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2.

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Grum­bach hat­te die gan­ze Zi­gar­ren­af­fä­re am nächs­ten Tage schon wie­der ver­ges­sen. Der viel­be­schäf­tig­te Fa­brik­herr und Groß­kauf­mann hat­te wahr­haf­tig an an­de­res zu den­ken. Er kam auch spä­ter nicht wie­der auf sie zu­rück, weil sich kein An­lass dazu er­gab. Ganz zu Ende war sie aber doch noch nicht.

Da­go­bert hat­te fast eine gan­ze Wo­che ver­strei­chen las­sen, be­vor er sich wie­der in dem Grum­bach­schen Hau­se se­hen ließ. Das letz­te Mal war er am Mitt­woch dort ge­we­sen, und erst am dar­auf­fol­gen­den Diens­tag­abend zeig­te er sich wie­der. Frau Vio­let emp­fing ihn im Rauch­zim­mer. Das Di­ner war vor­bei, und zum Kaf­fee, den er mit ihr neh­men soll­te, rauch­te sie sel­ber ganz gern eine Zi­ga­ret­te.

»Ich kom­me Ih­nen un­ge­le­gen, gnä­di­ge Frau?« be­gann er die Un­ter­hal­tung.

»Sie sind mir im­mer will­kom­men, Herr Da­go­bert«, er­wi­der­te sie lie­bens­wür­dig, aber et­was be­tre­ten schi­en sie doch, als sie sich auf der Ka­min­bank zu­recht­setz­te.

»Ich mein­te nur«, fuhr er harm­los fort, »weil ich ja an­neh­men konn­te, den Herrn Ge­mahl nicht zu Hau­se zu tref­fen.«

»Al­ler­dings – Diens­tag ist sein Klub­tag; da ist er nie zu Hau­se. De­sto an­ge­neh­mer für mich, Ge­sell­schaft zu ha­ben.«

»Es wäre aber doch auch mög­lich ge­we­sen, dass Gnä­di­ge sich be­reits mit an­der­wei­ti­ger Ge­sell­schaft ver­sorgt hät­ten, und ich viel­leicht nur stö­rend ge­we­sen sein wür­de.«

»Sie stö­ren nie­mals, Herr Da­go­bert«, ver­si­cher­te sie eif­rig und lenk­te dann ab, in­dem sie ihn, um dem Ge­sprä­che eine an­de­re Wen­dung zu ge­ben, bei sei­ner schwa­chen Sei­te pack­te und ihn mit sei­ner De­tek­tiv­lei­den­schaft zu ne­cken be­gann.

»Nun? Ha­ben Sie den ruch­lo­sen Zi­gar­ren­mar­der noch im­mer nicht ent­deckt?« frag­te sie mit fröh­li­chem Spott.

»Spot­ten Sie nicht zu früh, Gnä­di­ge!«

»Mein Gott, ein paar Zi­gar­ren kön­nen leicht weg­kom­men, ohne dass man er­fährt, wo­hin sie ge­ra­ten sind. Man soll­te gar nicht for­schen. Am nächs­ten liegt es, den Die­ner zu be­arg­wöh­nen. Er ist si­cher­lich un­schul­dig, aber wenn ein­mal der Ver­dacht ge­weckt ist, – mein Mann ist sehr ge­nau! – da kann der arme Teu­fel leicht um sein Brot kom­men.«

»Wir wer­den uns ja gleich über­zeu­gen«, ent­geg­ne­te Da­go­bert und drück­te auf den elek­tri­schen Tas­ter.

Frau Vio­let er­schrak über sei­ne Vo­rei­lig­keit und mach­te eine Be­we­gung, ihn zu­rück­zu­hal­ten, aber es war schon zu spät. Im nächs­ten Au­gen­blick stand der Die­ner im Zim­mer der Be­feh­le ge­wär­tig.

»Sie, lie­ber Franz«, be­gann Da­go­bert, »Sie wer­den so gut sein, mir einen Fia­ker zu ho­len, so etwa in ei­ner Stun­de.«

»Sehr wohl, gnä­di­ger Herr!«

»Hier, lie­ber Freund, für Ihre Mühe eine fei­ne Zi­gar­re!« Da­go­bert griff da­bei nach dem Kist­chen.

