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Der Falschspieler

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An­dre­as Grum­bach hat­te ei­gent­lich im­mer ein recht zu­rück­ge­zo­ge­nes Le­ben ge­führt. Sei­ne Ehe mit der Schau­spie­le­rin Moor­lank hat­te sich, ent­ge­gen der ur­sprüng­li­chen An­nah­me der ab­ra­ten­den Freun­de, zu ei­ner durch­aus un­ge­trüb­ten und glück­li­chen ge­stal­tet. Die blon­de Frau Vio­let führ­te das Haus­we­sen mit ta­del­lo­ser Sorg­falt und Ge­schick­lich­keit, und Grum­bach fühl­te sich zu Hau­se so wohl, dass er an be­son­de­re ge­sell­schaft­li­che Zer­streu­un­gen gar nicht dach­te, ob­schon viel­leicht Frau Vio­let nicht ab­ge­neigt ge­we­sen wäre. Sie war aber zu klug, da auf Än­de­run­gen zu drin­gen, wo oh­ne­dies al­les zu all­sei­ti­ger Be­frie­di­gung sich ab­wi­ckel­te.

Tags­über hat­te Grum­bach ge­nug zu ar­bei­ten, und da war es ihm doch am liebs­ten, wenn er die Aben­de in sei­nem Heim ver­brin­gen konn­te, das ihm Frau Vio­let mit al­ler Um­sicht, mit Takt und Ge­schmack ganz in sei­nem Sin­ne ein­ge­rich­tet hat­te. Ein­mal in der Wo­che be­such­te er sei­nen Klub, das war er sich schul­dig; und für einen Abend in der Wo­che hat­te er eine Loge in der Oper, das war er Frau Vio­let schul­dig. Sonst aber blie­ben sie fein zu Hau­se, wo es nach sei­ner Auf­fas­sung doch am schöns­ten war.

Gäs­te sa­hen sie sel­ten bei sich. Da­go­bert Trost­ler, der ge­dien­te Le­be­mann, der im ru­hi­gen Ge­nus­se sei­ner Ren­ten jetzt nur noch sei­nen Lieb­ha­be­rei­en leb­te, der zähl­te kaum mit. Er konn­te kom­men und ge­hen, wann er woll­te. Man war auf den al­ten Freund des Hau­ses im­mer vor­be­rei­tet, und er ge­hör­te so­zu­sa­gen zum Hau­se. Sei­ne großen Pas­sio­nen wur­den ja viel­fach be­lä­chelt, aber er war zu sehr Phi­lo­soph, um sich das son­der­lich an­fech­ten zu las­sen.

Für Grum­bachs war er ge­ra­de­zu un­ent­behr­lich ge­wor­den, schon durch die Macht der Ge­wohn­heit; aber auch sonst. Er war ein treu­er und sorg­li­cher Freund, auf den man sich in al­len Le­bens­la­gen un­be­dingt ver­las­sen kann­te. Er war aber auch der Mitt­ler für die Au­ßen­welt; er brach­te die Neu­ig­kei­ten des Ta­ges ins Haus, sorg­te da­für, dass man in Sa­chen der Kunst aus dem lau­fen­den blieb und wuss­te in ei­nem­fort al­ler­lei Räu­ber­ro­ma­ne und Kri­mi­nal­ge­schich­ten zu er­zäh­len, bei de­nen man sich auch ganz gut un­ter­hal­ten konn­te.

Die­ses Idyll hat­te aber nun ein Ende ge­fun­den, und Grum­bachs wur­den mit ei­nem Male hin­ein­ge­ris­sen in den Wir­bel des ge­sell­schaft­li­chen Le­bens der Reichs­haupt- und Re­si­denz­stadt, sehr ge­gen die Nei­gung des Man­nes, nicht so auch ge­gen die von Frau Vio­let, die da fand, dass sie nun erst die Rol­le spie­le, die ihr ei­gent­lich und von Rechts we­gen schon lan­ge ge­bührt hät­te.

Das war so ge­kom­men: Frei­herr Fried­rich von Eichs­tedt, der Chef der alt­be­rühm­ten Fir­ma Eichs­tedt & Rausch, war der ei­gent­li­che Be­grün­der des Klubs der In­dus­tri­el­len ge­we­sen und des­sen all­jähr­lich neu­ge­wähl­ter Prä­si­dent durch vol­le zehn Jah­re. Als die zehn Jah­re um wa­ren, wur­de das Ju­bi­lä­um un­ter groß­ar­ti­gen Ova­tio­nen ge­fei­ert. Es gab ein denk­wür­di­ges Ban­kett, zu dem auch die Da­men der Mit­glie­der ein­ge­la­den wa­ren, – die Toi­let­te von Frau Vio­let war se­hens­wert. Die große Über­ra­schung für den Prä­si­den­ten war die fei­er­li­che Ent­hül­lung sei­nes von Leo­pold Ho­ro­witz für den Sit­zungs­saal ge­mal­ten Por­träts. Er hat­te dem Künst­ler na­tür­lich dazu ge­ses­sen. Es wur­den pracht­vol­le Re­den ge­hal­ten, und al­les war sehr schön. Nur ei­nes schi­en be­dau­er­lich. Der Prä­si­dent woll­te nicht mehr. Er hat­te ge­nug; er woll­te durch­aus und durch­aus nicht mehr. Er habe sei­nen Dienst zehn Jah­re ge­macht, nun sol­le ein an­de­rer ’ran.

Es war nichts zu ma­chen, und in der nächs­ten Ge­ne­ral­ver­samm­lung wur­de ein­stim­mig zum Prä­si­den­ten – An­dre­as Grum­bach ge­wählt. Nun war sie da, die Be­sche­rung! Ab­leh­nen ging nicht. Zu Hau­se re­de­te Frau Vio­let zu, und sie hat­te sich so­gar hin­ter Da­go­bert ge­steckt, dass er ih­rem Mann die et­wai­gen Be­den­ken aus­trei­ben möch­te. Aber auch ohne das – es ging wirk­lich nicht, ab­zu­leh­nen. Die Wahl be­deu­te­te eine Aus­zeich­nung, die reich­lich auch einen ho­hen Or­den auf­wog. Der ers­te Klub der Stadt, der Klub der Mil­lio­näre, wie er im Volks­mund hieß! Der Mann, der da an die Spit­ze be­ru­fen wur­de, der stand da­mit ei­gent­lich an der Spit­ze der In­dus­tri­el­len über­haupt. Dazu muss­te ei­ner doch schon, fi­gür­lich ge­spro­chen, von gu­ten El­tern sein, das will be­sa­gen, dass sein per­sön­li­cher und ge­schäft­li­cher Ruf über al­len Zwei­fel er­ha­ben, sein Kre­dit ein un­be­schränk­ter und dement­spre­chend auch sein Reich­tum ein sehr wohl­fun­dier­ter sein muss­te. Für einen Ge­schäfts­mann war also eine sol­che Be­ru­fung nicht mehr und nicht min­der als ein Adels­brief.

Der­lei lehnt man nicht ab, zu­mal die Wür­de auch ihre Bür­de hat­te, wel­che die Über­nah­me in dop­pel­ter Hin­sicht als Ehren­pflicht er­schei­nen ließ. Es war be­kannt und durch die Amts­füh­rung des ers­ten Prä­si­den­ten förm­lich zur Tra­di­ti­on ge­wor­den, dass mit der Lei­tung des Klubs ganz er­heb­li­che ma­te­ri­el­le Op­fer ver­bun­den wa­ren. In Wien ha­ben die Klubs von je­her einen sehr schwe­ren Stand ge­habt. Die un­zäh­li­gen ele­gan­ten Kaf­fee­häu­ser, die Lon­don, der klas­si­sche Bo­den des Klub­we­sens, nicht hat, bie­ten da mit ih­ren An­nehm­lich­kei­ten und Be­quem­lich­kei­ten eine schier un­be­sieg­li­che Kon­kur­renz. Da­rum ve­ge­tie­ren denn auch alle Klubs nur not­dürf­tig und ar­bei­ten mit De­fi­zit, so­lan­ge es eben geht. Trotz­dem woll­ten die In­dus­tri­el­len ih­ren Klub ha­ben, und bei dem muss­te na­tür­lich von vorn­her­ein jeg­li­cher Zwei­fel an sei­nem Be­stan­de aus­ge­schlos­sen blei­ben. Da nun aber auch die In­dus­tri­el­len nicht zau­bern kön­nen, so ver­ließ man sich ru­hig dar­auf, dass der je­wei­li­ge Prä­si­dent schon für die Ehre des Hau­ses, also auch da­für sor­gen wer­de, dass da kein De­fi­zit zum Vor­schein kam.

Die Mit­glieds­bei­trä­ge wa­ren recht an­sehn­lich, zwei­hun­dert Gul­den jähr­lich, und dazu ka­men noch Ein­nah­men aus den Kar­ten­gel­dern, die im Jah­re doch an die zwan­zig­tau­send Gul­den aus­mach­ten. Aber auch an Aus­ga­ben fehl­te es nicht. Zehn­tau­send Gul­den Mie­te, zehn­tau­send Gul­den das Per­so­nal, zehn­tau­send Gul­den für Hei­zung, Be­leuch­tung, Zei­tun­gen und sons­ti­ge An­schaf­fun­gen, zehn­tau­send Gul­den Ver­lust bei Kü­che und Kel­ler; denn es muss­te al­les erst­klas­sig und da­bei bil­lig sein, um die Mit­glie­der her­an­zu­lo­cken und zu­sam­men­zu­hal­ten. Und so ging das fort. Da läp­pern sich die Aus­ga­ben doch schon zu­sam­men.

Mit all die­sen Sor­gen war nun An­dre­as Grum­bach be­la­den, und das war noch nicht ein­mal al­les. Die neue Wür­de leg­te auch Re­prä­sen­ta­ti­ons­pflich­ten auf, vor de­nen er frü­her so schön Ruhe ge­habt hat­te. Frü­her hat­te er so be­quem ab­seits ge­ses­sen, und nun riss ihn der ge­sell­schaft­li­che Strom mit. Gab der Mi­nis­ter des Kai­ser­li­chen Hau­ses und des Äu­ße­ren einen Rout oder der Mi­nis­ter­prä­si­dent eine Soi­ree, wur­de ein Denk­mal ent­hüllt oder ein Ge­ne­ral be­gra­ben, eine Schu­le ein­ge­weiht oder eine Aus­s­tel­lung er­öff­net, – der Prä­si­dent des Klubs der In­dus­tri­el­len wur­de ein­ge­la­den und muss­te da­bei sein, was dann na­tür­lich auch im­mer zum ewi­gen Ge­dächt­nis ins Pro­to­koll­buch der Vor­stands­sit­zun­gen ein­ge­tra­gen wur­de. Dann ka­men auch noch die pri­va­ten Ein­la­dun­gen, für die man sich re­van­chie­ren muss­te. Kurz, es ging recht bunt zu, und Frau Vio­let war’s sehr zu­frie­den.

