muskulöse Beine, eine gut durchblutetes Herz und einen knackigen Hintern. Während deine Frischluftabenteuer nur eine Alibifunktion haben. Ohne Gizmo würdest du doch in deiner Bude an Sauerstoffmangel verrecken.«

»Also hören Sie mal.«

»Ja?«

»Ach, nichts. Einen Espresso. Nur noch einen Espresso, dann zahlen wir mal. Morgen ist auch noch ein Tag.«

Kreithmeier schaute nach der Bedienung. Er vermied den Augenkontakt mit Melanie. Sie hatte Recht, auch wenn es ihm schwer fiel, es zuzugeben. Seine Untätigkeit und vor allem seine kalorienhaltige Ernährung bestehend aus Fertigpizzen, Lasagne aus der Frischetheke und Dauerwürsten mit Senf und Sonnenblumenbrot hatten ihn in den letzten Monaten auseinandergehen lassen. Ohne Gizmo hätte er sicher gar keine Bewegung mehr. Und wann ist er das letzte Mal einem Autodieb oder Drogendealer hinterher gerannt.

Die Bedienung stellte zwei Espresso vor ihnen auf den Tisch. In dem Moment klingelte Kreithmeiers Telefon.

»Kreithmeier, Alois Kreithmeier. Ja bitte.«

Am anderen Ende meldete sich eine tiefe Männerstimme: »Huber, Ludwig Huber, Leiter des Sicherheitsdienstes am Münchener Flughafen. Spreche ich mit Hauptkommissar Kreithmeier?«

»Natürlich, mit wem denn sonst? Oder kennen Sie vielleicht zwei Alois Kreithmeier? Wo brennt es denn, dass Sie mich beim Essen stören müssen?«

»Ja brennen tut es nicht direkt, aber wir haben ein großes Problem, und Ihre Kollegen von der Bereitschaft in Freising haben mich an Sie verwiesen.«

»So, so, die Kollegen. Also was ist jetzt?«

»Sie müssen sofort kommen, es ist dringend, sofort.«

»So schnell schießen die Preußen nicht. Um was geht es denn?«

»Nicht am Telefon.«

»Also Herr Huber von der Sicherheitstruppe, wenn Sie mir nicht sagen, um was es geht, werde ich jetzt mit meiner reizenden Kollegin weiter essen, und Sie sollten doch dann lieber die Kollegen in Freising bitten, sich um Sie zu kümmern.«

»Also gut. Wir haben einen Toten.«

Kreithmeier legte das Telefon auf den Tisch, genau zwischen Melanie und sich, und schaltete den Lautsprecher ein.

»Einen Toten?«, wiederholte er ungläubig.

Melanie sah ihren Kollegen neugierig an: »Einen Toten?«, wiederholte sie leise und schmunzelte. Kreithmeier blickte sie strafend an und machte ihr mit Zeichen zu verstehen, dass sie leise sein sollte, der Mann am anderen Ende des Telefons könnte sie sonst hören.

»Ja, wir haben einen Toten gefunden. Der Tote ist nicht das eigentliche Problem, sondern eher der Fundort.«

»Eine Dachrinne?«, entfuhr es Kreithmeier plötzlich. Melanie lachte auf, verschloss aber sofort mit der Handfläche ihren Mund.

»Bitte was?«, klang es aus dem Lautsprecher.

Alois biss sich auf die Lippen, Melanie gluckste leise.

»Nichts! Ich hatte nur gerade laut gedacht«, entschuldigte er sich für seine blöde Bemerkung.

»Der Tote liegt auf der Startbahn. Und die muss morgen früh wieder frei sein, sonst haben wir hier ein Verkehrschaos.«

»Können Sie das bitte noch einmal wiederholen, ich habe es glaube ich, nicht richtig verstanden.«

»Wir haben einen Toten auf der Startbahn gefunden. Einer der Marshaller hat ihn entdeckt. Er ist erschossen worden, das konnten wir bereits feststellen. Und jetzt?«

»Wer ist der Tote?«

»Sieht aus wie ein Geschäftsmann. Anzug, Krawatte, teure Schuhe. Was sollen wir tun? Ich kann es nicht für immer geheim halten. Wenn die Presse davon Wind bekommt. Wir stehen schon genug in den Schlagzeilen. Also?«

»Wir kommen. Fassen Sie nichts an. Riegeln Sie den Fundort ab. Starten jetzt noch Flieger?«

»Ja, nur ein paar Wenige, die Post- und Paketmaschinen, und ein paar Nachtflüge. Das haben wir schon geregelt. Auf die zweite Start- und Landebahn umgeleitet. Aber morgen früh, wenn die ganzen Businessleute unterwegs sind, um die Welt zu retten, das wird ein Chaos. Die Leiche muss dann weg sein.«

»Herr, Herr...«

»Huber, Ludwig Huber!«

»Herr Huber, das wird sie, das verspreche ich Ihnen. Wo sollen wir uns melden, wir müssen aufs Rollfeld. Das ist Ihnen doch klar?«

»Ja, ja. Kommen Sie zu direkt zu uns zur SGM. Terminalstrasse Mitte, Nummer 18. Wir geleiten Sie dann zur Fundstelle.«

