Читать книгу Der Stern von Südafrika - Axel Rudolph - Страница 7

IV

Оглавление

Hans und Piet haben eine gemeinsame Wohnung, ein richtiges Junggesellenheim in einem der modernen Siedlungshäuser, die für die Minenangestellten an der Peripherie Kimberleys errichtet sind. Dort lädt Hans seinen „lebenden Leichnam“ ab und läßt den kleinen Piet sanft auf die Couch gleiten. Einen Moment macht Piet Miene, zu erwachen. Er wälzt sich unruhig auf die andere Seite, stöhnt tief auf und murmelt sogar ein paar unverständliche Worte.

„Du mich auch.“ Hans, der zur Vorsicht jedes ihm unverständliche Wort auf Götz von Berlichingen bezieht und dementsprechend beantwortet, bleibt vor Piet stehen und betrachtet ihn tiefsinnig. „Willste noch ’n Whisky, Piet?“

Aber Piet antwortet nicht mehr. Er liegt auf dem Rücken und schnarcht leise. Hans wendet sich ab und reckt die Arme. Die Alkoholgeister rumoren noch mächtig in seinem Kopf, aber von Müdigkeit fühlt er keine Spur. Nicht einmal genügend fällig füllt er sich, um den Kopf unter die Brause zu stecken.

Das war wieder mal ein Abend! Und Molly Reeve, — allerhand Achtung! Das Mädel hatte Rasse! Und dazu ein so unverschämt liebes Gesichtchen, daß man beinahe weich werden konnte, wenn ihre großen Frageaugen auf einem ruhten. Tja — Molly Reeve! Das mit der Verlobung war natürlich nur ein Ulk gewesen. Würde sie selber auch kaum anders auffassen. Aber sonst — bei allen Goldklumpen und Diamantensplittern! Das Mädel war wirklich zu schade für Sams Tingeltangel. Schien auch wirklich anständig zu sein. Na ja — jetzt noch. Aber laß sie erst mal ein halbes Dutzend Jährchen in den Bars von Kimberley, Pretoria, Johannisburg, Bloomfontein herumgetingelt haben, — was wird dann übrig sein von dem lieben, anständigen Gesichtchen? Dann wird die kleine Molly genau so aussehen wie die anderen geschminkten Ziegen in Sams Budike! Schade, jammerschade!

Hans Balck ist schon viele Jahre hier unten in Südafrika, und die Heimat hat er eigentlich seit seinem sechzehnten Lebensjahr kaum wiedergesehen. Aber Blut bleibt Blut. Ein Deutscher ist er deshalb doch geblieben, und dieses Wörtchen „deutsch“ in seinem Wesen überlegt eine Viertelstunde allen Ernstes, ob es nicht seine, Hans Balcks Pflicht sei, die kleine Molly Reeve vor dem traurigen Zukunftsschicksal zu bewahren. Zum Beispiel, indem er sie tatsächlich heiratete?

Es ist nicht die Rührseligkeit des „grauen Elends“, die diesen Gedanken in ihm aufkommen läßt. Hans überlegt ganz nüchtern und ernsthaft, ob er nicht morgen früh doch noch einmal zu Sam hingehen und die „Verlobung“ offiziell anerkennen soll. Erst nach reiflichen Erwägungen kommt er von dem Gedanken wieder ab. Was weiß er schließlich von der kleinen Molly. Sie waren ein bißchen verliebt heute abend ineinander, na ja — aber vielleicht hat sie einen jungen Mann in ihrer Heimat, der ihr Leben ausfüllt. Oder einen reichen Freund hier in Kimberley oder sonstwo. Die Vernunft behält die Oberhand über das Gefühl, aber Hans beschließt doch, sich auch weiterhin um die kleine Molly zu kümmern. Das heißt — Donnerwetter! Ganz plötzlich fährt es ihm durch den Sinn, daß er ja morgen — nein heute schon! — auf großer Fahrt ist. Übers Meer, nach Amsterdam und dann in die alte Heimat. Wenn er nach Monaten zurückkehrt hierher nach Kimberley, dann wird das „Programm“ in der „Kohinoor-Bar“ längst gewechselt haben und Molly Reeve Gott weiß wo sein. Nun, man kann ihr ja schreiben von unterwegs. Einen netten Brief mit der Bitte um ein späteres Wiedersehen. Wenn sie wirklich das ist, wofür Hans sie hält, dann wird man in Verbindung bleiben, man kann sie später aufsuchen und immer noch tun, was man will.

