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II

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Es gibt entschieden bessere Lokale in Kimberley als Sam Wymmers „Kohinoor-Bar“, aber keines, das die Digger mehr anheimelt, als dieses, ein wenig außerhalb der Stadt zwischen der Barackensiedlung und dem Schürfgebiet der Skuller Mine Co. gelegen, weiß eben den Geschmack seiner Leute zu treffen.

Zunächst einmal ist die „Kohinoor-Bar“ ein „weißes“ Lokal. Nigger und Japs finden dort keinen Einlaß und — wenn sie mit Diamanten um sich schmissen. Alle überbrückenden Gleichheitsbestrebungen der Südafrikanischen Union haben daran nichts ändern können. Sam Wymmers weiß genau, daß der „white man zwar zur Not neben einem Nigger schuftet, aber nicht gern seinen Whisky am gleichen Tische trinkt.

Äußerlich entspricht die „Kohinoor-Bar“ ebenfalls dem Digger-Geschmack. Der Hauptraum ist betont blockhausartig eingerichtet und gäbe mit seinen ungehobelten Tischen, niedrigen Deckbalken und primitivem Musikpodium eine echte „Filmkulisse“ für einen Wildwestfilm ab, wenn man statt der wirklichen Besucher wohlgebaute Komparsen in hohen Schaftstiefeln, verwegenen Halstüchern, bunten Hemden und Cowboyhüten in das Lokal setzte. Denn die tatsächlichen Gäste Sam Wymmers sehen ganz anders aus und passen eigentlich gar nicht zu der primitiven Aufmachung. Es verkehren dort zwar nicht nur die Angestellten der Skuller Minen, die „white collar men“ aus den Büros, sondern noch viel mehr Arbeiter und Digger, aber gerade diese halten streng darauf, nach der Schicht nur in vollem bürgerlichen „dress“ zu erscheinen, und es ist ganz im Sinne der Gäste selbst, daß Petrus, der baumlange, schwarze Portier des „Kohinoor“, den strengen Befehl hat, Herren ohne Kragen und Schlips an der Tür zurückzuweisen.

Übrigens ist natürlich nicht die ganze Kohinoor-Bar auf Wildwest eingerichtet, sondern nur das große vordere Lokal, das den langen Schenktisch enthält, den bevorzugten Aufenthaltsort der Digger. Weiter hinten schließen sich noch ein paar „Claims“ an, mit gedeckten Tischen und dunkelroten Plüschmöbeln, ja sogar ein paar lauschige „chambres séparées“. Diese werden allerdings selten benutzt, denn die glücklichen Diamantengräber, die aus dem Busch heimkehren und blaue Erde mitbringen, pflegen ihre Freudenfeste selten in Sam Wymmers Bar abzuhalten, und die Arbeiter aus den Minen vertrinken ihren Lohn lieber in gemütlicher Gemeinschaft als in vornehmer Zurückgezogenheit.

Sam Wymmers ist Witwer, aber selbstverständlich gibt es auch Frauen in der Kohinoor-Bar. Sogar sehr hübsche. Einige von ihnen bezieht Sam durch die „Southern Coast Concert-Agency“. Sie unterhalten die Gäste allabendlich durch ein paar Liedchen oder einen temperamentvollen Tanz, verdienen ihre Gage aber in der Hauptsache durch das vertraglich festgesetzte „Konsum machen“ nach der Vorstellung. Sam Wymmers ist nobel in Bezug auf die Prozente, die er seinen „girls“ vom Verzehr der Gäste zugesteht. Er ist überhaupt ein tadelloser Wirt und sorgt sogar für reichliche Attraktionen, indem er jeden Monat sein Programm und mit ihm seine „girls“ wechselt.

Augenblicklich ist gerade eine neue „Gruppe“ in die Kohinoor-Bar eingezogen, fünf fesche, verzückt lächelnde Mädel. Drei davon sind allerdings schon ein bißchen angejahrt, und ihr süßes Lächeln vermag nicht ganz die Müdigkeit zu verdecken, die ein erfolgloses, enttäuschtes Leben über ihre Gesichter gegossen hat. Die zwei anderen dagegen sind wirklich jung und nett, besonders Molly, die kleine Braune, die als „seriöse Sängerin“ auf dem kleinen Podium sentimentale Lieder singt. Molly ist nicht gerade eine ausgesprochene Schönheit, aber ihr Gesicht hat etwas Frisches, Unverbrauchtes, das stark absticht gegen das eingefrorene Berufslächeln ihrer Kolleginnen. Außerdem hat sie ein Paar lustig-freche Schelmenaugen, eine tadellose Figur und ein resolutes Mundwerk, mit dem sie bereits am ersten Abend ein paar allzu Zudringliche derart überlegen abgefertigt hat, daß Sam Wymmers sich schmunzelnd hinter der Bar die Hände rieb: Die ist richtig!

