Читать книгу Geschichten eines Geistreisenden - Axel Kruse - Страница 6
Astrominc 2
ОглавлениеMein Vater strich mir mit seiner Hand über die Stirn. »Du musst aufstehen, Thomas, die Schule ...«, sagte er. Das Licht aus dem Flur fiel auf mein Gesicht. Ich mühte mich aus dem Bett, irgendwie war ich diesen Tag leid geworden.
An die Hausaufgaben dachte ich diesmal nicht, es war mir alles egal. Na ja, nicht wirklich, denn dann wäre ich ja nicht zur Schule gegangen.
Das Angebot meines Vaters, von ihm zur Schule gebracht zu werden, lehnte ich zu Gunsten meines Rades ab. Er nickte nur und machte sich auf den Weg.
Als ich vor die Tür trat, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen, man hatte mir die Räder von meinem Fahrrad abmontiert und gestohlen, zumindest war das mein erster Eindruck. Mein Rad stand da, einsam und verlassen im Fahrradständer, allerdings war es etwas anders gebaut, als ich es in Erinnerung gehabt hatte. Der Lenker war noch so, wie man es von einem Fahrrad erwarten konnte, was sich dann nach unten weiter fortsetzte, konnte man beim besten Willen nicht als Gabel bezeichnen, da gabelte sich nichts. Demzufolge war es auch überhaupt nicht vorgesehen, dass dort ein Rad montiert werden konnte. Vom Lenker aus zog sich ein Rohr nach unten, dann nach hinten und wieder nach oben, wo es in einem Sattel mündete. An zwei Fortsätzen, die an der unteren Stange angebracht waren, fanden sich zwei kleine Plattformen, die unstreitig für die Füße gedacht waren. Das Vehikel schwebte in der Luft und war mittels einer Kette am Fahrradständer festgemacht.
Ich sah verblüfft hin, was war das für ein Ding? Ich besah es mir von allen Seiten, zog den Schlüssel für die Kette hervor und schloss die Verriegelung auf. Der Lenker war neben dem Bremshebel eindeutig das einzige bewegbare Teil an dem ganzen Vehikel, wie fuhr man das Ding? Ich schwang mich auf den Sattel und versuchte es wie bei einem Roller. Das war es! Einmal mit den Beinen abgestoßen, glitt es, ungefähr zehn Zentimeter über dem Boden schwebend, durch die Luft. Den Berg hinunter gewann ich richtig an Fahrt, das Ding machte Spaß.
Ich war entweder zu früh oder zu spät dran oder Lars hatte sich überlegt, dass heute ein anderer Schulweg sinnvoller für ihn wäre, jedenfalls war er auf der Strecke entlang des Friedhofes nicht zu entdecken. Was ich jedoch bemerkte, war, dass sämtliche Fahrzeuge auf der Straße keine Räder hatten, alles, was sich bewegte, glitt in Bodennähe über die Straßen. Ich fühlte mich in einen Science Fiction Film versetzt. Das änderte sich schlagartig, als ich in der Schule ankam, hier gab es keine wesentlichen Änderungen, zumindest was den Ablauf des Tages anging.
Meine Schulkameraden schienen alle nur einen Traum zu haben: Ingenieur werden und bei Astrominc einen Job bekommen. Astrominc, die Asteroid Mining Incorporation, die mit Hilfe großer Raumstationen im Asteroidengürtel Bergbau betrieb und dort die Rohstoffe für die hungrige und ausgebeutete Erde beschaffte. Ich konnte es nicht fassen, hatte es noch eines Beweises bedurft, hier war er: Es musste andere Menschen wie mich geben, die immer wieder versuchten den Ablauf ihres Lebens und damit auch den der Welt um sich herum, zu verändern. Hier war ich Zeuge einer großen Veränderung geworden.