Die Haupt­schuld an al­lem trug ei­gent­lich Baron Eichs­tedt. Erst­lich ein­mal, weil er über­haupt das Prä­si­di­um nie­der­ge­legt hat­te, und zwei­tens, weil er sich in Frau Vio­let ganz ver­liebt hat­te – na­tür­lich und selbst­ver­ständ­lich in al­len Ehren. Das war die Dame, wie er sich sie schon lan­ge ge­wünscht und lan­ge ge­sucht hat­te. Sei­ne ei­ge­ne Frau war ihm schon vor zwölf Jah­ren ge­stor­ben, und seit der Zeit hat­te al­les ge­sell­schaft­li­che Le­ben in sei­nem Hau­se ge­ruht. Er hat­te sich ganz sei­nem Klub ge­wid­met, der ihm das Heim er­setz­te. Nun reg­te sich aber doch das Ge­wis­sen in ihm; das muss­te an­ders wer­den. Als sei­ne Frau ge­stor­ben war, hat­te sie ihm ein ein­zi­ges Kind hin­ter­las­sen, eine klei­ne Toch­ter, Gretl. Das war jetzt eine jun­ge Dame von acht­zehn Jah­ren, an de­ren Zu­kunft man doch den­ken muss­te. Er muss­te Leu­te bei sich se­hen, und er muss­te das Mäd­chen in die Welt ein­füh­ren. Dazu brauch­te er eine be­freun­de­te Dame, die lie­bens­wür­dig ge­nug war, an sei­ner Sei­te in sei­nem Hau­se bei fest­li­chen An­läs­sen mit die Hon­neurs zu ma­chen und au­ßer Hau­se sei­ne Toch­ter mit der nö­ti­gen An­mut und Wür­de zu cha­pe­ro­nie­ren.1 Weit und breit hät­te er da kei­ne ge­eig­ne­te­re Per­sön­lich­keit fin­den kön­nen als Frau Vio­let. Das war eine Dame von Welt, die sich an­zu­zie­hen, sich zu be­neh­men und zu re­prä­sen­tie­ren wuss­te, und da­bei war sie nie­mals steif und lang­wei­lig, son­dern im­mer gut auf­ge­legt und mun­ter. Gretl konn­te von ihr schon et­was ler­nen. Dass sie Schau­spie­le­rin ge­we­sen, tat ihr ge­sell­schaft­lich kei­nen Ab­bruch. Wenn es an­fäng­lich viel­leicht hier und da Be­den­ken ge­ge­ben ha­ben moch­te, so hat­te die­se das Schwer­ge­wicht des ge­sell­schaft­li­chen An­se­hens ih­res Man­nes doch sehr bald bei­sei­te ge­drückt.

Da­go­bert Trost­ler tat bei al­le­dem im­mer mit. Grum­bach hät­te ihn um kei­nen Preis auf­ge­ge­ben, und auch Frau Vio­let war so an ihn ge­wöhnt, dass er ihr sehr ge­fehlt hät­te. Er hat­te also, als Grum­bach Prä­si­dent wur­de, nicht nur in den Klub ein­zu­tre­ten, er muss­te es sich auch ge­fal­len las­sen, auf Vor­schlag des Prä­si­den­ten in den Aus­schuss ko­op­tiert zu wer­den. Die Freund­schaft war eine no­to­ri­sche, und man rich­te­te sich da­nach. Man wuss­te, dass man dem Herrn Prä­si­den­ten ge­fäl­lig sei, wenn man mit ihm auch sei­nen Freund ein­lud.

Wie je­dem großen Ma­nö­ver die Kri­tik folgt, so folg­te je­der mit­ge­mach­ten Un­ter­hal­tung, und wenn man noch so spät heim­kehr­te, im Hau­se Grum­bach die kri­ti­sche Be­spre­chung der­sel­ben. Da­go­bert muss­te im­mer noch »auf einen klei­nen Schwar­zen und eine Zi­gar­re« mit­fah­ren. Frau Vio­let woll­te es so. Man kön­ne doch nicht gleich schla­fen ge­hen. Ein klei­ner Plausch, ein klei­ner Tratsch, ein bis­serl Leut­aus­rich­ten – das be­ru­higt die Ner­ven wun­der­bar.

So sa­ßen die drei wie­der ein­mal zu nächt­li­cher Stun­de bei­sam­men und üb­ten Ma­nö­ver­kri­tik an der eben ab­sol­vier­ten Soi­ree bei Eichs­tedts.

»Es war doch sehr hübsch«, be­merk­te Frau Vio­let, die da al­ler­dings in­ter­es­sier­te Par­tei war.

»Es war ta­del­los«, be­kräf­tig­te Da­go­bert, sei­nen Schwar­zen schlür­fend. »Sie wa­ren ein­fach be­wun­de­rungs­wür­dig, Frau Vio­let, wie Sie die Hon­neurs mach­ten.«

»Mein Gott, es ist so schwer, wenn so vie­le Leu­te da sind!«

»Ja, ein we­nig zu voll war es doch wohl.«

»Sie ha­ben sich dar­über nicht zu be­kla­gen, Da­go­bert. Sie lie­gen ja im­mer auf der Lau­er mit Ihren Beo­b­ach­tun­gen. Je mehr Leu­te, de­sto bes­ser für Sie.«

»Das ist nicht rich­tig, Frau Vio­let. Es be­ob­ach­tet sich bes­ser, wenn das Ge­wühl nicht so groß ist.«

»Also gar kei­ne Aus­beu­te heu­te?«

»O doch, eine Klei­nig­keit schon! Ich möch­te wis­sen, ob sie ihn auch liebt.«

»Sie ha­ben so eine merk­wür­di­ge Art, Da­go­bert, die Leu­te mit un­ver­mit­tel­ten Fra­gen und Be­haup­tun­gen zu über­rum­peln. Wer soll wen lie­ben? Und wie soll ich das wis­sen?«

»Nicht so un­ver­mit­telt, wie es scheint, Gnä­digs­te. Ich lie­be es nur, ge­le­gent­lich das Be­kann­te als be­kannt vor­aus­zu­set­zen und mich da­mit nicht wei­ter auf­zu­hal­ten. Ich mei­ne wirk­lich, dass, wenn je­mand es wis­sen könn­te, Sie es sein müs­sen.«

»Et­was deut­li­cher, wenn ich bit­ten darf!«

»Ich habe im Vor­zim­mer, als wir weg­gin­gen, eine hüb­sche klei­ne Sze­ne be­ob­ach­tet. Eine Schau­spie­le­rin hät­te da­von ler­nen kön­nen.«

»Sie ma­chen mich neu­gie­rig, Da­go­bert.«

»Die Die­ner­schaft half den Herr­schaf­ten in die Über­klei­der. Ein jun­ger Mann, un­zwei­fel­haft der hüb­sche­s­te in der gan­zen Ge­sell­schaft – er hat so schö­ne me­lan­cho­lisch-träu­me­ri­sche Au­gen –«

»Ich weiß schon – Baron An­dré, der klei­ne At­taché.«

»Bei wel­cher Ge­sandt­schaft?«

»Bei kei­ner vor­läu­fig. Er ist Di­plo­mat von Be­ruf und war­tet nun hier dar­auf, dass ihn sei­ne Re­gie­rung nach Pe­ters­burg oder Ma­drid di­ri­gie­re.«

»Gut. Ich be­merk­te also, dass die­ser jun­ge Mann nicht ohne Ge­schick­lich­keit so ma­nö­vrier­te, dass nicht ei­ner der sechs La­kai­en dazu kam, ihm beim An­zie­hen be­hilf­lich zu sein, son­dern das ein­zi­ge im Vor­zim­mer an­we­sen­de Stu­ben­mäd­chen.«

»Die war ei­gent­lich da, um den Da­men zu hel­fen.«

»Ver­ste­he voll­kom­men. Kein schlech­ter Ge­schmack; hät­te mir auch lie­ber von ihr hel­fen las­sen. Ich be­ob­ach­te­te wei­ter. Und nun kommt die klei­ne Sze­ne; sie war al­ler­liebst. Er drückt ihr et­was in die Hand, das Trink­geld. Da hät­ten Sie das Ge­sicht des Kam­mer­kätz­chens se­hen sol­len; es war zu rei­zend. Im ers­ten Mo­ment Ver­blüf­fung, ei­si­ge Käl­te, ja ge­ra­de­zu Ent­rüs­tung. Dann ein ra­scher Blick und dar­auf so­fort hells­ter Son­nen­schein. Rasch fuhr die ord­nen­de Hand noch ein­mal über sei­nen Überr­rock, dann ein freund­li­ches Lä­cheln und eine de­vo­te Ver­beu­gung. Das Mä­del hat mir ge­fal­len!«

»Wenn sie Ih­nen nur ge­fal­len hat, Da­go­bert! Und was hat es wei­ter auf sich mit Ihren in­ter­essan­ten Vor­zim­mer­stu­di­en?«

Frau Vio­let sag­te das in nicht ge­ra­de sehr gnä­di­gem Tone. Freund Da­go­bert hät­te wis­sen kön­nen, dass man bei ei­ner schö­nen Frau, viel­leicht bei ei­ner Frau über­haupt, sehr sel­ten Glück da­mit hat, wenn man über ein an­de­res weib­li­ches We­sen be­son­ders ent­zückt ist. Und nun erst, wenn die­ses an­de­re We­sen ein Stu­ben­mäd­chen ist! Erns­te For­scher sind zwar längst dar­über ei­nig, dass un­ter Um­stän­den auch Stu­ben­mäd­chen ihre äs­the­ti­schen Vor­zü­ge ha­ben kön­nen, aber über ge­wis­se Din­ge ist mit Frau­en ein­mal nicht zu re­den.

