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Die zweite Wiederholung

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Mein Vater strich mir sanft mit der Hand über den Kopf. »Du musst aufstehen«, sagte er dann, das uralte Ritual wiederholend.

Der Lichtschein aus dem Flur traf meine Augen. Ich nickte, stand auf und achtete sorgsam auf die Legosteine. Ich eilte ins Bad, verrichtete meine Notdurft und versuchte allen Ernstes danach noch ein wenig an den Mathehausaufgaben zu arbeiten, bis ich mich, ohne Rücksicht auf die Ermahnungen meiner Mutter zu nehmen, doch zu frühstücken, auf mein Rad schwang und zur Schule fuhr.

An der Brederbachstraße angekommen machte ich eine Vollbremsung. Die Mauer war weg. Da war wieder das schmiedeeiserne Gitter, innerlich frohlockte ich. Ich hatte zwar noch keinen Plan, aber es schien mir so, als ob ich zu Hause angekommen sei.

Um die Straßenecke bog gerade ein Junge, Lars! Der arme Kerl, er wusste nicht, wie ihm geschah. Ich kam von hinten, riss seine Schultasche von der Schulter, warf sie über den Zaun auf den Friedhof und fuhr weiter zur Schule. Während der kurzen Fahrt bis zum Gymnasium kam mir in den Sinn, dass er sich vielleicht an mir gerächt hatte, als er mich in meinem ersten Leben gemobbt hatte, machte das Sinn?

Egal, ich musste noch die Hausaufgaben abschreiben, es war ein anstrengender Tag, aber meine Quote war etwas besser als beim letzten Mal.

Den Nachmittag verbrachte ich sofort in der Stadtbücherei. Nicht wirklich, um mir dort Bücher auszuleihen. Nein, ich vergewisserte mich, dass die Titel zu den richtigen Autoren passten. Versuchte mich zu erinnern, welche Bücher zu dieser Zeit noch nicht geschrieben worden waren. Da stand der Herr der Ringe in gewohntem Umfang. Andere Werke anderer Autoren waren entweder vorhanden, richtigerweise mit dem richtigen Verfasser oder sie waren eben noch nicht vorhanden, weil die entsprechenden Autoren sie noch nicht geschrieben hatten, bzw. noch schreiben würden. – Ich hatte einen Plan!

Den umzusetzen sich als nicht gerade einfach erwies. Es fing damit an, dass ich meiner Mutter ihre alte Schreibmaschine abschwatzen musste. Papier in ausreichender Menge war auch nicht so einfach aufzutreiben, aber nach ein paar Tagen brachte mir mein Vater aus dem Büro einen Stapel alter Briefbögen mit, die nicht mehr verwandt werden konnten, da der Vorstand gewechselt hatte. So tippte ich, was das Zeug hielt. Im Grunde musste ich ja nur abschreiben.

Alien, aus meiner Feder, wurde vom Heyne Verlag angenommen. Ich war gerade noch rechtzeitig damit gewesen. Das erste Paket mit meinen Büchern auszupacken, war wie ein Fest. Genauso hatte ich es mir vorgestellt, seit ich damals, in meinem ersten Leben, das erste Mal den Film zurück in die Zukunft gesehen hatte. Seit damals spukte es mir im Kopf herum, diese Szene selbst zu erleben, in der der Vater, am Ende des Films, das Paket mit seinen Romanen öffnet. Seltsam, ich weiß. Vor allem deshalb seltsam, weil es ja nicht wirklich meine Bücher waren. – Aber was meinst du, von wem so manches Buch stammt, dass du heutzutage so auf den Bestsellerlisten findest? Du würdest staunen.

Egal, das Lied von Eis und Feuer schloss sich dann an. Danach stürzte ich mich auf das Werk von Jack McDevitt, die Legende von Christopher Sim wurde ein Bestseller. Ich hatte meinen Weg gefunden und das ganz ohne Lottozahlen, Randolph Zoran sei Dank.

Als Wunderkind gehandelt, trat ich in diversen Fernsehshows auf und präsentierte dort meine Bücher, immer ein wenig in der Angst lebend, dass irgendwann jemand im Publikum aufstehen und »Plagiat« rufen würde – aber warum sollte das geschehen? Ich war früh genug dran mit meinen Werken.