Meine Nachforschungen ergaben, dass vor rund zwanzig Jahren, relativ kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, der Durchbruch in der Gravitationstechnik gelungen war. Hier und jetzt wurde so gut wie alles mittels eines so genannten Gravitationsmotors angetrieben. Die mögliche Aufhebung der Schwerkraft ermöglichte es auch, Raumschiffe ins All zu bringen und sie dort weiter zu beschleunigen. Fast unvorstellbar für mich, ein Traum war wahr geworden.
Die folgenden Jahre bemühte ich mich in der Schule, ich wollte ins All. Das war etwas für mich, was ich in meinen bisherigen Leben noch nicht gekannt hatte, eine Herausforderung, auch wenn das bedeutete, dass ich mich zuallererst einmal mit Hausaufgaben auseinanderzusetzen hatte.
Es funktionierte, das Abitur klappte, ein Ingenieursstudium schloss sich an und schlussendlich fand ich mich auf einem der kleinen Prospektorenschiffe wieder, die von der Station Astrominc 2 aus in den Gürtel starteten um dort nach abbauwürdigen Erzvorkommen zu suchen. Ein langweiliger Knochenjob, wie sich im Nachhinein herausstellte, Buchhaltung konnte spannender sein!
Wir flogen zu zweit, meine Partnerin an Bord war Lisa, ja die Lisa. Wir waren Arbeitskollegen, die zusammen arbeiteten und mehr. Astrominc war es egal wer für sie flog. Gemischtgeschlechtliche Teams waren die Regel, so konnte man die Einsamkeit wenigstens ein wenig verdrängen und sich die Illusion von Familie schaffen. Wir waren pro Trip Nonstop ungefähr sechs Monate da draußen unterwegs, dann kehrten wir zu einem Zwischenstopp zur Station zurück, nur um kurze Zeit später erneut hinauszufliegen.
Wir waren selbständige Prospektoren, das heißt, dass das Schiff uns gehörte, wir auf eigene Rechnung flogen, unsere Ausrüstung zu überteuerten Preisen bei Astrominc erwerben mussten und unsere Funde dort zu garantierten Preisen verkaufen konnten. Es war uns natürlich freigestellt, sie auch anderweitig zu verkaufen oder selber auszubeuten, nur ..., Astrominc war der einzige Abnehmer, es gab keine andere Organisation dort oben im Gürtel und selber ausbeuten? Hast du schon einmal versucht, einen Berg selber mit deinen eigenen Händen abzubauen? – Es lief auf eine faktische Abhängigkeit hinaus. Der Kredit, den wir für den Erwerb des Schiffes aufgenommen hatten, wurde zwar durch die von uns verdienten Honorare nach und nach getilgt, die neuen Kredite, die wir für die Ausrüstung, vor allem für Luft, Wasser und Lebensmittel aufnehmen mussten, waren jedoch höher oder zumindest genauso hoch, wie die Tilgungsraten für den alten Kredit. Es war im Prinzip eine Art moderner Sklaverei.
Wir starteten immer von Astrominc 2, der Raumstation, die in der Nähe von Ceres gebaut worden war. Astrominc 1 befand sich ziemlich genau an der gegenüberliegenden Seite des Gürtels. Nr. 3 befand sich im Bau und Nr. 4 war geplant. So sollte nach und nach der komplette Gürtel erschlossen werden.
Lisa und ich gaben unsere Abschiedsparty im Starlight-Casino. Der Name war Reminiszenz, ansonsten ging es hier jedoch recht schmuddelig zu. Wirklich erfolgreiche Prospektoren feierten mit den Managern von Astrominc mehrere Decks höher, wo auch die Schwerkraft stärker ausgeprägt war. Das Starlight befand sich nur wenige Decks über der Nabe der riesigen Raumstation, die wie ein überdimensioniertes Rad eines Fahrrades aufgebaut war. Durch die permanente Drehung wurde mittels Fliehkraft Schwerkraft simuliert. Je näher man der Nabe kam, desto geringer wurde sie allerdings. An der Nabe selbst herrschte Null g, von hier aus starteten die Raumschiffe zu ihren Erkundungsfahrten. – Wir konnten von Glück sagen, dass unsere Getränke in den Gläsern blieben. Warum hier nicht auch die Gravitationstechnik eingesetzt wurde, leuchtete mir beim besten Willen nicht ein. Mein immer noch vorhandenes Buchhalterherz sagte mir zwar, dass es so wirtschaftlicher sein musste, akzeptieren konnte ich das jedoch nicht.
