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3 Ruhe und Einsicht

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Es gibt viele verschiedene Meditationstechniken. Im «Weg zur Reinheit» sind vierzig erwähnt. Diese Techniken richten sich aber nur auf zwei Ziele: Ruhe und Einsicht. Diese beiden gehen Hand in Hand. Wissen wir nicht, in welche Richtung wir gehen, ist es höchst unwahrscheinlich, dass wir unser Ziel erreichen. Wir müssen unseren Weg kennen, um ihn gehen zu können.

In beidem – Ruhe und Einsicht – müssen wir uns üben, um tatsächlich die Resultate zu erzielen, die in der Meditation möglich sind. Jeder sucht nach innerem Frieden, nach dieser Empfindung glücklicher Zufriedenheit. Wer in der Meditation auch nur ein Zipfelchen davon erhascht, fühlt sich richtig glücklich und will mehr davon haben. Mit einem hübschen Anteil daran wären die meisten schon zufrieden. Doch dazu ist die Meditation nicht da.

Die Ruhe, der innere Frieden, ist ein Hilfsmittel und dient einem Zweck: Ruhe ist das Mittel – Einsicht das Ziel. Hilfsmittel sind wichtig und notwendig, dürfen aber nie mit dem eigentlichen Ziel verwechselt werden. Weil es hier aber um eine so ganz und gar angenehme Erfahrung geht, erwächst daraus eine neue Anhaftung.

Unser ständiges Problem ist, dass wir festhalten wollen, was uns angenehm ist, und zurückweisen, was uns nicht gefällt. Weil wir das zu unserem Lebenszweck machen, hat unser Leben keinen wirklichen Zweck. Es ist unmöglich, alles Unangenehme auszuschalten und nur das Angenehme zu behalten. Solange wir das als Ziel betrachten, haben wir kein Ziel. Das Gleiche gilt für die Meditation.

Wie können wir also zu etwas Ruhe finden, und was haben wir davon? Halten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Atem gerichtet, wird irgendwann Ruhe einkehren. Der Geist wird einen Moment aufhören zu denken und sich entspannen. Ein denkender Geist wird nie zur Ruhe kommen, weil der Denkprozess an sich Bewegung ist und Bewegung immer ablenkend wirkt. Dennoch kann für einen Augenblick Ruhe einkehren, und wir können ihn vielleicht sogar verlängern. Je länger wir üben, umso mehr sind wir dazu imstande. So schwer ist es gar nicht. Anfangs mag es schwierig scheinen, aber alles, was wir brauchen, ist Geduld und Entschlossenheit, ein wenig gutes Karma1 und einen ruhigen Platz.

Wir alle verfügen über ein wenig gutes Karma, sonst säßen wir nicht hier. Menschen, die viel schlechtes Karma geschaffen haben, kommen in der Regel nicht zu einem Meditationsseminar. Kommen sie trotzdem, dann bleiben sie nicht. So muss also das gute Karma bereits vorhanden sein.

Was die Geduld anbelangt – allein schon damit wir hierbleiben, müssen wir Geduld haben. Hinzu kommt ferner Entschlossenheit. Wenn ihr euch zum ersten Mal hinsetzt, fasst einen Entschluss: «Ich will wirklich bei meinem Atem bleiben, und jedes Mal, wenn ich abschweife, fange ich wieder von vorn an.» Das ist eine regelrechte Gratwanderung. Jedes Mal, wenn ihr abschweift, müsst ihr euch erneut dem Atem zuwenden. Dazu braucht man Entschlusskraft.

Tritt jenes ruhige und angenehme Empfinden ein, das der Buddha als wohltuendes Verweilen bezeichnet hat, so wird es wieder verschwinden, weil alles, was entsteht, keine Dauer hat. Unsere erste Reaktion darauf sollte der Gedanke an die Vergänglichkeit sein. Wir sollten nicht denken: «Oje, jetzt ist es fort.» Oder: «Das war gut. Wie kann ich es bloß von neuem hervorrufen?» Denn dies entspräche dem gängigen Reaktionsmuster.

