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Die Staatsanwältin

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Rainer Zeidler und Josef Schurig sahen aus wie zwei Figuren aus einer anderen Welt. Sie hatten beide weiße Overalls aus Fallschirmseide an, trugen weiße Kapuzen und an den Händen weiße Aids-Handschuhe. Nur ihr Gesicht war unverhüllt. Selbst über ihre Schuhe hatten sie Plastiküberzieher gestülpt.

Alois Kreithmeier musste schmunzeln, als er sie unter dem Strahlerlicht werkeln sah. Es war für ihn kein neuer Anblick, doch unter dem Licht und dem dampfenden Beton – die Feuchtigkeit verdampfte unter der Hitze der Strahler – sah der Arbeitsplatz, der Fundort der Leiche, aus wie aus einem Science Fiction Film. Zeidler und Schurig verstanden ihr Handwerk. Obwohl keiner von Ihnen eine gerichtsmedizinische Ausbildung hatte, waren sie beide zusammen ein unschlagbares Team.

Es lag nur daran, dass sie beide in Freising wohnten, dass sie mit ihm zusammen arbeiten konnten, denn sonst hätte sie schon längst die Mordkommission München in Beschlag genommen. Bei Mordfällen im Landkreis Freising wurde immer gerne auf ihr Fachwissen Rücksicht genommen. Mordfälle waren eher selten in Freising und Umgebung. Die Kriminalitätsrate ging von Jahr zu Jahr zurück. Die letzten belegten Verbrechen waren ein Familiendrama im Lerchenfeld und der Mord an einer Kassiererin in einem Supermarkt. Ein Ladendieb hatte die Frau nieder gestochen, nachdem sie ihn nach bestem Wissen und Gewissen stoppen und zur Rede stellen wollte. Dafür hatte sie mit dem Leben bezahlt. Der 24 jährige Ladendieb hatte sie mit einer Klinge direkt ins Herz gestochen. Und vor zehn Jahren war ein junger Mann wegen seiner Kündigung Amok gelaufen, hatte zwei ehemalige Kollegen in Eching erschossen, dann in der Wirtschaftsschule in Freising den Direktor getötet, einem Lehrer ins Gesicht geschossen und sich anschließend selbst gerichtet. Doch das war zu einer Zeit, als Kreithmeier noch in Regensburg Dienst hatte. Er war erst 2003 nach Freising gezogen. Und das wegen seiner Frau.

Und er hatte es nicht bereut. Es war eine relativ kriminalistisch ruhige Stadt, und die sollte es auch bleiben, dafür wollte er schon sorgen. Und jetzt diese Geschichte. Ein toter Dackel in einer Dachrinne in einer herrschaftlichen Villa in Tuching. Das war an sich schon ein recht ungewöhnlicher Fall. Und vor allem kein Fall für die Mordkommission. Und jetzt dieser spektakuläre Leichenfund auf dem Flughafengelände. Er konnte sich schon vorstellen, wie die morgigen Schlagzeilen lauten würden, denn zu verheimlichen war die Geschichte nicht. Heute früh hatte sicher jemand aus der Nachbarschaft Bilder oder ein Video von ihm aufgenommen, als er über die Feuerwehrleiter auf das Dach hinauf geturnt war. Und Bilder von dem Toten auf dem Rollfeld konnte jeder der hier Anwesenden gemacht haben, um sie anschließend teuer an die Presse zu verkaufen. Dem Huber war nicht zu trauen und der Einwinker, dieser Jürgen Tischler, machte auch nicht gerade den intelligentesten Eindruck auf ihn.

»Mensch!», sagte Kreithmeier leise, »den Tischler habe ich ganz vergessen, der sitzt ja immer noch in dem Bus. Der muss warten. Zuerst mal zu den Jungs der Spusi.«

»Und was habt ihr für uns?«, fragte er die beiden dann.

Schurig blickte auf, kam auf ihn zu und stellte sich vor ihm auf: »Eine männliche Leiche, Anfang 40 bis maximal 45 Jahre alt.«

»43 Jahre alt. Um es genau zu sagen«, unterbrach ihn der Kommissar.

»Ääh! Woher???«

»Steht in seinem Ausweis. In der Brieftasche.«

»Wenn wir davon ausgehen, dass der Tote mit den Personalien in der Brieftasche identisch ist.«

»Wieso gehen wir denn nicht davon aus, Schaurig, äh entschuldige Schurig?«

»Solange wir keinen Abschlussbericht erstellt und abgegeben haben.....«

»Jetzt hör auf mit deinem Gequassel. Das ist der Löbinger. Hundertprozent. Aber mach weiter.«

»Also noch mal von vorne: eine männliche Leiche, 43 Jahre alt. Erschossen. Mit drei Schüssen. Wahrscheinlich Kaliber 7,65. Keine Hülsen, keine Kugeln. Also nur eine Schätzung.«

»Ja, ja. Weiter.«

»Der Tod trat etwa vor fünf Stunden ein, plus minus eine Stunde.«

»Es ist jetzt 23 Uhr. Also gegen 18 Uhr.«

»Plusminus eine Stunde. Genaueres nach der Obduktion.«

»Weiter!«

»Der Fundort ist nicht der Tatort. Keine Blutlache. Überhaupt kein Blut. Wenn dann nur sehr wenig. Der Leichnam ist hier abgelegt worden. Das ist jetzt schon sicher.«

»Irgendetwas Besonderes. Von einem Raubmord kann ja nicht ausgegangen werden?«

»Nein. In der Brieftasche befinden sich neben einem Personalausweis, Kreditkarten und auch 500 Euro in bar.«

Kreithmeier pfiff leise durch die Zähne. Viel Geld für einen Unternehmer, dessen Geschäfte nicht mehr so gut laufen.

