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1 Das Warum und Wie der Meditation
ОглавлениеWarum ist Meditation so wichtig? Dass sie wichtig ist, habt ihr offenbar festgestellt, sonst wärt ihr nicht hier. Ich möchte betonen, dass Meditation nicht einfach eine weitere Freizeitbeschäftigung, sondern unverzichtbar für unser Wohlergehen ist. Zu den Absurditäten des menschlichen Daseins gehört, dass wir ständig über die Vergangenheit oder die Zukunft nachdenken. Junge Leute denken an die Zukunft, weil sie den Großteil ihres Lebens noch vor sich haben. Die Älteren denken mehr an die Vergangenheit, weil sie den größeren Teil des Lebens hinter sich haben. Um wirklich zu leben, müssen wir jedoch jeden Augenblick erleben. Das Leben findet nicht in der Vergangenheit statt – das ist Erinnerung. Wir leben auch nicht in der Zukunft. Das sind Pläne. Wir können nur in diesem Augenblick leben, und so absurd es scheinen mag – genau das müssen wir lernen. Als Menschen mit Lebensspannen von sechzig bis achtzig Jahren müssen wir lernen, tatsächlich in der Gegenwart zu leben. Wenn wir das lernen, haben wir ein Großteil unserer Probleme behoben.
So leicht es klingt, so schwer ist es. Jeder, der es versucht hat, weiß das. Wer es noch nicht probiert hat, wird es sicherlich noch feststellen. So eine einfache Aufgabe – und überhaupt nicht leicht zu lösen. Allein durch Meditation können wir lernen, in der Gegenwart zu leben. Sie hat aber auch noch weitere hilfreiche Aspekte.
Wir alle sind imstande, unseren Körper zu pflegen. Wir waschen uns mindestens einmal am Tag, wenn nicht öfter. Wir tragen saubere Kleidung. Nachts gönnen wir dem Körper Ruhe. Jeder besitzt ein Bett. Wir könnten den Belastungen des Alltags nicht standhalten, wenn wir uns nicht ausruhen würden. Wir haben ein Haus, um uns vor Regen, Wind, Sonne, Hitze und Kälte zu schützen. Sonst wäre mit uns nicht viel anzufangen. Wir geben dem Körper gesunde Nahrung – essen nicht einfach irgendetwas – und sorgen für Bewegung. Zumindest gehen wir. Täten wir das nicht, würden unsere Beine verkümmern, und wir könnten sie nicht mehr benutzen.
Genauso müssen wir für den Geist sorgen. Tatsächlich ist das noch viel wichtiger. Denn der Geist ist der Herr, der Körper hingegen nur der Diener. Der allerbeste Diener, mag er auch jung, energiegeladen und stark sein, kann nicht zufriedenstellend arbeiten, wenn er einen schwachen Herrn hat. Der Herr muss den Diener anleiten. Selbst wenn der Diener nicht allzu leistungsfähig und regsam ist, wird ein Haushalt mit einem gescheiten und fähigen Vorstand doch ordentlich funktionieren.
Geist und Körper sind unser Haushalt. Wenn jedoch dieser innere Haushalt nicht in Ordnung ist, wie kann es dann der äußere sein? In was für einem Haushalt wir leben und arbeiten, hängt davon ab, wie wir den inneren Haushalt in Ordnung gebracht haben. Der Herr, der die Verantwortung trägt, muss in bestmöglicher Verfassung sein.
Nichts im gesamten Universum ist mit dem Geist vergleichbar oder dazu imstande, seine Aufgaben zu übernehmen. Alles ist vom Geist geschaffen. Dennoch halten wir unseren Geist für ganz selbstverständlich. Das ist absurd. Niemand betrachtet den Körper als selbstverständliche Gegebenheit. Wird dieser Körper krank, dann rennen wir ganz schnell zum Arzt. Wird er hungrig, geben wir ihm Nahrung. Wird er müde, sorgen wir dafür, dass er sich ausruht. Wie ist das nun aber mit dem Geist? Nur der Meditierende trägt Sorge für den Geist.
