Читать книгу Energiepolitik und Elektrizitätswirtschaft in Österreich und Europa - Axel Kassegger - Страница 11
ОглавлениеDas 2. Energiebinnenmarktpaket 2003
Mit dem „2. Energiebinnenmarktpaket“ 200324, dessen beide Richtlinien in der Literatur oft auch als „Beschleunigungsrichtlinien“25 bezeichnet werden, wurde der Prozess der Marktliberalisierung und der Verwirklichung des Energiebinnenmarktes in den Bereichen der Elektrizitätswirtschaft und der Gaswirtschaft beschleunigt fortgesetzt.
Die „2. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie“ vom 26. Juni 2003 stellte fest, dass die Haupthindernisse für einen voll funktionsfähigen und wettbewerbsorientierten Binnenmarkt unter anderem mit Netzzugang, Tarifierung und unterschiedlicher Marktöffnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten zusammenhängen. Zur Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarkts sei ein nichtdiskriminierender, transparenter Zugang zum Netz zu angemessenen Preisen von größter Bedeutung.
So legte die Richtlinie fest, dass die Mitgliedstaaten ihre Strommärkte für alle Kunden bis 1. Juli 2007 zu öffnen hätten. Es sollte also jedem Kunden zukünftig offenstehen, Elektrizität vom Lieferanten seiner Wahl frei beziehen zu können. Der Betreiber des Netzes, an das der Kunde angeschlossen war, musste dies zulassen. In Österreich wurde dies für den Stromsektor mit 1. Oktober 2001 und für den Gassektor mit 1. Oktober 200226 bereits davor umgesetzt.
Eine weitere wichtige Neuerung für die Mitgliedstaaten war die Verpflichtung, Regulierungsbehörden einzurichten, die von den Interessen der Elektrizitätswirtschaft vollkommen unabhängig sein mussten und Nichtdiskriminierung, echten Wettbewerb und ein effizientes Funktionieren des Markts sicherzustellen hatten. Mit der Gründung der E-Control durch das Energieliberalisierungsgesetz 2000 wurde auch dieser Punkt in Österreich bereits vor der „2. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie“ umgesetzt.
Auch die Auftrennung von zur Gänze vertikal integrierten Unternehmen, also Unternehmen, die sowohl Erzeugung/Import als auch den Netzbetrieb und somit die Verteilung als auch den Handel und Vertrieb durchführten und somit dem Stromkunden gegenüber eine De-facto-Monopolstellung hatten, wurde weiter vorangetrieben. Dieser unter dem Fachbegriff „unbundling“ bekannte Prozess wurde zunächst einmal auf der rechtlichen Ebene durchgeführt27.
Das Selbstverständnis der EU, was die Zuständigkeiten und Kompetenzen in energiepolitischen Fragen betrifft, wird im Punkt 31 der Präambel zur „2. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie“ klar zum Ausdruck gebracht: „Da das Ziel der beabsichtigten Maßnahme, nämlich die Schaffung eines voll funktionierenden Elektrizitätsbinnenmarkts, auf dem fairer Wettbewerb herrscht, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.“
Grünbuch der Kommission vom 14. Juni 2006
Ein sehr wichtiges Dokument für die gesamte Energiepolitik der Europäischen Union bis zum heutigen Tag war das Grünbuch der Kommission vom 14. Juni 2006 „Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“28, in dem erstmals ganz klar die drei primären Ziele der Energiepolitik explizit genannt wurden:
• Nachhaltigkeit
• Wettbewerbsfähigkeit
• Versorgungssicherheit
Darüber hinaus definierte das Grünbuch sechs vorrangige Bereiche für die europäische Energiepolitik der Zukunft:
• Energie für Wachstum und Beschäftigung in Europa: Vollendung der europäischen Binnenmärkte für Strom und Gas
• Ein Energiebinnenmarkt, der die Versorgungssicherheit gewährleistet: Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten
• Sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung: hin zu einem stärker nachhaltig ausgerichteten, effizienteren und vielfältigeren Energieträgermix
• Ein integrierter Ansatz für den Klimaschutz
• Innovation fördern: ein strategischer Plan für europäische Energietechnologien
• Auf dem Weg zu einer kohärenten Energieaußenpolitik
Der Vertrag von Lissabon 2007
Mit den Verträgen von Amsterdam 1999 und Nizza 2001 wurde die Europäische Union im Wesentlichen auf die Beitritte vieler Staaten des ehemaligen Ostblocks vorbereitet. Mit dem Beitritt von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern im Jahr 2004 und Bulgarien und Rumänien im Jahr 2007 umfasste die Europäische Union nunmehr 27 Mitgliedstaaten.
Eine ganz wesentliche Weichenstellung hinsichtlich der energiepolitischen Zuständigkeiten und eine klare Festlegung der energiepolitischen Kompetenz der Europäischen Union erfolgte mit dem Vertrag von Lissabon 200729. Er reformierte in erheblichem Umfang den Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag) und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag). Letzterer sollte fortan Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag)30 heißen.
Erstmalig wurde dem Thema Energie ein eigenes Kapitel gewidmet und festgestellt, dass Energiepolitik grundsätzlich in die Kompetenz der EU fallen sollte. Die entscheidende Rechtsgrundlage für die weitere Energiepolitik der Europäischen Union ist der Artikel 194 des AEU-Vertrages31, der aufgrund seiner Bedeutung nachfolgend im Wortlaut angeführt wird.