»Und sonst? Habt ihr sein Handy gefunden?«

»Nein, nur die Brieftasche. Aber etwas ist mir aufgefallen. Das muss aber nichts bedeuten.«

»Und was?«

»Die Einschüsse in der Brust.«

»Was ist mit denen?«

»Sie sind eigenartig angeordnet.«

»Bitte was?«

»Alle drei Schüsse bilden zusammen den Buchstaben V. Und das kommt mir spanisch vor. Wenn ich auf jemanden schieße, und bin ich noch so ein guter Schütze, kann ich solch eine Anordnung fast niemals hinbekommen, denn nach dem ersten Schuss bewegt sich das Opfer, der Einschlag der Kugel in den Körper wirft das Opfer zurück. Das heißt ich müsste theoretisch das Opfer zwingen, sich wieder gerade hinzustellen, damit ich den zweiten Schuss platzieren kann. Das geht nicht. Denn der Erste könnte ja auch schon tödlich sein. Es waren insgesamt drei Schüsse, einer direkt unter dem Bachnabel, ein Bauchschuss, von dem stirbt das Opfer nicht sofort, aber die Wunde tut höllisch weh und das Opfer würde sich unter den Schmerzen krümmen und zusammen sacken. Der zweite Schuss ging vom Schützen aus gesehen links durch den linken Lungenflügel. Auch keine sofort tödliche Wunde, würde aber das Opfer umwerfen, und zwar nach hinten. Und der dritte Schuss war tödlich. Er ging direkt durchs Herz.«

»Das heißt also, dass der Mörder in genau dieser Reihenfolge auf den Löbinger geschossen hat? Ja?«

»Ja! In etwa. Zuerst Bauch, dann Lunge, dann Herz.«

»Und er konnte nicht die Schüsse in schneller Folge so abgefeuert haben?«

»Nein. Erstens ist es fast unmöglich auf ein lebendiges Ziel so genau zu treffen. Und die Schüsse bilden zusammen ein gleichseitiges Dreieck. Ich habe es abgemessen. Nur ein paar Millimeter Differenz. Und zweitens hat der Schütze mit der Reihenfolge etwas bezweckt. Er hat das Opfer spüren lassen, wie es langsam aber sicher stirbt. Der Herzschuss war sozusagen die Erlösung. An den beiden anderen Wunden wäre es ohne ärztliche Hilfe ein paar Minuten später gestorben. Ich habe gelesen, dass man mit einem Bauchschuss sogar bis zu zwei Stunden überleben kann.«

»Wer plant und macht so was?«

»Sicher nicht im Affekt. Das sieht nach Berechnung, nach Rache aus. Jemand wollte sich am Löbinger rächen. Aber das ist eure Aufgabe das herauszufinden.«

»Wenn ihr hier fertig seid, denkt daran, wir müssen die Landebahn bis Fünf Uhr geräumt haben, schaut’s mal bei der Enteisungsanlage herum und an dem Löschteich dahinter. Und macht ein paar Abdrücke der Reifenspuren. Die Sohlenabdrücke stammen von unserem lieben Herrn Huber. Sagt er wenigstens. Trotzdem, macht auch hier ein paar Gipsabdrücke. Wir sehen uns dann morgen. Wo lasst ihr die Leiche hinbringen?«

»In die Pathologie nach Freising.«

»Gut dann beeilt euch, bevor die Kasper aus München hier auftauchen.«

»Mögen Sie die nicht so?«

»Nein, die haben’s immer so wichtig, die Herren der Mordkommission. Für die sind wir nur Landeier. Bei uns passiert zu wenig. Doch den Fall lasse ich mir nicht wegschnappen. Und noch mal Danke für die Arbeit in Tuching. Die Arbeit an dem toten Zamperl war doch nicht ganz umsonst. Zuerst der Hund, jetzt sein Herrchen. Also bis morgen, Schaurig.«

»Schurig!«

»Ja, ja. Ich weiß schon, Sorry, bis morgen Schurig. Servus Zeidler. Kommen Sie Frau Schütz. Im Moment gibt es hier für uns nichts mehr zu tun. Gehen wir ein wenig schlafen. Es wird Zeit und morgen ist auch noch ein Tag.«

Es hatte immer noch nicht geschneit. Es war wieder wärmer geworden und die Blätter hatten sich durch die Feuchtigkeit in eine dunkelbraune glitschige Masse verwandelt. Der morgendliche Spaziergang mit Gizmo war nicht so wie sonst. Obwohl Gizmo sich freute, nach einer recht kurzen Nacht draußen auf dem Damm in den Isarauen herumzuspringen und seine Morgenzeitung zu lesen, in dem er an allem herumschnupperte, spürte er, dass sein Herrchen nicht bei der Sache war. Keine aufmunternden Worte, kein Stöckchen werfen, keine Leckerli mal zwischen durch und keine Streicheleinheiten.