»Ich mei­ne«, fuhr Da­go­bert fort, »dass die­ses wech­seln­de und aus­drucks­vol­le Mie­nen­spiel ei­ner Künst­le­rin auf der Büh­ne einen Spe­zi­al­applaus ein­ge­tra­gen ha­ben wür­de. Wäh­rend der Fahrt zu Ih­nen, mei­ne Gnä­digs­te, habe ich mir die Sa­che dann zu­recht­ge­legt. Die Zofe hat in ih­rer Hand zu­erst die klei­ne Mün­ze ge­spürt. Darob die ge­rech­te Ent­rüs­tung. Der ra­sche Blick be­lehr­te sie, dass es kei­ne klei­ne Mün­ze, son­dern ein Gold­stück war. Da­rauf­hin –«

»Er­lau­ben Sie, lie­ber Da­go­bert«, un­ter­brach ihn Frau Vio­let ein we­nig un­ge­dul­dig, »Ihre Trink­geld­phi­lo­so­phie mag ja recht in­ter­essant sein, aber ei­gent­lich ist es doch nicht das, was ich von Ih­nen wis­sen woll­te.«

»Ich bin ganz bei der Sa­che, mei­ne Gnä­digs­te, aber man muss einen Men­schen doch aus­re­den las­sen. Gold­stücke als Trink­gel­der sind bei uns nicht recht ge­bräuch­lich. In äl­te­ren Opern und Tra­gö­di­en wirft man der Die­ner­schaft noch einen Beu­tel Ze­chi­nen hin, aber das ist nicht mehr mo­dern. Heu­ti­ges­tags sind nur noch die fran­zö­si­schen Dra­ma­ti­ker be­son­ders ver­schwen­de­risch. Die las­sen ihre Hel­den ge­wöhn­lich einen un­ge­heu­ern Auf­wand trei­ben – aus eine Mil­li­on mehr oder we­ni­ger kommt es ih­nen gar nicht an –, und na­ment­lich las­sen sie sie gern rie­si­ge Trink­gel­der ver­tei­len. In un­se­rem bür­ger­li­chen Ge­sell­schafts­le­ben ist das nicht Stil. Wir ge­ben einen Sil­ber­gul­den, und ich mei­ne –«

»Aber – Da­go­bert!!!«

»Wer­den Sie mir nur nicht un­ge­dul­dig, mei­ne Gnä­digs­te!«

»Wie soll da aber ein Mensch auch nicht un­ge­dul­dig wer­den! Sie woll­ten von ei­nem Her­zens­ro­man spre­chen, bei dem ich eine Rol­le spie­len soll­te, und nun hal­ten Sie mir einen Vor­trag – über Trink­gel­der!«

»Ich sag­te, dass ich mir die Sa­che im Wa­gen zu­recht­ge­legt habe. Die Trink­geld­ge­schich­te hat mich erst auf die rich­ti­ge Fähr­te ge­bracht. Der jun­ge Mann ist nicht dumm –«

»Hat auch nie­mand be­haup­tet!«

»Und geht sehr me­tho­disch vor. Baro­nin Gretl ist die an­mu­tigs­te und lie­bens­wür­digs­te jun­ge Dame, die ich ken­ne. Wer hat ihn denn ei­gent­lich in die Ge­sell­schaft ein­ge­führt?«

»Gretls Vet­tern, Fredl, der Ka­val­le­rist, und Gustl, der Mi­nis­te­ri­al­se­kre­tär, mit de­nen er in­tim be­freun­det ist. Sie müs­sen ihn üb­ri­gens auch vom Klub her ken­nen, wo er, seit­dem er hier ist, als Gast ein­ge­schrie­ben ist.«

»Er war mir noch nicht aus­ge­fal­len. Also er geht me­tho­disch vor. Er liebt Baro­nin Gretl, und das ist ihm si­cher zu ver­den­ken.«

»Wo­her wis­sen Sie das, Da­go­bert?«

»Zu­erst be­merk­te ich es dar­an – aber Sie dür­fen nicht böse wer­den – wie er Ih­nen den Hof mach­te, gnä­digs­te Frau.«

»Mir?!«

»Ih­nen. Al­ler­dings. Das war ganz rich­tig kal­ku­liert. Sie ver­tre­ten dort die Haus­frau und, wie ich gleich hin­zu­fü­gen will, mit be­wun­de­rungs­wür­di­ger Gra­zie und un­ver­gleich­li­cher Um­sicht. Er hat Ihren Ein­fuß nicht zu hoch ein­ge­schätzt. Sei­ne Chan­cen stün­den schlecht, wenn er Sie ge­gen sich hät­te. Er hat­te sich also an Sie her­an­ge­macht und, wie ich mit Ver­gnü­gen be­merkt habe, nicht ohne Er­folg.«

»Was wol­len Sie da­mit sa­gen, Da­go­bert?«

»Was ich ge­sagt habe. Sie ha­ben ihn in Ihr Herz ge­schlos­sen.«

»Weil er ein rei­zen­der Mensch ist.«

»Das sage ich auch. Es lässt sich nichts Hüb­sche­res und Lie­bens­wür­di­ge­res den­ken als die Art, wie Sie, gnä­di­ge Frau, trotz der viel­sei­ti­gen In­an­spruch­nah­me die bei­den Leut­chen wohl­wol­lend zu be­mut­tern wuss­ten.«

»Habe ich da­mit et­was Un­rech­tes ge­tan?«

»Ge­wiss nicht. Mir war es eine spe­zi­el­le Freu­de, zu se­hen, wie sich auch bei Ih­nen der echt weib­li­che Trieb, Ehen zu stif­ten, be­tä­tig­te.«

»Und was hat bei al­le­dem – das Trink­geld zu tun?«

»Nicht viel mehr, als dass es mich auf ei­ni­ge Ide­en ge­bracht hat. Ich hät­te sonst kaum über die gan­ze Ge­schich­te wei­ter nach­ge­dacht. Metho­disch – sag­te ich. Sie wa­ren ge­won­nen. Ir­gend­ein Lüm­mel von den La­kai­en hät­te ihm kaum et­was nüt­zen kön­nen, da­ge­gen kann die Zofe un­ter Um­stün­den eine ganz ver­wend­ba­re Bun­des­ge­nos­sin wer­den.«

Nun war auch Frau Vio­let be­frie­digt. Es hat­te ihr doch ge­fal­len, wie Da­go­bert all das her­aus­ge­bracht hat­te, wo­von sie ge­glaubt hät­te, dass es noch kein Mensch be­merkt habe. –

Ei­ni­ge Tage spä­ter be­fand sich Da­go­bert wie­der im Grum­bach­schen Hau­se. Sie wa­ren nur zu dritt bei Tisch ge­we­sen, dann be­ga­ben sie sich ins Rauch­zim­mer, wo Frau Vio­let sich’s auf ih­rem Lieb­lings­plätz­chen beim Ka­min be­quem mach­te, wäh­rend die bei­den Her­ren sich am Rauch­ti­sche ein­rich­te­ten. Man saß erst eine Wei­le schwei­gend, und dann be­gann Da­go­bert mit ganz harm­lo­ser Mie­ne, als spre­che er von der na­tür­lichs­ten und selbst­ver­ständ­lichs­ten Sa­che der Welt: »Weißt du üb­ri­gens, mein lie­ber Grum­bach, dass in dei­nem Klub falsch ge­spielt wird?«

»Um Got­tes wil­len!« rief Grum­bach und fuhr wie von der Ta­ran­tel ge­sto­chen auf. Er war ganz blass ge­wor­den. »Das ist ja ent­setz­lich! Und das sagst du mir erst jetzt?!«

»Ich weiß es sel­ber erst seit heu­te Vor­mit­tag, und ich woll­te dir nicht vor Tisch den Ap­pe­tit ver­der­ben.«

»Ich dan­ke ab!«

»Das heißt, du willst dich um nichts küm­mern. Dein Nach­fol­ger soll dann se­hen, wie er mit der Ge­schich­te fer­tig wird.«

»Je­den­falls will ich mit sol­chen Ge­schich­ten nichts zu tun ha­ben.«

»Von dir aus soll also dann ru­hig wei­ter falsch ge­spielt wer­den?«

»Aber Da­go­bert, siehst du denn nicht, dass mei­ne Lage furcht­bar ist?«

»An­ge­nehm ist sie al­ler­dings nicht, Herr Prä­si­dent!«

»Da wird sich ein na­men­lo­ser Skan­dal ent­wi­ckeln!«

»Das ist wohl an­zu­neh­men.«

»Und der Klub wird da­bei zu­grun­de ge­hen! Was ha­ben wir uns nicht al­les auf un­se­re bür­ger­li­che Ehr­bar­keit zu­gu­te ge­tan! Mit wel­cher Be­ru­hi­gung ha­ben nicht un­se­re al­ten Her­ren uns ihre Söh­ne zu­ge­führt, – und nun das, das Al­ler­schreck­lichs­te. Ich geh’!«

»Ich den­ke, dass du ge­ra­de blei­ben musst, um den Klub zu ret­ten.«

»Ich dan­ke dir! Wes­sen Name wird mit der schmut­zi­gen Ge­schich­te in Zu­sam­men­hang ge­bracht wer­den? Der mei­ni­ge! Das Re­gime Grum­bach! Un­ter sei­nem Vor­gän­ger war der­lei doch nicht mög­lich! Den Klub ret­ten? Der ist so wie so ver­lo­ren. Es braucht nur ein Wort da­von in die Öf­fent­lich­keit zu drin­gen, – und wie willst du das ver­hin­dern? – und je­der, der nur et­was auf sei­ne Re­pu­ta­ti­on hält, wird sich zu­rück­zie­hen. Mit Recht. Po­li­zei, Staats­an­walt, ein Skan­dal, wie er noch nicht da war, – und mit­ten drin thro­ne ich als Prä­si­dent!«

»Es ist eine böse Ge­schich­te, Grum­bach, aber eben des­halb müs­sen wir trach­ten, den Kopf nicht zu ver­lie­ren.«

»Da lässt sich nichts mehr ma­chen, wenn die Sa­che ein­mal ins Rol­len ge­kom­men ist. Soll ich’s viel­leicht auf mich neh­men, sol­che Ge­schich­ten zu ver­tu­schen?! Es ist mei­ne Pf­licht, die An­zei­ge zu ma­chen, und da­mit rei­ße ich den Klub zu­sam­men.«

»Hja – ehr­lich ge­stan­den, bin ich mir in die­sem Fal­le sel­ber nicht klug ge­nug.«

»Was weißt du, Da­go­bert?«

»Ich weiß zu­nächst nur, dass falsch ge­spielt wird, mehr nicht.«

»Hast du Be­wei­se?«

»Ich habe sie in der Ta­sche.«

Er griff in die Rock­ta­sche und brach­te ein Spiel Kar­ten zum Vor­schein, das er Grum­bach über­reich­te. Frau Vio­let, die schon still vor sich hin­zu­wei­nen be­gon­nen hat­te, weil sie nicht ohne Grund ihre glück­lich er­run­ge­ne ge­sell­schaft­li­che Stel­lung ernst­lich be­droht sah, wenn Grum­bach wirk­lich ab­dank­te, ge­sell­te sich nun zu den bei­den Her­ren und be­gann mit ih­rem Gat­ten das ver­häng­nis­vol­le Spiel zu prü­fen. Bei­de wa­ren aber au­ßer­stan­de, ir­gen­det­was Ver­däch­ti­ges zu ent­de­cken.