Tja, die Reise! Seine Gedanken gleiten von Molly hinweg zu der bevorstehenden Aufgabe. Zum ersten Male Diamantenkurier! Da, in dem verschlossenen Brief auf dem Schreibtisch stehen seine Verhaltungsmaßregeln. „Blödsinn!“ denkt Hans Balck. „Ich weiß selber, wie ich mich zu verhalten habe. Mit guten Ratschlägen bin ich versehen!“ Was ist auch groß zu tun: Aufpassen, die Augen offen halten, die Fäuste bereit und auf keine Tricks reinfallen! Hans zweifelt keinen Augenblick daran, daß er den „Stern von Südafrika“ prompt und sicher an seinem Bestimmungsort abliefern wird.

Der kleine Piet stöhnt gräßlich im Schlaf. Hans schaut hinüber auf den Schlafenden und denkt plötzlich daran, daß Piet Keulen ja der zweite Kurier ist. Merkwürdig, daß sie gerade ihn dazu bestimmt haben! Nach Piets Gejammer vorhin hat ihm offenbar Mr. Skuller sogar genau dasselbe gesagt wie Hans, nämlich, daß er den Diamanten in seinem Päckchen hat. Oder — Hollah! Ein neuer Gedanke fährt durch seinen Kopf und zaubert eine nachdenkliche Furche auf seiner Stirn. Ist es vielleicht so? Hat Piet wirklich den „Stern von Südamerika“ und er, Hans, nicht? By Jove, es wäre nicht unmöglich, daß die neunmalgescheiten Herren in der Direktion eine hübsche kleine Rechnung aufgestellt haben, etwa folgendermaßen: Mr. Balck ist ein großer, kräftiger Bursche, anerkannter Draufgänger und Boxer, ein Kerl, dem man es auf zehn Schritte ansieht, daß er bis jetzt das Gruseln noch nicht gelernt hat, kurz: der geborene Kurier. Wenn es jemand gibt, der Absichten auf den Diamanten hat, so wird er sehr leicht auf Mr. Balck als Kurier tippen. Mr. Piet Keulen dagegen ist klein und schmächtig, ein guter, harmloser Junge. Kein Mensch wird auf den Gedanken kommen, daß man ihm den kostbaren Stein anvertraut hat.

Je länger Hans über die Sache nachdenkt, um so klarer erscheint sie ihm. Natürlich kann es so sein. Die Kuriere kennen einander nicht. Er hat ja auch nur zufällig durch Piets Redseligkeit erfahren, daß der Kleine da in doppeltem Sinne jetzt sein Kollege ist. Wenn jemand beobachtet, wer von den Skuller-Leuten in den nächsten Tagen abreist, und dabei zu der Überzeugung kommt, daß Mr. Balck und Mr. Keulen die Kuriere sind, so wird er bestimmt sich an die Sohlen Balcks heften und den kleinen Piet ungeschoren lassen. Das ist vielleicht der Zweck der Übung.

Hans hat bisher als selbstverständlich angenommen, daß die Worte Mr. Skullers ernstgemeint waren und daß er selber den „Stern von Südafrika in seinem Päckchen hat. Die neue Überlegung versetzt seinem Selbstbewußtsein einen starken Stoß. Ärgerlich holt er das kleine, verschnürte Päckchen aus der verschlossenen Reisetasche und dreht es mißmutig in den Fingern.

„So’n Ball mit mir schieben! Die ganze Reise über wie ein Höllenhund aufpassen auf das Paketchen da, das womöglich nur einen wertlosen Stückchen Dreck enthält! Nee! Können Sie mit mir nicht machen, Mr. Skuller. Mit mir nicht!“

Hans beginnt vorsichtig die Verschnürung zu lösen, schält die Umhüllung, ohne das Siegel zu verletzen, an einer Ecke auf. Ein Beamter aus Metternichs schwarzem Briefkabinett hätte ihn beneiden können um die Geschicklichkeit, die er dabei entwickelt. So! Jetzt ist eine kleine Öffnung da. Hans bläst hinein, um die innere Umhüllung zur Seite zu drücken, und schüttelt dann das Päckchen. Es rappelt drinnen. Kiesel oder Diamant. Hans schüttelt vorsichtig das Päckchen über der flachen Hand, bis sich ein Stein in die Öffnung klemmt, den er mit spitzen Fingern herauszieht.

Der „Stern von Südafrika!“

Hans betrachtet gründlich und aufmerksam den Stein, der in seiner flachen Hand glitzert. Jawohl, das ist der „Stern von Südafrika“, ein richtiger, unzweifelhaft echter Diamant.