Alois Kreithmeier steckte sich eine Zigarette an und lief wie in Trance auf dem erhöhten Weg, blickte auf seine Schuhe, die wie bei einem Roboter automatisch einen Schritt vor den anderen setzten. Sein Körper bewegte sich, seine Gedanken waren ganz woanders. Er ging die letzten 24 Stunden geistig noch einmal durch. Gestern um die Zeit klingelte sein Telefon, der Anruf der Feuerwehr, und ab da, war alles anders: ein toter Hund, eine Leiche und das alles an einem Tag in der Domstadt Freising. Dass die beiden Ereignisse zusammenhängen mussten, war jetzt auch den Chaoten der Spusi klar geworden. Die Witze und die blöden Anspielungen der Kollegen über den toten Dackel waren verstummt.

Eine Leiche an einer so exponierten Stelle wie auf der Landebahn des zweitgrößten Flughafens von Deutschland und immerhin des achtgrößten Europas war auch für die Freisinger Kollegen keine Alltäglichkeit. Kreithmeier wusste, dass die gestrige Nacht nur der Anfang war. Auf der Dienststelle würden sich jetzt sicher die Journalisten und Fotografen die Hand geben. Staatsanwältin Claudia Lehner wartete mit Sicherheit schon auf seinen Bericht. Und die Herren aus München, sei es von der Mordkommission oder vom Landeskriminalamt, saßen wahrscheinlich schon an seinem Schreibtisch, tranken seinen Kaffee und stöberten in seinen Akten.

Eigentlich könnte ihm das ja Recht sein, sollten sich die Großkopferten um den Fall kümmern, dann hätte er seine Ruhe. Also warum die ganze Aufregung? Aber er könnte natürlich auch versuchen den Fall zu lösen? Warum also klein beigeben und das Revier abgeben? Es war sein Fall. Und wenn er die letzten Jahre im Zeitraffer vor seinem geistigen Auge abspulte, wahrscheinlich auch sein größter Fall. Kein durchgeknallter Ladendieb oder depressiver Familienvater. Hier steckte mehr dahinter. Etwas Unheimliches, etwas Böses. Wer machte sich die Mühe einen Geschäftsmann so zu töten und dann den ganzen Aufwand, die Leiche auf die Startbahn zu legen? Könnte es sein, dass er mit diesem Fall überfordert würde? Auch dass mit dem Hund hatte etwas zu bedeuten. Ein Zeichen? Eine Warnung? Nein, eigentlich nicht. Der Löbinger wurde nicht gewarnt, sondern fast zeitgleich erschossen. Und es war nicht nur ein Täter, es mussten mehrere sein. Echte Profis. Keine Fingerabdrücke, keine Fußspuren, nur die Reifenspuren. Gut, resümierte Kreithmeier, ein paar Schuhe kann ich mit Plastiktüten abdecken, so dass ich keine Profilabdrücke im weichen Boden hinterlasse, einen Autoreifen wohl eher schwer. Vielleicht hatten die Täter den Wagen in den Löschsee entsorgt. Da mussten dann Taucher her.

Sollte Melanie Schütz sich darum kümmern, sagte er leise vor sich hin, sie hatte ja auch die Reifenspur entdeckt. Mit ihrem Charme würde sie dem THW oder der Feuerwehr sicherlich leicht ein, zwei Taucher abwimmeln, die in diese kalte Drecksbrühe abtauchten und nach einem vermeintlichen Wagen suchten.

Ganz in Gedanken hob er einen Stock auf und warf ihn nach vorne. Gizmo hüpfte hoch und rannte hechelnd dem Holzstück hinterher. Mit einem Sprung schnappte er es in der Luft bevor es auf den Boden fiel. Jetzt brachte er es in den Zähnen seinem Herrchen, um das Spiel zu wiederholen, doch das reagierte nicht. Kreithmeier zog an seiner Zigarette und blies den Rauch kräftig aus der Lunge. Gizmo legte das Stöckchen vor seine Füße. Doch Alois kickte es nur seitlich weg. Gizmo brachte es erneut, doch leider die gleiche Reaktion. Gizmo hatte schließlich verstanden, dass sein Herrchen nicht zum Spielen aufgelegt war. Er könnte ja mal weit weg rennen. Würde das sein Herrchen überhaupt merken? Wohl eher nicht. Kreithmeier schnippte die Zigarette ins feuchte Gras.

Und dann diese gezielten Schüsse, wahrscheinlich aus nächster Nähe, dachte Kreithmeier in sich versunken weiter. Das Opfer muss sie mitbekommen haben. Ein gleichseitiges Dreieck. Ein V. Nicht mal er hätte so etwas zusammen gebracht, obwohl seine Schußergebnisse auf dem Schießstand sich sehen lassen konnten. Woanders hatte er seine Waffe bisher nicht einsetzen müssen. Er hatte sie auch nicht immer dabei. Nach über zwanzig Jahren bei der Polizei, musste er die Waffe nicht ein einziges Mal während des Dienstes benutzen, geschweige denn überhaupt ziehen. Gott sei Dank. Aber ein V schießen, das war schwer. Was wollte der Täter mit dem V ausdrücken, überlegte er. V wie Vendetta, Rache, V wie Vergeltung? Oder V wie Verräter? V wie Victory, Sieg. Sieg über wen? Oder war die Anordnung der Schusswunden reiner Zufall?