»Ich bit­te um Ver­zei­hung, gnä­di­ger Herr, ich rau­che nicht.«

»Ach, Un­sinn, Franz!« sag­te Da­go­bert. »Jetzt tun Sie nur Ihre Zi­gar­ren­ta­sche her­aus; wir wol­len sie ein­mal or­dent­lich an­fül­len.« Und er griff jetzt mit der gan­zen Hand in das Kist­chen.

Franz lach­te mit dem gan­zen Ge­sicht über den her­ab­las­sen­den Scherz und ver­si­cher­te noch ein­mal, dass er kein Rau­cher sei.

»Na, dann ist’s ja gut«, be­merk­te Da­go­bert leut­se­lig, »dann wer­den wir uns schon noch mit­ein­an­der ver­rech­nen. Sie sol­len des­halb nicht zu kurz kom­men.«

Der Die­ner ver­beug­te sich und ver­ließ ge­räusch­los das Zim­mer.

»Sie se­hen. Gnä­di­ge«, nahm dar­auf Da­go­bert wie­der das Wort. »Er ist es nicht ge­we­sen.«

Nun war es an Frau Vio­let, hell auf­zu­la­chen.

»Wenn das Ihre gan­ze Kunst ist, Da­go­bert, dann las­sen Sie sich nur ru­hig wie­der das Lehr­geld zu­rück­ge­ben! Ich sage ja nicht, dass er’s ge­we­sen ist – er ist es be­stimmt nicht ge­we­sen –, aber selbst, wenn er sich schul­dig ge­fühlt hät­te, glau­ben Sie wirk­lich, dass er Ih­nen in die­se plum­pe Fal­le ge­gan­gen wäre?«

»Wer sagt Ih­nen denn, Frau Vio­let, dass das mei­ne gan­ze Kunst ist? Ich woll­te Ih­nen nur vor­de­mons­trie­ren, dass er der Schul­di­ge nicht sein kann.«

»Weil Sie ihm so­fort al­les glau­ben! Sie sind naiv, Da­go­bert.«

»Für mich war es ganz zweck­los, ihn vor­zu­la­den. Ich woll­te nur vor Ih­nen sei­ne Ehren­ret­tung be­werk­stel­li­gen. Ei­gent­lich recht über­flüs­si­ger Wei­se. Denn auch Sie sind von sei­ner Un­schuld über­zeugt, und da­mit könn­ten wir ja die Sa­che als ab­ge­schlos­sen be­trach­ten.«

»Da­go­bert, Sie wis­sen mehr, als Sie sa­gen wol­len.«

»Ich will al­les sa­gen, wenn es Sie in­ter­es­siert, mei­ne Gnä­di­ge.«

»Es in­ter­es­siert mich sehr.«

»Wäre es nicht bes­ser, über­haupt nichts mehr da­von zu re­den?«

»Ja, warum soll­te das nun bes­ser sein, Da­go­bert?«

»Ich dach­te nur – ich weiß näm­lich al­les.«

»Umso bes­ser! Las­sen Sie hö­ren, was Sie her­aus­ge­bracht ha­ben.«

»Es ist ja mög­lich, dass ich im ein­zel­nen irre, dann wer­den Sie in der Lage sein, mich zu kor­ri­gie­ren.«

»Ich?!« Sie sah ihn groß an.

»Sie, mei­ne Gnä­di­ge. Es ist ja auch mög­lich, dass ich mich schwer bla­mie­re – ich glau­be es nicht, aber mög­lich wäre es im­mer­hin. Sie müs­sen be­rück­sich­ti­gen, dass ich aus­schließ­lich auf mei­ne Kom­bi­na­ti­on an­ge­wie­sen war und es ganz selbst­ver­ständ­lich ver­schmäht habe, Ihre Die­ner­schaft aus­zu­hor­chen.«

»Kei­ne so lan­ge Ein­lei­tung, Da­go­bert; zur Sa­che, wenn ich bit­ten darf.«

»Gut, ich de­cke mei­ne Kar­ten auf. Sie er­in­nern sich, mei­ne Gnä­digs­te, dass ich am letz­ten Mitt­woch zum ers­ten Mal von den Ab­gän­gen er­fuhr. Fünf Mi­nu­ten spä­ter hat­te ich die ge­naue Per­so­nen­be­schrei­bung –«