Die Party war bereits rund zwei Stunden im Gange, als die Kollegen begannen, uns die Schädel zu rasieren. Das war ein altes Ritual hier draußen. Man fuhr mit einem kahlen Kopf hinaus und kam mit ungefähr sechs Zentimeter langen Haaren zurück. Manche Prospektoren übertrieben es dergestalt, dass ihre Haare schulterlang waren. Es wurde sogar eine Liste geführt. Platz eins belegte ein mittlerweile verschollener Kollege, der hatte tatsächlich Haare, die einen Meter und dreizehn Zentimeter lang gewesen waren, als er zurückkehrte, das war notariell verbürgt worden. War man früher wieder da, war man auf einen Asteroiden gestoßen, der einen fürs Leben reich machte. – So weit die Theorie, ich hatte noch keinen Prospektor gesehen, der nicht entweder Glatze, Mecki oder Matte trug. Aber es sollte sie ja geben, das war der Antrieb für uns alle.
Wenige Stunden später fanden wir uns im All wieder. Wir hatten unsere Route geheim gehalten, das war auch so ein Spleen der Prospektoren. Jeder wachte eifersüchtig darüber, dass kein anderer einem das vor der Nase wegstibitzte, was man noch gar nicht hatte. Astrominc bestand zwar darauf, dass man zumindest den Sektor angab, in den man fliegen wollte, aber wie wollten die denn kontrollieren, ob man dort tatsächlich ankam?
Wie sehnte ich mich nach meinem Buchhalterleben auf der Erde. Wochen- und monatelang in einer Blechbüchse eingeschlossen zu sein, nur um für ungefähr vierzehn Tage zu Astrominc zurückzukommen und dann wieder loszufliegen, mir fehlten die grünen Hügel der Erde!
Lisa dachte ähnlich, aber was half das? Wir hatten uns hoch verschuldet, uns blieb nichts anderes übrig, als den Job zu machen.
79 Felsklumpen unterschiedlichster Größe hatten wir bereits untersucht und kartographiert, Geschwindigkeit und Vektor bestimmt. Astrominc hatte das ehrgeizige Ziel, den kompletten Gürtel zu vermessen, angesichts der schieren Größe schien mir das anmaßend zu sein, aber wer war ich schon, dass ich mir ein Urteil erlaubte!
Ich hatte mich etwas hingelegt, Lisa war damit beschäftigt den Anflug auf Nummer achtzig vorzunehmen. So war sie es, die die Entdeckung des Jahrhunderts machte!
Der Alarmton riss mich aus dem Tiefschlaf, sofort zerrte ich die Atemmaske aus dem Fach neben meiner Koje, zog sie über den Kopf und eilte ins Cockpit. Lisa erwartete mich dort mit einem schallenden Lachen.
»Das wollte ich schon immer einmal machen«, sagte sie, wobei sie immer noch gluckste. »So hatte ich mir das vorgestellt! Sieh mal da!« Sie wies zu den Anzeigen. »Metall in reinster Form, das Ding da vorne ist eine Goldgrube, das sagen unsere Scanner. Wir sind reich, Thomas!«
Ungläubig starrte ich auf die Anzeigen, unfähig meine Atemmaske abzuziehen. Lisa musste durchgedreht sein, sie musste sich einen Scherz erlaubt haben, fuhr es mir durch den Kopf. Langsam wurde ich sauer, mit dem Alarm spielte man nicht!