»Also noch einmal, riegeln Sie die Stelle ab, bitte nichts anfassen und der, der die Leiche gefunden hat, soll sich für uns bereithalten. Wer hat denn diagnostiziert, dass der Tote erschossen worden ist?«

»Das habe ich.«

»Haben Sie schon einmal eine Leiche gesehen?«

»Nein!«

»Woher wissen Sie dann, dass er erschossen worden ist?«

»Na ja, der Tote hat drei rote Löcher in der Brust.«

»Haben Sie die Leiche gesehen?«

»Nicht persönlich. Der Marshaller hat es mir gesagt. Drei Schusswunden mitten in die Brust. Dann gehe ich davon aus, dass er erschossen worden ist.«

»Kann sein, muss aber nicht. Wir sind unterwegs. Nichts anfassen!«

»Ich werde sofort alles abriegeln lassen. Niemand kommt mehr an die Leiche ran.«

»Gut. Bis gleich.«

Kreithmeier klappte sein Handy zu und blickte Melanie an.

»Und?«, fragte sie, als er nichts weiter sagte.

»Das Übliche. Spurensicherung und ein paar Männer von der Bereitschaft. Wir müssen uns beeilen, bevor die SGM Männer noch alle Spuren verwischen. Und wenn es ein Mord war, dann werden wir nicht lange auf die Mordkommission aus München warten müssen oder auf Männer vom LKA. Die mischen sich gerne ein. Vor allem bei einem so extravaganten Tatort wie dem Münchner Flughafen. Also volles Rohr werte Kollegin: Zeidler, Schurig. Und Dallinger soll ein paar Kollegen mitbringen. Trinken wir aus. Der Espresso wird sowieso schon kalt sein. Auf geht’s.«

Der Weg von Freising zum Flughafen war nicht lang. Als Kreithmeier den BMW über die Isarbrücke steuerte, konnten sie schon von weitem den vom Lichtermeer des Flughafens hellrot erleuchteten Himmel erkennen. Je näher sie heranfuhren, umso heller erschien der ansonsten dunkle Nachthimmel. Wie eine riesige Industrielandschaft erschien der Komplex vor ihnen. Tausende von Lampen, Lichterketten und blinkenden Sicherheitsbirnchen. Im Licht der Strahler glänzten die Flugmaschinen wie silberne Zigarren. Das alltägliche emsige Treiben hatte sich beruhigt. Nur wenige Busse und Dienstfahrzeuge fuhren auf dem Vorfeld. Alles war ruhiger, bedächtiger. Die Ruhe vor dem großen Sturm am nächsten Tag. Die Startbahn musste am nächsten Morgen wieder einsatzfähig sein. Es wunderte ihn sowieso, warum sie die Leiche nicht ganz einfach aufgeladen und woanders hingebracht haben. Zuerst kam der Flughafen, dann erst alles andere. Das hatte der Direktor der FMG, der Flughafen München GmbH, der Betreibergesellschaft des Flughafens München schon des Öfteren in seinen Reden oder gegenüber der Presse bekräftigt.

Für Kreithmeier war der Flughafen ein Monster, das sich langsam wie schwarze Antimaterie weiter ausbreitete und alles auffraß, was sich ihm in den Weg stellte. Zuerst die Eröffnung 1992 von Terminal 1. Zehn Jahre später Terminal 2. Und das über dem Landkreis Freising hängende Damoklesschwert der Dritten Startbahn mit einer weiteren Abfertigungshalle, die 2015 eröffnet werden soll. Millionen von Menschen wurden jedes Jahr durch die flachen futuristischen Gebäude geschleift. Und was hatte Freising davon? Ein paar Übernachtungen mehr von übermüdeten Flugzeugbesatzungen. Nicht mal eine S- oder U-Bahn Anbindung und leider keine zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen, weil das Areal nur halb zu Freising gehörte. Der Rest war Hallbergmoos und Erding. Und ein Toter, den das Monster auf die Landebahn gespuckt hatte. Wie waren da die Zuständigkeiten? Erding, Freising, München oder gleich das Landeskriminalamt? Und dann mischten ja noch Zoll, Bundesgrenzschutz und die SGM mit. Es würde kein einfacher Fall sein. Vielleicht wäre es am Besten, das LKA würde sich allein darum kümmern. Und er könnte mit seiner hübschen Begleitung wieder zurück in die Haydstrasse und dem toten Hund in der Dachrinne ihre Beachtung schenken.

Ein paar Minuten später parkte Kreithmeier den Dienstwagen vor der SGM, der Sicherheitsgesellschaft am Flughafen München mbH in der Terminalstrasse. Ein aufgeregter übergewichtiger Mann in einer dunkelblauen Uniform rannte auf sie zu und riss die Wagentür auf.

»Kommissar Kreithmeier?«

»Ja!«

»Ludwig Huber. Kommen Sie. Sind Sie allein? Wo ist Ihr Team«, fragte er nervös. Er schwitzte. Sein Gesicht war feucht. Und er atmete schwer.

