Читать книгу Die Eisfrau - Axel Rudolph - Страница 5

3. Kapitel.

Оглавление

In dem Hotel-Appartement des ersten Stockes, das Frau Britta Kreß betrat, saß ein gebrochener Mann.

Geheimrat Kreß lehnte müde in seinem Schreibtischstuhl, und seine Augen sahen glanzlos, tief in den Höhlen liegend, der Eintretenden entgegen. Seine über die Stuhllehne schlaff herabhängende Rechte hielt ein zerknittertes Telegrammformular, dessen Umschlag zerfetzt auf dem Teppich lag.

Frau Britta erschrak. Sie war es gewohnt in der letzten Zeit, daß Kreß schwere Sorgenfalten auf der Stirn trug, aber so zerfallen und verstört hatte sein Gesicht noch nie ausgesehen. Befremdet trat sie an den Schreibtisch heran und berührte leicht seine Schulter.

„Was hast du, Konrad?“

Der Geheimrat hielt seiner Frau das Telegrammformular hin. „Es ist aus, Britta. Die Banken sperren die Kredite. Morgen muß ich —“ er zögerte eine Sekunde und netzte sich die trockenen Lippen; es war unsagbar bitter, das Wort auszusprechen, — „morgen muß ich in Konkurs gehen.“

Frau Britta hatte sich in einen Sessel gesetzt und aufmerksam die Depesche durchgelesen. Jetzt legte sie das Blatt mit einer stillen Bewegung auf den Schreibtisch. Ihre Augen liefen ruhig über die Gestalt des Mannes, der, die Hände auf die Stuhllehne gestützt, mit gesenktem Kopf vor ihr saß. Schmal und wohlgeformt waren diese Männerhände. Und einen guten Kopf hatte er schon, der Geheimrat Konrad Kreß. Der Kopf eines Geschäfts-Gentleman, gute, alte Rasse, geistvoll, distinguiert, eben wie ein Mann auszusehen hatte, der über Millionen gebot. Auch jetzt noch, wo die Falten um Nasenflügel und Mundwinkel scharf geworden, die Augen übernächtigt und eingefallen waren, verleugnete dieser Kopf nicht seine Würde und Vornehmheit.

„Es gibt also keine Möglichkeit mehr, Konrad?“

Geheimrat Kreß hob langsam den Kopf. „Keine. Außer einer einzigen, Britta.“ Wieder wandte der Mann die Augen ab und zögerte. Es war so schwer, so unsagbar schwer, das auszusprechen, was doch die einzige Hoffnung auf Rettung blieb.

„Nun, und die ist?“

Mit schwerem Entschluß hoben sich wieder die Augen des Mannes. Ein demütiges Flehen lag plötzlich in ihnen.

„Die einzige Möglichkeit besteht darin, daß du dein Vermögen in die Kreß-Werke steckst, Britta!“

Stille lag über dem Zimmer. Durch die herabgelassenen Jalousien stachen die spitzen Lanzen der ägyptischen Sonne. Frau Britta hatte das Kinn in die Hand gestützt und dachte angestrengt nach. Wie aus weiter Ferne kam die halblaute Stimme des Mannes. Er sprach von dem Schmerz, sein Lebenswerk aufgeben zu müssen, von den brotlos werdenden Arbeitern, von seinem Ruin als Geschäftsmann. Freundlich, aber ohne innere Anteilnahme hörte sie ihm zu, schüttelte dann ruhig den Kopf.

„Nein, Konrad. Soweit ich die Lage übersehen kann, sind die Kreß-Werke auch nicht mehr durch mein Vermögen zu sanieren. Du kannst deshalb nicht verlangen, daß ich mein Geld in deinen Untergang mit hineinziehen lasse.“