„Na also!“ Befriedigt steckt Hans den Stein in seine Umhüllung zurück, schließt und verschnürt das Päckchen ebenso vorsichtig und sauber, wie er es geöffnet hat. Kein Mensch kann dem Ding ansehen, daß es eben noch offen war. Hans weiß natürlich, daß er absolut gegen seine Instruktion gehandelt hat. Mr. Skuller würde ihn fristlos entlassen, wenn er wüßte, daß sein Kurier einfach das versiegelte Päckchen geöffnet hat, das heißt, falls der Herr Generaldirektor nicht vor Entsetzen bei der Nachricht einem Schlaganfall erliegen würde.

„Wenn die Herren wollen, daß ich auf das Ding aufpassen soll, muß ich schon wissen, daß sich das Aufpassen lohnt“, brummt Hans, seine nachträglichen Bedenken abschüttelnd. „Jetzt weiß ich’s also, und alles ist in Butter. Gute Nacht, Marie!“

Die Müdigkeit macht sich nun doch geltend. Hans steht auf und reckt gähnend die Arme. Ein Blick auf die Uhr. „Donnerwetter! Schon zwei Uhr durch! Da wollen wir rasch noch ’n paar Kilometer schlafen!“ Die Couch, wie sonst, in ein regelrechtes Bett umzuwandeln, verlohnt sich nicht mehr. Hans zieht nur Rock und Weste aus und langt sich seinen Bademantel. Die Reaktion nach der tollen Trinkerei macht sich plötzlich stark bemerkbar. Hans ist mit einem Male so müde, daß ihm die Augen fast zufallen. Ein letzter Blick erhascht noch das auf dem Tisch liegende Päckchen. Ach so! Der „Stern von Südafrika“.

„Ruhe sanft!“ murmelt Hans gähnend und wirft mit sicherem Schwung das Päckchen in die auf dem Tisch stehende offene Reisetasche. Dann haut er auch schon lang auf sein Lager hin.

Hans Balck schläft, den Kopf in die Couchkissen gewühlt, tief und ruhig den Schlaf eines Mannes, der ein hervorragend gutes Gewissen hat. Piet Keulen aber wälzt sich drüben an der anderen Längswand des Zimmers qualvoll auf seiner Couch hin und her.

Der arme Junge träumt schauerliche Dinge. Krallenhände greifen nach seinem Hals, ein langes, spitzes Brotmesser senkt sich von oben her aus dem Unsichtbaren langsam herab gegen seine Kehle. Er hat das schreckliche Gefühl, an Händen und Füßen gefesselt dazuliegen und dieses drohende Messer sehen zu müssen. Dann wieder tanzen glühende Kreise um ihn. Tausend Augen lauern im Dunkel, Finger zeigen auf ihn, Revolver und Dolche heben sich gegen einen Wehrlosen, der gefesselt im Bett liegt. Nein, jetzt geht er durch eine dunkle Straße, wie durch einen Schacht. Pfiffe gellen auf aus dem Dunkel, grinsende Verbrecherfratzen lauern um die Ecke, die Häuserwände neigen sich vornüber, als wollten sie über ihm zusammenstürzen. „Das ist er!“ krächzt irgendwo eine Stimme. „Das ist der Mann, der den Diamanten bei sich hat!“

Piet beginnt in seinem Angsttraum zu laufen, eine keuchende, blutgierige Meute hinter ihm her. Dann ist da auf einmal ein Strand, ein Meer. Drüben am anderen Ufer steht riesengroß sein Freund Hans Balck, die Shagpfeife im Mund, die Hände in den Hosentaschen und schaut gelassen herüber. Piet Keulen hört die Meute hinter sich, fühlt Hände, die nach ihm greifen, läuft, läuft — hinein in das Wasser, immer tiefer — eine Woge rollt heran und schlägt über seinem Kopf zusammen, daß er gurgelnd versinkt. Dann ist plötzlich wieder ein Arm da, der ihn packt und hochzieht, ein Riesenarm. Hans Balck steht vor ihm und schaut ihm drohend ins Gesicht. Piet will schon aufatmen, da verwandelt sich die ganze Gestalt vor ihm, der Arm wird zu einer Riesenschlange, das Gesicht zu einem breiten Schlangenkopf, in dem ein einziges Auge funkelt: ein tückisch schillernder Diamant. Mit einem schrillen Angstschrei erwacht Piet Keulen. — — —

„Morjen!“ Auch Hans Balck ist wach geworden bei dem lauten Aufschrei. Er sitzt auf seiner Couch und schaut verschlafen hinüber auf das schweißgebadete, verstörte Gesicht des Freundes. „Dich hat wohl ne Kuh gebissen, daß du hier plötzlich um Hilfe schreist!“ Er reckt und dehnt sich ein paarmal, schlürft dann zum Fenster und zieht die Vorhänge auf. Der Morgen dämmert in das Zimmer.