Melanie Schütz und Kreithmeier stiegen aus. Gizmo sprang freudig bellend hinterher.

»Das ist meine Kollegin Melanie Schütz und das ist mein Hund Gizmo. Beide begleiten mich. Die Spurensicherung kommt noch, die brauchen immer länger, bis sie ihren ganzen Krempel zusammen gepackt haben.«

Als Gizmo den Sicherheitschef entdeckte, stellte er sich breitbeinig vor ihm auf und knurrte ihn an. Huber rückte einen Schritt zurück.

»Gizmo!«, rief Melanie scharf und sofort war der Hund still und blickte treu auf die Kommissarin. Kreithmeier blickte erstaunt auf seine beiden Partner. Es war unglaublich wie das Tier dieser Frau folgte, dachte er. Der Rüde war sicher schwanzgesteuert. So folgte er ihm selbst niemals.

Huber hielt gebührenden Abstand zu dem Rüden.

»Ist das ein Polizeihund?«, fragte er.

»Gewissermaßen.«

»Ungewöhnlich. Ich dachte, Sie haben nur deutsche Schäferhunde.«

»Gizmo ist eine Ausnahme. Und sehr zuverlässig.« Kreithmeier kraulte Gizmo den Nacken, während er sprach.

»Und wo liegt jetzt der Tote.«

»Auf dem vorderen Teil des Rollfelds. Wir fahren mit einem Marshaller Fahrzeug dort hin. Beamte des Bundesgrenzschutzes haben mit meinen Leuten zusammen den Fundort gesichert und abgeriegelt. Kommen Sie.«

Kreithmeier zog seine Jacke aus dem Wagen, schlupfte hinein und klappte den Kragen hoch. Obwohl es bis jetzt noch keine einzige Flocke Schnee gegeben hat, war es kalt, ein eisiger Wind fegte über das ebene Gelände des ehemaligen Erdinger Mooses. Für den Bau des Flughafens hatte man künstlich den Grundwasserspiegel gesenkt. Die Feuchte des Mooses war verschwunden und die regelmäßigen Nebelbänke hatten sich aufgelöst.

Ludwig Huber schritt voran zu einem schwarzgelb karierten Bus, der normalerweise für das Einwinken der Flugzeuge gedacht war. Er öffnete die Schiebetür und sagte: »Bitte nehmen Sie Platz. Wenn Ihre Leute kommen, wird sie ein Kollege von mir zu uns aufs Flugfeld fahren.«

Ludwig Huber nahm neben dem Fahrer Platz.

Kreithmeier, Gizmo und Melanie Schütz setzten sich hinter die beiden in den Bus. Gizmo freute sich, dass er dabei sein durfte, er legte sich ruhig zu den Füssen der beiden Kommissare und wedelte freudig mit seinem Schwanz. Seine beiden Fledermausohren waren aufgestellt, so als ob er jedes Wort mitbekommen wollte, was fortan gesprochen wurde.

Der Fahrer steuerte den Wagen zu einem Tor in der Flughafenumzäunung. Jemand vom Wachdienst öffnete und schon fuhren sie mit Blaulicht über das riesige Vorfeld an den Maschinen von Air Berlin vorbei, die seit einiger Zeit fast die gesamte Hälfte des Terminal 1 belegten. Nach einer breiten Brücke über die Anfahrtstrasse ging es auf einen der Taxiway bis auf die Startbahn. Aus der Ferne konnte Kreithmeier mehrere Blaulichter erkennen, die in einem Kreis mitten auf der Betonpiste aufgestellt waren. Abrupt bremste der Fahrer vor einem Jeep des Bundesgrenzschutzes.

»Folgen Sie mir!« Ludwig Huber sprang aus dem Bus und öffnete die Schiebetür. Galant bot er Melanie die Hand an um ihr herauszuhelfen. Sie hatte immer noch ihre Pumps und ihren Minirock an. Absolut nicht die richtige Bekleidung für einen Einsatz auf einem windigen Flugplatz, doch sie ließ nicht erkennen, dass sie fror. Sie hatten keine Zeit gehabt, sich umzuziehen. Und eigentlich musste sie die Klamotten seit Sonntagabend anhaben, dachte Alois. Sie waren gleich nach dem Dienst zum Essen gefahren. Und jetzt direkt vom Lindenkeller hierher. Der Wind zerzauste Melanie die Reste ihrer Frisur. Sie hielt sich wacker. Sie stand ihren Mann, dachte Alois, und sah dabei auch noch hübsch und begehrenswert aus.

»Wo liegt der Tote?«, fasste er sich schnell wieder und schob die Gedenken an den gemeinsamen Abend weg.

»Hier mitten auf der Startbahn«, sagte Huber und schob zwei Beamte mit automatischen Waffen zur Seite. Jetzt konnte ihn auch Kreithmeier sehen. Mitten zwischen zwei Farbmarkierungen lag ein Mann in einem eleganten Anzug und teuren Schuhen, so weit er das einschätzen konnte, auf dem Rücken. Das ehemals schneeweiße Hemd hatte sich dunkel verfärbt. Mitten auf seiner Brust waren drei schwarze Löcher im Hemd. Einschusswunden schlussfolgerte der Kommissar.