Sie merkte mir meine Missstimmung an. »Tom, es ist wirklich so! – Das da draußen ist ein Vermögen wert. Warte ab, bis wir nahe genug dran sind, dann zeige ich dir ein Bild auf dem Monitor.«
Sie meinte es ernst, ich sah mir die Instrumentenanzeigen genauer an, zog die Atemmaske vom Kopf und ließ mich in den Sessel neben ihr fallen. »Keine taube Nuss?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf, ihr Gesicht strahlte so glücklich, wie noch nie zuvor, zumindest nicht in diesem Leben.
Wir näherten uns an, nach und nach wurde es unheimlich. Das Ding war geometrisch aufgebaut. Länge exakt 0,873 km, Höhe 0,281 km, Tiefe 0,281 km. Es gab zwar einige Ausbuchtungen, die waren aber nicht wirklich von Bedeutung. Da draußen schwebte eine große Schachtel im Raum. Für uns sah das Ding aus, wie ein großer Quader. Je näher wir kamen, umso mehr Details, vielmehr das Fehlen von Details, konnten wir erkennen.
»Das Ding hat eine glatte Außenhaut, Lisa«, entfuhr es mir.
Sie nickte nur. »Ich gehe raus, ich sehe mir das näher an.«
»Sei vorsichtig«, flüsterte ich. Aber was sollten wir anderes machen? Wollten wir unsere Besitzansprüche geltend machen, mussten wir es kartographieren und einen Sender platzieren, der unsere ID abstrahlte, so war das Gesetz. Demnach musste einer von uns raus und Lisa hatte es entdeckt ...
Sie benutzte den kleinen Jet, einen mit Gravitationstechnik ausgestatteten Schlitten, um das Rendezvous auszuführen. Langsam näherte sie sich dem Quader. Irgendwie wünschte ich mir, dass der Jet Düsen hätte, dann hätte ich zumindest aus dem Ausstoß von Gasen Rückschlüsse ziehen können, was sie vorhatte, so sah ich lediglich, wie sie langsam dahinglitt und manchmal die absurdesten Richtungsänderungen durchführte. Zumindest hatte sie die Außenlichter des Jets eingeschaltet, sodass ich sie problemlos auf dem Monitor verfolgen konnte.
»Glatt«, kommentierte sie gerade. »Absolut glatte Außenhaut, hier auf dieser Seite.« Sie hatte sich einer der schmalen Seiten genähert und schwenkte nun um die Ecke, um eine lange Seite näher zu untersuchen, abrupt stoppte sie den Jet.
»Hier ist was, Tom«, flüsterte sie so leise, dass ich versucht war den Empfang am Lautsprecher lauter zu stellen. »Hier ist eine Luke!«
Wir hatten es beide erwartet und doch keine Worte darüber verloren. Irgendwie hatten wir geahnt, dass das Ding künstlich war, jetzt hatten wir den Beweis.
»Pass auf dich auf«, flüsterte ich.
Sie fuchtelte mit den Händen an der Tür herum, schien aber nichts erreichen zu können, dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem Rahmen neben der Tür. Endlich fand sie, wonach sie gesucht hatte. Ein Freudenschrei kam aus dem Lautsprecher.
»Ich habe einen Sensor gefunden, die Luke schwenkt nach innen hin auf. Ich gehe jetzt rein!«
Ich kaute auf meinen Fingernägeln. Wie oft, in wie vielen Filmen und Büchern war diese Szene schon beschrieben worden? Sollte ich ihr sagen, dass sie sich vor Alieneiern in Acht nehmen sollte? Den Film hatte es in diesem Leben nicht gegeben, sie konnte die Folgen nicht kennen!