Für den Geist Sorge zu tragen ist absolut notwendig, damit das Leben an Tiefe und Inspiration gewinnt. Sonst bleibt es zweidimensional. Die meisten Menschen verbringen ihr Leben in der Vergangenheit und in der Zukunft, zwischen «gut» und «schlecht», «ich mag» und «ich mag nicht», «ich will haben» und «ich will nicht haben», «das ist mein» und «das ist dein». Erst durch die Schulung des Geistes können wir weitere Dimensionen erfahren. Als Erstes kommt der «Hausputz»: Wir müssen den Geist reinigen und ihn sauber halten. Und das nicht nur ein- oder zweimal am Tag, wie wir es mit dem Körper zu tun gewohnt sind, sondern in jedem wachen Augenblick. Damit wir dies tun können, müssen wir erst lernen, wie es geht. Mit dem Körper ist es ganz einfach: Wir verwenden Wasser und Seife. Das haben wir schon als kleine Kinder so gelernt. Der Geist kann jedoch nur durch den Geist gereinigt werden. Was der Geist angenommen hat, kann er auch wieder hergeben. Eine Sekunde der meditativen Sammlung ist eine Sekunde der Reinigung, weil der Geist glücklicherweise nur jeweils eine Sache erledigen kann. Obwohl wir – wie der Buddha sagte – bei einem einzigen Wimpernschlag dreitausend Geistesblitze haben können, ist dies selten der Fall und vor allem haben wir sie nicht alle gleichzeitig. Geistesblitze können zwar schnell aufeinanderfolgen – aber immer einer nach dem anderen.
Wenn wir konzentriert sind, können die fünf Hindernisse (siehe Seite 69) nicht auftreten, weil der Geist immer nur eines nach dem anderen bewältigen kann. Wenn wir uns dann länger konzentrieren können, wird der Geist allmählich von seinen Verunreinigungen befreit.
Unser Geist, dem im gesamten Universum nichts gleichkommt, ist unser einziges Werkzeug. Normalerweise würden wir ein hochwertiges Werkzeug instand halten und pflegen. Wir würden es polieren und keinen Rost ansetzen lassen. Wir würden es schärfen, ölen und es von Zeit zu Zeit ruhen lassen. Und nun verfügen wir über dieses wundervolle Werkzeug, mit dem man alles erreichen kann – bis hin zur Erleuchtung – und es liegt ganz allein an uns, dass wir lernen, pfleglich mit ihm umzugehen. Es würde sonst einfach nicht gut funktionieren.
Wir lernen in der Meditation, alles beiseite zu lassen, wovon der Geist frei sein soll, und ihn nur auf den Meditationsgegenstand zu richten. Mit wachsender Geschicklichkeit werden wir fähig, Entsprechendes auch im Alltag zu tun und alle Gedanken, die nicht heilsam sind, loszulassen. Auf diese Weise unterstützt uns die Meditation im Lebensalltag, und gleichzeitig vertieft sich unsere Meditation. Ein Mensch, der seine Gedanken meistert und nur noch das denkt, was er denken will, wird ein Arahant, ein Erleuchteter.
Wir dürfen nicht überrascht sein, dass wir es nicht immer schaffen, die Gedanken loszulassen. Sicher wird es aber von Zeit zu Zeit gelingen. Es ist eine ungeheure Erleichterung und Befreiung, wenn es uns gelingt – und sei es nur für einen kleinen Augenblick –, das zu denken, was wir wirklich denken wollen. Wir sind dann Herr unseres Geistes, statt von ihm beherrscht zu werden. In das ständige Hin und Her unserer Gedanken, seien diese nun gut oder übel, verwickelt zu sein – davon müssen wir loszukommen lernen, um uns auf einen einzigen Meditationsgegenstand konzentrieren zu können.