»Wer hat die Leiche gefunden?«

»Einer unserer Marshaller, einer der Einwinker der Flugzeuge. Normalerweise warten sie am Ende der Landebahn auf die Maschine und geleiten sie dann persönlich zu ihrer jeweiligen Endposition. Und das auch nur, wenn das elektronische Einweisungssystem ausgefallen oder überlastet ist. Einer der Piloten einer landenden Maschine hat per Funk weitergegeben, dass etwas auf der Betonpiste liegt. Erst daraufhin ist jemand dorthin gefahren. Die Start- und Landebahnen sind tabu für Bodenfahrzeuge, nur im Notfall erlaubt: Feuer, Entführung oder bei einer Notlandung.«

Kreithmeier blickte den Toten an, dann den Leiter der Sicherheit und schließlich besorgt in den Himmel.

»Und Sie sind absolut sicher, dass in der nächsten Zeit hier keine Maschine landen wird, auch nicht aus Versehen?«

»Die Landebahn ist gesperrt. Und wir haben jetzt Nacht, da gilt das Nachtflugverbot. Am Flughafen München ist deshalb zur Nachtzeit Flugbetrieb nur mit besonders lärmarmen Flugzeugen und nur in eingeschränktem Umfang zugelassen. Die ersten Maschinen starten wieder um 5.45. Bis dahin sollten Sie mit Ihrer Arbeit fertig sein.«

Kreithmeier starrte wieder auf die Leiche. Dass der Mann tot war, schien außer Frage. Den Beweis musste er nicht erbringen. Was jetzt von Interesse sein sollte, war der Fundort auch der Tatort, und seit wann lag die Leiche hier und vor allem wie kam sie hierher. Der Flughafen war von allen Seiten mit einem über drei Meter hohen Maschendrahtzaun mit Stacheldraht eingezäunt. Überall Patrouillen von Beamten des Bundesgrenzschutzes und des Zoll. Wie sollte da jemand hineinkommen und vor allem warum? Warum tötete man jemanden hier und legte dann die Leiche an einen so exponierten Ort? Was wollte der Mörder damit sagen? Kreithmeier suchte nach seiner Begleitung. Gizmo hatte er im VW-Bus gelassen. Der würde hier jetzt nur alle verwirren, anknurren und anbellen und herumspringen. Da war er im Bus besser aufgehoben.

Melanie Schütz hatte sich weiße Silikonhandschuhe angezogen und untersuchte vorsichtig die männliche Leiche. Der Mann kam aus gutem Hause, hatte schwarzes leicht gelocktes Haar, manikürte Hände, einen guten Schneider und keine billigen Schuhe an. Er musste um die 40 sein, vielleicht sogar älter, maximal 43. Kein Arbeiter, ein Bürogänger. Er sah auch nicht aus wie ein Krimineller, Drogenhändler oder Waffenschieber, der einer internen Säuberungsaktion zum Opfer gefallen war. Nein, er sah aus wie ein unbescholtener Familienvater, auf dem Weg nach Hause nach einem arbeitsreichen Tag. Ihrer Schätzung nach war der Tod noch nicht lang eingetreten. Der Körper war zwar schon kalt, aber das konnte auch am eisigen Westwind liegen. Vorsichtig griff sie dem Toten in die Innentasche seines Sakkos. Und sie hatte Glück. Zwischen Zeige- und Mittelfinger fischte sie eine Brieftasche hervor.

»Kreiti, schau mal, ich habe seine Brieftasche.«

Melanie kam ihm entgegen und hielt sie vor einen Scheinwerfer eines der Fahrzeuge. Sie klappte sie vor seinen Augen auf und beide starrten wie versteinert auf einen Personalausweis, der in einem Fach steckte. Durch die durchsichtige Plastikabdeckung hindurch konnten beide zusammen den Namen lesen. Und fast gleichzeitig blieb ihnen ein Aufschrei im Hals stecken. Auf dem Ausweis stand in sauberen Maschinenlettern: Tobias Löbinger.

Kreithmeier hatte sich als erstes wieder im Griff: »Löbinger, Tobias Löbinger, der Ehemann von Sara Löbinger. Das gibt es doch nicht. Träume ich?«

»Nee, leider nicht. Das ist wirklich der Gute. Ich habe seine Firma ja im Internet gegooglet. Und da war ein Bild von ihm auf der Homepage. Er ist es tatsächlich. Der Baulöwe Tobias Löbinger. Erschossen. Mit drei Kugeln in die Brust. Es sieht aus wie eine Hinrichtung. Wie sollen wir das nur der armen Frau erklären?«

Melanie und Alois schritten wieder zurück zum Fundort. Ludwig Huber hatte bemerkt, dass die beiden etwas im Scheinwerferlicht betrachtet hatten und kam neugierig auf sie zu.

»Was Neues? Kennen Sie den Mann?«, fragte er.