Seine Überlegungen wurden gestört, als sein Telefon klingelte. Er zog es aus der Tasche und blickte aufs Display. Er kannte die Nummer, es war Melanie Schütz.

»Guten Morgen junge Frau, können Sie es nicht erwarten, bis ich im Büro bin. Sie haben doch selbst gesagt, ich muss was für meine Figur tun.«

»Das habe ich gesagt. Ich meinte aber nicht gemütliches Spazierengehen mit deinem Hund, sondern eine etwas schnellere Bewegung, Joggen oder Nordic Walking. Das einzige was deinen Kreislauf nach oben treibt ist dein Kaffee am Morgen. Das Hundegassigehen ist was für Rentner. Und soweit bist du ja noch nicht. Übrigens, guten Morgen. Ja, danke ich habe gut geschlafen. Ja danke, mir geht es gut. Ja, danke, meine Füße tun nicht mehr weh. Ja, danke, ich bin schon fleißig und im Büro. Und danke, ich habe mir nur einen kleinen Husten geholt. In der Kälte. Ja danke, ich war noch nicht beim Arzt. Ja, danke, ich fiere nicht mehr.«

»Sie lassen mich ja gar nicht zu Wort kommen. Schnappen Sie mal nach Luft. Also dann halt Guten Morgen. Was gibt es denn?«

»Wir haben etwas gefunden, das solltest du dir mal anschauen.«

»Was denn?«

»Einen Zettel in der Hosentasche des Toten.«

»Und was ist das, eine alte Tankrechnung, oder ein Bewirtungsbeleg für einen Swingerclub?«

»Aha, Chefchen, das ist wohl dein Morgenhumor. Na dann pass nur auf, dass es nicht bald schon dein Galgenhumor ist.«

»Haha. Also was haben wir denn gefunden?«

»Das zeige ich dir, wenn du im Büro bist. Machen wir es ein bisschen spannend.«

»Und wegen diesem Schmarren rufen Sie mich jetzt an.«

»Ich wusste ja, dass ich dich irgendwo mit Gizmo erwische. Also, soll ich schon mal den Kaffee aufsetzen?«

»Das ist ja das Mindeste. Komm Gizmo. Herrchen wird im Büro verlangt.« Kreithmeier legte auf.

Auf dem Weg ins Büro hielt er noch kurz an einer Apotheke, um für seine Kollegin ein paar Lutschpastillen gegen Husten mitzunehmen. Das war er ihr schuldig. War sie doch fast die ganze Nacht im Rock und hochhackigen Schuhen übers Rollfeld gestochert. Sie durfte jetzt nicht schlapp machen, er brauchte sie. Der Fall war nicht einfach. Und da wollte er nicht allein auf weiter Flur stehen.

Mit einer wilden Begrüßung stützte sich Gizmo auf Melanie, bis er von ihr hinter den Ohren gekrault wurde und einen Hundekuchen als Beute in seinem Maul davon trug. Kreithmeier bekam sofort einen Kaffee mit einem Schuss Milch serviert und dann stand Melanie herausfordernd vor ihrem Kollegen und wartete bis er den ersten Schluck getrunken hatte. Sie sah wieder unheimlich gut aus. Trotz der nahenden Erkältung und des Hustens. Sie trug diesmal einen eng anliegenden hellblauen Rollkragenpulli, Jeans und Turnschuhe. Alois blickte auf ihre Beine und schmunzelte: »Aha. Schnelle Schuhe. Wollen wir heute noch den Tätern hinterher hetzen?«

»Ich gönne meinen süßen kleinen Zehen eine Auszeit«, hüstelte sie, »Und die nächsten Tage werde ich mir keine Internet Dates gönnen können. Höchstens mal ein Erkältungsbad. Ich denke, wir werden viel zu tun bekommen.«

»Ich habe da was für Sie.« Kreithmeier reichte ihr die Plastiktüte mit den Pastillen.

»Der Hustinettenbär, ach wie süß, dass du an mich gedacht hast.«

Sprach es und ein leichter Hustenanfall folgte.

»Was ist denn das hier?«

»Wahrscheinlich die Apothekenrundschau. Hat die Dame in der Apotheke in die Tüte gepackt.«

Melanie Schütz zog eine Zeitschrift und ein Päckchen Papiertaschentücher heraus.

»Die Taschentücher kann ich gebrauchen, aber die Rentnerbravo, das ist noch zu früh für mich.« Sie warf die Zeitung in den Papierkorb.