»Die Sa­che ist ja nicht schlecht ge­macht«, gab Da­go­bert zu, »aber es ist doch die ein­fachs­te Form der Ma­quil­la­ge.2 Es gibt noch bes­se­re Metho­den. Die­se ist nur die be­quems­te und für ein Pub­li­kum, das nicht arg­wöh­nisch ist, voll­kom­men aus­rei­chend.«

»So zei­gen Sie uns doch«, dräng­te Frau Vio­let, »wie und wo die­se Kar­ten ge­zeich­net sind!«

»Aber mit Ver­gnü­gen, mei­ne Gnä­digs­te. Zu­erst will ich Ih­nen aber be­wei­sen, dass sie wirk­lich mar­kiert sind. Wol­len Sie so freund­lich sein und das Spiel mi­schen. Nur noch mehr! So! Ha­ben Sie gut ge­mischt?«

»Ge­wiss!«

»Gut, und nun, Grum­bach, hebe du ab. Noch ein­mal! Man kann nicht vor­sich­tig ge­nug sein. Und nun wer­de ich Blatt ge­ben. Wie vie­le Kar­ten soll ich Ih­nen ge­ben, Gnä­digs­te?«

»Sa­gen wir vier.«

»Gut, da ha­ben Sie vier Kar­ten. Hal­ten Sie sie nur recht vor­sich­tig, da­mit ich sie nur ja nicht sehe. Hier auch für dich vier Kar­ten, Grum­bach. Glau­ben Sie, dass ich se­hen konn­te, was ich Ih­nen gab?«

»Un­mög­lich!«

»Na­tür­lich ganz un­mög­lich, aber Sie, mei­ne Gnä­digs­te, ha­ben Herz Dame, Car­reau Kö­nig, Herz acht und Pi­que Dame, und du, Grum­bach: Pi­que Kö­nig, Herz Bu­ben, Treff Aß und Car­reau Aß. Stimmt es?«

Es stimm­te.

»Und glau­ben Sie nun«, fuhr Da­go­bert fort, »dass mir die­se Wis­sen­schaft einen recht er­heb­li­chen Vor­teil über mei­ne Mit­spie­ler si­chert?«

»Ob ich das glau­be!« rief Frau Vio­let. »Hö­ren Sie, Da­go­bert, Sie sind mir un­heim­lich. Sie sind ja förm­lich sel­ber ein vollen­de­ter Falsch­spie­ler!«

»Ich könn­te es we­nigs­tens sein, mei­ne Gnä­di­ge. Denn al­les, was dazu ge­hört, weiß und be­herr­sche ich voll­kom­men. Mein Gott, man macht sei­ne Stu­di­en. Es gibt näm­lich auch da­für eine Li­te­ra­tur. Ein sehr be­leh­ren­des Buch über das Falsch­spiel hat der her­vor­ra­gen­de fran­zö­si­sche Po­li­zist Mr. Ca­vaillé ge­schrie­ben. Un­ter­hal­tend ist auch das Buch des Pres­ti­di­gi­ta­teurs3 Hou­din4 über den­sel­ben Ge­gen­stand. Das gründ­lichs­te Buch dar­über schrieb aber na­tür­lich ein Deut­scher, der un­ter dem Pseud­onym Si­gnor Do­mi­no sich nur not­dürf­tig ver­barg. So­gar eine ei­ge­ne Zeit­schrift war die­ser no­beln Dis­zi­plin ge­wid­met. Sie er­schi­en knapp vor Aus­bruch der großen Re­vo­lu­ti­on und führ­te den Ti­tel Dio­gè­ne à Pa­ris. Das Falsch­spiel dringt auch in wei­te­re Krei­se und hö­her hin­auf, als man ge­mei­nig­lich an­nimmt. Von Kar­di­nal Ma­za­rin wird mit al­ler Be­stimmt­heit be­haup­tet, dass er ein Falsch­spie­ler ge­we­sen sei. Vi­el­leicht ist das My­the, si­cher aber und be­glau­bigt ist es, dass im Jah­re 1885 Graf Cal­la­do, der Ge­sand­te des Kai­sers von Bra­si­li­en, in Rom beim Falsch­spie­len ab­ge­fasst wor­den ist.«

»Hö­ren Sie, Da­go­bert, Sie wis­sen aber auch al­les!«

»An mir ist, viel­leicht nicht nur mei­ner Über­zeu­gung nach, ein De­tek­tiv ver­lo­ren ge­gan­gen, und eine was für kläg­li­che Rol­le müss­te ein sol­cher ge­ge­be­nen­falls spie­len, wenn er das al­les nicht wüss­te und könn­te.«

»Je­den­falls moch­te ich mit Ih­nen nicht spie­len«, sag­te Frau Vio­let la­chend.

»Ich dan­ke für das eh­ren­de Ver­trau­en, aber ich möch­te es Ih­nen selbst nicht an­ra­ten. Ich bin näm­lich ein star­ker Spie­ler und in al­len Sät­teln ge­recht. Ich habe das Spiel­ta­lent. Viel tue ich mir dar­auf nicht zu­gu­te, aber es ist ein­mal da. Ich wäre also auch ohne Mo­ge­lei für je­den, ge­schwei­ge denn für Ihr kind­li­ches Ge­müt, mei­ne Gnä­di­ge, ein sehr ge­fähr­li­cher Geg­ner. Weil dem aber so ist, und weil ich al­les weiß und ken­ne, spie­le ich selbst nie­mals, grund­sätz­lich nicht. Ich bin nur ein sehr ge­ach­te­ter Kie­bitz, der im Zuschau­en kei­ne Feh­ler macht, und gel­te bei al­len Streit­fra­gen als obers­te und in­ap­pel­la­ble In­stanz.«

Grum­bach war viel zu er­regt und be­küm­mert, um jetzt den Plau­de­rei­en Da­go­berts den rich­ti­gen Ge­schmack ab­ge­win­nen zu kön­nen. Er woll­te wis­sen, wie Da­go­bert dar­auf ge­kom­men sei, dass im Klub mit ge­zeich­ne­ten Kar­ten ge­spielt wer­de.

»Das war sehr ein­fach«, ent­geg­ne­te Da­go­bert. »Als Aus­schuss­mit­glied habe ich die Pf­licht, mich um die Ver­wal­tung zu küm­mern. Was Kü­che und Kel­ler be­trifft, habe ich mich schon um­ge­tan. Es ist al­les in schöns­ter Ord­nung, und – trös­te dich – das De­fi­zit aus die­sen Be­trie­ben wird uns un­ge­schmä­lert er­hal­ten blei­ben. Dann woll­te ich mich auch für das Kar­ten­de­par­te­ment in­ter­es­sie­ren. Von ei­nem Ama­teur­de­tek­tiv wird dich das nicht wun­der­neh­men. Auch da, was die Ver­rech­nung be­trifft, al­les in Ord­nung.«

»Ich dan­ke für eine sol­che Ord­nung!« rief Grum­bach mit Bit­ter­keit da­zwi­schen.

»Da kam mir die Idee«, fuhr Da­go­bert fort, »die ei­nem an­de­ren viel­leicht nicht ge­kom­men wäre. Ich woll­te ein­mal die über­spiel­ten Kar­ten über­prü­fen. Ich ließ mir also alle Kar­ten­spie­le, die wäh­rend der ab­ge­lau­fe­nen Wo­che zur Ver­wen­dung ge­langt wa­ren, ins Vor­stands­zim­mer brin­gen, sperr­te die Tür ab und nahm dann die Über­prü­fung vor.«

»Wie vie­le Spie­le hat man Ih­nen denn hin­ge­schleppt?« frag­te Frau Vio­let.

»Vier­hun­dert­und­fünf­zehn Spie­le, mei­ne Gnä­di­ge.«

»Herr­gott, da ha­ben Sie ja eine furcht­ba­re Ar­beit ge­habt!«

»Es war nicht so arg. Sie müs­sen nicht glau­ben, dass ich jede ein­zel­ne Kar­te un­ter die Lupe ge­nom­men habe, sonst säße ich ja noch dort. Ich nahm aus je­dem Spie­le nur eine Kar­te, al­ler­dings ein Hon­neur. Wenn näm­lich die wich­ti­gen Kar­ten nicht ge­zeich­net wa­ren, dann wa­ren es die üb­ri­gen si­cher auch nicht. War aber ein Spiel mar­kiert, dann muss­ten es in ers­ter Li­nie jene Blät­ter sein, auf die es in der Par­tie haupt­säch­lich an­kommt. So konn­te ich doch in drei Stun­den fer­tig wer­den.«

»Und was hast du ge­fun­den?« frag­te Grum­bach.