Nicht verlangen — nicht verlangen — hämmerte es im Gehirn des Mannes. Nein, zu verlangen hatte er nichts. Sie lebten von jeher in Gütertrennung, wie es sich für vorsichtige Leute schickte. Mit welchem Recht bat er sie überhaupt? Hatte er sich etwa für diese Frau ruiniert? Pah! Sie war reich und unabhängig gewesen, als er sie heiratete. Sie hatte nie finanzielle Opfer von ihm verlangt. Sie würde ihn, den Menschen Konrad Kreß, auch jetzt nicht im Stich lassen. Oh, er wußte es genau: Britta würde auch jetzt, wo er keinen Pfennig mehr besaß, weiter wie bisher neben ihm durchs Leben gehen, ruhig, kühl, selbstsicher. Was wollte man mehr? Und doch wäre es schön gewesen. — Und das Geschäft! Die Arbeiter! Die Werke! — Einen Augenblick war Konrad Kreß in Versuchung, ein sentimentales Wort auszusprechen, an die Tage ihrer Brautzeit, an die ersten Ehemonate zu erinnern. Das Wort „Liebe“ lag ihm auf der Zunge. Er blickte in die kühlen Augen seiner Frau und sprach es nicht aus. Ihm ekelte plötzlich davor. Es war geschmacklos, von etwas zu sprechen, das eigentlich selbstverständlich war unter zwei Menschen, die eine Ehe führten. Nein, es ging nicht! In ratlos dumpfer Verzweiflung fühlte Konrad Kreß plötzlich, daß diese ganzen Jahre an Brittas Seite eine Lüge gewesen waren, daß es nichts gab, was diese Frau innerlich an ihn band.

„Das Unabänderliche muß man tragen, Konrad.“ Frau Britta stand langsam auf und spielte mit einem Briefbeschwerer, der auf dem Schreibtisch lag. „Ich kann dir nicht helfen.“

„Aber ich bin doch nicht schuld!“ Konrad Kreß’ Gesicht lief plötzlich rot an vor Erregung. „Hab’ ich spekuliert? Verschwendet? Die Geldnot, die Verhältnisse, die Wirtschaftskrise ...“

„Gewiß, Konrad.“ Frau Britta senkte beistimmend den blonden Kopf. „Du trägst keine Schuld. Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Die Kreß-Werke sind verloren, und es hat keinen Sinn, mein Vermögen in eine verlorene Sache zu stecken.“

Es lag nichts Unfreundliches in ihrem Ton, nur Kühle, besonnene Überlegung, kalte Bestimmtheit.

„Sprechen wir vorläufig nicht mehr davon. Du bist zu erregt.“ Sie strich leise und oberflächlich noch einmal mit ihrer schmalen Hand über den gesenkten grauen Scheitel des Mannes, nickte ihm zu und ging quer durch das Zimmer zu der Verbindungstür, die hinüber in ihr eigenes Zimmer führte.

„Britta!“ Konrad Kreß wollte aufspringen, ihr nacheilen, sie noch einmal anflehen. Aller Stolz war plötzlich zusammengebrochen. Sie mußte helfen! Die Werke! Die Arbeiter! Mit zitternden Knien fuhr er aus seinem Sessel auf. Die Hitze, die ungeheure Erregung, die Verzweiflung — es war zuviel. Mit einem jähen Stöhnen sank Geheimrat Kreß in den Sessel zurück. Ein Herzschlag hatte seinem Leben ein Ende gemacht.

Die Frau hörte, schon an der Tür, hinter sich den gebrochenen Laut und wandte sich unwillkürlich um. Ihr Blick traf das fahle, starre Gesicht drüben im Sessel. Mit ein paar raschen Schritten war sie bei ihm.

„Konrad?“

Einen Augenblick hob sie mit beiden Händen den leblosen Kopf empor, ließ ihn dann behutsam wieder sinken, ging zur Tür und drückte zweimal scharf auf den Klingelknopf. Die Sonnenspitzen vom Fenster her leckten über ihr blondes Wellenhaar. Unten spielte schmachtend, lockend die Musik.

Ein brauner Boy stand in der Tür und starrte mit erschrockenen Augen auf den regungslosen Mann im Schreibtischsessel. Frau Britta machte eine kurze, befehlende Handbewegung. Ihre Stimme klang ruhig und kühl wie immer:

„Einen Arzt, bitte! Sofort!“

Auch heute spielte die Musik auf der Hotelterrasse. Seit gestern war der Tod im Haus, aber davon brauchten die Gäste nichts zu wissen. Manager und Hotelpersonal hatten ihr Möglichstes getan, den Trauerfall geheimzuhalten. Es war kein behagliches Gefühl, eine Leiche im Haus zu wissen, und die Gäste sollten sich in Shepheards Hotel behaglich fühlen.

Nur an dem „Deutschen Stammtisch“ war die laute Fröhlichkeit seit gestern verschwunden. Einige der Herren kannten Kreß persönlich. Aber auch die andern fühlten aufrichtige Trauer. Jedermann wußte, wer Konrad Kreß war. Ein Ehrenmann, ein tüchtiger Kerl. Wenn auch seine Aktien jetzt faul standen, — lieber Gott, das konnte dem Besten passieren in diesen Zeiten. Und außerdem: ein Landsmann! Daheim merkt man es nicht so, aber hier draußen, in der fremden Welt, da spürt man es plötzlich, daß wir zusammengehören, da ist jeder Deutsche für den anderen ein Stück Heimat, und was ihn trifft, trifft die anderen mit.