Dem Dhamma gemäß zu leben und die entsprechenden Erfahrungen zu machen ist ungewöhnlich. Es ist die Umkehrung dessen, was die große Mehrheit der Menschen tut und eine eigene Sicht der Dinge. Als der Buddha vor seiner Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum saß, brachte Sujata ihm Milchreis in einer goldenen Schale, die sie ihm schenken wollte. Buddha warf die leere Schale hinter sich in den Fluss und erklärte, falls die Schale stromaufwärts schwimme, werde er erleuchtet werden. Natürlich schwamm die Schale stromaufwärts. Kann denn irgendetwas stromaufwärts schwimmen? Diese Geschichte besagt, dass wir gegen den Strom schwimmen müssen, unseren natürlichen Instinkten und Neigungen entgegengesetzt, wenn wir uns auf den Weg des Dhamma begeben. Wir müssen uns gegen das wenden, was so einfach und angenehm ist, dass jedermann es tut. Es ist viel schwieriger, gegen den Strom zu schwimmen, als sich von der Strömung treiben zu lassen.

Das wohltuende Verweilen, das angenehme Empfinden, das man zuerst im Körper und dann auch im Geist wahrnimmt und schließlich als ganz und gar friedvoll empfindet, muss ebenfalls vorübergehen. Wir müssen seine Vergänglichkeit anerkennen. Erst dann können wir es einem bestimmten Zweck nutzbar machen. Erkennen wir seine Vergänglichkeit nicht an, dann wollen wir es bloß zum eigenen Nutzen verwenden. Doch alles, was wir nur für uns allein besitzen, stärkt unser Ego, und wir lösen uns nicht von ihm, wie es den grundlegenden Lehren des Buddha entspräche.

Alles in den Lehren des Buddha ist darauf ausgerichtet, dieses Ego aufzugeben. Er hat gesagt: «Nur eins lehre ich: Das Vorhandensein von Leid und wie ihr ihm ein Ende setzen könnt.» Das heißt allerdings nicht, dass alles Leid auf der Welt ein Ende erreicht. Es bedeutet, wenn kein Ich da ist, das auf Leid reagiert, wird es kein Leid mehr geben. Wenn niemand ein Problem hat, wie können dann Probleme existieren? Setzen wir allerdings das wohltuende Verweilen als Mittel für das eigene Wohlbefinden ein, so ist dies der falsche Weg.

Kehren wir immer wieder zur Beobachtung des Atems zurück, so führt dies dazu, dass wir zur Ruhe kommen. Der achte Schritt auf dem Edlen Achtfachen Pfad – die Rechte Sammlung – bedeutet meditative Vertiefung. Der Versuch, beim Atem zu verweilen, weist in diese Richtung. Doch in diese meditative Vertiefung kann man nicht dadurch eintreten, dass man sich mit der Absicht, sie zu erreichen, ein- oder zweimal zum Meditieren hinsetzt. Das braucht Zeit. Alles das, was während der Konzentration auf den Atem auftaucht, sollte zur Einsicht genutzt werden. Gedanken, die in der Meditation auftauchen, sind weder ein Störfaktor noch ein Hinweis darauf, dass man nicht zum Meditieren taugt; oder dass es zu heiß oder zu kalt, zu unbequem, zu spät oder zu früh ist – nichts von alldem trifft zu. Gedanken wollen uns nicht stören. Sie sind Lehrer, die uns etwas beibringen wollen. Letzten Endes sind wir alle selbst unser Lehrer und unser Schüler, und das ist gut so. Wir müssen allerdings wissen, worauf wir zu achten haben, damit wir etwas lernen können.

Jeder Gedanke ist ein Lehrer. Zuallererst lernen wir etwas über die Unlenkbarkeit der Gedanken. Wir merken, dass unser Geist unzuverlässig ist. Gedanken tauchen auf, die wir überhaupt nicht denken wollen, weil wir viel lieber ruhig und gesammelt wären. Als Erstes können wir lernen, dass unser Geist nicht so wunderbar ist, wie wir immer angenommen haben – bloß weil wir etwas gelernt und ein Gedächtnis haben und bestimmte Fakten und Begriffe verstehen. In Wirklichkeit ist der Geist schwer in den Griff zu kriegen und unzuverlässig, weil er absolut nicht das tut, was wir von ihm erwarten.