»Nicht direkt. Wir haben nur seine Brieftasche. Somit können wir von seiner Identität ausgehen. Aber solange die Spusi nicht ihren Job gemacht hat, sind das alles nur Spekulationen. Ich möchte mich gerne mal mit dem Mann unterhalten, der die Leiche gefunden hat.«

»Selbstverständlich. Hier entlang. Er sitzt in einem der Busse des Grenzschutz.«

Der Marshaller, ein junger Mann von maximal 26 Jahren, saß leicht zitternd an einem Tisch im Bus der Polizei.

»Kommissar Kreithmeier, Polizei Freising, ich leite die Ermittlungen und hätte ein paar Fragen an Sie.«

»Jürgen Tischler, Einwinker auf dem Vorfeld.«

»Danke, die Personalien nehmen wir später auf. Erzählen Sie bitte der Reihe nach, was passiert ist.«

»Es muss so gegen 20 Uhr gewesen sein, da hat der Pilot der Air Berlin, Flug Hamburg-München, am Tower gemeldet, dass etwas auf der Landebahn liegt. Sie hätten einen Schatten im Licht des Bugscheinwerfers entdeckt und auch die Bugkamera hätte etwas aufgezeichnet. Nun das ist für uns nichts Neues. Es kann immer mal passieren, dass der Wind Äste oder andere Dinge auf die Landebahn weht oder Reifenteile herumliegen. Die werden dann natürlich sofort beseitigt. Und die Betonplatte wird immer wieder von einer Kehrmaschine abgebürstet. Ich habe also vom Tower die Anweisung bekommen zwischen zwei Slots die Sachlage zu überprüfen. Sicherheit steht an erster Stelle und Fremdkörper auf der Landebahn sind ganz einfach gefährlich. Sie könnten bei einem Start von den Triebwerken angesaugt werden. Gar nicht auszumalen was da alles passieren könnte.«

»Ist ja gut, verstehe ich alles. Aber bitte kommen Sie zum Punkt!«, hakte Kreithmeier ungeduldig nach.

Der Marshaller fuhr fort: »Ich musste mich beeilen, denn die nächste Maschine war im Landeanflug, und um sie zur zweiten Landebahn umzuleiten, hätte sie durchstarten müssen also......«

»Mussten Sie sich beeilen?«

»Ja!«

»Und dann?«

»Ich bin zu der besagten Stelle gefahren und da habe ich ihn gefunden. Tot. Mit drei Löchern in der Brust.«

»Das konnten Sie in der Dunkelheit sofort feststellen?«

»Ja, klar. Ich habe immer eine Taschenlampe im Fahrzeug und außerdem wird die Bahn, wenn sie in Betrieb ist, von den angrenzenden Bodenlampen ganz gut ausgeleuchtet.«

»Sie schauen zu viele Tatorts, deswegen können Sie ohne weitere Ausbildung ohne Probleme eine Diagnose abgeben?«, fragte Kreithmeier den Mann provozierend.

»Ja, woher wissen Sie?«

»Weil jeden Sonntag Millionen von Deutschen Tatort sehen und eineinhalb Stunden lang, sich die Meisten davon in ermittelnde Kriminalkommissare verwandeln und gegenseitig Wetten abgeben, wer der Mörder ist.«

»Das wusste ich gar nicht.«

»Es gibt ganze Tatort Clubs und Vereine.«

»Ach was?«

»Hallo, können wir bitte wieder zurückkommen auf den Toten auf der Landebahn.«

»Entschuldigung, natürlich.«

»Ein paar Fragen noch. Waren Sie allein im Fahrzeug?«

»Ja.«

»Warum lag der Körper fast unbeschädigt auf der Betonpiste. Die startenden und landenden Flugzeuge hätte ihn doch überfahren müssen?«

»Zu dieser Zeit nicht. Ab 19 Uhr ist das Landeaufkommen wesentlich größer als das Startaufkommen. Die Businessflieger aus den Großstädten trudeln im Minutenrhythmus ein. Und der Tote lag hinter der Landepunktaufsetzmarke der Reifen. Ein paar Meter weiter vorne und Sie hätten von diesem Mann nichts mehr erkennen können. Die landenden Maschinen hätten ihn regelrecht wie Brotaufstrich auf den Asphalt geschmiert.«

»Eine sehr bildhafte Erklärung. Aber vielleicht ist das genau die Absicht gewesen. Eine ungewöhnliche Art und Weise eine Leiche unidentifizierbar zu machen und zu beseitigen. Nur haben der oder diejenigen sich verrechnet, den Leichnam zu weit nach hinten gelegt. Absicht oder taktischer Fehler?«

Die Schiebetür wurde plötzlich aufgerissen und Melanie Schütz stand vor ihnen. Ein freundlicher Soldat hatte ihr einen Parka mit Fellbesatz um die Schulter gelegt. Sie musste nicht mehr so frieren. Melanie zwängte sich in den Wagen und setzte sich neben ihren Kollegen.