Erich Thornberg war vielleicht der, den die Nachricht von dem plötzlichen Tode des Geheimrats Kreß am tiefsten getroffen hatte. Kreß tot! Seine ganze Reise nach Kairo also umsonst! Nun ging das Suchen wieder an, die Jagd nach dem Kapital. Denn die Expedition mußte, mußte noch im kommenden Sommer gestartet werden.

Der Bankier Friedenauer neigte sich vertraulich dicht an Thornbergs Ohr. „Sie werden das Geschäft nun doch wohl mit mir machen müssen, Herr Thornberg.“

Der Forscher antwortete nicht. Er sah. wie die anderen Herren neben und um ihn nach dem Hoteleingang sahen, in dem ehen eine schlanke Dame mit einem ernst-ruhigen Gesicht erschienen war.

„Da ist sie!“

Britta Kreß hatte gestern ihr Zimmer nicht verlassen und alle Besuche abgewiesen. Nur mit dem Arzt und dem Manager des Hotels hatte sie verhandelt. Letzterer gab ihr auch jetzt das Geleit. Er hatte sein offiziellstes Trauergesicht aufgesetzt und erschöpfte sich in leisen Beileidsbezeugungen, schielte dabei ängstlich mit einem Auge nach den Gästen, die fröhlich auf der Terrasse plauderten. Die brauchten nichts zu merken.

Die Herren waren aufgestanden und umdrängten die junge Frau, die ernst, aber vollkommen ruhig und gefaßt die gemurmelten Beileidsbezeugungen entgegennahm. Einer der Herren stellte flüchtig Erich Thornberg vor.

„Mich trifft das unerwartete Unglück ganz besonders,“ konnte der Polarforscher sich nicht enthalten zu sagen, als er sich über die schlanke Hand der Dame beugte, „ich hoffte heute auf eine Unterredung mit Herrn Geheimrat.“

Ein gleichgültiger Blick Brittas streifte sein Gesicht.

„In geschäftlicher Angelegenheit?“

„Ja.“ Erich Thornberg verwünschte innerlich seine Taktlosigkeit. War jetzt der Augenblick, von Geschäften zu reden? Aber das Ungeschick war ihm nun einmal unterlaufen. Er hatte sich hinreißen lassen, von dem zu sprechen, was ihm am schwersten auf dem Herzen lag. Und die kühlen grauen Augen lagen so ruhig, antwortheischend auf ihm. „Es handelte sich um ein Geschäft, das ich Ihrem Herrn Gemahl vorschlagen wollte,“ sagte er abschließend, innerlich unzufrieden mit sich selbst und machte Miene, in den Kreis der Herren zurückzutreten.

Aber die grauen Augen ließen ihn nicht los.

„Ich werde natürlich die laufenden geschäftlichen Angelegenheiten meines Mannes ordnen,“ sagte Frau Britta so nebenbei. „Sie können sich also ruhig an mich wenden.“

Thornberg verbeugte sich. „Ich danke Ihnen, gnädige Frau. Ich werde mir also erlauben, später einmal — in Berlin ...“

„Warum?“ Frau Britta sah ihn kalt und gelassen ins Gesicht. „Sie können mir das ebensogut jetzt gleich sagen, Herr Thornberg.“ Ihre Hand machte eine kleine einladende Bewegung zum Hotelvestibül hin. „Bitte.“

Bestürzt, in peinlicher Verlegenheit folgte Erich Thornberg der gelassen Voranschreitenden. Die Herren sahen sich an. Das war mal wieder so recht Frau Britta Kreß: Kühl bis ans Herz hinan. Gestern war ihr Mann gestorben, der arme Kreß lag noch im Sarg, und diese Frau konnte ohne Aufregung gleichgültige Geschäfte erledigen. Weiß Gott, man war nicht allzu zart besaitet. Man war hart geworden, damals im Krieg und später erst recht im Geschäft, im unbarmherzigen Kampf ums Dasein. Aber das ging denn doch über die Hutschnur. Die Blicke, die die Herren der Frau Geheimrat nachsandten, waren nicht gerade die freundlichsten. Der Rheinländer brummte sogar ein Wort, das verdächtig nach „Hundeschnauze“ klang.

Die Eisfrau

Подняться наверх