Als Zweites müssen wir verstehen, dass wir unserem Geist nicht alles glauben sollten. Wir müssen nicht an alle Gedanken glauben, die da auftauchen. Sie sind ohne unser Zutun aufgetaucht, und so werden sie auch wieder verschwinden. Sie haben wenig Sinn – erst recht in der Meditation. Einige davon sind mehr als zwanzig Jahre alt. Einige sind reine Fantasie. Andere können ganz und gar unangenehm sein, und wieder andere sind Träume. Und manche sind so flüchtig, dass wir sie gar nicht richtig wahrnehmen. Aber alle tauchen so schnell auf, dass wir sie kaum etikettieren können. Warum also an all dies Zeug glauben, das uns gewöhnlich durch den Kopf geht?

In der Meditation haben wir Gelegenheit, den Geist – die dauernde gedankliche Aktivität – kennenzulernen, und vor allem können wir lernen, uns nicht mehr auf jeden Gedanken, der da kommt und geht, einzulassen. Entsprechendes gilt für unsere Gedanken im Alltag: Sollten wir all diesen Gedanken Glauben schenken und uns auf sie einlassen? Wir glauben unserem Geist, wenn er behauptet: «Dieser Mann ist entsetzlich.» – «Diese Frau lügt.» – «Davon bin ich so enttäuscht.» – «Das langweilt mich unendlich.» – «Das da muss ich unbedingt haben.» – «Da muss ich unbedingt dabei sein.» All das glauben wir einfach. Warum eigentlich? Um genau den gleichen Prozess handelt es sich bei der Meditation. Gedanken tauchen auf, verharren für kurze Zeit und verflüchtigen sich wieder – ohne Sinn und Verstand.

Haben wir dies erst einmal wirklich begriffen, so können wir diese ungebetenen Gedanken in solche umwandeln, die wir tatsächlich denken wollen. Genau das wird geschehen, wenn wir nicht mehr unbedarft alles glauben, was unser Geist uns weismachen will, sondern nur noch die Denkprozesse beobachten. Es ist genau das Gleiche mit der Luft um uns herum. Wir können sie uns nicht aneignen und behaupten, sie gehöre uns. Dennoch – gäbe es sie nicht, könnten wir nicht leben. Sie ist da. Genauso verhält es sich mit den Gedanken. Der Denkprozess ist für den Geist vollkommen natürlich, und er dauert an, solange wir leben. Aber er ist nicht zuverlässig und nicht glaubwürdig. Ganz im Gegenteil: Es wäre weit besser, den größten Teil der Gedanken aufzugeben.

Noch etwas können wir über den Geist lernen. Wenn sich in der Meditationssitzung keine Sammlung einstellt, sondern nur Gedanken, wenn wir uns träge fühlen und es an Aufmerksamkeit mangelt, dann könnten wir daraus lernen: Fehlt es dem Geist an Unterhaltung, dann schlafen wir ein. Der Geist will unterhalten werden. Er will lesen, fernsehen, arbeiten – irgendetwas tun, um beschäftigt zu sein und Unterhaltung zu haben. Ganz auf sich allein gestellt, ist er nicht glücklich und zufrieden: Eine interessante neue Einsicht, die sich einstellt, wenn wir meditieren.

Stellt euch vor, ihr wäret eine Woche lang in einem leeren Zimmer, ganz allein. Die Menschen halten das für eine furchtbare Zumutung – zu Recht, denn der Geist weiß damit nicht umzugehen. Genau wie der Körper verlangt er dauernd nach Nahrung. Er braucht Anregung, weil er sich selbst nicht genug ist. Das ist eine weitere Entdeckung, die wir in der Meditationssitzung machen können.

Gedanken sind unbeständig. Sie kommen und gehen. Sie bleiben nicht da – genau wie der Atem. Wenn ihr ganz aufmerksam seid, könnt ihr feststellen, wie sie auftauchen. Ihr könnt sicher ihr Verschwinden beobachten, denn das ist einfach. Das Auftauchen dagegen ist etwas schwerer zu erkennen. Aber ihr könnt keinen dieser Gedanken festhalten.

Unbeständigkeit und Besitzlosigkeit: Aber eigentlich wollt ihr all diese Gedanken gar nicht behalten, weil sie es nicht wert sind. Nur ganz wenige Gedanken sind etwas wert, weshalb soll man sie alle also festhalten? Warum soll man versuchen zu denken: «Das bin ich»? Warum nicht einsehen, dass es da nur ein natürliches Kommen und Gehen gibt? Und wie ist es mit dem Körper? Bin das wirklich ich? Zugrunde liegt ein natürliches Entstehen (durch Empfängnis) und ein natürliches Vergehen (durch den Tod). Ein Naturgesetz und eine universelle Tatsache, die unser Ego nicht wahrhaben will.