»Wie ich be­reits be­merkt, – dass im Klub falsch ge­spielt wird. Ich habe sechs ge­zeich­ne­te Spie­le be­sei­tigt und un­ter Ver­schluss ge­nom­men. Ei­nes da­von ist das hier.«

»Sie ha­ben uns noch im­mer nicht ge­zeigt, wie sie mar­kiert sind.«

»Ich glau­be es doch schon ge­sagt zu ha­ben, – Ma­quil­la­ge, ein­fa­che Ma­quil­la­ge!«

»Wir sind nicht vom Fach, lie­ber Da­go­bert. Mit uns müs­sen Sie schon et­was deut­li­cher re­den.«

»Wohl­an, hö­ren Sie mir zu, gnä­di­ge Frau. Sie wer­den ent­täuscht sein, wie ein­fach die Ge­schich­te ist. Se­hen Sie sich die­se Rück­sei­te der Kar­ten an. Sie ist be­druckt und weist ein ein­fa­ches, mit Ab­sicht so ge­wähl­tes Mus­ter auf, dass es dem Auge kei­ne be­son­de­ren An­halts­punk­te bie­te. Wir ha­ben hier zahl­lo­se Punk­te und klei­ne, nicht ganz ge­schlos­se­ne Kreis­li­ni­en. Der Falsch­spie­ler hat nun fol­gen­de Metho­de ge­wählt: er nahm eine sei­ne Nähna­del, tauch­te ihre Spit­ze in rei­nes, farb­lo­ses und durch Er­hit­zung flüs­sig ge­mach­tes Wachs. Dann stach er leicht an be­stimm­ter Stel­le in die Rück­sei­te, na­tür­lich nicht so stark, dass die Spit­ze durch das Blatt durch­ge­drun­gen wäre. So leicht er auch stach, die Spit­ze hat doch eine klei­ne Ver­tie­fung ver­ur­sacht, und in die­ser setz­te sich ein Atom von Wachs fest.«

»Das kann man aber doch un­mög­lich mit den Fin­ger­spit­zen spü­ren!« be­merk­te Frau Vio­let, in­dem sie gleich die Pro­be zu ma­chen ver­such­te.

»Wenn er sich auf sei­nen Tast­sinn hät­te ver­las­sen wol­len, hät­te er eine an­de­re Metho­de ver­sucht. Es gibt sol­che, sie sind aber ge­fähr­li­cher und dar­um we­ni­ger emp­feh­lens­wert.«

»Aber se­hen kann er die­se Pünkt­chen doch auch nicht!« fuhr Frau Vio­let fort, wie­der be­müht, dem Ge­heim­nis auf den Grund zu kom­men.

»Man kann sie sehr gut se­hen. Las­sen Sie nur das Licht auf der Rück­sei­te spie­len!«

»Ja, wahr­haf­tig!« rief Frau Vio­let er­freut. »Hier sieht man es ganz deut­lich, – ein mat­ter Punkt!«

»Das ist der gan­ze Witz. Das Kar­ten­pa­pier glänzt, und in den Licht­re­fle­xen macht sich ein to­ter Punkt leicht be­merk­bar, al­ler­dings nur für den Wis­sen­den. Al­les üb­ri­ge er­gibt sich von selbst. Sie se­hen, da ste­hen acht klei­ne Kreis­li­ni­en in ei­ner Rei­he, und es gibt zwölf Rei­hen. Ein Spiel könn­te also aus sechs­und­neun­zig Blatt be­ste­hen, und der Künst­ler käme noch im­mer nicht in Ver­le­gen­heit, wo er für je­des Blatt sei­nen Punkt hin­set­zen soll, wenn er sein Sys­tem ein­mal fest­ge­stellt hat. Sei­nem Ge­dächt­nis ist da­bei gar nicht viel zu­ge­mu­tet. Die ers­te Rei­he gilt für Coeur, die zwei­te für Car­reau und so wei­ter. An­ge­fan­gen wird mit dem Kö­nig, dann kommt die Dame, – die gan­ze Sa­che, so frech sie ist, ist bei­na­he kin­disch.«

Grum­bach hat­te bei Wei­tem nicht das In­ter­es­se für die De­tails wie sei­ne Frau. Ihn pei­nig­te die kri­ti­sche Lage, in die nun er und mit ihm der gan­ze Klub ge­ra­ten war. Sei­ne Ge­dan­ken be­weg­ten sich nach ganz an­de­rer Rich­tung.

»Ich bin nur glück­lich, Da­go­bert«, be­gann er, »dass ich dich jetzt zur Hand habe. Du bist der Mann, dem Schwin­del ein Ende zu ma­chen.«

»Ich schmeich­le mir al­ler­dings, der rich­ti­ge Mann zur rich­ti­gen Zeit an der rich­ti­gen Stel­le zu sein. Ich ver­bür­ge mich da­für, dass ich dir den Gau­ner in we­ni­gen Ta­gen stel­le!«

»Du bist zu gü­tig, Da­go­bert, aber da­für dan­ke ich ganz ent­schie­den!«

»Habe ich mir so ge­dacht.«

»Wenn ich ihn ken­ne, muss ich ihn dem Ge­rich­te aus­lie­fern. Muss ich, geht gar nicht an­ders; und dann ha­ben wir den öf­fent­li­chen Skan­dal mit all sei­nen Kon­se­quen­zen.«

»Das glau­be ich auch. Was soll ich aber sonst tun?«

»Brin­ge mir den Schur­ken in al­ler Stil­le weg. Er soll sich sei­nen Strick an­ders­wo su­chen. Kein Mensch darf von der Ge­schich­te auch nur ein Ster­bens­wört­chen er­fah­ren, und was mich be­trifft, so will ich nie mehr et­was von ihr hö­ren.«

»Bon! Soll be­sorgt wer­den.«

Vier Tage spä­ter sa­ßen sie wie­der zu dritt im Grum­bach­schen Hau­se. Bei Tisch, wo die Die­ner­schaft ab und zu ging, wur­de nur von gleich­gül­ti­gen Din­gen ge­spro­chen, von den Soi­reen bei Eichs­tedts, von dem nächs­ten Da­men­abend, der im Klub ver­an­stal­tet wer­den soll­te, und der­glei­chen mehr. Als sie aber dann im Rauch­zim­mer sa­ßen, si­cher vor Stö­run­gen durch die Die­ner­schaft, und Da­go­bert sich an­schick­te, harm­los wei­ter­zu­plau­dern über die all­täg­li­chen Er­eig­nis­se, da konn­te Grum­bach doch nicht län­ger an sich hal­ten und brach mit der span­nungs­vol­len Fra­ge los: »Nun, Da­go­bert, wie steht’s?«

»Wo­mit?«

»So sei doch nicht so, – du kannst dir ja den­ken!«

»Du meinst doch nicht die – die ge­wis­se Af­fä­re?«

»Na­tür­lich mei­ne ich die! Was soll­te ich sonst mei­nen?!«

»Ich dach­te, da­mit dür­fe man dir über­haupt nicht mehr kom­men!«

»Sei nicht kin­disch, Da­go­bert, ich muss doch wis­sen, was vor­geht!«

»Ich habe selbst­ver­ständ­lich dei­nen Auf­trag er­füllt. Die Sa­che ist er­le­digt. Du kannst ru­hig sein: es ist all right

»Gott sei Dank!« rief Grum­bach auf­at­mend. »Ich kann also wirk­lich wie­der ru­hig schla­fen?«

»Wie ein Mur­mel­tier. Kein Mensch wird je et­was da­von er­fah­ren. Es müss­te denn sein, wo­für ich mich na­tür­lich nicht ver­bür­gen kann, dass der be­tref­fen­de Herr sel­ber plau­dert, aber ich glau­be, dass das nicht sehr wahr­schein­lich ist.«

»Sie müs­sen er­zäh­len!« dräng­te nun Frau Vio­let.

»Aber der Herr Ge­mahl er­laubt es ja nicht!«

»Un­sinn, Da­go­bert, – er­zäh­le!«

»Es gibt nicht viel zu er­zäh­len, we­nigs­tens nichts Dra­ma­ti­sches, da ich mich na­tür­lich an dei­ne Be­feh­le hal­ten muss­te. Ich hat­te zu er­rei­chen, dass nicht mehr falsch ge­spielt wer­de. Das ist er­reicht.«

»Ich bin furcht­bar neu­gie­rig, wie Sie das ge­macht ha­ben«, warf Frau Vio­let ein.

»Die Sa­che war von Haus aus nicht schwer, und sie ist noch leich­ter ge­gan­gen, als ich mir es vor­ge­stellt hat­te. Zu­nächst also, mei­ne Gnä­di­ge, muss­te ich mir klar­ma­chen, wie der Be­trug ins Werk ge­setzt wur­de. Die Kar­ten wa­ren selbst­ver­ständ­lich vor­her prä­pa­riert, – wie aber wur­den sie auf den Spiel­tisch ge­schmug­gelt? Am ein­fachs­ten ließ sich das ma­chen, wenn ei­ner von den Die­nern, die mit den Kar­ten zu tun ha­ben, mit im Ein­ver­ständ­nis war. Bei uns ist die Ein­rich­tung so, dass zu je­dem Spiel­tisch eine sil­ber­ne Tas­se mit drei Päck­chen Kar­ten auf ein nied­ri­ges Ta­bu­rett5 ge­stellt wird. Die Her­ren lie­ben es, wenn sie eine Stun­de mit ei­nem Spie­le ge­spielt ha­ben, ein fri­sches Päck­chen zu neh­men. Der Die­ner hät­te also zu dem be­tref­fen­den Spiel­tisch und der be­tref­fen­den Ge­sell­schaft –«

»Wel­che Spiel­ge­sell­schaft war es?« frag­te Grum­bach.

»Kei­ne Ah­nung! – un­ter den drei Spie­len nur das ge­zeich­ne­te mit zu ser­vie­ren ge­habt. So hät­te sich die Sa­che ganz un­auf­fäl­lig ge­macht.«

»Und ist es so ge­macht wor­den?« forsch­te Frau Vio­let.

»Nein, mei­ne Gnä­di­ge. Un­ser Künst­ler ar­bei­tet ohne Ge­hil­fen. Das ist si­che­rer und bil­li­ger. En Mit­wis­ser ist im­mer eine Ge­fahr, und zu große Spe­sen will man sich bei dem Ge­schäft doch auch nicht ma­chen.«

»Ich be­grei­fe über­haupt nicht recht«, be­merk­te Grum­bach da­zwi­schen, »wie ei­ner bei uns auf die­se Idee ver­fal­len konn­te, wo ich doch grund­sätz­lich und mit al­ler Stren­ge dar­auf hal­te, dass im Klub kein Ha­sard­spiel ge­spielt wer­de. Das dul­de ich ab­so­lut nicht!«

»Ein sehr schö­ner Grund­satz – zwei­felsoh­ne, und du hast sehr recht da­mit, mein lie­ber Grum­bach, aber in der Pra­xis gibt es auch da einen Ha­ken. Das Ver­bot muss be­ste­hen – na­tür­lich; der Staat er­lässt es ja auch, ob­schon nur da die Be­vor­mun­dung we­ni­ger ge­fällt. Wenn ein paar Ta­ge­die­be dumm ge­nug sind, sich auch auf sol­che Scher­ze ein­zu­las­sen, so weiß ich nicht, ob man das Recht oder die Pf­licht hat, sie ge­ra­de da beim Zip­fel zu neh­men. Lässt man sie da nicht, so wis­sen sie sich si­cher ir­gend­ei­ne an­de­re, nicht min­der aus­gie­bi­ge Dumm­heit zu fin­den.«

»Man muss die Leu­te vor sich sel­ber schüt­zen«, be­merk­te der Herr Prä­si­dent.