Der zweite Schritt ist die Übung des Geistes. Ein ungeübter Geist ist unstet und flatterhaft, hastet von einer Sache zur anderen, ohne verweilen zu können. Wahrscheinlich hat schon jeder die Erfahrung gemacht, beim Lesen eines Buches am Ende der Seite noch einmal von vorne beginnen zu müssen, um das Gelesene zu verstehen. Manchmal muss man den Geist dazu bringen, sich auf einen Punkt zu konzentrieren, als trainiere man Liegestütz oder Gewichtheben. Kraft wird durch ständige Übung erworben, und so muss auch der Geist dazu angehalten werden, genau das zu tun, was er tun soll, ruhig zu sein, wenn er ruhig sein soll.
Dies stärkt den Geist auch deshalb, weil es mit Entsagung, mit Loslassen zu tun hat. Wir alle, die wir keine Arahants sind, haben ein ziemlich großes Ego. Das «Ich-und-Mein-Syndrom» und die «Das-gehört-mir-und-nicht-dir-Haltung» ruft alle Probleme dieser Welt hervor. Bestätigung können wir unserem Ego nur dadurch geben, dass wir denken, reden, lesen, uns Filme ansehen, den Geist im Sinne des Ego einsetzen. Die große Entsagung, die durch Meditation herbeigeführt wird, ist das Loslassen aller Gedanken. Ohne Gedanken kann das Ego keine Bestätigung erhalten.
Anfangs werden wir nur kurzzeitig fähig sein, die Gedanken loszulassen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auf dem spirituellen Weg geht es allein um das Loslassen. Es gibt nichts zu erreichen oder zu gewinnen. Diese so oft gebrauchten Worte sind lediglich ein Ausdrucksmittel. In Wirklichkeit ist der spirituelle Weg ein Weg des Loslassens, des Aufgebens von all dem, was wir uns so mühsam aufgebaut haben. Das schließt Besitz ein, Ideen, Gewohnheiten, Glaubensmuster und Gedankenfolgen. Wir tun uns schwer, in der Meditation das Denken abzustellen, weil es Loslassen bedeutet und unser Ego reduziert. Wenn es zum ersten Mal geschieht, dann reagiert der Geist sogleich mit einem: «Oh, was war denn das?» Und schon denken wir wieder.
Durch die Möglichkeit, den Geist auf einen Punkt zu konzentrieren, entwickeln wir geistige Fähigkeiten, gewinnen Kraft und Stärke. Die Lehre des Buddha reicht außerordentlich tief, und nur der außerordentlich tiefgründige Geist kann ihre innere Bedeutung tatsächlich verstehen. Zu diesem Ziel muss die Schulung unseres Geistes hinführen.
Körperkraft erlaubt uns, körperliche Leistungen zu vollbringen. Die Kraft des Geistes ermöglicht uns das Gleiche auf geistigem Gebiet. Ein starker Geist leidet nicht unter Langeweile, Frustration, Depression oder Kummer – was er nicht will, das hat er loszulassen gelernt. Meditationspraxis verschafft uns die dazu nötigen Fähigkeiten.
Der Geist, das wertvollste Werkzeug des Universums, braucht aber hin und wieder Ruhe. Wir haben schon gedacht, als wir noch ganz kleine Kinder waren – und ungezählte Leben davor. Wir denken den ganzen Tag und träumen jede Nacht. Keinen Augenblick gibt es Ruhe. Wir mögen Urlaub machen – und was geschieht dann? Der Körper macht Urlaub. Er begibt sich an den Strand, in die Berge oder in ein anderes Land. Was aber ist mit dem Geist? Statt wie daheim an die Arbeit zu denken, denkt man jetzt an die Aussicht, an die Geräusche und Gerüche, die man an diesem neuen Ort vorfindet. Der Geist hat keinen Urlaub. Er beschäftigt sich lediglich mit etwas anderem.