Als Hans Balck, frisch rasiert und geschniegelt, gegen neun Uhr die „Kohinoor-Bar“ betritt, richten sich die Augen fast aller Anwesenden auf ihn, und es gibt eine fühlbare Stockung in den Gesprächen, denn selbstverständlich hat man an allen Tischen mehr oder weniger interessiert den heutigen großen Diamantenfund erörtert und die Rolle, die der Clerk Balck dabei gespielt hat. Die plötzlich eingetretene Stille ist so auffallend, daß auch Molly Reeve, die neben einem schwarzbärtigen Digger an der Bar einen Sherry Cobler lutscht, sich unwillkürlich umwendet. Ihre erstaunten Blicke begegnen dem lustigen, siegeszuversichtlichen Hans Balcks, und es dauert eine geraume Weile, bis sie sich wieder davon trennen.

„Halloh, Balck! Heute müssen Sie einen ausgeben!“ Ein Minenaufseher, der zu Sam Wymmers Stammpublikum zählt, haut dem blonden Clerk derb seine Tatze auf die Schulter. „Nach dem Schwein! Kalkuliere, die hohe Direktion hat Ihnen mindestens zwei Prozent vom Reinertrag des Diamanten bewilligt!“

„Dieses nun weniger! Aber Urlaub hat der Alte gegeben. Urlaub bis in die Puppen!“ Hans Balck klatscht in die Hände und läßt seine Blicke vergnügt in der Runde umhergehen. „Morgen gehts raus auf die hohe See! Erholungsreise ins alte Land! Aber heute wird erst noch mal gefeiert, Jungs! Heraus aus deiner Höhle, Sam, alter Buschklepper! Die Gentlemen nehmen einen drink mit mir!“

Während die Digger und Kontoristen unter fröhlichem Halloh zur Bar drängen, krault der „Freier“ der kleinen Molly nachdenklich seinen schwarzen Schnauzbart, so nachdenklich, daß er gar nicht zu bemerken scheint, daß seine Dame plötzlich von seiner Seite weggedrängt und mitten im Trubel der lustigen Corona ist.

Molly Reeve hat gar nichts dagegen, daß man sie einfach einbezogen hat in die lärmende, um Hans Balck gedrängte Gesellschaft, denn der schnauzbärtige Kavalier da drüben war für ihren Geschmack reichlich uninteressant und langweilig. Merkwürdigerweise aber hat auch der Kavalier selbst, den Sam Wymmers einfach mit „Guy“ anredet, nichts dagegen, daß man ihm Molly entführt hat. Er hockt ganz rechts auf dem letzten Barschemel und beobachtet blinzelnd Hans Balck, der fröhlich das Kommando führt.

„Morgen gehts auf Urlaub in das alte Land“, wiederholt er in Gedanken die Worte Hans Balcks. „Erholungsurlaub nach Germany? Das glaub der Teufel. Wetten, daß er der Kurier ist, der den „Stern von Südafrika“ nach London oder Amsterdam bringt?“

Guy Barnes, gemeinhin einfach „Guy“ genannt, ist eine bekannte Figur in den Camps von Kimberley. Ab und zu arbeitet er auch in einem derselben, schlecht und recht wie die übrigen Digger. Aber lange hält er es nie aus. Eines Tages ist er wieder verschwunden und bleibt monatelang fort. Im Busch — sagt er selber, wenn er wieder auftaucht, und Tatsache ist, daß er dann immer gut bei Kasse ist. Es gibt Leute, die der Meinung sind, daß Guy Barnes irgendwo im Inneren einen zwar nicht allzu großartigen aber immerhin ergiebigen Claim hat, den er geheim hält. Es gibt aber auch Leute, die von ganz anderen Dingen tuscheln, denn „Guy“ ist durchaus kein unbeschriebenes Blatt. Man weiß, daß er in Johannisburg ein halbes Jährchen hinter schwedischen Gardinen gesessen hat, weil er irrtümlicherweise annahm, die goldene Uhr eines Brauereibesitzers gehöre ihm. Es gibt da auch einige böse Sachen, Diebstähle und Betrügereien, sogar einen Einbruch, bei denen „Guy“ ein bißchen im Verdacht steht, nicht ganz unbeteiligt gewesen zu sein. Nachweisen hat ihm niemand etwas können, und zum Glück ist „Guy“ schon ein Duzend Jahre in der Union, aber wenn er den Namen nennen wollte, den er früher geführt hat, so würde man bei einer Nachfrage in Scotland Yard ein hübsches, langes Sündenregister erfahren können.