»Vi­el­leicht die wirt­schaft­lich Schwa­chen. Für die Schwa­chen im Geist und Cha­rak­ter gibt es kei­nen Schutz.«

»Nur jetzt kei­ne Phi­lo­so­phie, lie­ber Da­go­bert!« fleh­te Frau Vio­let. »Er­zäh­len Sie lie­ber wei­ter; so neu­gie­rig war ich noch nie!«

»So­fort, mei­ne Gnä­di­ge – nur noch eine Be­mer­kung. Der Trieb, Ha­sard zu spie­len, be­steht ein­mal, ist viel­leicht in der mensch­li­chen Na­tur be­grün­det, und da kann er, wenn er sich be­tä­tigt, leicht ge­fähr­li­cher wer­den, wenn das ge­zwun­ge­ner­ma­ßen im ge­hei­men ge­schieht, als im Lich­te und un­ter der Kon­trol­le der Ge­sell­schaft. Aber das nur ne­ben­bei. Das Ver­bot muss na­tür­lich schon an­stands­hal­ber doch auf­recht­blei­ben. In un­se­rem Fal­le be­durf­te es des Ha­sard­spiels gar nicht. Ge­spielt wird mit Mar­ken. Wie hoch sich die Her­ren die­se be­wer­ten, das ist ganz ihre Sa­che, und kein an­de­rer braucht es zu er­fah­ren. Un­ser Künst­ler konn­te sich da auch bei dem harm­lo­ses­ten und er­laub­tes­ten Spie­le ganz ohne al­les Auf­se­hen täg­lich sei­ne drei- oder fünf­hun­dert Gul­den ver­die­nen. Das ist, mei­ne ich, auch schon et­was!«

»Hin­rich­ten müss­te man einen sol­chen Men­schen!« mein­te Frau Vio­let so ne­ben­bei.

»Ich habe also die Klub­die­ner aufs Korn ge­nom­men. Es wird dir an­ge­nehm sein zu hö­ren, Grum­bach, dass sie mit die­ser Sa­che ab­so­lut nichts zu tun ha­ben. Ich habe sie, ohne dass sie’s merk­ten, be­son­ders scharf ex­ami­nier­te Sie sind voll­kom­men ah­nungs­los.«

»Das ist mir auch an­ge­nehm«, be­stä­tig­te Grum­bach.

»Nun muss­te ich also wei­ter kom­bi­nie­ren. Ich hat­te sechs Spie­le sä­siert,6 und zwar drei Ta­rock- und drei fran­zö­si­sche Spie­le, und alle wa­ren nach dem­sel­ben Sys­tem ge­zeich­net. Durch­ge­se­hen hat­te ich das Ma­te­ri­al von ei­ner Wo­che. Nun war ich zu fol­gen­den Schlüs­sen be­rech­tigt: ers­tens: es gibt da nur einen Falsch­spie­ler. Zwei­tens: der Falsch­spie­ler hat täg­lich nur ein ge­zeich­ne­tes Spiel in Ver­wen­dung ge­bracht. Das ist auch er­klär­lich. Denn drit­tens: er muss­te das vor­be­rei­te­te Spiel sel­ber auf das Ta­bu­rett prak­ti­zie­ren und da­für ein an­de­res Spiel in sei­ner Ta­sche ver­schwin­den las­sen. Kein ganz leich­tes Pro­blem, ich gebe es zu, aber doch im­mer­hin lös­bar. Die jun­gen Her­ren er­schei­nen meist im Frack. Denn ge­wöhn­lich ha­ben sie ent­we­der ein Di­ner hin­ter sich oder ir­gend­ei­ne an­de­re ge­sell­schaft­li­che Ver­pflich­tung noch vor sich. Mit Hil­fe ei­nes Claque und ei­nes sei­de­nen Ta­schen­tu­ches, die un­auf­fäl­lig auf die Kar­ten­tas­se ge­legt und von dort wie­der eben­so un­auf­fäl­lig weg­ge­nom­men wer­den kön­nen, ist das Pro­blem schon zu lö­sen. Bei drei Spie­lern hat­te der Fäl­scher im­mer zwei Chan­cen, ne­ben dem Ta­bu­rett zu sit­zen. Bei ei­ni­ger lie­bens­wür­di­gen Be­f­lis­sen­heit hat­te er über­haupt alle Chan­cen für sich. Auf die Wahl der Plät­ze wird ja nicht ge­ach­tet; es kommt auch nicht dar­auf an. Er konn­te so­gar noch ein­ein der Part­ner ge­gen­über zu­vor­kom­mend sein und brauch­te dann nur dem an­de­ren wirk­lich zu­vor­zu­kom­men.«

»Du warst von vorn­her­ein über­zeugt«, frag­te Grum­bach, »dass es ein jun­ger Mann sein müs­se?« »Ja. Ei­ner von un­se­ren al­ten ge­die­ge­nen Fir­men­trä­gern lässt sich auf sol­che Din­ge nicht ein. Da wäre doch zu viel auf dem Spie­le ge­stan­den. Nein, das muss­te ein leicht­sin­ni­ges Frücht­chen, ir­gend­ein ver­lo­re­ner Sohn sein.«

»So rücken Sie doch end­lich mit Ih­rer Ent­hül­lung her­aus, Da­go­bert!« mahn­te die Haus­frau un­ge­dul­dig.

»Gleich, mei­ne Gnä­digs­te«, er­wi­der­te Da­go­bert ru­hig und sah auf die Uhr. »Ich habe ab­sicht­lich ein we­nig ge­zö­gert, weil ich jetzt eine Stö­rung, einen klei­nen Zwi­schen­fall er­war­te. Punkt sie­ben Uhr! Es soll­te mich doch wun­dern – ich muss sa­gen, eine Un­pünkt­lich­keit wür­de ich in die­sem Fal­le doch sehr übel­neh­men.«

»Ja, was er­war­ten Sie denn?« forsch­te Frau Vio­let neu­gie­rig.

»Ein klei­nes Le­bens­zei­chen von dem Falsch­spie­ler.«

»Sie mei­nen doch hof­fent­lich nicht, dass er so freund­lich sein wird, uns mit sei­nem Be­such zu beeh­ren?«

»Das habe ich nicht ver­langt.«

»Was sonst?«

»Ich habe ihm be­foh­len, heu­te punkt sie­ben Uhr abends an den Herrn Prä­si­den­ten eine Buße von fünf­tau­send Kro­nen zu sen­den. Ah, er scheint wirk­lich pünkt­lich ge­we­sen zu sein. Was gib­t’s Neu­es, Pe­ter?«

Die letz­ten Wor­te gal­ten dem Die­ner, der eben ein­ge­tre­ten war. Es sei ein Dienst­mann drau­ßen mit ei­nem Brief, den er Herrn Grum­bach per­sön­lich über­ge­ben müs­se. Der Mann wur­de her­ein­ge­las­sen. Grum­bach schnitt das ihm über­reich­te große und star­ke Ku­vert auf. Es ent­hielt fünf Stück Tau­send­kro­nen­no­ten und sonst kei­ner­lei schrift­li­che Mit­tei­lung, auch eine Adres­se war auf dem Um­schlag nicht.

»Wer schickt Sie?« frag­te Grum­bach den Mann.

»Ver­zeih, lie­ber Freund«, fiel da Da­go­bert ein und wand­te sich dann an den Bo­ten. »Be­zahlt sind Sie doch?«

»Ja­wohl, Euer Gna­den.«

»Dann kön­nen Sie ge­hen. Rich­ten Sie aus: ›Es ist gut.‹ Sonst nichts. Adieu!«

Als der Dienst­mann wie­der drau­ßen war, fuhr er fort: »Du musst schon ent­schul­di­gen, Grum­bach, dass ich dir da da­zwi­schen­ge­fah­ren bin, aber es ging nicht an­ders. Da­bei bin näm­lich auch ich be­tei­ligt, und wenn das der Fall ist, muss ich we­nigs­tens auf fair play hal­ten. Ich habe dem Mann ei­ni­ge Ver­pflich­tun­gen auf­er­legt. Die hat er er­füllt, zum Tei­le wird er sie noch er­fül­len. Da­mit habe ich still­schwei­gend als Ge­gen­leis­tung über­nom­men, ihn nicht zu ver­ra­ten.«

»Mit Gau­nern pak­tiert man nicht!«

»Das ist rich­tig. Dann hat­te ich ihn aber kur­zer­hand der Po­li­zei über­ge­ben müs­sen. Das woll­test du nicht. Da muss­te also ein Aus­weg ge­fun­den wer­den. Je­den­falls geht es nicht an, einen Men­schen, und sei es auch ein Ver­bre­cher, für eine Sa­che dop­pelt zu stra­fen, ihn erst pri­va­tim zu brand­schat­zen und ihn dann auch noch dem Ge­rich­te aus­zu­lie­fern. Das wäre nicht fair

»Wer ist denn nun aber der Un­glücks­mensch?« frag­te Grum­bach er­regt.

»Ja, wie soll ich das wis­sen?!« ant­wor­te­te Da­go­bert mit sehr un­schul­di­ger Mie­ne.

»Da hört doch al­les auf – wer sonst?!« rief Grum­bach.

»Ich gebe dir mein Ehren­wort, Grum­bach, dass ich es nicht weiß.«

Frau Vio­let sah mit of­fe­nem Mun­de zu Da­go­bert auf.