»Ich bin jetzt drin«, hörte ich Lisas Stimme wie aus weiter Ferne. »Keine Schwerkraft, der Gang ca. einen Meter hoch und einen Meter breit, recht klaustrophobisch. Ich krieche mehr, als dass ich gehe. Ungefähr zehn Meter vor mir endet der Gang. In die Wand ist eine weitere Luke eingelassen. Sie steht offen, ist nach innen hin geöffnet. Merkwürdig ist das Fehlen einer Luftschleuse, der Gang hinter der Außenluke scheint mir für diese Zwecke ungeeignet konzipiert zu sein. Ich ziehe mich jetzt durch die offene Luke.«
Pass bloß auf, dachte ich im Stillen. Ich war zu angespannt, um irgendetwas zu sagen. Wie schon des Öfteren, verfluchte ich, dass unsere Ausrüstung so mangelhaft war. Wir hatten auf viele Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, verzichtet. So auch auf wirklich gute hochauflösende Helmkameras, das Bild, das Lisas Kamera mir übermittelte, konnte man am ehesten mit schwarzen Schatten auf schwarzem Grund beschreiben. So war ich einzig auf ihre Beschreibungen angewiesen, um mir ein Bild von der Lage zu machen.
»Hier ist ein kleiner Raum, Tom, etwa sechs mal sechs Meter groß. Die Decke ist nach wie vor nur rund einen Meter vom Fußboden entfernt. Das können keine Menschen gewesen sein, die das hier erbaut haben, Tom.« Ihre Stimme kam schrill aus dem Lautsprecher. Irgendwie war es auch mir von vornherein klar gewesen, dass der Quader nicht von Menschenhand erschaffen worden sein konnte, es auszusprechen hatte ich bislang nicht gewagt.
»Die mir gegenüberliegende Wand ist etwa halb hoch verglast. Vor der Wand sind Konsolen angebracht, in die Displays eingelassen sind. Vor den Konsolen stehen sechs Stühle, alle fest im Boden verschraubt. Die Rückenlehnen der Stühle sind dreigeteilt, zwischen den einzelnen Lehnenteilen ist jeweils ein Spalt von ca. zehn Zentimeter Durchmesser. Die Sitzfläche selbst ist annähernd quadratisch ungefähr vierzig Zentimeter Durchmesser. Die Spitzen der Lehnen sind etwa sechzig Zentimeter vom Boden des Raumes entfernt. Ich kann mir beim besten Willen nicht die Ergonomie der Wesen vorstellen, die auf solchen Stühlen sitzen könnten. Auch die Deckenhöhe scheint mir wesentlich zu niedrig zu sein, um den Bedürfnissen solcher Wesen entgegenzukommen. Sie müssten doch mit ihren Köpfen bereits die Decke berühren, sobald sie nur aufstehen. Irgendwie nicht vorstellbar. Oh ...«
»Was ist passiert, Lisa?«, rief ich erschrocken. Plötzlich strahlte das übertragene Bild auf meinem Monitor in rötlichem Licht wieder.
»Das Licht ist angegangen, Tom, sonst nichts. Ich muss irgendeinen Kontakt ausgelöst haben. Auch hinter der Glasscheibe ist jetzt Licht.«
Das sah ich nun auch. Hinter der Glasscheibe erstreckte sich eine kleine Halle. Etwa zweihundert Meter lang und genauso breit, der Raum in dem Lisa sich befand, war wohl am ehesten mit einem Kontrollraum vergleichbar. Von hier aus konnte man die komplette Halle einsehen. Unschwer war zu erkennen, dass die Halle mit Raumschiffen vollgestellt war, Raumschiffe, die für den Atmosphärenflug geeignet sein mussten, ich hatte Assoziationen von Kampfjets, die in irdischen Kriegen eingesetzt worden waren, vor Augen.
»Tom, die Displays sind alle zum Leben erwacht«, rief mich Lisas Stimme in die Realität zurück. »Sieh dir das an!«
Auf meinem Bildschirm zeigte sich die Konsole, vor der sich Lisa aufhielt. Eine Außenansicht, fuhr es mir durch den Kopf. Da war ein Bild des Weltraums, gestochen scharf, schärfer, als alles, was ich mit unseren Außenkameras hätte bewerkstelligen können. Und es zeigte einfach nichts. Ich will damit sagen, dass da der Raum an sich dargestellt wurde und in diesem Raum befand sich kein Objekt. Irgendwo weit hinten funkelten die Sterne. Es war wirklich eine 3D Ansicht und es war irgendwie klar, dass der Fokus recht nah bei uns lag und nicht die Sterne das Ziel der Aufnahme waren.