Guy also trinkt bedächtig seinen Whisky und langt so nebenbei nach dem Kursbuch Sam Wymmers’, das zum gefälligen Gebrauch neben dem Telephonbuch auf der Ecke des Schanktisches liegt, blättert scheinbar aus Langeweile darin und stellt befriedigt fest, daß am Donnerstag der Steamer „Köln“ in Port Elizabeth fällig ist. Route: Kapstadt, Teneriffa, Amsterdam, Hamburg.

Hans Balck ist heute wieder mal im Zuge. Er ladet immer wieder zu neuen drinks ein, kommandiert, lacht, wettet und boxt aus reinem Übermut Jim Halvorsen, den Amateur-Meisterschaftsboxer des Distrikts, zum Jubel der Zechgenossen k.o.

Als die Musik den Lärm mit einem flotten Step durchdringt, schnappt Hans Balck ohne weiteres die hübsche Molly Reeve um die Taille und wirbelt mit ihr davon. Mollys glänzende Augen bezeugen deutlich, daß sie Gefallen findet an dem starken Erobererarm und am liebsten den Tanz stundenlang fortgesetzt hätte. Aber das ist nicht nach Hans Balcks Geschmack. Je toller, um so besser. Mitten im Tanz läßt er Molly plötzlich stehen und langt sich eine andere von den „girls“. Die Musiker spielen und spielen und werfen schon mahnende, vorwurfsvolle Blicke auf ihren Dirigenten, aber sobald der zu Ende kommen will, donnert Hans Balks Stimme durch den Saal:

„Weiterspielen! Keine Müdigkeit vorschützen!“ und „Weiterspielen“ verlangen lärmend die von Hans Balcks Übermut angesteckten Digger. Die sonst hier im Lokal gewahrte äußere Form fällt ab, die gute alte Diggermanier bricht durch. Man pfeift, stampft zum Takt der Musik den Fußboden, schwingt verwegen sein Girl, flucht und lacht. Sam Wymmers’ „Kohinoor-Bar“ wird trotz Abendanzug und weißem Kragen einmal wieder zu einer richtigen Goldgräberbar wie in längst entschwundenen Zeiten, als auf den Feldern, die jetzt der Skuller Mine Co. gehören, noch die Digger selbständig mit Hacke und Sieb nach blauer Erde schürften. Hans Balck aber tanzt unentwegt. Er nimmt den Kameraden einfach die Tänzerinnen aus den Armen und schiebt ihnen dafür seine eigene zu, und selbst die „wildesten“ Digger lassen es sich lachend gefallen, denn Hans Balck kann man unmöglich böse sein, wenn er „seinen Tag“ hat. Die Mary, die Kitty, die Mabel, die Sonja— Hans Balck tanzt sie alle tot und lebendig. Er setzt sogar mit einem Hechtsprung über die Bar und holt Mrs. Field, die würdig-behäbige Küchenbeherrscherin, trotz ihres aufgebrachten Protestes in den Trubel.

Er hat eben wieder einmal Molly Reeve erwischt und schwingt sich mit ihr, als sein Blick auf Piet Keulen fällt, der eben eingetreten ist und düster in die lärmende Fröhlichkeit blickt. So bedrückt und niedergeschlagen, fast verzweifelt sieht Piet aus, daß Hans Balck jäh seine Tänzerin losläßt und auf den Freund zugeht.

„Mensch, was machst du denn für’n Gesicht! Ist was passiert?“

Die Musikanten setzen ihre Instrumennte ab, wischen sich den Schweiß von der Stirn und werfen dankbare Blicke auf Piet Keulen, aber er sieht sie nicht. Er schüttelt auf Hans Balcks Frage nur den Kopf und seufzt aus kummervollem Herzen. Hans packt ihn am Arm.