Ich-Bezogenheit oder Hochmut bedeutet nicht, dass wir allesamt eingebildete Menschen sind. Hochmut heißt lediglich, dass wir nicht erleuchtet sind. Nur Arahants sind frei von Ich-Bezogenheit. Wir betrachten uns selbst und die Welt von einem Ich-Standpunkt aus, und darum erscheinen andere Menschen und die Welt oft als so bedrohlich. Dieses Ich ist zerbrechlich und sehr verletzlich.

Alle jene Gedanken, die in unserer Meditation auftauchen, schenken uns Einsicht in uns selbst, in die Vergänglichkeit dieser Erscheinung von Körper und Geist. Wir sehen, dass wir nicht ihr Eigentümer sind. Wären wir wirklich die Besitzer unserer Gedanken, wären wir dann nicht lieber Besitzer von etwas Wertvollerem? Niemand legt Wert darauf, alten Krempel zu besitzen. Wir alle versuchen wertvolle Dinge zu besitzen. In der Meditation findet man heraus, dass Gedanken nichts Wertvolles sind.

Drittens können wir aus dieser Gedankenaktivität lernen, dass es sich hier um Dukkha handelt, um Unerfülltheit. Dukkha bedeutet nicht nur Leiden. Dukkha bedeutet auch Unbefriedigtsein, Unerfülltheit. Dieser viel umfassendere Begriff charakterisiert alles, was uns widerfahrt, sogar das Allerangenehmste – denn alles ist vergänglich. Das Unbefriedigende unseres Denkprozesses wird im Lauf der Meditation ganz deutlich, weil wir uns ja eigentlich sammeln wollen. Und dennoch sitzen wir da und denken.

Durch persönliche Erfahrung gewinnen wir Einsicht in die Vergänglichkeit, die Unerfülltheit und das Nicht-Selbst. Niemand kennt diese drei, solange er sie nicht selbst erfahren hat. Diese drei Wörter werden den meisten von euch geläufig sein. Doch wahrhaft begreifen könnt ihr sie nur durch direkte innere Erkenntnis. Obwohl wir sie in jedem einzelnen Moment erleben, schenken wir ihnen im Allgemeinen viel zu wenig Aufmerksamkeit.

Wir sterben ja auch in jedem Augenblick, aber wir merken auch das nicht. Dazu ist große Achtsamkeit erforderlich, die wir durch den Meditationsprozess erlernen können. Schaut genau hin und entdeckt, welche Qualität der Unzulänglichkeit dem Denkprozesses innewohnt.

Wir alle können die Realität erfahren – können erfahren, wie die Dinge wirklich sind –, wenn wir unsere Achtsamkeit bis zu dem Punkt ausweiten, an dem wir sie tatsächlich zu erkennen vermögen. Wir können genau das erfahren, worüber der Buddha gesprochen hat, aber wir müssen voll und ganz erfassen, was es bedeutet. Es bringt nichts, dazusitzen und zu denken: «Hätte ich doch bloß keine Gedanken.» Oder: «Wie gern wäre ich gesammelt.» Oder: «Wenn es doch nicht so schwer wäre.» Oder: «Wenn doch mein rechtes Bein nicht so schmerzen würde.» Das sind Träume und Hoffnungen. Wenn wir den Dingen auf den Grund gehen wollen, können wir es uns nicht leisten, zu wünschen und zu hoffen.

Der Buddha hat gesagt, wir alle seien krank und das Dhamma sei das Heilmittel. Manchmal wurde er als der «Große Arzt» bezeichnet. Wie bei jeder anderen Arznei genügt es allerdings nicht, von ihr zu wissen oder nur den Beipackzettel zu lesen. Letzteres haben die Menschen nun schon viele tausend Jahre lang getan. Jetzt müssen wir aufhören, nur die Aufschrift zu lesen, und die Pille zu schlucken. Das fällt gar nicht so schwer, sobald uns klar ist, welchen Unterschied dies macht.