»Wie ha­ben Sie denn das an­ge­fan­gen?«

»Die ge­naue Per­so­nen­be­schrei­bung des – des Rau­chers. Ich den­ke, wir blei­ben bei die­ser Be­zeich­nung und ver­mei­den den odio­sen Aus­druck Dieb oder auch nur Zi­gar­ren­dieb. Die Zi­gar­ren sind ja tat­säch­lich nicht ge­stoh­len, son­dern nur ge­raucht wor­den, ohne dass der Haus­herr da­von wuss­te. Der Rau­cher ist also ein hoch­ge­wach­se­ner jun­ger Mann, einen gu­ten Kopf grö­ßer als ich, mit ei­nem wohl­ge­pfleg­ten schwar­zen Bart und pracht­vol­len Zäh­nen.«

»Wo­her wis­sen Sie das?«

»Ich wer­de Ih­nen al­les sa­gen, Gnä­digs­te. Üb­ri­gens hof­fe ich, die Rich­tig­keit der von mir ge­lie­fer­ten Per­so­nen­be­schrei­bung heu­te noch ekla­tant be­stä­tigt zu se­hen. Ich rech­ne näm­lich dar­auf, dass der vor­treff­li­che jun­ge Mann bin­nen kur­z­em uns die Ehre sei­ner Ge­sell­schaft ge­wäh­ren wird. Ich habe auch schon das Kist­chen mit sei­ner Lieb­lings­sor­te zu­recht­ge­rückt.«

Da tat sich die Tür auf, und der Die­ner trat mit der Mel­dung ein, dass der Wa­gen für den gnä­di­gen Herrn be­stellt sei und pünkt­lich zur fest­ge­setz­ten Zeit vor­fah­ren wer­de. Dann rich­te­te er an die Haus­frau die Fra­ge, ob es ihm nun er­laubt sei, zu »ge­hen«. Die Er­laub­nis wur­de er­teilt, und er zog sich dann mit ei­ner de­vo­ten Ver­beu­gung und ei­nem dan­ken­den »Küß d’ Hand!« wie­der zu­rück.

»Franz ist näm­lich ein Thea­ter­narr«, er­läu­ter­te Frau Vio­let. »Ein­mal in der Wo­che muss er ins Thea­ter ge­hen, und da gebe ich ihm am liebs­ten den Diens­tag­abend frei, wo mein Mann oh­ne­dies nicht zu Hau­se ist, er also am leich­tes­ten ent­behrt wer­den kann.«

»Ach sooo!« er­wi­der­te Da­go­bert nach­denk­lich. »Nun, das ist ja ganz in der Ord­nung.«

»Las­sen Sie sich aber da­durch nur nicht ab­len­ken, lie­ber Da­go­bert«, fuhr Frau Vio­let fort. »Sie sind mir die Auf­klä­rung schul­dig, wie Sie zu je­ner Per­so­nen­be­schrei­bung ge­langt sind.«

»Ich hat­te am Mitt­woch, als Sie und Ihr Herr Ge­mahl sich zu­rück­zo­gen, um sich fürs Thea­ter fer­tig zu ma­chen, ei­ni­ge Mi­nu­ten Zeit zur Un­ter­su­chung. Die Sa­che wäre viel­leicht schwie­rig ge­wor­den, wenn ich am Schau­platz der Tat kei­ne Spu­ren ge­fun­den hät­te.«

»Und Sie ha­ben wel­che ge­fun­den?«

»Ja. In der Spal­te des Rauch­ti­sches ein Haar und hier oben am Ka­min einen Zi­gar­ren­rest.«

»Die konn­ten aber schon lan­ge hier und dort lie­gen!«

»Ich hat­te mei­ne gu­ten Grün­de, an­zu­neh­men, dass es wirk­lich cor­po­ra de­lic­ti und erst am Tage vor­her dort­hin ge­langt sei­en. Ich habe dann bei mir zu Hau­se die bei­den Ge­gen­stän­de ge­nau, das Haar so­gar mi­kro­sko­pisch un­ter­sucht.«