»Apropos zu tun bekommen, was liegt denn an?«

»Einiges. Heute stehen folgende Termine an. Frau Löbinger, die Ehefrau über den Tod ihres Gatten benachrichtigen. Wir sollten eine Psychologin oder einen Arzt mitnehmen. Dr. Weinmeister hätte Zeit. Dann unsere liebe Staatsanwältin Claudia Lehner, sie erwartet dich schon sehnsüchtig. Sitzt oben in ihrer Kammer. Ist gar nicht erst nach Landshut gefahren. Dann Rainer und Joseph von der Spusi wollen uns heute nach dem Mittagessen sehen. Und einige Zeitungen und freie Reporter lassen seit heute früh das Telefon pausenlos klingeln. Es hat sich leider herumgesprochen, dass es einen Toten auf dem FMG Gelände gegeben hat. Und dieser Jürgen Tischler, derjenige der den Toten gefunden hat, kommt heute Nachmittag. Du wolltest ihn noch zu Ende vernehmen, was du gestern Nacht vergessen hast.«

»Ach du Scheiße! Machen Sie mal eine Pause, mir dröhnt schon jetzt der Kopf.«

»Och, das ist noch gar nichts. Zusätzlich haben sich zwei Herren vom LKA für heute Nachmittag angekündigt. Ob sie den Fall übernehmen wollen oder uns nur zur Seite stehen sollen, das weiß ich noch nicht. Ich denke, dass da unsere Staatsanwältin noch ein Wort mitreden wird. Und dann der Zettel, den wir bei dem Opfer in der Gesäßtasche gefunden haben.«

»Also, was ist das für ein Zettel?«

Melanie hatte den besagten Zettel die ganze Zeit in einer Plastikfolie hinter ihrem Rücken versteckt gehalten. Jetzt legte sie ihn mit einem triumphierenden Blick vor Kreithmeier auf den Schreibtisch.

Es war ein Zehn mal Zehn Zentimeter großes Stück Papier. In der Mitte war ein runder Kreis mit Bleistift aufgezeichnet, der mit einem Kreuz symmetrisch in vier gleich große Kuchenstücke zerteilt wurde.

»Was ist denn das?«

»Das wüsste ich auch gerne. Ein Kreis mit einem Kreuz. Etwas Religiöses? Eine germanische Rune? Man liest doch im Moment so viel über diese Neonazis, rechtsradikale Terroristen, Dönermorde. Und Löbinger war Jude. Könnte es damit zu tun sein?«

Kreithmeier nahm die Plastiktüte mit dem Zettel in die Hand und drehte sie. Außer diesem Kreis und dem Kreuz war nichts zu entdecken.

»Fingerabdrücke?«

»Rein und sauber wie die Unschuld vom Lande.«

»Was wissen Sie denn von der Unschuld?«

Melanie lachte. »Da hast du auch wieder Recht. Keine Abdrücke, nichts.«

»Und schon mal nach diesem Zeichen im Internet gesucht.«

»Kreiti, was denkst du denn. Das war doch das erste. Aber! Nichts! Nothing!«

»Komisch. Mir kommt dieses Zeichen bekannt vor. Ich habe es schon mal gesehen. Eine germanische Rune ist das nicht. Da bin ich mir sicher. Und wir müssen vorsichtig sein, was wir reden. Eine dumme Bemerkung und schon schießen sich die Pressefutzis auf ein Thema fest. Und wir müssen die Familie Löbinger schützen. Ein Beziehungsdrama scheidet für mich vorerst aus.«

»Das denke ich auch. Eher ein Racheakt. V wie Vergeltung oder Vendetta, Blutrache. Baumafia? Schutzgelderpressung?«

»Ich glaube nur das, was ich sehe, und ich meine, Sie haben zu viel Fantasie. Und Sie schauen zu viel diese CSI Sendungen.«

»Blödsinn. Das V ist mit Absicht gemacht worden. Das war kein Versehen eines schlechten Schützen. Aber vielleicht gehst du erst mal zur Lehner. Sie wartet schon brennend auf deinen knackigen Hintern.«

»Damit sie hineintreten kann.«

»So schlimm ist sie doch auch nicht.«

»Doch, vor allem seit sie mit Ihrem Tennislehrer ein Verhältnis hat. Zieht sich an wie eine 18jährige und meint alle Männer müssen sie anhimmeln und ihr zu Füßen liegen.«

»Ach, hat sie dich schon mal angebaggert?«

»Ja, oder so ähnlich.«

»Kreiti, Kreiti, du wirst doch nicht zu einem Womanizer aufsteigen.«

»Knalltüte!« er trank seinen Kaffee leer, winkte Gizmo kurz zu und trat dann seinen Gang nach Canossa an, seinen Gang zur einzigen Staatsanwältin der Stadt Freising: Claudia Lehner. Ihr Dienstsitz war normalerweise in Landshut, in der Maximilianstrasse, dem Gebäude der Staatsanwaltschaft, die unter anderem auch für die Landkreise Freising und Erding mitverantwortlich ist. Insgesamt sind dort über 35 Staatsanwälte beschäftigt, die in Vier Abteilungen aufgeteilt sind. Frau Lehner gehörte zu Abteilung I, Kapitalverbrechen, darunter fiel auch der Tatbestand eines kaltblütigen Mordes. Staatsanwältin Lehner hatte quasi die Patenschaft über den Landkreis Freising. Ihr kam zu Gute, dass sie in Marzling wohnte, kannte sich also mit den Gegebenheiten recht gut aus. Immer wenn ein Kapitalverbrechen in der Domstadt begannen wurde, verbrachte sie einen Teil ihrer Tätigkeit vor Ort. Hierfür hatte man ihr ein kleines Büro im Polizeirevier in der Haydstrasse eingerichtet. Spitzname: die Kammer des Schreckens. Doch das kam selten vor, da Kapitalverbrechen in Freising eben selten vorkamen.