»Es ist verdammt kalt hier draußen, und du sitzt hier im warmen Wagen. Wie aufmerksam von dir.«

»Ich hatte Sie gefragt, ob wir nicht noch schnell zu Ihnen nach Hause fahren sollen, damit Sie sich umziehen können. Aber „außer Indianer kennen keinen Schmerz“, habe ich keine Antwort bekommen. Wie ich sehe, hat sich Old Shatterhand schon um Sie gekümmert. Er hätte Ihnen nur noch seine warmen Hosen leihen sollen.«

»Ich liebe es, wenn du dir um mich Sorgen machst, Kreiti. Aber egal. Ich habe etwas entdeckt. Und Zeidler und Schurig sind auch schon da.«

»Aha. Die Herren der Spurensicherung haben es geschafft hierher zu finden. Hat jemand schon einen Bestattungswagen organisiert? Die Leiche muss in die Pathologie. Nach Freising ins Krankenhaus oder nach München in die Gerichtsmedizin? Das ist hier die Frage.«

»Wer wird überhaupt für den Fall zuständig sein? Eines ist ja klar, das alles hängt miteinander zusammen: der Einbruch, der tote Hund und jetzt sein Herrchen. Wie es aussieht, ist er in Salzburg oder Wien nie angekommen.«

»Was haben Sie denn gefunden?«

»Fußspuren! Und Reifenspuren!«

»Und wo?«

»Auf der Wiese, nicht weit vom Tatort entfernt.«

»Ich komme mit, und Sie, Herr Tischler, Sie warten hier. Rühren Sie sich nicht vom Fleck. Wir sind noch nicht fertig.«

Ludwig Huber war sichtlich überfordert mit der Thematik, dass jemand in seinem Flughafen eine Leiche abgelegt hatte, womöglich sogar hier vor Ort jemand erschossen worden war. Aufgeregt rannte er umher, sprach mit seinen Beamten, mit dem Grenzschutz und mit den beiden Männern der Spurensicherung, die angefangen hatten die Fundstelle zu untersuchen.

Bevor Zeidler und Schurig damit begonnen hatten, packten sie aus grauen Metallkoffern seltsame Gestelle aus, die sich später als Stützständer für Halogenstrahler herausstellten. Sie platzierten um den Fundort mehrere dieser Ständer auf, verkabelten alles mit dem Polizei Einsatzwagen und verwandelten die Nacht durch das grelle Licht der Halogenlampen in helllichten Tag. Dann begannen sie mit der Untersuchung der Leiche und dem Boden um den Fundort herum.

Kreithmeier begrüßte die Beiden mit einem schnellen Servus und folgte dann Melanie Schütz auf die Wiese. Ludwig Huber sah, dass die beiden sich von der Landebahn entfernten und folgte ihnen.

»Hier sind ein paar Fußspuren und etwas weiter weg ein Reifenprofil.«

Melanie deutete auf die feuchte Wiese. Kreithmeier bückte sich, kramte eine Taschenlampe aus der Jackentasche und leuchtete damit direkt auf einen der Abdrücke.

»Schuhgröße 46. Männlich denke ich. Es ist ein Profil wie bei einem Stiefel. Vibram-Sohle. Hier sind noch weitere Abdrücke. Der Boden ist zwar leicht gefroren, aber die Täter haben trotzdem Abdrücke hinterlassen, ganz im Gegensatz bei der Villa der Löbingers.«

Er leuchtete mit der Taschenlampe die Umgebung ab und hielt den Lichtkegel plötzlich direkt auf ein paar schwarze Springerstiefel gerichtet. Erschrocken fuhr er hoch und blickte in das ziemlich dämlich dreinblickende Gesicht Ludwig Hubers.

»Was machen Sie denn hier?«

»Ich bin Ihnen gefolgt.«

»Und warum, wenn ich fragen darf?«

»Na, ja, damit Sie vielleicht keine falschen Schlüsse ziehen sollten.«

»Wieso denn das?«

»Wegen der Fußabdrücke.«

Kreithmeier strahlte dem Sicherheitsmann direkt ins Gesicht.

»Und weiter?«

»Die Abdrücke könnten von mir stammen.«

Ludwig Huber hob den rechten Fuß und drehte die Laufsohle nach oben. Schuhgröße 46, Vibram-Sohle und Profil.

Kreithmeier leuchtete die Sohle an und dann wieder auf den Abdruck.

»Der Schuhabdruck ist von Ihnen, Herr Huber, hatten Sie nicht am Telefon gesagt, Sie wären noch nicht bei der Leiche gewesen?«

»Ja, das tut mir leid. Ich war schon hier und habe alles überprüft. Und ich habe mir Sorgen gemacht, wegen dem Flugplatz.«

»Darauf geschissen, Sie Vollidiot, Sie haben Spuren zerstört und sich wahrscheinlich auch noch überlegt, wo Sie den Toten hin schaffen können. Hauptsache Ihr Flugverkehr wird nicht gestört. Sie hätten sie gerne entsorgt, die Leiche? Das ist ja krank.«

Ludwig Huber schwieg, es war ihm peinlich, erstens, weil er den Kommissar angelogen hatte und zweitens, weil der seine Gedanken lesen konnte. Natürlich war er hier gewesen und hatte überlegt, ob er den Toten nicht ganz einfach von der Landebahn entfernen lassen und woanders hinlegen sollte. Der Gedanke war da. So hätte der Leichenfund keinen Einfluss auf den Flugverkehr gehabt. Aber zu guter Letzt hatte ihn die eigene Courage verlassen und er war unverrichteter Dinge zum Hauptquartier zurückgekehrt und hatte die Polizeidienststelle in Freising angerufen. Von denen hatte er dann die Mobilfunknummer Kriminalkommissar Kreithmeiers bekommen. Und jetzt waren die beiden Kommissare am Fundort. Es half nichts zu leugnen, sie würden es sonst später herausfinden.