Alien wurde verfilmt, es wurde ein Erfolg. Star Wars hatte ja den Weg geebnet. Ich sonnte mich in dem Erfolg. Mit achtzehn hatte ich bereits meine zweite Million zusammen, das war ja recht einfach gewesen.

Dann kam der Absturz. Alkohol und Drogen, trotz meiner mittlerweile doch eigentlich ausreichenden Lebenserfahrung verfiel ich zusehends. Ich hatte versucht, ein eigenes Werk zu verfassen, nicht mich bei anderen Schriftstellern zu bedienen – und war grandios gescheitert! Mein Buch, mein erstes eigenes Buch, kam bei Kritikern und beim Publikum einfach nicht an. Sicherlich, es verkaufte sich trotzdem, wurde aber nicht gelesen. Das Buch lag auf den Bestsellertischen, wurde gekauft, verschenkt, aber nicht gelesen! Niemand setzte sich in der ihm gebührenden Form mit ihm auseinander. Für mich war es ein Schlag. Mein Werk wurde nicht anerkannt, ich flüchtete mich für mehr als zehn Jahre in einen nebelverhangenen Alptraum aus Alkohol, Tabletten und noch einigen anderen Sachen, aus dem ich glücklicherweise irgendwann doch wieder herausfand. Die Schriftstellerei hatte ich trotz allem an den Nagel gehängt.

Ich versuchte etwas anderes, biederes, ich begann mit etwas über dreißig Jahren mit einem Maschinenbaustudium, das ich mehr schlecht als recht irgendwann abschloss. Gearbeitet habe ich nie, weder als Ingenieur noch sonst wie.

Mein Leben danach verlief kaum noch geradlinig. Ich versuchte einmal mit Lisa Kontakt aufzunehmen, aber die lebte ihr eigenes Leben, da war nichts zu machen. Frauen gab es, ja, die gab es zu Hauf, aber keine wirkliche Partnerschaft. Ich ging allein durchs Leben.

Mit fünfundvierzig Jahren erinnerte ich mich an den bevorstehenden Herzinfarkt. Ich ließ mich durchchecken, einen Stent einsetzen und durchlief noch einmal kurz vor meinem fünfzigsten Geburtstag einen kompletten Checkup, die Ärzte versicherten mir, dass alles in Ordnung sei. – Es geschah trotzdem, ich kam nicht einmal dazu, den Notarzt zu alarmieren.

Thomas gönnte sich wieder einen Schluck aus seinem Bierglas und sah mich lange an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er sah mich prüfend an, wollte weiter erzählen, das merkte ich. Allerdings hatte er sein Glas mittlerweile geleert, sodass Joaquin, aufmerksam wie er war, mit einem neuen vor uns stand.

»Ich bin ein wichtiger Mensch, habe ich dir das schon gesagt?«, merkte er an.

Ich nickte, in letzter Zeit erzählte er seine Geschichten immer öfter. Wahrscheinlich hatte er den Überblick verloren, wen er mit welcher Geschichte bereits beglückt hatte. Aber hier bot sich für mich eine Gelegenheit.

»Ich bin kein wichtiger Mensch«, antwortete ich, als er sich schon von mir abgewandt hatte.

Geradezu elektrisiert drehte er sich wieder zu mir herum und musterte mich eingehend. »Du hast Kontakt gehabt?«, fragte er. Seine Augen bohrten sich geradezu in mich hinein.

Ich kostete den Moment richtiggehend aus. Sollte ich ihm von Thomas erzählen? – Nein, mir war da etwas anderes in den Sinn gekommen.

»Mit einem Zeitreisenden?«, fragte er flüsternd und auch ein wenig ungläubig.

Ich nickte erneut und führte dann aus: »Eine meiner Angestellten hat mir von ihrer Zeitreise berichtet. Sie war über die Weihnachtstage in England. Auf dem Hinflug und auf dem Rückflug betrug die Zeitverschiebung jeweils eine Stunde vor bzw. zurück ...« Weiter kam ich nicht, er drehte sich abrupt um und widmete sich anderen Gästen. Joaquin mag es nicht, auf den Arm genommen zu werden, dabei war ich so stolz auf meine Idee gewesen und hatte eigentlich erwartet, dass er darauf anspringen würde.