»Tom, die rechte Außenwand der Halle öffnet sich.«
Ich sah in die Richtung, in die jetzt auch Lisa blickte. Richtig, ein großes Schott klappte nach innen auf. Im Schwenkbereich standen keine Raumschiffe, sodass das Schott problemlos in eine seitliche Arretierung einrasten konnte. Lisa widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm vor ihr. Der Weltraum, in einem Sekundenbruchteil noch völlig leer, war plötzlich angefüllt von sechs Asteroiden unterschiedlicher Größe, die sich mit ähnlicher Geschwindigkeit und ähnlichen Vektoren fortbewegten.
»Was passiert da, Tom?« Lisas Stimme kam aus dem Lautsprecher und holte mich in die Realität zurück. »Diese Asteroiden werden eingehend gescannt.« Lisa bewegte sich hektisch zwischen den Konsolen hin und her. »Wo kommen die auf einmal her?« Mehrere Displays fokussierten die einzelnen Asteroiden, ein Bildschirm zeigte unverwandt das Bild an, das ursprünglich auf dem ersten Monitor zu sehen gewesen war. Ich hätte wetten mögen, dass es exakt die Raumregion anzeigte, an der die Asteroiden aufgetaucht waren.
»Keine Ahnung«, hörte ich meine eigene Stimme wie in Trance. »Installier unseren Sender und lass uns von hier verschwinden, ja?«
Lisa schüttelte so vehement ihren Kopf, dass sich ihr ganzer Oberkörper hin und her bewegte. Für mich sah es so aus, als ob ihre Kamera auf das heftigste hin und her geschwenkt wurde, so dass das übertragene Bild verschwommen dargestellt wurde. »Die Dinger da draußen sind einfach aufgetaucht, Tom! Das ist viel wichtiger, als diese blöde Station hier. Da, schon wieder ...«
Sie richtete ihre Helmkamera erneut auf die Konsole aus, die das Ursprungsbild anzeigte. Dort erschien ein mehr als dreimal größerer Brocken gegenüber denen, die wir zuerst beobachtet hatten. Der Berg, anders konnte ich ihn nicht nennen, hatte eine starke Eigenrotation und schien sich relativ schnell fortzubewegen. Ich meinte das daraus erkennen zu können, dass er bereits aus dem Fokus des ersten Bildschirms herausgetreten war und nunmehr von einem anderen Monitor übernommen wurde.
»Das Ding zerbricht!«, rief Lisa mit sich überschlagender Stimme.
Richtig, jetzt sah ich es auch, der Berg zerbrach! Die Bruchstücke wirbelten auf leicht unterschiedlichen Vektoren in die Dunkelheit davon.
»Hier starten zwei Jets!«, diesmal flüsterte Lisa in ihr Mikrofon.
Auf den Bildschirmen war zu erkennen, dass die zwei kleinen Raumschiffe, nachdem sie die Halle verlassen hatten, auf eines der Bruchstücke zu jagten. Ich richtete die Scanner unseres Raumschiffes ebenfalls darauf aus. Die Auflösung war zwar nicht so exzellent, wie auf den Bildschirmen in dem Kontrollraum, in dem sich Lisa befand, irgendwie fühlte ich mich dadurch jedoch nicht mehr so abgeschnitten. Einer der Jets feuerte mit irgendetwas auf den Asteroiden, der immerhin, das sagten meine Scanner, einen Durchmesser von mindestens einhundert Metern haben musste. Das Ding zerbarst in eine Unmenge von Bruchstücken, die alle auf den unterschiedlichsten Vektoren ihren Weg fortsetzen. Erst jetzt fiel mir auf, dass der ursprüngliche Vektor des Berges zu einer Kollision mit dem Quader geführt hätte.