»Und das Re­sul­tat?«

»Ein voll­kom­men be­frie­di­gen­des. Das Haar wies auf einen Tä­ter mit schö­nem schwar­zen Bart. Na­tu­rech­tes Schwarz, kei­ne Spur von künst­li­chem Farb­stoff – also ein al­ter Mann ist un­ser Rau­cher nicht. Ich kann so­gar sa­gen, dass es ein jun­ger Mann ist. Denn das Haar war weich, bieg- und schmieg­sam. Nicht ge­ra­de ers­ter Flaum, aber doch noch im­mer zart. Es hät­te der­ber, bors­ti­ger sein müs­sen, wenn da vor­her schon jah­re­lang ein Ra­sier­mes­ser ge­wal­tet hät­te. Der jun­ge Mann hält auch et­was auf sei­nen Bart, denn un­ter dem Mi­kro­skop wies das Haar eine Spur von Bril­lan­ti­ne auf. Das ist ein ganz harm­lo­ses, kos­me­ti­sches Mit­tel, aber ein we­nig ei­tel muss man doch sein, um es an­zu­wen­den. Da Sie den Tä­ter ken­nen, Gnä­digs­te, wer­den Sie ja be­ur­tei­len kön­nen, ob mei­ne An­nah­me eine rich­ti­ge oder ir­ri­ge ist.«

»Ich glau­be, dass Sie sich da in eine fixe Idee ver­rannt ha­ben.«

»Mög­lich; aber das ist ja nicht von Be­lang. Ge­hen wir wei­ter. Hier oben am Ka­min­sims lag der Zi­gar­ren­rest.«

»Zu wel­chen Schlüs­sen führ­te Sie der?«

»Es war mir zu­nächst an­ge­nehm, fest­stel­len zu kön­nen, dass die Sor­te stimm­te. Die wei­te­ren Schlüs­se er­ga­ben sich von selbst. Er­lau­ben Sie jetzt, dass ich noch ein­mal auf Ihren Die­ner zu­rück­kom­me. Ich er­wäh­ne da et­was bei­na­he zum Schluss, wo­von ich aus­ge­gan­gen bin und wo­mit ich ei­gent­lich an­ge­fan­gen habe. Nicht ohne Grund hat­te ich ihn jetzt her­ein­zi­tiert. Sie soll­ten sich ihn noch ein­mal an­se­hen. Also der Mensch ist blond, und sein Ge­sicht ist, wie sich das für einen or­dent­li­chen Die­ner ge­hört, der auch bei Tisch ser­viert, glatt ra­siert. Er hat fer­ner, wie es sich ei­gent­lich für einen or­dent­li­chen Die­ner nicht ge­hört und wie Sie sich über­zeu­gen konn­ten, als er uns so freund­lich an­grins­te, recht schad­haf­te Zäh­ne. End­lich konn­ten Sie se­hen, dass sei­ne Sta­tur eine ziem­lich klei­ne ist. Er ist noch et­was klei­ner als ich, und wir ha­ben doch fest­ge­stellt, dass der un­be­kann­te Tä­ter einen schwar­zen Bart trägt, sehr gute Zäh­ne hat und einen Kopf grö­ßer ist als ich.«