»Ja, Sie haben Recht. Ich war schon einmal da. Aber die Reifenspuren sind nicht von mir. Und auch von keinem meiner Mitarbeiter. Wir fahren niemals übers Grüne. Ehrenwort.«

Kreithmeier war sauer auf diesen eingebildeten Pseudokriminalen. Hatte der allen Ernstes daran gedacht, im Sinne des Flughafens zu handeln, wenn er die Leiche ein paar hundert Meter weiter weg transportiert? Er schritt ohne ein weiteres Wort zu sagen zu Melanie Schütz. Huber drehte sich um und verschwand Richtung Landebahn im Dunkeln.

»Ein Trottel. Der wollte tatsächlich die Leiche verstecken oder über den Müll beseitigen, da wette ich, nur damit niemand gestört wird. Eigenartiger Mensch. Wie kann man nur so dummdreist sein«, sagte Melanie ziemlich erbost.

»Lass es gut sein, sind wir mal froh, dass der sich nicht bei der Polizei beworben hat. Also zurück zu den Reifenspuren, wo sind sie?«

»Hier entlang. Immer wieder mal gibt es Abdrücke auf dem Rasen. Das Unkraut ist zusammengefahren. Um diese Jahreszeit richtet es sich nicht mehr so schnell auf. Die Spur führt dort hinten in eine Ecke des Geländes. Dort kann ich irgendein Bauwerk erkennen, relativ flach, sieht aus wie aus Beton.«

»Sie haben Recht! Herr Huber, was ist das dort?«, fragte Kreithmeier ohne sich umzusehen.

»Herr Huber? Wo ist denn der hin? Herr Huber!«, rief er diesmal lauter.

»Ja! Hier!«, klang es aus der Ferne.

»Kommen Sie bitte noch mal!«

Wenige Augenblicke später stand Ludwig Huber wieder neben ihnen.

»Warum haben Sie sich vom Acker gemacht? Schlechtes Gewissen?«

Huber antwortete nicht.

»Was ist das da hinten?«

»Die Enteisungsanlage.«

»Die was?«

»Dort in dem Gebäude ist die Aufbereitung für die Enteisungsflüssigkeit. Mit den Tankwagen werden die Tragflächen der Flugzeuge bei Minustemperaturen besprüht, damit sie in der Luft nicht vereisen und somit die Sicherheit gefährden.«

»Aber wir haben im Moment keine Minustemperaturen.«

»Dann wird sie auch nicht benutzt. Warum fragen Sie überhaupt?«

»Weil wir Autospuren gefunden haben. Und diese scheinen von dort zu kommen. Folgen Sie mir, wir schauen uns das näher an. Gibt es dort Licht? Können Sie dort ein paar Strahler einschalten?«

»Leider nein. Im Bereich der Lande- und Startbahnen, und im Bereich der Taxiway, haben wir nur Lampen im Boden installiert. Alles andere wäre zu gefährlich, könnte leicht mit einem Flügel umgefahren werden.«

»Kommen Sie. Haben Sie eine Taschenlampe mit?«

»Selbstverständlich. Gehört zu unserer Standardausrüstung.«

»Und eine Waffe?«

»Nur im Notfall. Jetzt nicht.«

»Und mit was sind Sie bewaffnet?«

»Revolver, Smith and Wesson.«

»Wie die Cowboys. Schon mal was von Automatik gehört?«

»Ja, sicher. Aber der Revolver macht mehr Eindruck und leidet niemals unter Ladehemmung.«

»Jemals benutzt und damit geschossen?«

»Nur am Schießstand.«

»Na, ja. Seien Sie froh.«

Sie überquerten eine betonierte Fläche, die in einem U-Turn die startenden Maschinen auf die Startbahn lenken sollte. Dahinter war die Enteisungsanlage.

Wenn Flugzeuge über den Leichnam von Tobias Löbinger gerollt wären, wäre nichts von ihm übrig geblieben, dachte Kreithmeier. Die Piloten hätte das nicht einmal bemerkt. Bei knapp 200 bis 300 Tonnen pro Flugzeug. Nichts wäre übrig geblieben.

»Da ist der Bunker«, Kreithmeier zeigte mit dem Zeigefinger auf ein flaches Gebäude, »Die Reifenspur geht hier vorbei. Was ist da hinter der Betonfläche des Enteisungsareals?«

»Rechts ist ein Löschteich und links eine asphaltierte Fläche, auf die wir im Winter den Schnee hinschaffen, den wir von den Betonpisten abräumen.«

»Hier kommt bei dem jetzigen Wetter nicht so oft jemand her, oder?«

»Sie haben Recht. Schnee haben wir noch nicht und bei dem Wetter brauchen wir noch nicht zu enteisen.«

Melanie war ein paar Meter voraus gegangen. Alois sah ihr an, dass sie sich mit ihren hochhakigen Schuhen schwer tat, auf der unebenen Wiese nicht umzuknicken. Sie zeigte Haltung. Sie folgte der Spur bis zu einem asphaltierten Weg, der in einem großen Bogen vor der Umzäunung um das Areal führte.