„Schieß los, Piet! Was wollte der Alte von dir? Du bist doch nicht am Ende — entlassen?“

„Schlimmer, Hans! Tausendmal schlimmer!“

„Nanu?“ Hans zieht den Freund mit sich in eine Ecke und drückt ihn auf einen Stuhl. „Erst mal einen Whisky, mein Junge! So! Nicht so zaghaft! Runter mit dem Gift! Und nun erzähl gefälligst!“

Das scharfe Getränk scheint Piets Lebensgeister wirklich ein wenig aufzufrischen. Er faßt die Hand seines Freundes und neigt sich flüsternd über den Tisch.

„Weißt du, wer den „Stern von Südafrika“ übers Meer bringen soll, Hans?“

„Nee.“ Hans Balck blinzelt ein wenig verwundert. „Keine Ahnung.“

„Ich“, sagt Piet Keulen mit Grabesstimme. „Ich bin der Unglückliche.“

„Mach keinen Quatsch, Piet! Du?“

„Leider, leider. Hör zu, Hans, und bemitleide mich. Ich bin der Kurier. Der Alte hat mich nur rufen lassen, um mir das mitzuteilen und mir das versiegelte Päckchen zu übergeben. Ich reise mit der „Köln“ von Port Elizabeth aus.“

Hans Balck pfeift durch die Zähne und betrachtet den Kleinen nachdenklich. „Na und?“ sagt er gedehnt. „Darum brauchst du doch nicht so ne Jammermiene aufzusetzen.“

„Bei meinem Pech, Hans!“ Piet Keulen schluckt schwer. „Mein Todesurteil ist gesprochen. Verlaß dich drauf, ich werde unterwegs ermordet, erschossen, über Bord geworfen, erdolcht. Und wenn ich schon lebend nach Amsterdam kommen sollte, dann bestimmt ohne den Diamanten. Möchte wissen, welcher unselige Dämon dem Alten eingegeben hat, grade mich zum Kurier zu bestimmen!“

Hans Balck betrachtet mitleidig das verstörte Gesicht des Freundes. Ein Feigling ist Piet Keulen keineswegs, er leidet nur an einem unausrottbaren Minderwertigkeitskomplex. Vielleicht weil er so klein und schmächtig ist. Außerdem aber ist er ein kreuzbraver, großartiger Kamerad. Hans Balck und Piet Keulen haben schon manchen Sturm zusammen erlebt und immer kräftig an einem Strang gezogen in den vier Jahren, die sie nun schon Arbeitsgenossen und Freunde sind.

„Du machst dir unnötige Kopfschmerzen, mein guter Junge“, sagt Hans Balck ruhig und gießt vorsorglich dem Freund einen neuen Whisky ein. „Du weißt doch, sie schicken immer mehrere Kuriere ab, wenn ein wertvoller Stein fortgebracht werden soll. Wer sagt dir denn, das gerade du den „Stern von Südafrika“ in deinem Päckchen hast?“

Piet Keulen schüttelt trostlos den Kopf. „Ich bin ein Pechvogel, Hans. Ich sage dir, ich weiß bestimmt, daß ich und kein anderer den Stein hat.“

„Meinetwegen. Aber schließlich sind wir zwei, mein Junge. Wir machen die Reise ja zusammen.“

„Wieso?“ Piet hebt verwundert den Kopf. „Fährst du denn auch ....“

„Am Donnerstag mit der „Köln“, vollendet Hans ruhig. Ich sagte dir ja schon: Ich hab Urlaub bekommen. Wir werden bis Amsterdam gemeinsam reisen. Was soll dir da passieren? Also steck ruhig deine Totengräbermiene ein, und wenn ich dir einen guten Rat geben soll, dann erzähl nicht jedem, daß du der Kurier bist.“

Bei der Aussicht, mit dem Freunde zusammen zu reisen, hebt Piet wirklich etwas getröstet den Kopf. „Ich werde mich selbstverständlich hüten.“

„Na, mir hast du’s doch eben erzählt.“

„Dir, Hans!“ Der Kleine sieht Hans Balck mit einem treuherzig bewundernden Blick an. „Meinem besten Freunde kann ich doch wohl ....“

„So ein Monstrum von Diamant hat schon aus Brüdern Todfeinde gemacht, mein Kerlchen. Also Vorsicht, wenn ich bitten darf. Vor allem laß die Indianer hier nichts merken. Trink, tanz und sei fidel. Ja, ich komme schon, Molly!“ unterbricht sich Hans Balck, denn die Musik hat sich inzwischen erholt und Molly Reeve tänzelt quer durch den Saal auf ihn zu. Eine Minute später walzt er wieder übermütig mit Molly durch das Lokal.

Der Stern von Südafrika

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