»Das ha­ben wir durch­aus noch nicht fest­ge­stellt!«

»Dann wol­len wir es gleich be­sor­gen. Die Spit­ze der Zi­gar­re war nicht mit ei­nem Mes­ser ab­ge­schnit­ten, son­dern prompt und glatt ab­ge­bis­sen wor­den. Dazu ge­hö­ren gute Zäh­ne. Dar­über wä­ren wir also im Kla­ren. Nun muss noch sei­ne un­ge­wöhn­li­che Kör­per­län­ge be­wie­sen wer­den. Nichts ein­fa­cher als das. Re­pro­du­zie­ren wir ein­mal die Si­tua­ti­on, mei­ne Gnä­di­ge –, ei­gent­lich gar nicht nö­tig. Denn sie ist schon her­ge­stellt. Sie auf Ihrem be­vor­zug­ten Plat­ze –, ich in re­spekt­vol­ler Ent­fer­nung, aber doch ge­ra­de noch nahe ge­nug für un­se­re Kon­ver­sa­ti­on, Ih­nen ge­gen­über­ste­hend, an den Ka­min ge­lehnt. Die Aus­sicht, die ich da bei­na­he aus der Vo­gel­per­spek­ti­ve ge­nie­ße, ist eine ent­zücken­de. Sie brau­chen nicht zu dro­hen, Frau Vio­let –, eine ent­zücken­de. Auch ich wür­de ohne be­son­de­ren Grund mei­nen glück­li­chen Beo­b­ach­ter­pos­ten nicht ver­las­sen. Wenn ich aber eine Zi­gar­re weg­zu­le­gen hät­te, so müss­te ich mich zum Rauch­ti­sche be­ge­ben, auf dem die Aschen­be­cher ste­hen. Denn ich könn­te nicht auf den Sims hin­auf­lan­gen, mir wäre er zu hoch! Da hät­te ich nun die Per­so­nen­be­schrei­bung be­grün­det. Stimmt sie, mei­ne Gnä­digs­te?«

»Sie stimmt«, gab Frau Vio­let la­chend zu. »Ich ma­che Ih­nen mein Kom­pli­ment, Herr Da­go­bert. Sie sind ein fürch­ter­li­cher Mensch, und ich sehe schon, es wird doch am bes­ten sein, wenn ich sel­ber gleich ein um­fas­sen­des Ge­ständ­nis ab­le­ge, sonst glau­ben Sie am Ende noch Gott weiß was!«

»Kei­ne Ge­ständ­nis­se! Ich leh­ne sie ab. Ge­ständ­nis­se kön­nen – ich spre­che na­tür­lich ganz aka­de­misch – kön­nen auch falsch sein. Es sind auf Grund von falschen Ge­ständ­nis­sen schon Jus­tiz­mor­de ver­übt wor­den, und nichts ver­mag mich mehr auf­zu­re­gen, als der Ge­dan­ke an einen Jus­tiz­mord. Zu­dem – ich brau­che das Ge­ständ­nis nicht; es kann mir nichts mehr nüt­zen. Ich bin hier nur Un­ter­su­chungs­rich­ter und habe kein Ur­teil zu schöp­fen. Mei­ne Auf­ga­be war, den Tat­be­stand auf­zu­klä­ren und die Tä­ter­schaft zu er­wei­sen. Ob dann bei der Schluss­ver­hand­lung ge­stan­den oder ge­leug­net wird, das geht mich nichts an.«

»Gut, also hö­ren wir wei­ter!«

»Ich muss­te also wei­ter kom­bi­nie­ren. Der hoch­ge­wach­se­ne jun­ge Mann mit dem schö­nen Bart und den gu­ten Zäh­nen hat sei­ne Zi­gar­re hier in Ih­rer Ge­gen­wart ge­raucht und Ih­nen da­bei Ge­sell­schaft ge­leis­tet. Er hat mit Ih­nen ge­plau­dert, wie ich jetzt mit Ih­nen plau­de­re. Ein be­son­de­res Ge­heim­nis konn­te nicht da­hin­ter ste­cken.«

»Gott sei Dank, dass Sie mir das we­nigs­tens nicht zu­trau­en, Da­go­bert!«

»Konn­te nicht da­hin­ter ste­cken. Wir ken­nen uns nun schon lan­ge ge­nug – Sie sind eine klu­ge Frau. Sie wis­sen, was auf dem Spie­le steht, und Sie ma­chen kei­ne Dumm­hei­ten.«