»Die Reifenspur ist nur ein kurzes Stück über die Wiese gegangen, der Rest führt über die betonierten und asphaltierten Wege.«

Sie standen auf dem Weg, der am Maschendrahtzaun einmal um das gesamte Flughafengelände herumführte.

»Das vorne ist ein Tor!«, rief Melanie aufgeregt und rannte so gut es ging darauf los.

»Das ist für die Anlieferung der Zutaten für unseren Enteisungscocktail. Aber das Tor ist verschlossen und elektronisch gesichert, da kommt niemand durch.«

Melanie kam vor ihnen an und drückte gegen die eiserne Tür. Mit einem Quietschen bewegte sie sich und gab einen Spalt frei, durch den Melanie ohne weiteres hindurch schlupfen konnte.

»Das gibt es doch nicht, das hätte sofort Alarm schlagen müssen, wenn das Tor unbefugter weise geöffnet worden wäre.«

Kreithmeier leuchtete auf das Tor. Der Kasten mit der Elektronik war aufgeschraubt und einige Drähte hingen lose miteinander verbunden heraus.

»Das hat jemand geknackt, Ihr Schloss, und derjenige muss sich ausgekannt haben, er hat den Alarm kurz geschlossen. Und der Bundesgrenzschutz hat bei seinen Patrouillen nichts bemerkt, weil das Tor verschlossen schien.«

»Also sind die Täter oder sagen wir mal diejenigen, die den toten Löbinger aufs Flugfeld gelegt haben, hier hineingekommen«, fasste Melanie Schütz zusammen.

»Das heißt Frau Schütz, Sie gehen davon aus, dass der Löbinger schon tot war, als er hier hereingebracht wurde.«

»Er kann auch hier drinnen erschossen worden sein. Die Schüsse würde kein Mensch bei dem Motorenlärm hören. Oder sie hatten eine Waffe mit Schalldämpfer. Auf der Landebahn ist er auf jeden Fall nicht ermordet worden. Denn sonst wäre da mehr Blut zu sehen gewesen. Und neben oder unter der Leiche habe ich keinen Blutfleck entdecken können. Und bei einem Schuss ins Herz wäre der Leichnam fast ausgeblutet. Und da war nichts.«

»Gut kombiniert Frau Kollegin. Das ist mir auch schon aufgefallen. Warten wir mal auf die Ergebnisse unser beiden Freaks.«

Kreithmeier blickte durch die Eisenstäbe des Tores hindurch auf einige hell erleuchtete Gebäude am Horizont.

»Was ist da hinten?«, fragte er Huber.

»Einige Gewerbegebiete und die kleine Ortschaft Schwaig.«

»Schwaig? Klingelt es nicht da bei Ihnen Frau Kollegin?«

»Schwaig! Klar doch. Das ist der Sitz der Firma des Herrn Löbinger, die Löbinger Bau.«

»Die Löbinger Bau, die kenne ich, die sind gleich hier vorn im Industriegebiet Schwaig Nord. Die haben am Flughafen mitgebaut und bekommen immer wieder kleinere Aufträge. Ist der Tote der Herr Löbinger? Sagen Sie, ist er das?«

»Wahrscheinlich, aber behalten Sie das erst einmal für sich. Wir warten noch auf das Ergebnis der Spurensicherung. Aber wenn es stimmen sollte, sollte es seine Frau durch uns erfahren und nicht durch die Presse oder einen windigen Sensationsreporter. Verstanden?«

»Jawohl, natürlich. Ich behalte alles für mich.«

»Das ist auch das Beste, für Sie und für Ihren Flughafen. Wir wollen keine Gerüchte in die Welt setzen.«

Melanie war schon ein Stück zurückgelaufen und stand jetzt am Ufer des Löschteichs.

»Es sieht fast so aus, als ob ein Wagen hier direkt hinein gefahren ist«, sagte sie, als die beiden Männer sie eingeholt hatten.

Kreithmeier blickte auf die Spur am Ufer und dann auf das schwarze Wasser des Sees.

»Einen Wagen hier entsorgt? Ungewöhnlich? Und warum? Lassen Sie uns das Morgen untersuchen. Dazu bräuchte ich Taucher, und das hieße Formulare ausfüllen. Gehen wir erst einmal zurück zur Fundstelle und schauen wir mal, was Zeidler und Schurig uns bis jetzt erzählen können. Kommen Sie Frau Schütz, gehen wir. Es ist spät und ich werde langsam müde.«

Er bot ihr den Arm an, an den sie sich gern einhängte.

»Gute Idee, denn ich friere, und mir tun die Füße weh.«

Der tote Hund in der Dachrinne

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