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2. Kapitel.

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Shepheards Terrasse war immer noch der Sammelpunkt der guten Gesellschaft Ägyptens. Draußen im Mena House wohnten die Snobs, die Sphinx und Pyramiden lediglich als ein Ausstattungsstück betrachteten, das man sich beim Frühstückstisch von einem möglichst mit allem Komfort eingerichteten Hotelsaal aus so nebenbei ansah. Bei Shepheard aber trafen sich die Reisenden, denen ein kultivierter Geist und eine gute Kinderstube mehr bedeuteten als ein dickes Scheckbuch.

Die große Hotelterrasse war bis auf den letzten Platz besetzt. Weißgekleidete Araberboys mit malerischen Fezen reichten Zigaretten und Mokka, Kellner schlängelten sich mit Tabletts voll eisgekühlter Limonaden, Whisky und Soda zwischen den Tischreihen hindurch. Auf den großen, über den Tischen aufgespannten Sonnenschirmen brannte knallend die Nachmittagssonne. Die Agaven in den großen Kübeln an der Brüstung der Terrasse stachen spitz in die vibrierende Luft, und die Wedel der bis über das flache Hoteldach reichenden Palmen verdeckten ihr Grün unter einer weißlichen dicken Staubschicht.

Auf der breiten Straße unterhalb der Terrasse lärmte und schrie das Leben des Orients. Der Ruf der Wasserträger, zankende Fellachenjungen, heiser anpreisende Eseltreiber und koptische Händler. Das langgezogene Gewieher der Grautiere mischte sich zu lächerlichem Kontrast mit dem Stimmengewirr plaudernder Menschen auf der Terrasse und den Geigenklängen der in buntfarbigen Phantasieuniformen steckenden Kapelle.

„Puh! Kinder, ist das ’ne Hitze hier!“

Ein älterer Herr von unverkennbar germanischem Typ wischte sich, an einen der Tische herantretend, mit einem Seidentuch den nassen kahlen Schädel. Fröhliches Gelächter empfing ihn.

„Wenn’s Ihnen zu warm ist, Merker, dann machen Sie doch Frau Kreß ’nen Besuch. Das kühlt ab,“ lachte der Fabrikant Pollmann aus Leverkusen am Rhein. Sein Nachbar, der Ingenieur Witthof winkte ebenfalls lachend, einem vorüberhetzenden Kellner:

„Waiter! ’ne ‚Eisfrau‘! Aber dalli, dalli!“

Gläsergeklirr, unbekümmert laute Männerstimmen, Zigarrenaroma. Ein Stückchen Deutschland, mitten in Kairo, dieser Ecktisch, an dem lauter Herren in mittleren und älteren Jahren saßen. Man hatte sich zusammengefunden hier im Hotel, lauter Landsleute: ein paar Industrielle und Bankmenschen auf der Erholungsreise, Kaufleute und Ingenieure, die beruflich im Nillande zu tun hatten, der Arzt Dr. Schütz, der schon seit Jahren in Kairo ansässig war. Keine einzige Dame dabei. Lauter Strohwitwer und alte Junggesellen, die natürlich sofort hier eine Art Stammtisch aufgemacht hatten. Man trank Münchener Exportbier trotz der unverschämt hohen Preise, die dafür verlangt wurden, man erzählte Anekdötchen, fachsimpelte, diskutierte und politisierte ungemein laut, und das kräftige Männerlachen, das oft genug um den Tisch schütterte, lockte manchen erschrockenvorwurfsvollen Blick von den Nebentischen herüber, an denen blasierte Globetrotter und mimosenhafte Ladies und Demoiselles ihren Whisky oder Absinth schlürften.

„Was ist denn das, eine ‚Eisfrau’?“ erkundigte sich ein schlankgewachsener Herr mit wetterbraunem Teint im hageren bartlosen Gesicht. Der wohlbeleibte Rheinländer schmunzelte. „Kennen Sie noch nicht? Ach so, Sie sind ja Rekrut hier, Thornberg, Eben erst ausgespuckt aus dem Rumpelkasten von Hotelomnibus. Also die ‚Eisfrau’ ist die kühlste Limonadenmischung, die es hier überhaupt gibt. Sollten Sie mal probieren. Wir haben sie einstimmig so getauft. Frau Britta Kreß zu Ehren!“

Die Herren lächelten verständnisinnig. Erich Thornberg, der vor wenigen Stunden in Kairo angekommen war und nur durch Zufall den Weg in diese landsmännisch vertraute Gesellschaft gefunden hatte, sah etwas unsicher drein.

„Frau Britta Kreß? Ist das etwa die Frau des Geheimrats Kreß aus Berlin?“

„Allemal. Kennen Sie den Mann?“

„Persönlich noch nicht.“ Thornbergs Stimme wurde lebhafter, und man sah, daß der Name in seinen Gedanken eine Rolle spielte. „Aber wegen Geheimrat Kreß bin ich im Grunde hergekommen. Ich hatte ihm geschrieben und er sagte mir eine Unterredung zu.“

„Geschäftlich?“

„Ja.“ Erich Thornbergs immer etwas befangenes Gesicht wurde noch um eine Nuance zurückhaltender. „Ich hoffe, daß er meine neue Polarexpedition finanzieren wird.“

Der Bankier Friedenauer legte Thornberg sanft die Hand auf den Arm. „Wenn Sie mit dem Geheimrat Kreß Tachles reden wollen, folgen Sie meinem Rat: Sei’n Sie vorsichtig!“

