Читать книгу Die Eisfrau - Axel Rudolph - Страница 6

4. Kapitel.

Оглавление

In peinlicher Verlegenheit stand Erich Thornberg in dem kleinen Damensalon, der zu Frau Kreß’ Appartement gehörte. Seine Blicke hingen scheu an der offenen Verbindungstür. Drinnen im Nebenzimmer lag, mit einem weißen Tuch bedeckt, auf dem Ruhebett der tote Geheimrat Kreß. Und er sollte hier, sozusagen im Angesicht des Toten, von Geschäften reden? Unmöglich! Eine ganz unmögliche Situation!

Mit ihren raschen, schwebenden Schritten ging Frau Britta zur Verbindungstür und schloß sie.

„Also, bitte, Herr Thornberg.“ Gelassen wies sie auf einen Sessel und zog sich selber einen zweiten heran. Thornbergs Finger spielten nervös. Der Gedanke an den Toten da im Nebenzimmer irritierte ihn.

„Es handelt sich um ... Ich weiß nicht, gnädige Frau, ob Ihnen mein Name bekannt ist?“

„Doch.“ Frau Britta nickte ruhig. „Dem Namen nach kenne ich Sie natürlich, Herr Thornberg. Die Zeitungen haben Sie ja oft als den erfolgreichsten deutschen Polarforscher genannt. Es ist wohl nur ein Zufall, daß wir uns bisher in der Berliner Gesellschaft nicht getroffen haben.“

„Ich gehe wenig in Gesellschaft, gnädige Frau.“ Thornberg sucht seine Gedanken auf das Geschäft zu konzentrieren, aber sie zerflattern immer wieder, gehen hinüber zu dem Mann, der kalt und steif drüben im Zimmer liegt. Wenn der doch jetzt vor ihm säße! Dann könnte man leichter und besser reden.

„Also ...?“

Vor Frau Brittas befremdet wartenden Augen nimmt Thornberg sich gewaltsam zusammen. „Ja, also ... Bei meiner letzten Expedition habe ich oben, ganz im Norden Grönlands Neuland entdeckt. Sie verstehen, gnädige Frau: festes Land, das noch niemand gehört, von keinem Staat in Besitz genommen ist. Ich kam allerdings nicht bis in dieses Land hinein. Schneestürme setzten mir ein Ziel und zwangen mich zur Umkehr. Ich konnte es nur sehen und auf dem Eisplateau, das ihm vorgelagert ist, ein kleines Proviantdepot anlegen. Dann mußte ich zurück. Ich beabsichtige nun, eine neue Expedition zu unternehmen, um das Neuland zu erforschen und zu erschließen. Zur Beschaffung des dazu notwendigen Kapitals hatte ich mich vor einiger Zeit an Ihren Herrn Gemahl gewandt.“ Thornberg verlor eine Sekunde den Faden, denn bei der Erwähnung des Toten flatterten seine Gedanken wieder hinüber ins Nebenzimmer, Britta Kreß sah ihn kalt an.

„Sie sprachen von einem Geschäft, Herr Thornberg.“

„Das ist es auch, gnädige Frau. Die Forschungen auf meiner letzten Expedition haben einwandfrei das Vorhandensein großer Kohlenfelder da oben erwiesen. Und diese Felder erstrecken sich gerade in das Neuland hinein. Wir dürfen mit Bestimmtheit damit rechnen, dort große Bodenschätze zu finden. Mit anderen Worten: Dieses Nordland da oben kann ein gewinnbringendes Objekt für die Industrie werden. Außerdem aber ...“ Thornbergs Stimme bekam plötzlich einen lebhafteren Klang. Sein ganzes Inneres schwang in ihrem dunklen Ton. „... Außerdem würde dieses Land in der Arktis eine neue Kolonie werden können, die erste deutsche Kolonie, seitdem man uns unseren afrikanischen und asiatischen Kolonialbesitz genommen hat! Wenn erst die deutsche Flagge da oben weht — es gibt genug Menschen mit Mut und Unternehmungsgeist in unserem Vaterland, deutsche Hände, die das Land erschließen, das Eis aufbrechen und die Kohlenschätze, die ungenutzt da oben schlummern, dem Vaterlande dienstbar machen würden. Deutsche Schiffe würden allmählich da oben in regelmäßiger Fahrt ankern, Bergwerke entstehen, Niederlassungen — neues, deutsches Land. Eine Eroberung, die keinen Schwertstreich kostet und keine Verwicklungen mit anderen Staaten, nur ein wenig Geld, das sich mit Zinsen bezahlt machen wird im Laufe der Zeit.“

Erich Thornberg hatte sich warm geredet. Vergessen war der Tote im Nebenzimmer. Nur noch die Arktis war da, das gewaltige Reich des Eises oben im Norden, drohend, kalt und herrlich wie keines in der Welt. Und darüber die Flagge des Deutschen Reiches.