»Das ist ein Abwehrsystem«, flüsterte ich. »Damit die Station nicht getroffen wird, haben die Jets die Aufgabe die Asteroiden abzulenken, die ansonsten mit ihr zusammenstoßen würden.«
»Aber wo kommen sie her?«, sagte Lisa. »Hast du die Koordinaten speichern können?«
»Ja«, antwortete ich. »Du willst doch nicht ...?«
»Überspiel mir die Daten, ich fliege da hin.« Das von ihrer Helmkamera übertragene Bild zeigte erneut den Gang, den Lisa nunmehr in Richtung Außenluke zurücklegte. »Ich habe noch für über drei Stunden Sauerstoff, das sollte mehr als genug sein, um eine kleine Erkundung durchzuführen.«
Ich wollte irgendetwas über die Notwendigkeit der Installation unseres ID-Senders sagen, verkniff es mir aber, da ich wusste, dass Lisa im Moment andere Prioritäten gesetzt hatte.
Ihr Schlitten startete und flog den beiden Jets, die auf dem Weg zurück zu ihrem Stützpunkt waren, entgegen. Fast schon erwartete ich, dass die extraterrestrischen Raumschiffe auch Lisa ins Visier nehmen würden, das jedoch geschah nicht.
Lisa folgte exakt der Flugbahn, die der Berg innegehabt hatte, bevor er zerborsten war. Ich hatte die Geschehnisse zwar nicht von Anfang an aufgezeichnet, die Bahn zurückzuverfolgen erwies sich jedoch als nicht allzu schwierig. Lisa war noch nicht lange unterwegs, als sie und ihr Schlitten von einem Sekundenbruchteil zum nächsten einfach von meinen Anzeigen verschwanden. Völlig verständnislos starrte ich auf die Armaturen.
Zwei Stunden später saß ich immer noch so da, unfähig auch nur die kleinste Bewegung auszuführen. Ich hatte Angst, den Blick vom Monitor zu wenden, da in der Zeit, in der ich meine Aufmerksamkeit nicht dem Bildschirm zuwandte, Lisa wieder hätte auftauchen können. Drei Stunden hatte sie gesagt, drei Stunden lang würden ihre Luftreserven noch reichen. Noch war nicht alles verloren, nichtsdestotrotz war ich gelähmt, andere hätten vielleicht das eigene Schiff in die Region manövriert, in der sie verschwunden war, ich war mental nicht dazu in der Lage.
Da, meine Scanner meldeten ein Objekt. Ich starrte auf den Bildschirm, versuchte das Objekt heran zu zoomen, was aufgrund der schlechten Auflösung und der relativen Größe des Objektes von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
Jetzt meldete sich Lisas Stimme aus dem Lautsprecher. »Tom, Tom, es ist ein Sprungpunkt. Ich war in einem anderen Sonnensystem, einem System mit zwei Sonnen und einem Asteroidengürtel ähnlich dem unseren.« Sie lachte fröhlich. Ich konnte mir geradezu vorstellen wie glücklich sie war, hatte sie doch den Weg zu den Sternen entdeckt. »Jetzt wissen wir auch, warum es hier den Asteroidengürtel gibt und sich nicht an gleicher Stelle ein Planet hat bilden können. Der Sprungpunkt hat das verhindert. Immer wenn ein Stück Materie, das ein zu großes Volumen hatte, diesen Punkt passierte, ist die Materieansammlung auseinandergerissen worden. Lediglich kleinere Brocken blieben unbehelligt. Deshalb gibt es hier und auch in dem anderen System einen Asteroidengürtel. - Tom, wir haben den Weg zu den Sternen gefunden!«
Noch heute weiß ich nicht, warum ich nicht darauf geachtet habe, meinen Scannern war jedenfalls nicht entgangen, dass zehn Jets von der extraterrestrischen Station gestartet waren. Ich nahm sie erst wahr, als es für Lisa bereits zu spät war. Die Jets befanden sich auf einem Abfangkurs, der sie unweigerlich Lisas Bahn kreuzen ließ. Ich weiß nicht, mit was sie Lisas Jet beschossen haben, von ihr blieb jedenfalls nicht mehr als eine kleine Materiewolke übrig.