Joaquin war dennoch nicht nachtragend. Wenig später kam er zu uns zurück und raunte mir zu: »Passt auf, was ihr sagt, ich werde abgehört!«

Erstaunt blickten wir ihn an. »Abgehört?«, fragte ich.

»Ja«, bekräftigte er. »Übers Internet. Dahinten in der Ecke.« Etwas diffus wies er mit seiner Hand hinter die Theke.

»Aber, Joaquin«, wagte ich einzuwerfen, »du hast doch überhaupt kein Internet.«

»Die machen das trotzdem«, erwiderte er. »Da hinten, in der Ecke, da sollte mal ein Internetanschluss verlegt werden und jetzt knackt es da immer, das ist doch wohl Beweis genug oder etwa nicht?«

Thomas verdrehte die Augen, er war kurz davor aufzustehen und zu gehen.

Ich versuchte noch einen Anlauf. »Das kann doch auch das Holz der Theke sein, das sich ausdehnt«, schlug ich vor.

»Nein, nein«, sagte Joaquin mit seiner Besserwissermiene auf dem Gesicht. »Das Knacken kenne ich, das ist wie damals, in dem Telefonat mit meinem alten Kumpel. Der wurde auch abgehört. Schließlich hatte der Zoll ja mitgekriegt, dass der immer zu verbotenen Forschungen ins Ausland fuhr! – Du weißt schon, verbotene Archäologie und so. Da wird ja heutzutage vieles von den Außerirdischen in die Schuhe geschoben, aber für alles kann man die ja auch nicht verantwortlich machen. Da gab es ja schließlich noch menschliche Zivilisationen vor unserer, die viel weiter waren als wir!«

Das war mal wieder eine typische Beweisführung à la Joaquin, wirklich entgegnen konnte man da nichts. »Du bist demnach Geheimnisträger und wirst abgehört«, sagte ich.

Er nickte. »Ja«, bestätigte er. »Bei den Amerikanern, da geht ja auch nicht alles mit rechten Dingen zu«, führte er dann weiter aus. »Da gibt es doch diese Straße, die Route 666 ...«

»Du meinst die Route 66«, wagte Thomas einzuwenden.

»Nein, nein«, entgegnete er. »Die 666, die geht von der 66 ab, die wiederum von der 6 abgeht. Die haben ein eigentümliches System, die Amerikaner. Aber das Wichtige ist doch, dass die 666 in Dulce endet, warum denn ausgerechnet in Dulce?«

Wir verstanden nur Bahnhof, was wir dadurch zum Ausdruck brachten, dass wir ihn einfach nur anstarrten.

»Ich meine«, sagte er dann. »666, das ist doch die Zahl des Tiers, die des Teufels, steht doch in der Bibel. Und die endet in Dulce, stellt euch das mal vor! Das ist doch ein Fingerzeig!«

»Was ist denn in Dulce?«, fragte ich mittlerweile doch etwas genervt.

Diesmal war es an Joaquin uns und im Besonderen mich, erstaunt anzusehen. »Das weißt du nicht? In Dulce ist doch diese Militärbasis, die mit den zig Stockwerken unter der Erde, wo sich die Amerikaner doch vor einigen Jahren auf einer der untersten Etagen mit den Außerirdischen diese blutige Schlacht geliefert haben. Da muss doch ein Zusammenhang sein, das geht doch gar nicht anders! Das habe ich übrigens gelesen, in mehreren Büchern. Also unterschiedliches Quellenstudium, da brauchst du jetzt gar nicht mit deinen merkwürdigen wissenschaftlich verbrämten Argumenten dagegen zu kommen.« Mit diesen Worten eilte er zu anderen Gästen weiter, die ein frisches Bier kredenzt haben wollten und ließ uns perplex zurück.

»Wie ging es weiter?«, fragte ich dann an Thomas gerichtet, um ihm den Weg leichter zu machen und den Einstieg wieder zu finden.

»Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, warum es den Asteroidengürtel gibt?«, fragte er dann.

»Ich denke, dass die Bruchstücke, die da oben rumfliegen, ein verhinderter Planet sind«, erwiderte ich. »Ich glaube, das ist die vorherrschende Theorie.«

Er nickte bejahend. »Ja, aber warum gibt es ihn?«, fragte er nochmals nach.

Ich zuckte ratlos mit den Achseln

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