Ausgerechnet heute saß sie in ihrer Kammer im obersten Stock, hatte von dem Leichenfund auf dem Flughafengelände mitbekommen, und wollte aus erster Hand erfahren, wie weit die Ermittlungen waren. Langsam kämpfte sich Kreithmeier die ausgetretenen Stufen hoch. Er hatte eigentlich selten mit ihr zu tun, und wenn, dann reichte es ihm wieder für ein paar Monate. Frau Lehner war Mitte 40, selbstverliebt und karrieregeil. Und das mit der Karriere war so eine Sache. Es passierte zu wenig in ihrem Bezirk. Und um leitender Oberstaatsanwalt zu werden, müsste sie dem amtierenden zunächst die Bremsleitungen durchschneiden oder mit dem bayerischen Justizminister ins Bett gehen. Und das war nicht so einfach, denn der Minister war eine Frau. Und sogar ein hübsche.

Kreithmeier schmunzelte, als er sich vorstellte, wie die beiden Frauen durch die Betten tollten. Auf so etwas ließ sich die Lehner nicht ein. Die war hetero. Das war sicher. Und die Staatsministerin? Egal. War uninteressant. Die Lehner war ja auf jeden Fall seit dem Sommer in festen Händen. In den festen Händen des Tennislehrers des Tennisclub Marzling, ein gut gebauter, muskulöser, vom Sonnenstudio angekohlter Kroate, der ihr beim Aufschlagtraining zu tief in die Augen und zu tief ins Dekolletee geschaut hatte.

Kreithmeier klopfte an die Tür, wartete nicht auf ein freundliches Herein, sondern öffnete sie sofort. Es war sein Polizeirevier und sein Fall. Und die Lehner war nur ein geduldeter Gast.

»Ach Herr Kreithmeier, hatte ich Sie schon hereingebeten?« Sie klappte wie ein ertappter Schuljunge ihr Handy zu und blickte den Kommissar fragend an.

»Sie wollten mich sprechen, Frau Staatsanwältin?«

»Ja, durchaus. Die Dinge überschlagen sich. Was sagen Sie? Der gestrige Tag war voller Überraschungen, deswegen bin ich heute hier in Freising geblieben, um mich von Ihnen auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Erzählen Sie mal mein lieber Herr Kommissar, was ist denn da los.«

Kreithmeier setzte sich ohne Aufforderung auf einen der beiden Besucherstühle vor dem Schreibtisch und gab in kurzen Worten eine Zusammenfassung der letzten 24 Stunden. Nur das Nötigste, war seine Devise, wollte sie Details, müsste sie anfangen zu lesen, die Berichte der Feuerwehr, der Bereitschaft, der Spurensicherung, von Melanie Schütz und von ihm selbst. Aber das wollte sie nie, dafür war sie zu faul. Und hatte zu wenig Zeit. Ja, so eine kroatische Sportskanone wollte bedient werden, dachte er, während er wie heruntergespult Rapport gab.

Sie sah richtig liebenswürdig und freundlich aus, mit ihren langen schwarzen Haaren, ihren dunklen verführerischen Augen und ihrem opulenten Busen, den sie ihm in einer engen Bluse über den Schreibtisch entgegen streckte. Kreithmeier rückte nach rechts, um nicht von einem Knopf ins Auge getroffen zu werden, den ihre beiden Brüste unter der gespannten Bluse zum Abreißen bringen konnten. Kreithmeier blickte nur noch auf den Knopf der Bluse. Wie hypnotisiert. Wenn sie sich jetzt weiter zu ihm nach vorne lehnte, dann war es um den Knopf geschehen. Und er musste davon springen. Kreithmeier schloss schon die Augen.

»Ist Ihnen nicht gut, Herr Kreithmeier?«, fragte Claudia Lehner und lehnte sich zurück. Die Spannung der Bluse fiel und der Knopf durfte weiterleben. Kreithmeier blinzelte die Staatsanwältin an.

»Es war eine kurze Nacht. Vielleicht bin ich noch etwas müde.«

»Dann trinken Sie einen starken Kaffee. Ich brauche sie heute noch. Um 16 Uhr ist Pressekonferenz. Bis dahin müssen Sie sich zusammenreißen. War schon jemand bei der Ehefrau?«

»Das wollten wir jetzt im Anschluss machen.«

»Wir? Ach Sie und Frau Schütz. Wie macht die sich denn so? Ist ja eine attraktive Frau.« Sie sprach es und kramte sofort einen Kosmetikspiegel aus ihrer Handtasche, machte einen Schmollmund und zog sich die Lippen nach. »Eine sehr attraktive Frau«, wiederholte sie ihre Worte.