Thomas ergriff sein Bierglas und nahm einen tiefen Zug. »Wie in Trance habe ich unseren ID Sender an der Station befestigt und den Rückflug zu Astrominc 2 gestartet.
Für dieses Leben hatte ich ausgesorgt, mithilfe der Tantiemen, die ich nach und nach erhielt, wurde ich Mehrheitsaktionär von Astrominc, was mir immer mehr Geld einbrachte.
Astrominc schickte noch mehrere Schiffe durch den Sprungpunkt, die alle bei ihrer Rückkehr das gleiche Schicksal traf wie Lisa. Jahre später gelang es Experten die Programmierung des fremden Computers außer Kraft zu setzen, so dass die Raumschiffe der Aliens nicht mehr starteten, wenn ein Objekt durch den Sprungpunkt kam. Was uns natürlich das Problem bescherte, auch keine Asteroidenabwehr mehr zu haben.« Sichtlich ergriffen starrte mein Freund in sein Bierglas.
»Noch heute frage ich mich, warum bei einem riesigen Berg nur zwei Jets vonnöten gewesen sind, wohingegen bei Lisas kleinem Schlitten zehn bis an die Zähne bewaffnete Raumschiffe losgeschickt worden sind. Das muss doch einen Grund gehabt haben! Ich fürchte, die Erbauer der Station hatten berechtigte Angst, vor dem, was da erscheinen könnte. Ich denke, diese Angst, sollten wir ernst nehmen!« Er blickte mir tief in die Augen. »Axel, geh davon aus, dass der Quader auch jetzt da oben ist. Er bewacht den Sprungpunkt und verhindert, dass, was auch immer durch ihn hindurch kommt, weiter fliegen kann, als ein paar Kilometer. Der Quader beschützt uns sozusagen, es muss auf jeden Fall verhindert werden, dass er ausgeschaltet wird, so wie wir es damals getan haben. Das war ein grandioser Fehler. In diesem Leben bin ich nicht an einem Herzinfarkt gestorben! Ich fürchte, diese ganzen Invasionsfilme sind nicht wirklich weit hergeholt! Was dann durchkam, habe ich nicht mehr mitbekommen. Ich war auf der Station, als wir angegriffen wurden. Den Alarm habe ich noch gehört, dann war wieder einmal alles vorbei für mich!«
Ich blickte ihn auffordernd an, aber er schien nicht dazu bereit zu sein seine Andeutungen auszuformulieren. Joaquin, der unsere mittlerweile geleerten Biergläser durch volle ersetzte, sorgte darüber hinaus für Ablenkung.
»Neueste Erkenntnisse beweisen, dass wir im Inneren einer Hohlkugel leben, wusstet ihr das?«, sagte er.
Ich schüttelte den Kopf, hatte ich doch schon des Öfteren von solchem Unfug gehört.
Joaquin verstand mein Kopfschütteln jedoch so, wie er es wollte. »Das Universum die Sterne, alles das was wir am Himmel sehen können, ist in Wirklichkeit im Zentrum der Hohlkugel verankert. - Und das alles lässt sich wissenschaftlich beweisen!«
»Wie denn das?«, entgegnete Thomas mit leicht verärgertem Unterton.
»Dadurch«, sagte Joaquin und wies dabei auf seine Schuhe. »Sie sind an der Spitze und an der Hacke abgenutzt, würden wir auf einer Kugel anstatt in deren Inneren leben, sollte man doch wohl erwarten, dass sie sich in der Mitte abnutzen würden!« Mit diesen Worten entfernte er sich, um andere Gäste zu bedienen.
Nach einem Schluck Bier blickte ich Thomas auffordernd an, er ließ sich nicht lange bitten und erzählte weiter.