»Ich dan­ke für das eh­ren­de Ver­trau­en!«

»Mein Ver­trau­en ist auch fel­sen­fest, nicht min­der mein Re­spekt. Aber es ist nicht nur das. Ich habe of­fe­ne Au­gen und gute Ohren. Ich selbst hät­te ir­gend­ein­mal et­was be­mer­ken, oder ir­gend­ein Ge­re­de hät­te auch zu mir drin­gen müs­sen. Nichts von al­le­dem. Sie ha­ben da einen Be­such emp­fan­gen, der wei­ter nicht auf­fal­len konn­te, sonst wäre er schon auf­ge­fal­len. Wa­rum fiel er nicht auf? Weil Sie ihn oft emp­fan­gen. Es muss­te also ein ganz harm­lo­ser Be­such sein. Ein Um­stand konn­te al­ler­dings stut­zig ma­chen. Aus den hin­ge­wor­fe­nen Äu­ße­run­gen Ihres Man­nes konn­te ich mir so un­ge­fähr her­aus­neh­men, dass die Zi­gar­ren ge­wöhn­lich am Diens­tag­abend ver­schwan­den, zu der Zeit also, wo er im Klub war. Was ich nicht wuss­te, was Sie aber an­ga­ben, ist, dass am Diens­tag Ihr Die­ner das Thea­ter zu be­su­chen pflegt.«

»Hof­fent­lich zie­hen Sie aus die­sem Um­stand nicht auch Ihre Schlüs­se!«

»Ich den­ke nicht dran. Tat­sa­che scheint mir, dass der jun­ge Mann ziem­lich häu­fig im Hau­se vor­spricht, dass er aber ge­ra­de am Diens­tag et­was län­ger ver­weilt und die Haus­frau un­ter­hält.«

»Das ist rich­tig, aber ich kann ver­si­chern, dass die Un­ter­hal­tun­gen ganz harm­lo­ser Na­tur sind.«

»Da­ran habe ich nie­mals ge­zwei­felt, zu­mal der jun­ge Mann – wie soll ich sa­gen? – ein we­nig un­ter Ihrem Stan­de ist.«

»Wie ha­ben Sie das nun wie­der her­aus­ge­bracht, Da­go­bert?«

»Es er­klärt sich von selbst, gnä­di­ge Frau. Freund Grum­bach hat nicht eine oder zwei Zi­gar­ren ver­misst, son­dern gleich sechs oder sie­ben. Sie er­in­nern sich; nach sei­ner An­ga­be hat­ten aus der obers­ten Schicht am Tage vor­her zwei Zi­gar­ren ge­fehlt. Die hat Grum­bach je­den­falls sel­ber her­aus­ge­nom­men und sich da­bei halb un­will­kür­lich das Bild ein­ge­prägt, das das In­ne­re des Kist­chens dar­bot. Ei­nen Tag spä­ter schi­en es ihm, als fehl­ten acht oder neun Stück. Also Ab­gang von sechs oder sie­ben Stück. Man raucht aber nicht sechs oder sie­ben schwe­re Zi­gar­ren wäh­rend ei­nes Plau­der­stünd­chens mit der Haus­frau, man raucht eine, wenn’s hoch kommt zwei. Der Vor­gang war nun der, dass die Haus­frau den jun­gen Mann beim Ab­schied er­mu­tigt hat, sich noch ei­ni­ge Zi­gar­ren ein­zu­ste­cken.«

»Auch das ist rich­tig. Aber dar­aus folgt doch noch nicht, dass ich mich, wie Sie sich aus­zu­drücken be­lie­ben, un­ter mei­nem Stan­de un­ter­hal­ten hät­te.«

»Ich bit­te um Ver­zei­hung, mei­ne Gnä­digs­te. Ei­nem ge­sell­schaft­lich voll­wer­ti­gen Be­such emp­fiehlt die Haus­frau viel­leicht, sich auf den Weg eine Zi­gar­re mit­zu­neh­men –, eine! Na­tür­lich ohne Be­to­nung. Eine Hand­voll zu ge­ben oder – zu neh­men, das deu­tet schon auf einen ge­wis­sen ge­sell­schaft­li­chen Ab­stand.«

»Sie sind wirk­lich der rei­ne Kri­mi­nal­kom­mis­sär, Da­go­bert!«

»Auf einen Ab­stand und doch auch auf eine ge­wis­se Sym­pa­thie.«

»Es ist auch ein ganz net­ter, lie­bens­wür­di­ger jun­ger Mann. Ha­ben Sie sonst noch et­was her­aus­ge­bracht?«