Wenn das Sitzen in ein und derselben Position unangenehme Empfindungen hervorruft, wird der Geist sofort Widerstand dagegensetzen. Sogleich sagt er: «Das mag ich nicht. So etwas Unangenehmes. Das schaff ich keine zehn Tage. Ich brauche einen Stuhl.» Oder: «Wie töricht, so zu sitzen.» Oder: «Das ist es doch gar nicht wert. Die ganze Meditation kann doch diese Mühsal nicht aufwiegen.» Oder was auch immer sonst uns der Geist zu erzählen versucht. Er kann uns viel erzählen. Er kann uns von jedem erdenklichen Gegenstand erzählen und diesen von allen Seiten betrachten. Eine beliebte Technik beleuchtet zuerst die Vorzüge einer Sache und dann ihre Nachteile. Jeder Geist kann das. Unser Geist kann alles mögliche plappern.

Sitzt nicht da und denkt: «Ich mag das nicht, in meinem rechten Bein, meinem Rücken, meinem Nacken» – oder wo auch immer – «spüre ich solch ein Unbehagen.» Nein. Nutzt jede aufkommende Empfindung als Mittel zur Einsicht. Empfinden ist die Grundlage unseres Lebens. Die Art, wie wir reagieren, entsteht durch den Kontakt, den unsere Sinne herstellen. Wir sehen, hören, riechen, schmecken und berühren; und natürlich denken wir auch. Der Buddha hat das Denken als den sechsten Sinn bezeichnet, und auch wir reden manchmal bei bestimmten Gedanken vom sechsten Sinn. Wären wir etwa blind, würden wir die Welt auf eine andere Art erfahren. Wären wir taub, so wäre sie wiederum anders. Das Gleiche gilt für alle übrigen Sinne. Wenn aber all unsere Sinne in Ordnung sind, treten wir durch sie zur Welt in Kontakt, und daraus erwachsen Empfindungen. Daran ist nichts zu ändern. Diese Sinneskontakte finden unweigerlich statt. Auch ein Arahant hat Empfindungen, und zwar drei Arten: angenehme, unangenehme oder neutrale. Wir alle haben sie. Die neutralen werden uns nicht bewusst, weil wir nicht aufmerksam genug sind. Wir verfügen noch nicht über genügend Achtsamkeit. Ganz sicher nehmen wir aber die angenehmen Empfindungen und Gefühle wahr, schwelgen in ihnen und suchen nach Mitteln und Wegen, sie aufrechtzuerhalten. Die gesamte Weltwirtschaft ist darauf angelegt, angenehme Empfindungen zu wecken und die Menschen dahin zu bringen, dass sie mehr davon haben wollen. Würden alle dies ablehnen, wäre dies gleichbedeutend mit dem Zusammenbruch weiter Teile der Wirtschaft. Angenehme Empfindungen werden durch warmes Wasser, Kühlschränke, Ventilatoren, verschiedenerlei Nahrungsmittel, bessere Matratzen und vieles mehr ausgelöst.

Jeder hat Empfindungen – angenehme, unangenehme und neutrale. Sie treten in rascher Folge auf. Die meisten Menschen versuchen ihr ganzes Leben lang, angenehme Empfindungen festzuhalten und die unangenehmen zu vermeiden. Sie kämpfen einen aussichtslosen Kampf. Niemand kann die angenehmen Gefühle festhalten. Niemand kann auf Dauer den unangenehmen entgehen. Mit fortschreitendem Alter nehmen die unangenehmen körperlichen Empfindungen zu, wie manche schon feststellen konnten. Niemand ist davon ausgenommen. Das ist ein Naturgesetz. Der Tod ist eine Gewissheit und sehr oft mit außerordentlich unangenehmen Empfindungen verknüpft. Aber diese unangenehmen Empfindungen beschränken sich keineswegs auf Alter und Tod. Selbst junge, kräftige Menschen haben unangenehme körperliche und emotionale Empfindungen.

Wenn es uns gelingt – und sei es auch nur für eine Meditationssitzung –, einmal stillzuhalten und hinzusehen, vor dem Unangenehmen nicht wegzulaufen und nicht nach dem Angenehmen zu trachten, werden wir sehr viel über uns selbst in Erfahrung bringen. Betrachten wir die unangenehmen Empfindungen, die bei den meisten Menschen während der Sitzungen auftreten, so ist dies eine Möglichkeit zu sehen, wie wir reagieren. Man möchte sich dieser unangenehmen Empfindungen entledigen. So kommt es zu einer spontanen, impulsiven Reaktion, und man bewegt sich, um sie möglichst schnell loszuwerden.