Würden wir dem Körper keine Nachtruhe gönnen, dann würde er nicht mehr lange funktionieren. Auch unser Geist benötigt Ruhepausen. Der Schlaf verschafft sie ihm nicht. Erholen kann sich der Geist lediglich in der Zeit, da er zu denken aufhört und in bloßer Erfahrung verweilt. Eins der Sinnbilder für den Geist ist das der leeren Projektionswand, auf der pausenlos ein nicht endender Film abläuft. Da dieser Film – die Gedanken – dauernd läuft, vergisst man, dass eine Leinwand vorhanden sein muss, auf die er projiziert wird.
Stellen wir diesen Film in der Meditation für einen Augenblick ab, dann können wir die grundlegende Reinheit des Geistes erfahren. Das ist ein segensreicher Augenblick. Ein Moment, der jene Art von Glück schenkt, das nichts und niemand sonst uns vermitteln kann. Ein von äußeren Umständen völlig unabhängiges Glück – nicht unbedingt, sondern allein durch Konzentration bedingt. Es ist nicht abhängig von gutem Essen, angenehmem Wetter, Unterhaltung oder von anderen Menschen. All dies ist völlig unzuverlässig, und man kann nicht darauf vertrauen, weil es sich unablässig ändert. Innere Sammlung ist zuverlässig, sofern man sich ständig darin übt.
Wenn wir für einen Moment aufhören können, alles in Worte zu fassen, stellt sich ein Gefühl von Zufriedenheit ein. Der Geist hat schließlich nach Hause gefunden. Wir wären gar nicht glücklich, wenn wir für unseren Körper kein Zuhause besäßen. Genauso wenig können wir glücklich sein, wenn der Geist kein Zuhause hat. Dieser ruhige, friedvolle Raum ist das Zuhause des Geistes. Er kann heimgehen und sich ausruhen, genauso, wie wir es nach einem harten Arbeitstag tun, wenn wir den Körper in einem Sessel oder im Bett ruhen lassen. Jetzt kann auch der Geist entspannen. Er muss nicht unentwegt denken. Denken bedeutet leiden, ganz gleich, was man denkt. Denn es beinhaltet Bewegung, und diese erzeugt Reibung. Alles, was sich bewegt, ruft Reibung hervor.
In dem Augenblick, in dem wir den Geist entspannen und ihn zur Ruhe kommen lassen, gewinnt er neue Kraft und erlebt ein Glücksgefühl, weil er weiß, dass er jederzeit nach Hause zurückkehren kann. Das in der Meditation erfahrene Glück begleitet uns durch den Alltag, weil der Geist weiß, dass nichts ihn daran hindern kann, wieder nach Hause zurückzukehren, um dort Ruhe und Frieden zu finden.
Das sind die wichtigsten Gründe dafür, weshalb das Leben ohne Meditation keine Erfüllung bietet. Es mag äußere Bedingungen mit sich bringen, die erfreulich sind. Doch jene Erfüllung, die wir aus den uns innewohnenden Möglichkeiten gewinnen können, reicht viel weiter. Loslassen schenkt Einsicht: Insbesondere begreifen wir, dass das Ego dauernd Wünsche hat und darum auch immer denken will. Hat das Ego keine Wünsche mehr, dann hört auch das Denken auf. Darum sollten wir meditieren. Nun wollen wir uns das «Wie» der Meditation ansehen.
Wir wenden unsere Aufmerksamkeit dem Ein- und Ausatmen zu. Am besten können wir es an den Nasenflügeln wahrnehmen. Atem ist Wind, und wenn er die Nasenflügel streift, empfinden wir etwas. Diese Empfindung hilft uns, genau auf diesen Punkt zu achten. Anfangs fällt uns das schwer.