»Sie wis­sen es nicht, Sie ge­ben Ihr Ehren­wort – und das soll ein Mensch glau­ben?! Und hier lie­gen die fünf­tau­send Kro­nen! Ja, Da­go­bert Trost­ler, sind Sie von Sin­nen?«

»Ach, die fünf­tau­send Kro­nen, – die soll­ten nur eine sin­ni­ge Über­ra­schung für Sie sein, mei­ne Gnä­digs­te. Sie se­hen, ich den­ke im­mer an Sie. Im Üb­ri­gen bin ich wirk­lich kein He­xen­meis­ter. Es geht al­les sehr na­tür­lich zu. Grum­bach woll­te den Übel­tä­ter nicht ken­nen. Mir war es auch lie­ber, wenn ich sei­ne per­sön­li­che Be­kannt­schaft nicht ma­chen muss­te und wenn ich eine per­sön­li­che Be­geg­nung ver­mei­den konn­te. Ich hät­te ihn doch we­nigs­tens ohr­fei­gen müs­sen. Das wäre das min­des­te ge­we­sen, was mir ge­blüht hät­te. Und – Sie be­grei­fen – man regt sich nicht gern ohne Not auf. Da habe ich es doch vor­ge­zo­gen, an un­se­rem Pro­gramm fest­zu­hal­ten, den Mann nicht zu ent­lar­ven, den Skan­dal zu ver­mei­den und nur sei­nen wei­te­ren Be­trü­ge­rei­en einen Rie­gel vor­zu­schie­ben.«

»Und wie ha­ben Sie das an­ge­stellt?«

»Es war kein be­son­de­res Kunst­stück. Ich wuss­te, dass der Gau­ner die prä­pa­rier­ten Spie­le sel­ber mit­brin­gen müs­se, und zwar zwei Spie­le, da er ge­rüs­tet sein muss­te so­wohl für fran­zö­si­sche Kar­ten wie für Ta­rock. Zur Ver­wen­dung brin­gen konn­te er nur ein Spiel, und im vorn­hin­ein konn­te er nicht wis­sen, wel­ches. Es schi­en mir nicht wahr­schein­lich, dass er zwei Spie­le bei sich am Lei­be tra­gen wer­de. In ei­nem knap­pen, ele­gan­ten Sa­lo­n­an­zug hät­te das doch leicht auf­fal­len kön­nen. Ich be­gab mich also, als al­les beim Spie­le an der Ar­beit war, in die Gar­de­ro­be, und in­dem ich tat, als such­te ich mei­nen Über­zie­her, fuhr ich mit bei­den Hän­den an al­len dort hän­gen­den Rö­cken her­un­ter. Ei­nen Die­ner, der mich hilfs­be­reit frag­te, ob ich et­was su­che, schnauz­te ich so furcht­bar grob an, dass er so­fort spur­los ver­duf­te­te. Dann fand ich auch, was ich such­te.«

»Ein Kar­ten­spiel?«

»Ich fühl­te es von au­ßen, dass es ein Kar­ten­spiel sei. Ich griff in die Ta­sche. Die Kar­ten wa­ren un­ter ein sei­de­nes Ta­schen­tuch ge­steckt, da­mit sie nicht etwa von au­ßen ge­se­hen wer­den konn­ten. Ich nahm die Kar­ten an mich. Eine kur­ze Prü­fung im Vor­stands­zim­mer über­zeug­te mich, dass ich an den rich­ti­gen Mann, be­zie­hungs­wei­se an den rich­ti­gen Rock ge­ra­ten war. Nun war die große Fra­ge: was tun? In An­be­tracht al­ler Um­stän­de ent­schied ich mich für fol­gen­den Aus­weg: ich schrieb has­tig einen Brief, den ich nun an Stel­le der Kar­ten in jene Ta­sche steck­te.«

»Was schrie­ben Sie in dem Brief, Da­go­bert?« frag­te Frau Vio­let ge­spannt.

»Ich kann ihn wört­lich zi­tie­ren: ›Die Be­wei­se habe ich in der Hand. – Zwei Be­din­gun­gen: 1. Sie wer­den den Klub nicht mehr be­tre­ten. 2. Der Prä­si­dent wird von Ih­nen am nächs­ten Diens­tag um sie­ben Uhr abends, pünkt­lich! fünf­tau­send Kro­nen als wohl­tä­ti­ge Spen­de für den Ve­rein für ent­las­se­ne Sträf­lin­ge zu­ge­schickt er­hal­ten.‹«

»Der Ve­rein für ent­las­se­ne Sträf­lin­ge!« rief Frau Vio­let er­freut.

»Eine Buße muss­te ich ihm auf­er­le­gen, und ich ent­schied mich auf gut Glück für die ge­nann­te Sum­me, ob­schon ich na­tür­lich nicht wis­sen kann, wie viel er sei­nen Op­fern ab­ge­nom­men hat. Drei Tage ließ ich ihm Zeit, weil ich an­nahm, dass es ganz gut mög­lich sei, dass ein Spie­ler mo­men­tan kein Geld hat, dass er es sich aber in drei Ta­gen be­schaf­fen kann, wenn es un­be­dingt sein muss. Daraus kann man sich bei Spie­lern schon ver­las­sen.«

»Da­go­bert, Sie den­ken aber auch an al­les!«

»Ich bin noch nicht fer­tig, Gnä­digs­te. Wei­te­run­gen woll­ten wir ja ver­mei­den; ich durf­te also auch nicht nach den Op­fern for­schen, um ih­nen etwa den Ver­lust ganz oder teil­wei­se zu er­set­zen. Da­bei hät­te ja die gan­ze Ge­schich­te auf­kom­men müs­sen. Ich ent­schloss mich also, den Ve­rein für ent­las­se­ne Sträf­lin­ge zu be­den­ken. Aus zwei Grün­den: ers­tens, um Ih­nen eine Freu­de zu ma­chen, da Sie doch eine der eif­rigs­ten Vor­stands­da­men des Verei­nes sind, und zwei­tens, weil ich es nur für recht und bil­lig hielt. Ich dach­te mir näm­lich, wenn der Mann schon das Geld her­gibt, soll er we­nigs­tens die Mög­lich­keit ha­ben, ein­mal auch et­was da­von zu ha­ben.«

»Da­go­bert, Sie sind ein Hu­mo­rist!«

»In­dem ich ihm aber die Be­din­gun­gen stell­te, habe ich einen Ver­trag mit ihm ge­schlos­sen und mich mei­ner­seits still­schwei­gend ver­pflich­tet, ihn nicht, we­nigs­tens nicht gleich zu ver­ra­ten. Du siehst also, Grum­bach, es wäre nicht loy­al ge­we­sen, den Dienst­mann über den Ab­sen­der aus­zu­ho­len. Üb­ri­gens – ver­lass dich dar­auf – hät­te es auch nichts ge­nutzt. So klug war er je­den­falls, dass er nicht sel­ber den Bo­ten ab­ge­fer­tigt, son­dern dass er sich ei­ner un­ver­fäng­li­chen Mit­tels­per­son be­dient hat, de­ren Per­so­nal­be­schrei­bung uns gar nichts nut­zen wür­de.«

Grum­bach hät­te nun doch gern er­fah­ren, wer der Be­trü­ger sei, der den Klub ge­schän­det hat­te, aber er wuss­te, dass Da­go­bert einen har­ten Schä­del hat­te und sich nicht nach Be­lie­ben wei­ter trei­ben ließ, als er ge­hen woll­te. Im In­nern war er doch sehr zu­frie­den über die­se Art der Lö­sung, weil sie dem öf­fent­li­chen Skan­dal vor­beug­te, der sonst un­ver­meid­lich ge­we­sen wäre.

Da­go­bert ließ sich ei­ni­ge Tage nicht bli­cken und kam erst wie­der, um ver­ab­re­de­ter­ma­ßen Frau Vio­let zu ei­ner Soi­ree bei Eichs­tedt ab­zu­ho­len. Grum­bach, ge­schäft­lich auf­ge­hal­ten, woll­te erst eine Stun­de spä­ter nach­kom­men. Wäh­rend der Fahrt kam Frau Vio­let wie­der auf den Falsch­spie­ler zu­rück. Der Fall in­ter­es­sier­te sie doch sehr.

»Da­go­bert«, be­gann sie, »ich glaub’s nicht, dass Sie’s nicht her­aus­ge­bracht ha­ben, wer es ist. Das kann Ih­nen doch kei­ne Ruhe ge­las­sen ha­ben!«

»Ich habe es auch her­aus­ge­bracht, mei­ne Gnä­digs­te, aber ver­ra­ten Sie mich Ihrem Mann nicht.«

»Das ist lieb von Ih­nen, Da­go­bert, dass Sie mir’s sa­gen wol­len.«

»Das habe ich nicht ge­sagt, und das wer­de ich auch nicht tun.«

»Ja, was soll ich denn nicht ver­ra­ten?«

»Dass ich’s weiß; sonst setzt er mir doch zu, und es wäre nutz­los.«

»Wa­rum wol­len Sie mir’s aber nun nicht sa­gen?«

»Es gibt erns­te Grün­de da­für, dass Sie es nicht er­fah­ren.«

»Das ver­ste­he ich nicht, Da­go­bert.«

»Ist auch gar nicht nö­tig, mei­ne Gnä­di­ge.«

»Aber wie Sie’s her­aus­ge­bracht ha­ben, kön­nen Sie mir doch sa­gen.«

»O ja, schon da­mit Sie sich kei­ne über­trie­be­nen Vor­stel­lun­gen von mei­ner De­tek­tiv­kunst ma­chen. Dazu be­durf­te es kei­ner be­son­de­ren Schlau­heit. Ich wuss­te, dass die Die­ner in der Gar­de­ro­be den Mit­glie­dern und den stän­di­gen Gäs­ten im­mer die­sel­be Num­mer an­wei­sen. Das ist ja sehr prak­tisch. Ich brauch­te mich also nur zu er­kun­di­gen, wem die be­tref­fen­de Num­mer ge­hör­te, an wel­cher der be­wuss­te Über­zie­her hing.«

»So ein­fach?« sag­te Frau Vio­let ein we­nig ent­täuscht. Sie hat­te sich die Sa­che viel ro­man­ti­scher vor­ge­stellt. »Sa­gen Sie noch eins, Da­go­bert. Ha­ben Sie nicht ge­fürch­tet, dass Sie den Mann zum Selbst­mord trei­ben konn­ten, als Sie ihm je­nen Brief zu­steck­ten?«

Da­go­bert zuck­te die Ach­sel.