Im Alltag versuchen wir, uns solch unangenehmer Empfindungen dadurch zu entledigen, dass wir uns jene Menschen vom Leib halten, die sie in uns auslösen. Damit geben wir andern die Schuld, statt die Empfindung zu beobachten und uns zu sagen: «Nun ist sie also aufgetreten, sie wird kurz da sein und dann wieder verschwinden. Nichts bleibt, wie es war. Wenn ich sie genau genug beobachte, dann lasse ich Achtsamkeit walten, statt zu reagieren.»

Indem wir so reagieren, dass wir ständig das Angenehme aufrechtzuerhalten und das Unangenehme loszuwerden suchen, schaffen wir die Grundlage dafür, dass wir uns ständig zwischen Tod und Wiedergeburt bewegen. Denn uns fehlt die Richtung. Wir bewegen uns im Kreis – immer weiter. Es ist ein Karussell ohne Ausstieg. In einem nicht enden wollenden Kreislauf versuchen wir immer wieder, Angenehmes zu behalten und Unangenehmes loszuwerden. Dem können wir nur dadurch entrinnen, dass wir die Empfindungen beobachten, aber nicht reagieren. Wenn wir das in der Meditation lernen – und sei es auch nur für einen einzigen Augenblick –, dann können wir es im Alltag mit großem Gewinn wiederholen.

Jeder macht unangenehme Erfahrungen im Leben. Die Leute sagen Dinge, die wir nicht gerne hören. Manche tun auch Dinge, die uns nicht recht sind. Es gibt Menschen, die uns nicht schätzen, nicht mögen, nicht anerkennen. Andere verlassen uns, obwohl wir sie gerne bei uns hätten. Wieder andere bleiben, obwohl wir sie viel lieber los wären. Diese Dinge widerfahren jedem. Selbst der Buddha wurde geschmäht. Auch er hat Situationen erlebt, die unangenehme Empfindungen hervorriefen, aber nicht darauf reagiert.

Man gibt einfach nur auf die Empfindungen acht. Tritt also im Körper eine unangenehme Empfindung auf, weil wir ungewöhnlich lange stillsitzen, dann gebt nichts und niemandem die Schuld daran. Niemand ist schuld, dass Empfindungen auftreten. Es handelt sich schließlich nur um Empfindungen, die auftauchen und wieder verschwinden. Beobachtet und erkennt die Empfindung. Solange ihr nicht in der Lage seid, unangenehme Empfindungen mit Abstand zu betrachten werdet ihr überhaupt nichts ändern können. Irgendwann einmal müsst ihr das einfach fertigbringen. Im Idealfall weiß man, dass die unangenehmen Empfindungen lediglich Empfindungen sind, nichts weiter. Diese Empfindungen treten ungebeten auf, und deshalb brauchen wir sie nicht als die unsrigen zu betrachten. Wir haben nicht um sie gebeten. Warum meinen wir dann, dass sie zu uns gehören?

Solange wir nicht wirklich erkennen, was in unserem Geist vorgeht, wenn diese Empfindungen auftreten, werden wir immer wieder in unsere lange eingeschliffenen, gewohnheitsmäßigen Muster verfallen. Was wir fortwährend denken und worauf wir immer und immer wieder reagieren, das hinterlässt Prägungen im Geist. Im Geist geschieht das Gleiche, wie wenn auf einer verschlammten Straße ein vor und zurück fahrendes Auto immer tiefere Fahrrinnen verursacht. Die Rinnen werden tiefer und tiefer, bis sie schließlich so tief sind, dass das Herauskommen aus der Fahrrinne und ein weiteres Vorankommen unmöglich scheint.

Dies ist genau die richtige Situation, eine echte Gelegenheit, unsere Reaktion auf unangenehme Empfindungen zu beobachten. Bitte keine Rationalisierung: «Das ist schlecht für mich, für meinen Kreislauf, ich sollte das nicht tun, sagt mein Arzt immer.» Nichts dergleichen. Es kommt hier lediglich darauf an, den Geist bei seinen Reaktionen zu beobachten. Der Geist ist ein schlauer Manipulationskünstler. Er kann wirklich alles. Wir nennen ihn einen Magier, und das ist eine treffende Bezeichnung. Unser Geist kann aus jedem Hut ein Kaninchen ziehen. Er kann alles so hinstellen, als ob alle anderen unrecht hätten und nur wir die Gescheiten seien.