Atem bedeutet Leben, und so ist er aus verschiedenen Gründen ein idealer Meditationsgegenstand: Wir haben ihn immer bei uns und können ihn nicht einfach irgendwo liegenlassen. Außerdem halten wir ihn für selbstverständlich. Wir beachten ihn erst, wenn wir ihn kurz verlieren, weil wir uns verschluckt haben, weil wir zu ertrinken oder zu ersticken drohen. Dann wird der Atem auf einmal ganz wichtig. Solange wir frei über ihn verfügen, denken wir nicht weiter über ihn nach, obwohl er im wahrsten Sinne des Wortes Leben bedeutet. Und das ist uns doch das Teuerste überhaupt. Der Atem ist ganz eng mit dem Geist verbunden. Wenn jemand aufgeregt ist oder es eilig hat, dann geht der Atem schnell. Wird der Geist still und ruhig, dann wird es der Atem auch. Wird der Atem so leicht, dass wir ihn fast nicht mehr bemerken, dann treten wir in einen Zustand der Sammlung ein. Um uns darin zu schulen, machen wir den Atem zum Meditationsgegenstand. Der Atem ist die einzige Körperfunktion, die diesen Doppelcharakter hat: Er ist einerseits selbstregulierend, andererseits bewusst regulierbar. Wir können ihn vertiefen, verlängern, verkürzen und sogar für einige Zeit anhalten.
Es existieren noch viele andere Methoden, den Atem zu beobachten. Wir können dem Atem so weit nach innen und nach außen folgen, wie wir ihn wahrnehmen können. Macht nichts Besonderes aus eurem Atem, folgt ihm einfach. Das erweitert unsere Aufmerksamkeit, und wir brauchen uns nicht in dem Maß zu konzentrieren wie bei der Wahrnehmung des Atems an den Nasenflügeln.
Ihr könnt auch zusätzlich zum Atem noch ein Wort verwenden. «Buddho» zum Beispiel. Beim Einatmen «Bud», beim Ausatmen «dho». Den Ein- und Ausatem mit je einer Silbe verbinden, das ist für jene Menschen sehr hilfreich, denen der Ausdruck «Buddho» etwas bedeutet.
Ihr könnt auch zählen: Eins beim Einatmen, eins beim Ausatmen. Zwei beim Einatmen, zwei beim Ausatmen. Zählt mindestens bis fünf und höchstens bis zehn. Seid ihr bei zehn angelangt, dann beginnt wieder bei eins. Jedes Mal, wenn der Geist anfängt abzuschweifen, beginnt erneut bei eins. Es macht nichts, wenn ihr am Anfang über eins nicht hinauskommt.
Ein Geist gleicht dem anderen. Ihr müsst nicht denken: «Ich bin dazu besonders ungeeignet.» Wer ist denn dieses Ich? Es handelt sich hier um einen ungeübten Geist im Unterschied zu einem geübten. Jeder, der an einem Marathonlauf teilnimmt, kann gut und schnell laufen, wenn er eifrig trainiert. Anzunehmen, man könne ohne Übung ausdauernd und schnell laufen, wäre töricht.
Zählen, «Buddho», Beobachten des Ein- und Ausatmens – aus all diesen Möglichkeiten solltet ihr diejenige auswählen, die euch am besten liegt. Ihr solltet dann aber dabeibleiben. Bringt eure Beine in eine Position, die ihr eine Zeitlang beibehalten könnt. Der Rücken sollte gerade, aber entspannt sein. Schultern, Magen und Nacken sollten ebenfalls entspannt sein. Wenn ihr merkt, dass ihr nach vorne sinkt, dann richtet euch wieder auf. Das Gleiche gilt für den Kopf. Wird euch bewusst, dass der Kopf sich senkt, dann hebt ihn. Jedes Vornübersinken deutet auf Schläfrigkeit oder zumindest auf Trägheit hin – und somit auf das genaue Gegenteil von Meditation. Meditation verlangt totales Gewahrsein.