»Ich hät­te das für kein Un­glück ge­hal­ten und mein Ge­wis­sen nicht be­schwert ge­fühlt.«

»Sie sind schreck­lich, Da­go­bert. Er hät­te aber auch Ih­nen et­was an­tun kön­nen.«

»Ich hat­te, was ich sonst nicht gern tue, an­onym ge­schrie­ben. Hät­te ich mich ge­nannt, dann hät­te ich ja auch nicht schwei­gen kön­nen.«

»Noch eins, Da­go­bert. Muss­ten Sie nicht an­neh­men, dass er auf Ihren Brief hin flie­hen wer­de, und zwar, be­vor er die hohe Sum­me als Buße er­leg­te?«

»Ich ver­mu­te­te gleich, dass er nicht flie­hen wür­de, und jetzt weiß ich es be­stimmt. Er hat noch ein großes Ge­schäft vor, das er nur im äu­ßers­ten Not­fall im Sti­che las­sen wird. Aber wir sind zur Stel­le; er­lau­ben Sie, dass ich zu­erst aus­stei­ge.«

Sie wa­ren als die ers­ten ge­kom­men, aber bald ström­ten die Gäs­te her­zu, und Frau Vio­let mach­te in ih­rer ent­zücken­den Art die Hon­neurs. Da­go­bert such­te sich Baro­nin Gretl auf.

»Baro­nin Gretl!« be­gann er. »Wol­len Sie mir zwei Mi­nu­ten schen­ken?«

»Mit tau­send Freu­den auch viel mehr, Herr Da­go­bert!« Sie nann­te ihn auch Da­go­bert, wie die meis­ten Leu­te. Vie­le wuss­ten nicht ein­mal, dass das gar nicht sein Zu­na­me sei.

»Aber un­ge­stört!« fuhr er fort.

»Dann stel­len wir uns in jene Fens­ter­ni­sche.«

»Das ist mir nicht un­ge­stört ge­nug.«

»Dann kom­men Sie mit in Pa­pas Schreib­zim­mer. Dort kön­nen wir die größ­ten Ge­heim­nis­se ver­han­deln.«

Im Schreib­zim­mer setz­ten sie sich zu­recht, und Da­go­bert fuhr sich sor­gen­voll mit der Hand über sein Pe­trus­schöpf­chen, als er wie­der be­gann: »Baro­nin Gretl, ich muss Ih­nen Schmerz be­rei­ten.«

»Von Ih­nen kommt nichts Schlim­mes, Herr Da­go­bert.«

»Woll­te Gott, dass Sie es leicht näh­men! Baro­nin Gretl, Sie in­ter­es­sie­ren sich für einen jun­gen Mann.«

»Ach Gott, Herr Da­go­bert, – nun kom­men auch Sie mir da­mit! Sie wer­den mir jetzt be­wei­sen, dass er nichts hat. Das al­les weiß ich schon, weiß es aus sei­nem Mun­de. Er denkt zu vor­ne­hin, um das zu ver­schwei­gen, und ich viel­leicht, um mir et­was dar­aus zu ma­chen!«

»Nein, Baro­nin, das woll­te ich nicht. Ich bin kein Phi­lis­ter, und ich wür­de mich über Ihre Tap­fer­keit nur freu­en. Sie ha­ben es nicht nö­tig, sich von schä­bi­gen Gel­drück­sich­ten be­stim­men zu las­sen.«

»Ich tät’s auch nicht, wenn ich’s nö­tig hät­te, Herr Da­go­bert.«

»Brav ge­dacht, Baro­nin Gretl! Wenn der jun­ge Mann auch nur brav und tüch­tig und ne­ben­bei ein hüb­scher Mensch ist –«

»Ist er’s viel­leicht nicht?« frag­te Baro­nin Gretl la­chend.

»O – er hat wun­der­hüb­sche Au­gen! Aber da­von kann gar kei­ne Rede sein, dass er Ih­rer wür­dig wäre.«

»Was wol­len Sie da­mit sa­gen?«

»Dass er viel­leicht al­les, aber nur kein an­stän­di­ger Mensch ist.«

»Herr Da­go­bert, der­lei muss man be­wei­sen kön­nen!«

»Na­tür­lich muss man das.«

»Dann be­wei­sen Sie es!«

»Nein, Baro­nin, das will ich nicht. Es wür­de für Sie eine zu häss­li­che Erin­ne­rung sein für das gan­ze Le­ben. Auch Ihr Va­ter soll es nicht er­fah­ren. Er wür­de es im­mer als einen Schand­fleck auf sei­ner Ehre emp­fin­den –«

»Herr Da­go­bert!«

»Als einen Schand­fleck, dass ein sol­cher Mensch in sei­nem Hau­se ein- und aus­ge­gan­gen ist.«

»Und das al­les soll ich Ih­nen aufs Wort glau­ben?!«

»Doch nicht ganz, Baro­nin. Wir wol­len nur im all­sei­ti­gen In­ter­es­se über die Qua­li­tä­ten des jun­gen Man­nes schwei­gen. Ich hof­fe, Sie auch so über­zeu­gen zu kön­nen.«

»Und wenn nicht?!«

»Dann ret­te ich Sie ge­gen Ihren Wil­len. Ich habe schon ein­mal einen Selbst­mör­der aus dem Was­ser ge­zo­gen, der mich dann durch­ge­prü­gelt hat. Das kommt vor. Ich dul­de ein­fach nicht, dass der Mann Ih­nen noch ein­mal die Hand reicht, noch ein­mal das Wort an Sie rich­tet. Ich dul­de es nicht. Ich will Ih­nen sa­gen, was sich in der nächs­ten Vier­tel­stun­de be­ge­ben wird und was Ih­nen als voll­gül­ti­ger Be­weis die­nen mag. In dem Mo­ment, wo man sich zu Ti­sche set­zen wird, wird ein Die­ner je­nem Herrn die­sen Brief über­rei­chen. Le­sen Sie ihn Baro­nin.«

Baro­nin Gretl las:

»Ich be­feh­le Ih­nen, die Ge­sell­schaft so­fort und ohne Gruß zu ver­las­sen. Ich be­feh­le Ih­nen wei­ter, in­ner­halb der nächs­ten vier­und­zwan­zig Stun­den von Wien ab­zu­rei­sen und sich nie wie­der in die­ser Stadt bli­cken zu las­sen, – sonst Po­li­zei! Da­go­bert Trost­ler. Wien 1., Tuch­lau­ben 2. I.«

»Das ist ent­setz­lich!« sag­te Baro­nin Gretl ton­los, als sie ge­le­sen hat­te. Sie war ganz blass ge­wor­den, und sie blick­te rat­los und wie hil­fe­su­chend zu Da­go­bert auf.

»Glau­ben Sie, Baro­nin«, nahm die­ser das Wort, »dass ein an­stän­di­ger Mensch sich das bie­ten lässt? Wenn er noch einen Fun­ken Ehre im Lei­be hat oder den letz­ten Rest ei­nes gu­ten Ge­wis­sens, dann muss er mich auf der Stel­le ohr­fei­gen – Sie se­hen, ich habe mich voll un­ter­schrie­ben –, oder er schickt mir un­ver­züg­lich sei­ne Zeu­gen, und ich muss mich mit ihm schie­ßen auf Le­ben und Tod. Nichts von al­le­dem wird der Fall sein. Er wird sich laut­los da­v­on­schlei­chen wie ein ver­prü­gel­ter Hund.«

Baro­nin Gretl saß bleich und stumm da, aber sie dräng­te tap­fer die auf­schie­ßen­den Trä­nen zu­rück. Plötz­lich leuch­te­te es in ih­ren Au­gen auf wie von Ent­schlos­sen­heit.

»Gut«, sag­te sie. »Wenn er sich das ge­fal­len las­sen muss, dann ist er ein ver­lo­re­ner Mensch!«

»Er ist ver­lo­ren, Baro­nin, und er ver­dient kein Mit­leid. Mich schmerzt es, dass ich Ih­nen wehe tun muss­te. Glau­ben Sie, dass ich han­del­te, wie ich als Ihr Freund und als der Freund Ihres Hau­ses han­deln muss­te?«

»Ja, Herr Da­go­bert, das glau­be ich.«

Die Er­eig­nis­se spiel­ten sich ge­nau so ab, wie Da­go­bert sie vor­her ver­kün­det hat­te. Kal­li­gra­fier­te Kar­ten auf den Ge­de­cken be­zeich­ne­ten je­dem sei­nen Platz an der Ta­fel. Da­go­bert hat­te vor­her ei­gen­mäch­tig sei­ne Kar­te zwi­schen die Plät­ze von Baro­nin Gretl und Baron An­dré nie­der­ge­legt. Als man zu Tisch ging, über­reich­te ein Die­ner dem Baron An­dré einen Brief, den die­ser un­ge­le­sen in die Ta­sche steck­te. Der Die­ner er­laub­te sich, dem emp­fan­ge­nen Auf­tra­ge ent­spre­chend, die un­ter­tä­ni­ge Be­mer­kung zu ma­chen, dass der Brief sehr dring­lich sei und un­ver­züg­li­cher Be­scheid er­war­tet wer­de. Der Baron öff­ne­te den Brief und durch­flog ihn rasch. Dann neig­te er sich vor, als wol­le er das Wort an Baro­nin Gretl rich­ten. Da­go­bert flüs­ter­te ihm lei­se, aber sehr be­stimmt zu: »Al­lons donc – sans adieu!«

Der Baron rich­te­te sich wie­der auf und ver­ließ schwei­gend das Ge­mach. Die Ge­sell­schaft be­merk­te sei­ne Ent­fer­nung kaum, und das Fest nahm sei­nen wei­te­ren un­ge­stör­ten Ver­lauf.

1 cha­pe­ro­nie­ren: eine jun­ge Dame zu ih­rem Schutz be­glei­ten <<<

2 Das un­be­merk­te Mar­kie­ren von (zu­meist) Spiel­kar­ten zu Be­trugs­zwe­cken. <<<

3 Ta­schen­spie­ler <<<

4 Jean Eugè­ne Ro­bert-Hou­din (1805–1871) war ein fran­zö­si­scher Zau­ber­künst­ler, Au­to­ma­ten­kon­struk­teur und Thea­ter­grün­der. <<<

5 Sche­mel, Ho­cker <<<

6 sä­sie­ren = er­grei­fen, in Be­schlag neh­men <<<

Detektiv Dagobert

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