Frau Britta hatte aufmerksam zugehört. Ein ganz kleines, geringschätziges Lächeln lag um ihren Mund. Wie der Mann sich hatte! Sonderbar, daß ein Mann, der so energisch und gut aussah wie dieser Thornberg, überhaupt mit so kindischen Phrasen kommen konnte. Er begeisterte sich anscheinend förmlich daran. Nein, eine Britta Kreß hatte nicht viel Verständnis für solche patriotische Sentimentalität. Aber Thornbergs Stimme gefiel ihr. Wenn sie zuerst etwas verlegen geklungen hatte, jetzt rauschte sie in dunklen schwingenden Tönen tief aus der Brust herauf. Es hörte sich gut an. Und dann die Sache mit den Kohlenfeldern. Das war eine reale Angelegenheit, die sich überlegen ließ. Nur müßte man die Gewißheit haben, daß die Kosten nicht den zu erwartenden Gewinn überstiegen.

„Ich danke Ihnen, Herr Thornberg.“ Frau Britta stand auf und auch Thornberg erhob sich. „Und mein Mann interessierte sich für dieses Geschäft, sagen Sie?“

„Es schien so, gnädige Frau. Jedenfalls erhielt ich in Neapel, wo ich mich gerade aufhielt, einen Brief des Herrn Geheimrats, in dem er mir eine Unterredung hier in Kairo vorschlug.“

„Gut.“ Frau Britta nahm eine kleines, ledergebundenes Buch von ihrem Schreibtisch und reichte es Thornberg. „Schreiben Sie mir Ihre Berliner Adresse hier in mein Merkbuch. Ich werde mich, sobald ich daheim bin, über die Sache informieren. Sie hören dann von mir.“

Erich Thornberg stand, etwas benommen, wieder auf dem Hotelflur. Seine Gedanken waren so intensiv bei der Polarexpedition und der schönen gelassenen Frau da drinnen, daß er den Bankier Friedenauer gar nicht bemerkte, der eben aus dem Fahrstuhl stieg. Wohl aber erspähten Friedenauers flinke Wieselaugen den Forscher, und er ging rasch den entgegengesetzten Seitengang entlang, jedoch nur, um gleich wieder umzukehren, als Thornberg im Lift verschwunden war.

Nachdenklich bummelte der Bankier den Flur entlang, der zu Frau Brittas Zimmer führte. Friedenauer war nicht nur eine Nummer in seinem Fach, er hatte auch ein Herz hinter seinen Fettpolstern. Die Herren unten hatten schon recht: Es war wirklich nicht passend, Frau Kreß jetzt mit Geschäften zu behelligen. Aber wenn sie es selbst tat? Wenn es sie nicht störte, warum sollte es dann ihn stören? Und er hätte gar zu gern gewußt, ob Frau Kreß irgend etwas Positives mit dem Thornberg vereinbart hatte oder nicht.

Er hielt einen vorüberkommenden Boy an und ließ sich melden. Er wurde ohne weiteres angenommen und begann gleich von der Sache Thornberg zu sprechen. Eine gute Sache, ein vorzügliches Geschäft. Nur, daß ein bißchen Unternehmungsgeist dazu gehörte.

Frau Britta ließ ihn aussprechen, blieb aber kühl.

„Sie sind also der Ansicht, Herr Friedenauer, daß die Kohlenfelder, von denen Herr Thornberg mit mir sprach, wirklich vorhanden sind?“

„Ohne Zweifel, gnädige Frau. Die Gutachten der Sachverständigen über die Ergebnisse der Forschung sind einwandfrei. Ich kenne sie alle. Wenn Sie die Sache mit Thornberg machen wollen, ich wäre nicht abgeneigt, mich finanziell daran zu beteiligen.“

„Sehr liebenswürdig.“ Frau Britta hob leicht die Schultern. „Aber ich glaube kaum, daß ich mich für diese Angelegenheit interessieren werde. Sie ist mir ein bißchen zu abenteuerlich.“

Friedenauers kluge Augen wurden schmal. Er schwenkte augenblicklich um. „Natürlich, gnädige Frau. Es liegt ja etwas abseits von unseren Geschäften, und ein Risiko ist es ja immerhin.“ Dabei dachte er befriedigt: Sie hat nicht angebissen. Ich werde das Geschäft mit Thornberg allein machen können. Das ist noch besser.

Die Eisfrau

Подняться наверх