Wahrscheinlich wird euer Geist nicht beim Atem verweilen wollen, wie sehr ihr es auch versucht. Der Geist wird euch nicht gehorchen, solange ihr ihn nicht einige Jahre geübt habt. Der Film der Gedanken wird immer da sein. Ihr könnt so damit umgehen, dass ihr jeden Gedanken schnell etikettiert. Wenn euch das zu schwierig ist, benennt sie nur kurz: «Denken», «Verwirrung», «Erinnerung», «Planung», «Unsinn» – wie auch immer. In dem Augenblick, in dem ihr die Gedanken etikettiert, tretet ihr einen Schritt zurück und beobachtet. Gelingt euch das nicht, dann bleibt ihr der Denker und seid total abgelenkt. Ihr macht euch vielleicht Sorgen um die Katze, die im Schlafzimmer eingesperrt ist, oder um die Kinder, die ihr Abendbrot brauchen. Woran ihr auch denkt, ihr macht euch Sorgen, und euer Geist hat auch gleich die passende Erklärung, indem er sagt: «Aber daran muss ich doch denken.» Während der Meditation müssen wir an gar nichts denken. Das Leben geht weiter, auch wenn wir nicht daran denken.
Tauchen Gedanken auf, beobachtet und benennt sie. Ob das Etikett zutrifft oder nicht spielt keine Rolle. Jede Etikettierung während der Meditation bedeutet, dass wir den dazugehörigen Gedanken fallen lassen sollen. Habt ihr gelernt, in der Meditation zu etikettieren, dann könnt ihr auch im täglichen Leben die Gedanken als heilsam, nützlich, hilfreich oder dergleichen benennen. Ist ein Gedanke nicht hilfreich oder heilsam, dann könnt ihr ihn loslassen. Ihr lernt, das zu denken, was ihr denken wollt. Und wer das beherrscht, wird nie wieder unglücklich sein. Nur ein Narr wird freiwillig unglücklich sein.
Darin liegt der Nutzen des Benennens im Alltagsleben. Aber in der Meditation bedeutet Etikettieren, dass man achtsam geworden ist. Bei dieser Übung geht es einzig und allein um Achtsamkeit.
Der Buddha hat gesagt: «Der einzige Weg zur Läuterung von Wesen, zur Auflösung von Unzufriedenheit, zum Betreten des Edlen Achtfachen Pfades, zum Erreichen von Leidensfreiheit ist Achtsamkeit.» Zu wissen: ich denke; ich meditiere nicht; ich bin besorgt; ich bin beängstigt; ich träume von der Zukunft; ich hoffe; ich wünsche – das gilt es lediglich zu erkennen und dann zum Atem zurückzukehren. Habt ihr während der Meditation tausend Gedanken, dann verseht sie mit tausend Etiketten. Das ist der Weg zu wirklicher Achtsamkeit: Den Denkprozess ebenso zu kennen wie den Inhalt der Gedanken. Das sind die Grundlagen für Achtsamkeit im Alltag – der einzige Weg zur Freiheit, wenn sie tatsächlich geübt werden.
Es werden auch Empfindungen des Unbehagens auftauchen, weil der Körper sich in einer ungewohnten Position befindet, hauptsächlich aber, weil wir den Körper ruhig zu halten versuchen. Der Körper mag es gar nicht, über einen längeren Zeitraum ruhig zu sein. Selbst wenn man eine ganz teure Matratze hat und gut schläft, bewegt sich der Körper viele Male im Laufe der Nacht. Er will nicht in ein und derselben Position verharren, sondern jegliches Unbehagen beheben. Der Körper fühlt sich unbehaglich, und darum bewegt er sich, obwohl der Geist im Schlaf nur vage bei Bewusstsein ist. Wenn wir sitzend meditieren, dann geschieht genau dasselbe. Statt sofort zu versuchen, die Position zu verändern, wie es nun mal die gewohnheitsmäßige, spontane und impulsive Reaktion auf eine unbequeme Position ist, solltet ihr die Situation prüfen. Werdet gewahr, worauf diese Empfindung beruht. Ihr steht in Kontakt mit dem Sitzkissen und dem Boden. Der Kontakt ruft die Empfindung hervor. Die Empfindung löst die Reaktion aus. Dies hält uns übrigens auch im Kreislauf von Geburt und Tod gefangen. Unsere Reaktionen auf unsere Empfindungen sind der Schlüssel zur Wiedergeburt.