„Wieso? Warum denn?“

„Er flattert schon.“ Friedenauer hob die Schultern; „der Pleitegeier nämlich.“

Thornberg sah seinen Nachbar mißtrauisch-ungläubig an. „Das Erste, was ich höre, Herr Friedenauer.“

„Ich weiß, was ich weiß. Überhaupt, warum wollen Sie den Kreß beteiligen? Machen Sie die Sache lieber mit mir.“

„Sie interessieren sich auch für meine Expedition?“ Thornberg sah verwundert den kleinen beweglichen Mann an. Es war schwer, sehr schwer, in diesen Zeiten Kapital aufzutreiben. Ein halbes Jahr schon war er in Berlin auf der Geldsuche gewesen. Geheimrat Kreß war eigentlich seine letzte Hoffnung gewesen. Aber was der Bankier da sagte ... Thornberg schüttelte den Kopf und gab sich selber einen Ruck. „Ich kann nicht recht glauben, daß der Geheimrat Kreß schlecht stehen soll.“

„Er glaubt mir’s nicht!“ Friedenauer wandte sich mit tiefgekränkter Miene zu seinem Gegenüber, dem Großindustriellen Rombach. „Sagen Sie doch mal Herrn Thornberg, wie’s mit dem Geheimrat Kreß steht.“

„Faul. Oberfaul.“ Der in ganz Deutschland bekannte Wirtschaftsführer zog die Augenbrauen hoch. „Die Kreß-Werke sind nicht mehr zu halten. Vorigen Monat schon hat Kreß ein Äußerstes getan und sein Gut Altenhagen verkauft, um Geld flüssig zu machen. War ’n Tropfen auf ’nen heißen Stein. Und jetzt, nachdem sein Abschluß auf Lieferung mit Maschinen für die ägyptische Regierung auch noch in den Nilschlamm hier gerutscht ist — nee, nee, da ist nichts mehr zu machen. Höchstens kann er’s noch ’ne Weile hinausschieben, wenn seine Frau ihr Vermögen in die Werke steckt.“

„Was wollten Sie denn für ein Geschäft mit Kreß machen, Herr Thornberg?“ fragte ein entfernt Sitzender über den Tisch.

„Das kann ich Ihnen sagen, meine Herren.“ Friedenauer fegte mit seinen Händen förmlich alles beiseite, was ihn am Sprechen hätte hindern können. „Sie wissen doch alle, daß Herr Thornberg auf seiner letzten Polarexpedition ein neues Land da oben festgestellt hat. Die Zeitungen waren ja voll davon. Nun will er eine zweite Expedition ausrüsten, um das neuentdeckte Land zu erforschen und sucht ’nen Geldmann dazu.“

„Schade.“ Der Fabrikant vom Rhein wiegte bedauernd den mächtigen Kopf. „Ich kenne Kreß. Mit dem ließe sich unter anderen Umständen darüber reden. Aber wie’s jetzt steht, könnte wohl höchstens seine Frau so eine Sache finanzieren. Und Frau Britta dürfte gegenwärtig wenig übrig haben für wissenschaftliche Expeditionen.“

„Sssst! Attention, meine Herren! Die Eisfrau!“

Von der Straße her stieg eine schlanke blonde Dame an dem salutierenden Portier vorbei die Stufen zur Veranda empor. An vielen Tischen wandten sich neugierige Köpfe, die Damen musterten die hochgewachsene Gestalt in dem grauen Straßenkleid aus Rohseide, hier und da grüßten Herren respektvoll. Die Musik intonierte eben den Schlager der Saison. „Kühl wie der Schnee vom Libanon.“ Wiegend, fast zärtlich sangen die Geigen.

Selbstsicher, für die Grüße fast ohne hinzusehen mit leichtem Kopfnicken dankend, schritt Frau Britta Kreß über die Terrasse.

Auch die deutschen Herren hatten sich umgewandt und gegrüßt. Es war unwillkürlich still geworden am „Stammtisch“. Man sah Frau Britta Kreß nach, wie immer ein wenig fasziniert von ihrer eigenartig schönen Herbheit. So bemerkte niemand das sonderbar starre Gesicht Erich Thornbergs.

Der aber saß regungslos und sah — sah ...

Eine Vision.

Während Frau Britta vorüberschritt, versanken vor seinen Augen plötzlich die Palmen, die Agaven und Azeleen, die Tropenanzüge und buntfarbigen Schals, das ganze farbenfrohe Leben der Terrasse. Die blendende ägyptische Sonne schrumpfte zusammen zu einem mattglänzenden Ball. Verschwunden hinter Nebeln das schillernde Sonnenland am Nil. Nur noch die Arktis war da, das grünlich schimmernde unbarmherzige Eis, die weißen Weiten der Schneefelder, der klirrende Frost, die bleischwer lastende Decke des Nordlandhimmels. Und durch die schweigende Schneeeinsamkeit schritt in ihrem leichten rohseidenen Kleid unberührt und hocherhobenen Hauptes Frau Britta Kreß — die Eisfrau.

Frau Kreß war inzwischen am Hoteleingang angelangt. Die schwingende Windfangtür warf ein Blitzen hinter ihr her. Die verkrampfte Starrheit in Erich Thornbergs Gesicht löste sich. Die Schneefelder der Arktis schmolzen dahin. Auf einmal war wieder die Umwelt da: Kairo, die Sonnenglut, die Palmen, die plaudernden, lachenden, flirtenden Menschen. Die Geigen schwangen sehnsuchtsbang. Am Nebentisch summten ein paar junge Damen den Refrain mit:

„Leicht wie die Feder,

Schlank wie die Zeder,

Kühl wie der Schnee vom Libanon.“

Die Eisfrau

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