»O, noch eine gan­ze Mas­se! Ich leg­te mir die Fra­ge vor: Was kann das für ein jun­ger Mann sein, der so oft, viel­leicht täg­lich, ins Haus kommt, ohne dass es ir­gend­wie auf­fie­le? Die Ant­wort dar­auf war nicht schwer. Es konn­te nur ein Be­am­ter aus dem Büro Ihres Man­nes sein, wohl ei­ner, der die Auf­ga­be hat, je­den Tag am Abend dem Chef die Kas­sasch­lüs­sel oder den Ta­ges­rap­port zu über­brin­gen.«

»Er bringt al­ler­dings nach Ge­schäfts­schluss die täg­li­che Abrech­nung nach Haus. Mein Mann hat sich das so ein­ge­rich­tet.«

»Woran er sehr recht ge­tan hat. Das weiß ich üb­ri­gens nun auch. Denn ich war in­zwi­schen bei Ihrem Di­rek­tor.«

»Nein, was Sie nicht al­les trei­ben, wenn Sie eine Spur ver­fol­gen!«

»Man fängt ent­we­der nicht an, mei­ne Gnä­digs­te, oder man fängt an, dann aber muss man auch bis ans Ende ge­hen, sonst hät­te es kei­nen Sinn.«

»Und was ha­ben Sie bei dem Di­rek­tor aus­ge­rich­tet?«

»Al­les, was ich wün­schen konn­te.«

»Las­sen Sie hö­ren, Da­go­bert!«

»Ich sag­te ihm, dass ich ge­kom­men sei, einen jun­gen Mann zu pro­te­gie­ren –, er sol­le mich nur dem Chef nicht ver­ra­ten. Der Di­rek­tor lä­chel­te. Er wis­se ganz gut, dass, wenn ich vom Chef et­was wol­le, es von vorn­her­ein be­wil­ligt sei. Wohl mög­lich, gab ich zu, es wäre mir aber lie­ber, ihn nicht di­rekt um den Freund­schafts­dienst zu bit­ten. Der Di­rek­tor be­griff oder tat, als be­grif­fe er, und stell­te sich mir zur Ver­fü­gung.«

Um was han­delt es sich? frag­te er.

Sie ha­ben da einen jun­gen Mann im Kon­tor, er­wi­der­te ich, – na, wie heißt er doch nur? Ich habe so ein scheuß­li­ches Na­mens­ge­dächt­nis! Tut üb­ri­gens nichts; wer­de schon drauf­kom­men. Also ein auf­fal­lend großer jun­ger Mann mit lie­bens­wür­di­gen Ma­nie­ren – sonst hät­te er Ih­nen nicht ge­fal­len, mei­ne Gnä­digs­te –, mit ei­nem schö­nen schwar­zen Bart und gu­ten Zäh­nen. Abends bringt er ge­wöhn­lich dem Chef –

Ach, das ist ja un­ser Se­kre­tär Som­mer! un­ter­brach mich der Di­rek­tor.

Som­mer, na­tür­lich Som­mer! Dass mir der Name ent­fal­len konn­te! Se­hen Sie, lie­ber Di­rek­tor, Som­mer ist ja ein ganz be­gab­ter Mensch, aber er ist in der Kanz­lei, bei der Kor­re­spon­denz nicht am rich­ti­gen Plat­ze. Es fehlt die letz­te Ge­nau­ig­keit und Ex­akt­heit bei der Ar­beit. Da­ge­gen müss­te er sich vor­treff­lich ver­wen­den las­sen für den Ver­kehr mit den Par­tei­en. Ich weiß, dass Sie schon ge­rau­me Zeit nach ei­ner ge­eig­ne­ten Per­sön­lich­keit su­chen zur Lei­tung der Ver­kaufs­fi­lia­le in Graz. Wäre das nichts für Som­mer?

Der Di­rek­tor schlug sich mit der Hand auf die Stir­ne.

Don­ner­wet­ter, das ist eine Idee! Da su­chen wir uns die Au­gen aus dem Kop­fe und ha­ben den Mann in nächs­ter Nähe! Na­tür­lich ist Som­mer wie ge­schaf­fen da­für! Sie üben da nicht Pro­tek­ti­on an ihm, son­dern er­wei­sen uns einen Dienst mit Ihrem Vor­schlag. Er geht nach Graz. Die Sa­che ist ab­ge­macht.