»Mag sein. Ist noch was?«

»Nein vorerst nicht. Wir sehen uns dann um 16 Uhr in der Cafeteria. Dallinger lässt sie für eine Pressekonferenz provisorisch herrichten. Wir haben es zwar geschafft einen Papst aus Freising zu bekommen, aber eine eigene Staatsanwaltschaft, das kann dauern. Also bis später, Herr Kreithmeier.«

Der Kommissar murmelte etwas Unverständliches und zog die Türe zu. Er blieb hinter der Tür stehen und lauschte. Sie telefonierte wieder. Er hörte nur abgehackt einige Worte wie »mein Schatz, ja ich freue mich, heute wird es nicht so spät, bin ja in Freising, was kochen, ich kaufe noch ein, und dann machen wir es uns gemütlich.«

Kreithmeier langte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe und murmelte: »Ab 40 drehen die Weiber durch. Stellen fest, da war doch noch etwas, schmeißen einfach ihren Alten raus, oder ziehen selbst aus. Und suchen sich einen Jüngeren, der es ihnen mal wieder richtig besorgt. Meine mit einem Fliesenleger und Frau Staatsanwältin mit einem Tennislehrer. Und die Schütz versuchte es immer übers Internet. Vielleicht sollte ich das auch mal probieren? Zu alt bin ich ja noch nicht. Die Welt ist einfach bekloppt.«

Der Tag fing gut an. Und jetzt sollten sie auf jeden Fall zu Frau Löbinger fahren, bevor sie von Reportern oder Ähnlichem belästigt wird. Bis jetzt war über die Identität des Toten nichts durchgesickert. Und das war auch gut so. So blieb kein Platz für Spekulationen. Und der Baufirma des Toten sollten sie auch einen Besuch abstatten. Noch so viel zu tun; und der Tag hatte gerade erst angefangen.

Frau Löbinger öffnete die Tür. Sie war dezent geschminkt, hatte ihr Haar hochgesteckt und trug einen dunkelblauen Hausanzug.

»Sie schon wieder? Verdächtigen Sie uns immer noch, unseren eigenen Hund umgebracht zu haben?«

»Das haben wir niemals getan. Wir müssen Fragen stellen, auch wenn sie für den oder die Befragten unangenehm sein könnten. Aber deswegen sind wir nicht da. Dürfen wir hereinkommen?«

Sara Löbinger antwortete nicht, aber öffnete weit die Türe und trat zur Seite, damit die beiden Polizisten eintreten konnten. Sie schritt voran ins Wohnzimmer und bat die beiden sich zu setzen. Sie selbst ließ sich in einen bequemen Sessel fallen.

»Was wollen Sie noch von mir?«, fragte sie reserviert.

»Haben Sie von Ihrem Mann etwas gehört?«

»Nein. Sein Handy ist ausgeschaltet. Er wird in seiner Besprechung in Wien sein.«

Kreithmeier zog einen Notizblock aus der Tasche und notierte Handy.

»Sie sagten gestern, er hätte einen Mietwagen genommen. Welche Firma nimmt er gewöhnlich?«

Frau Löbinger überlegte kurz: »Sixt. Sixt am Flughafen. Er wird seinen Wagen dort abgestellt haben. Auf dem Rückflug kommt er dann mit ihm nach Hause. Den Mietwagen wird er am Flughafen in Wien abgeben.«

Kreithmeier notierte Sixt.

»Was für einen Wagen fährt Ihr Mann?«

»Einen Fünfer BMW, Kombi. Einen weißen. Kennzeichen FS-TL 254.«

»Haben Sie noch einen Zweitschlüssel?«

»Ja! Warum fragen Sie?«

»Später. Könnten Sie uns den Schlüssel geben.«

»Ja, natürlich!« Frau Löbinger stand auf und verließ den Raum.

»Haben Sie denn den Arzt informiert?« flüsterte Kreithmeier zu seiner Kollegin.

»Ja, er müsste gleich da sein.«

»Wir können es nicht länger geheim halten. Sie merkt, dass etwas nicht stimmt. Wo bleibt der bloß?«

Frau Löbinger kehrte kurze Zeit später mit einem Autoschlüssel zurück, den sie vor Kreithmeier auf den Couchtisch legte.

»Sagen Sie mir bitte jetzt, was los ist?«

»Sofort. Nur noch eine letzte Frage. Wissen Sie, wie es momentan um die Geschäfte Ihres Mannes steht?«

»Er erzählt nicht sehr viel. Da ist er sehr verschlossen. Ich weiß nur, dass wir sehr stark auf den Auftrag für die Dritte Startbahn hoffen.«

»Aber Sie wissen schon, dass sich das noch Jahre hinausschieben kann. Es laufen einige Klagen gegen die FMG. Der Ausbau ist zwar politisch abgesegnet aber die ganze Flughafenregion läuft dagegen an.«

»Ja, das weiß ich, deswegen versuchen wir die Aufträge in Österreich und in Dortmund zu bekommen. Trotzdem fängt die FMG im Frühjahr an, das Vorfeld am Terminal 2 auszubauen und bei der General Aviation neue Parkpositionen zu schaffen.«

»Was würde passieren, wenn Ihr Mann die Aufträge nicht bekommen würde?«

»Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall wäre das nicht gut. Es wird zwar im Moment viel gebaut, aber die kleineren Aufträge bringen nicht viel, sie beschäftigen zwar unsere Mitarbeiter, aber die Fixkosten werden nicht gedeckt.«

»Sie kennen sich relativ gut aus.«

»Manchmal schüttet mir mein Mann sein Herz aus. Aber mit Details verschont er mich.«

Es klingelte an der Haustür. Frau Löbinger erhob sich erneut und mit »einen Moment bitte«, verschwand sie im Hausflur.

In Begleitung eines Herrn, in Lodenmantel und mit einer Ledertasche in der Hand, kam sie zurück ins Wohnzimmer. »Es ist für Sie, ein Herr Weinmeister. Er sucht Sie.«

»Doktor Weinmeister? Endlich!«, sagte Melanie Schütz.