Das müssen wir durch die Meditation lernen: Man kann unmöglich immer recht haben. Meist verteidigen wir lediglich einen Standpunkt, der auf unserem Ego basiert. Aufgrund dieses Ego, dieser Ich-Täuschung, sind alle unsere Standpunkte, all unsere Meinungen, von diesem Ich beeinflusst, ja entstellt. Das kann gar nicht anders sein. Hat die Fensterscheibe einen rötlichen Farbton, dann sieht draußen alles rot aus.

Wenn wir unseren Geist und seine Reaktionen nach und nach durch den meditativen Prozess kennenlernen, können wir akzeptieren, dass, während wir etwas denken, vier Milliarden andere Menschen etwas anderes denken. Ist es dann möglich, dass ausgerechnet wir das Richtige denken und die vier Milliarden das Falsche? Wir verteidigen einen Gesichtspunkt, der manchmal gültig sein mag – aber nur dann, wenn es um uns geht. Als Einziger voll und ganz richtig denkt ein Arahant, weil er nicht die Illusion eines Ego hat.

Dies sind mögliche Schritte, um dann Einsicht zu gewinnen, wenn wir nicht beim Atem verweilen, sondern wenn der Geist auf Eindrücke und Empfindungen reagiert. Jeder Augenblick kann dazu dienen, Einsicht zu erlangen, und daraus erwächst Ruhe. Ein bisschen Einsicht schafft ein bisschen Ruhe. Sehen wir ein, dass wir unseren Gedanken keine Aufmerksamkeit zu schenken brauchen, wird es leichter, sie einfach loszulassen. Erkennen wir, dass wir auf Empfindungen nicht unbedingt reagieren müssen, können wir diese Reaktion viel leichter vermeiden. Ein wenig Ruhe schafft auch ein wenig Einsicht. Beides sollten wir nutzen.

Die Lehre des Buddha schwimmt nicht mit dem Strom unserer Instinkte und ist deshalb nicht leicht zu verstehen. Ein Geist, der sie begreifen kann, ist ein geschulter Geist. Der durchschnittliche Geist diskutiert lieber über sie. Das ist aber nur eine Art Zeitvertreib, ohne jedes Resultat. Um wirklich in uns zu erfahren, worüber der Buddha gesprochen hat, benötigen wir einen Geist, der überdurchschnittlich ruhig und gesammelt ist. Er muss erkannt haben, dass er nichts anderes ist als eine Erscheinung, die entsteht und vergeht.

All dies kann geschehen, während wir dasitzen und unseren Atem beobachten.

Ruhe und Einsicht. Einsicht ist das Ziel, Ruhe das Mittel dazu. Solange im Geist keine Ruhe eingekehrt ist, wird er durch Wellen von Vorlieben und Abneigungen in Bewegung gehalten. Diese Wellen trüben unsere Sicht. In einem See, in dem Wellen emporsteigen, kann man sein Spiegelbild nicht erkennen. Dazu muss das Wasser ruhig und sanft sein. Ebenso muss auch der Geist ruhig sein, damit wir zu klarer und gründlicher Einsicht fähig sind.

Die Gehmeditation führt in die gleiche Richtung. Indem wir wirklich achtsam werden, kehrt Ruhe ein. Setzt der Denkprozess ein, so nutzen wir ihn, um in Erfahrung zu bringen, was in unserem Geist vorgeht.

Das Etikettieren ist ebenfalls eine Möglichkeit, zu erfahren, was der Geist tut. Sind wir dazu während der Meditation imstande, dann sind wir es auch im Alltag. Jeder gutwillige Mensch wird einen Gedanken, der das Etikett Gier oder Hass erhält, sofort fallen lassen. Das ist der Weg zur Läuterung. Die Geistesruhe ist auf diese Läuterung angewiesen. Zu Läuterung kommt es auch durch Einsicht, durch Selbsterkenntnis. Durch das Etikettieren wird deutlich, was im Geist vor sich geht. In der Meditation müssen wir alle Etiketten und Gedanken loslassen, im Alltag die nutzlosen und unzuträglichen Gedanken. Lernen wir das, kann die Läuterung vonstatten gehen. Der Weg der Läuterung führt zur Beendigung allen Leidens.

Die Ewigkeit ist jetzt

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