»Sie se­hen, mei­ne Gnä­digs­te, ich war glück­lich ge­nug, ein we­nig Vor­se­hung spie­len zu kön­nen.«

»Aber Da­go­bert, wie konn­ten Sie die Be­haup­tung ris­kie­ren, dass der jun­ge Mensch nicht fürs Büro tau­ge?«

»Da war nichts ris­kiert da­bei. Ich ver­ließ mich auf mein biss­chen Psy­cho­lo­gie. Der rich­ti­ge Bü­ro­mensch ist im­mer mehr oder min­der – bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de – Pe­dant. Er wird es durch sei­ne Be­schäf­ti­gung, die un­aus­ge­setz­te mi­nu­zi­öse Ge­nau­ig­keit er­for­dert. Ein Pe­dant ist un­ser Freund nicht. Der rich­ti­ge Bü­ro­mensch beißt die Spit­zen der Zi­gar­ren nicht mit den Zäh­nen her­un­ter, son­dern er schnei­det sie säu­ber­lich ab mit dem Fe­der­mes­ser oder mit ei­ner be­son­de­ren Ma­schi­ne­rie, die er si­cher bei sich trägt, wenn er Zi­gar­ren­rau­cher ist. Und noch et­was tut der rich­ti­ge Bü­ro­mensch nicht. Er legt Zi­gar­ren­stum­mel nicht auf Mar­mor­ka­mi­ne. Er be­müht sich viel­mehr zum Aschen­be­cher und de­po­niert den Rest dort, im­mer be­strebt, dar­auf zu ach­ten, dass nicht et­was von der Asche da­ne­ben gehe. Un­ser sorg­lo­ser jun­ger Freund, der es mit ei­nem Zi­gar­ren­stum­mel nicht so ge­nau nimmt, wird es wahr­schein­lich auch mit der Bü­ro­ar­beit nicht gar zu ge­nau neh­men. Er hat’s nicht in sich!«

»Und dar­aus ha­ben Sie dann gleich ge­schlos­sen, dass er der rich­ti­ge Mann für den Par­tei­en­ver­kehr ist?«

»Nicht nur dar­aus, son­dern auch aus der Be­vor­zu­gung, die Sie ihm ha­ben zu­teil wer­den las­sen, mei­ne Gnä­digs­te. Er muss ein sehr an­ge­neh­mes Mund­werk ha­ben, wird wohl auch ein klei­ner Schwe­re­nö­ter sein. Das al­les ist ganz vor­treff­lich, wenn man mit der Kund­schaft in per­sön­li­che Berüh­rung zu tre­ten hat.«

»Ei­nes müs­sen Sie mir noch auf­klä­ren, Da­go­bert. Sie ha­ben sich be­müht, den jun­gen Mann weg­zu­brin­gen, weil Sie um mei­ne Tu­gend be­sorgt wa­ren?«

»Aber, Frau Vio­let! Sie wis­sen doch, wel­ches Ver­trau­en ich in Sie set­ze! Da ich aber wuss­te, dass die ab­gän­gi­gen Zi­gar­ren durch Ihre Hän­de ge­gan­gen wa­ren, und Sie dar­aus Ihrem Man­ne ge­gen­über ein Ge­heim­nis mach­ten, muss­te der Rau­cher not­wen­di­ger­wei­se ver­schwin­den. Das muss­te sein!«

»Ein Ge­heim­nis! Da steckt ja die Un­ge­schick­lich­keit von mir. Ich hat­te es mei­nem Man­ne nicht gleich ge­sagt; hat­te nicht dar­an ge­dacht, und als er dann eine Af­fä­re dar­aus mach­te, da wäre es so merk­wür­dig her­aus­ge­kom­men. Es wäre mir pein­lich ge­we­sen.«

»Gera­de­so habe ich es auf­ge­fasst, gnä­di­ge Frau … Für mich dürf­te üb­ri­gens der Wa­gen vor­ge­fah­ren sein. Soll­te der jun­ge Mann noch kom­men, sich zu ver­ab­schie­den, dann bie­ten Sie ihm zur Ab­wechs­lung eine Zi­gar­re von ei­ner an­de­ren Sor­te an, und dann wird die­se wich­ti­ge Af­fä­re für alle Zeit er­le­digt sein.«

Detektiv Dagobert

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