„Also raus aus den Kartoffeln!“ Hans wirft die Schlaftrunkenheit endgültig ab und geht in den kleinen Waschraum nebenan, wo er ein mächtiges Pusten und Plätschern anhebt. Der kleine Piet Keulen sitzt wie verloren auf dem Rand seines Lagers und schaut starr vor sich hin. Dieser furchtbare Traum! Das hat doch was zu bedeuten! Der unglückselige Diamant. . .

Er greift mit zitternden Händen nach der Geldkassette, die unter seiner Couch steht, und schließt sie auf. Da ist das Päckchen, das schreckliche, das ihn in den Tod hetzen wird. Ob man nicht zu Mr. Skuller gehen könnte und ihn bitten, einen anderen zu senden? Lieber sofortige Entlassung als . . .

Piet Keulens Blicke, die ratlos im Zimmer hin und her gehen, bleiben plötzlich an der offenen Reisetasche auf dem Tisch haften. Ganz starr und groß werden seine Augen. Da liegt ja . . . Wahrhaftig, da obenauf in Hans Balcks Tasche liegt ein zweites Päckchen, völlig gleich seinem eigenen! Piet Keulen atmet schwer. Also Hans! Hans ist der zweite Kurier! Das heißt, er hat natürlich nur einen Kiesel oder sonst eine Atrappe in seinem Päckchen. Er, Piet Keulen, hat den „Stern von Südafrika“. Mr. Skuller hat es klar genug gesagt, und sein innerstes Gefühl sagt es ihm noch deutlicher.

Während Hans Balck nebenan ausgiebig den Kopf unter die Brause steckt, durchtobt den kleinen Piet ein wilder Sturm. Die beiden Päckchen sind völlig gleich. Niemand kann es bemerken, wenn man sie vertauscht. Warum soll grade er . . . der Pechvogel . . . Warum nicht Hans? Hans Balck, der starke, siegesbewußte, sorglose Hans, der Mann, für den es einfach keine Gefahr gibt, — Hans wird den Diamanten sicher und ungefährdet über das Meer bringen!

„Du, Piet!“ kommt zwischen Prusten und Klatschen aus dem Nebenraum die Stimme des Freundes. „Was meinst du? Wenn wir hier losgondeln, machen wir erst noch ’nen kleinen Abstecher zum „Kohinoor“ und sagen Molly Lebewohl.“

„Wer . . . wen meinst du, Hans?“

„Na, Molly!“

„Ach so . . . ja . . . deine Braut . . .“

„Red keinen Zinnober, Mensch. Aber Adjö können wir doch dem Mädel sagen, nicht? So! Freie Bahn! Verpaß dir mal ne tüchtige kalte Abreibung, mein Junge. Du warst gestern töter als tot!“

„Ja, Hans, ich komme schon.“ Piet Keulen kämpft einen letzten, kurzen und schweren Kampf. Aber das Bewußtsein, daß Hans der rechte Mann ist, den Stein ungefährdet zu überbringen, während er selber verloren ist mit dem Diamanten in seinen Händen, siegt über alle Bedenken. Scheu und heimlich, die Augen ängstlich auf dem Waschraum gerichtet, nimmt Piet das Päckchen aus der Reisetasche und legt sein eigenes hinein.

„Willst wohl eine ganze Kaltwasserkur absolvieren?“

Hans, der sich bereits angezogen und seinen schon am Abend vorher gepackten Kabinenkoffer hervorgeholt hat, wirft einen ungeduldigen Blick nach dem Waschraum, in dem Piet immer noch steckt. „Tempo, Tempo, mein Junge! In einer halben Stunde müssen wir abtrudeln!“

„Ja, ja, Hans! Ich bin gleich fertig!“

„Na, dann werd ich mal unsere stolze Limousine von der Klamottenhalde drüben holen, während du deine Toilette beendigst.“ Hans Balck steckt Uhr und Zigarettenetui in die Tasche, überzeugt sich mit raschem Blick, daß das Päckchen in der Reisetasche vorhanden ist, und schließt mit einem hörbaren Schnapp befriedigt die Tasche, ohne zu ahnen, daß durch eine Spalte des Vorhangs zum Waschraum zwei ängstliche Augen ihn beobachten.

„Er hat nichts gemerkt!“ Piet Keulen atmet tief auf und fühlt das Zittern in seinen Beinen schwinden, als Hans die verschlossene Tasche ergreift und hinausgeht, um das Auto startbereit zu machen. Er hört ihn noch draußen auf dem Flur sorglos und vergnügt ein Liedchen summen:

„Put all your troubles in your old Kit — Bag — and loose it!“

Der Stern von Südafrika

Подняться наверх