»Doktor?«, fragte Frau Löbinger neugierig.

»Ja, nehmen Sie bitte wieder Platz. Wir müssen Ihnen leider etwas mitteilen.«

Frau Löbinger sackte mit weit aufgerissenen Augen in den Sessel.

»Ist etwas mit meinem Mann?«

»Ja, leider. Wir müssen Ihnen mitteilen, dass Ihr Mann nicht mehr am Leben ist.«

Doktor Weinmeister stellte sich neben die Frau, die die letzten Sätze nicht hundertprozentig mitbekommen hatte.

»Bitte was?«

»Ihr Mann ist gestern Nacht verstorben. Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen.«

»Ein Unfall? Ein Autounfall?«

»Nein. So wie es den Anschein hat, wurde Ihr Mann Opfer eines Kapitalverbrechens.«

»Das kann nicht sein, was wollen Sie von mir, das ist nicht wahr.«

Frau Löbinger schob alles von sich, ihre Stimme wurde lauter und sie fing an zu weinen.

»Das glaube ich nicht, Sie müssen sich irren. Mein Mann ist in Wien.«

»Nein, so schlimm es auch ist, Ihr Mann ist tot. Der Doktor wird sich um Sie kümmern, wir lassen Sie jetzt erst einmal allein. Doktor Weinmeister, wenn Sie wieder aufnahmefähig ist, bräuchten wir Sie für eine Identifizierung in der Pathologie im Freisinger Krankenhaus. Ist das möglich?«

»Ich bleibe erst mal hier, gebe ihr ein Beruhigungsmittel und dann kann ich sie begleiten. Es wäre nicht so gut, wenn sie allein Auto fahren würde.«

»Gut! Rufen Sie mich an, wir treffen uns dann im Krankenhaus. Und wir bräuchten die Genehmigung von ihr, uns ein bisschen in ihrem Haus umzusehen. Am besten ohne Hausdurchsuchungsbefehl. Ist eleganter.«

»Bis später.«

Melanie Schütz und Alois Kreithmeier verließen die Villa.

»Glaubst du, dass sie was mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat?«, fragte Melanie auf dem Weg zum Fahrzeug.

»Schwierige Frage. Nach dieser Reaktion eher nicht. Es sei denn, sie ist eine großartige Schauspielerin. Und wenn, dann hat sie es nie selbst getan. Sie hat es in Auftrag gegeben. Und ihr toter Hund, der mögliche Einbruch? Nirgends ein Hauch von Spuren. Das waren absolute Profis und es waren mindestens Zwei. Und woher sollte eine unbescholtene Hausfrau solche Typen kennenlernen?«

»Ich weiß es nicht. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich wollte auch schon einige Männer in meinem Leben umbringen, aber ich hätte es selbst getan. Ihnen im Angesicht ihres Todes persönlich in die Augen schauen.«

Kreithmeier blieb abrupt stehen, drehte sich zu seiner Kollegin und fragte: »Muss ich mir Sorgen machen?«

»Hallo? War nur ein Scherz.«

»Behalten Sie lieber diese Art von Scherze für sich. Könnte leicht jemand falsch verstehen.«

»Ich hätte sie nicht mit der Dienstwaffe erschossen, keine Angst, ich hätte sie durch den Fleischwolf gedreht und den Schweinen zum Fressen gegeben. Männer sind Schweine.«

»Vielleicht sollten Sie, werte Kollegin, Ihre amourösen Abenteuer nicht im Internet suchen. Da tummelt sich doch Einiges an kranken Gehirnen.«

»Na und? Wenn sie doch gut Poppen können.«

Kreithmeier schwieg. Es hatte keinen Sinn hier nachzuhaken. Melanies biologische Uhr tickte. Das hatte sie ihm schon öfter erklärt. Und den Mister Right hatte sie bis jetzt noch nicht gefunden. Und ob das Internet das richtige Medium dafür war, musste noch bewiesen werden. Eines hatte er sehr schnell im Gespräch mit ihr feststellen können, dass es in der ehemaligen DDR keine sexuellen Hemmungen gegeben haben mag. Man konnte zwar keine Orangen und Bananen kaufen, aber für Sex war immer Zeit, und die Frauen drüben wussten, was sie wollten. Aber was er manchmal von seiner Kollegin halten sollte, das wusste er nicht. Auf jeden Fall musste der Sonntagabend bei ihr nicht so gut gelaufen sein.

Melanie spürte, dass ihr Kollege mit dem Thema Sex oder der Problematik der Beziehung zwischen Mann und Frau nur sehr schwer umgehen konnte. War wohl auch der Grund, warum sich seine Frau einen Jüngeren gesucht hatte. Diese Katholiken waren so verklemmt. Machten beim Sex auch noch das Licht aus, schmunzelte sie. Dabei sah der Kreithmeier gar nicht so übel aus. Aber in Bezug Frauen, hatte er einen Knall. Seit zwei Jahren duzte sie ihn und er siezte sie. Wenn das nicht bekloppt war? Abstand halten, nur niemanden zu nah an sich herankommen lassen. Man könnte ja verletzt werden. Was soll’s? Gehen wir Mörder suchen, dachte sie. Sie würde ihn weiter duzen, ihren kleinen verklemmten Kommissar aus der Oberpfalz.

Der tote Hund in der Dachrinne

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