Es gibt nur drei Arten von Empfindungen: angenehme, neutrale und unangenehme. «Das jetzt ist unangenehm», sagt uns der Geist. «Das ist ein unangenehmes Gefühl, (Schmerz). Ich mag das gar nicht und will es loswerden!» So leben wir jeden einzelnen Tag unseres Lebens. Vor allem, was sich unangenehm anfühlt, fliehen wir, wir unterdrücken es oder versuchen es zu ändern. Wir tun alles, um unsere Empfindungen von Unbehagen loszuwerden. Doch es gibt keinen Weg, ihnen zu entrinnen, solange wir nicht unseren Wünschen entronnen sind. Was wir auch mit unserem Körper tun, wie wir ihn bewegen, irgendwann wird er sich wieder unbehaglich fühlen, weil wir uns stets nach Behaglichkeit sehnen. Beobachtet die Abfolge von Berührung, Empfindung, Reaktion: «Das ist Schmerz. Ich möchte ihn loswerden.» Statt den Schmerz zu verdrängen, solltet ihr eure volle Aufmerksamkeit auf die Stelle lenken, an der die Empfindung auftritt, und euch darüber klarwerden, dass sie der Veränderung unterliegt. Die Empfindung wird entweder ihre Intensität oder ihre Position verändern. Ihr könnt gewahr werden, dass Bewegung in ihr ist. Sie hat keinen festen Bestand.
Werdet gewahr, dass der Körper kein Leid hat, sondern Leid ist. Erst dann können wir damit beginnen, die Wirklichkeit des menschlichen Leids zu verstehen. Es ist nicht so, dass wir uns ab und zu unbehaglich fühlen, sondern dieser Körper besteht aus Leid. Er kann nicht stillsitzen oder -liegen, ohne Unbehagen zu empfinden. Erkennt die Unbeständigkeit. Erkennt, dass es für den Körper keine dauerhafte Befriedigung geben kann. Erkennt, dass Empfindungen unaufgefordert auftauchen. Warum sie also «meine» nennen? Zieht aus den unangenehmen Empfindungen eure Lehren, und bewegt euch dann, wenn es unbedingt nötig ist – aber bewegt euch nicht unüberlegt. Bewegt euch erst, nachdem ihr geprüft habt, warum ihr es tut. Bewegt euch so behutsam und achtsam, dass es weder euch selbst noch euren Nachbarn stört.
Wenn ihr die Zähne zusammenbeißt und denkt: «Ich bleibe sitzen, koste es, was es wolle», ruft das eine Abneigung gegen die Gesamtsituation – und somit gegen die Meditation – hervor. Diese Reaktion wäre genauso falsch wie das impulsive Bewegen. Im ersten Fall handelt es sich um Begierde nach Bequemlichkeit und im zweiten um Ablehnung des Unbehagens. Das sind die beiden Seiten derselben Medaille. Das einzig Sinnvolle ist Einsicht in uns selbst und in die eigenen Reaktionen – das bringt Resultate. Arbeitet mit den Gedanken und Empfindungen, so wie sie auftauchen. Achtet darauf, wie unbeständig beide sind. Sie tauchen auf und verschwinden. Warum nennt ihr sie dann eure? Habt ihr sie darum gebeten aufzutauchen? Sicher nicht. Tatsächlich wolltet ihr doch meditieren. Und doch sind so viele Gedanken da. Gehören sie zu euch? Ist das kein Leid?
Vergänglichkeit, Unerfülltheit, Nicht-Selbst: Diese drei Daseinsmerkmale finden sich in allem, was existiert. Solange wir sie nicht in uns selbst erkennen, werden wir nie lernen, was der Buddha gelehrt hat. Meditation ist der Weg, das herauszufinden – alles andere sind bloß Worte. Das ist der springende Punkt.