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Etappensieg mit Verbündeten

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Alljährlich traf es sich, dass der 4. September Schönwetter mit sich brachte. Tatsächlich hatte Valentina noch keinen verregneten Geburtstag erlebt. Auch diesmal nicht, als die Familie, durch Tante und Onkel erweitert, zum neunzehnten Mal in dem von Lilys üppigen Rosen parfümierten Garten zusammenkam, der von dichten, getrimmten Thujenhecken eingezirkelt war. Als Rudolf in Galauniform mit seitlich gegurtetem Säbel über die Terrassentreppe zum Kaffeetisch schritt, schienen neben Anna auch die Marillen-Bäume habt Acht zu stehen. Valentina zerteilte die mit Marzipanblümchen verzierte Buttercremetorte und schob sie auf die Teller. Sie selbst wollte nur an einem Glas Champagner nippen, das sie, so hatte sie es sich vorgenommen, über den Nachmittag bringen sollte.

Onkel Moritz begutachtete mit lieben, kurzsichtigen Augen die Orden von Oberst Bienen, wie sie dicht gereiht an dessen hart gewölbter Brust hafteten. Dabei erkundigte er sich detailbeflissen nach der Bedeutung dieser Distinktionen, die ihm größtenteils unbekannt waren und über die er sich insgeheim lustig machte. Untrügliches Zeichen dafür war die kleine Geste, mit der er die Enden seines pechschwarzen Schnurrbartes zupfte, eine Bewegung, die Rudolph irritierte. Teils um ihn zu bestrafen, doch größtenteils aus Begeisterung zog ihn der Oberst in weitschweifige militärische Anekdoten hinein, die der um gut zwanzig Jahre jüngere Dr. Mayrhoff als ebenso höflicher wie seltener Gast geduldig über sich ergehen ließ. Er war dann aber doch recht froh, als Valentina an seiner Seite erschien, um den Herren ein Glas Champagner zu reichen.

„Matura mit Auszeichnung, das hat es im Hause Bienen noch nicht gegeben! Jetzt steht dir die Welt offen“, sagte Moritz und rückte mit erhobenem Glas seine Nichte in den Mittelpunkt, sodass auch Lily und Paulina dem Geburtstagskind zuprosteten. Rudolph setzte sein Champagnerglas ab und nahm Moritz ins Visier.

„Setz ihr um Himmels willen keine Flausen in den Kopf. Die Matura für Mädchen ist schon der reinste Luxus. Jeder weitere Bildungsschritt ist für das zurecht als schwach bezeichnete Geschlecht unnatürlich und eine nationale Gefahr!“

Moritz grinste und suchte den Blick seiner Frau, die den seinen belustigt erwiderte, während sich Valentina, vom Champagner erhitzt, zu ereifern begann.

„Papa, mach dir bitte keine unnötigen Gedanken. Ich weiß doch schon, wie es mit mir weitergeht – ich werde studieren!“ Rudolph hob eine Augenbraue, was bei ihm nie Gutes verhieß. Eine rebellische Tochter hatte ihm gerade noch gefehlt, jetzt galt es, sie umgehend mundtot zu machen, mit psychologischer Kriegsführung, von der er glaubte, etwas zu verstehen.

„Darf man fragen, worüber du dir die nächsten Jahre dein Köpfchen zerbrechen möchtest?“

„Ich bin ab Oktober ordentliche Studentin der medizinischen Fakultät an der Universität Wien und in ein paar Jahren Kollegin von Onkel Moritz“, antwortete Valentina und warf dabei ihren Kopf in den Nacken. Moritz zwinkerte seiner Nichte zu, Paulina erhob ihr Glas, und Rudolph tastete nach seinem Säbelgriff.

„Wenn dieser Tag kommen sollte, kann er nichts anderes als eine Katastrophe sein“, sagte er und hoffte, die Sache als schlechten Witz abschütteln zu können. Lily ging auf ihre Tochter zu.

„Mein Kind, wie kannst du nur so etwas wollen? Hast du nicht bedacht, was das deinen Vater an Geld kostet – von den Nerven ganz zu schweigen?“

„Lily, misch du dich da nicht ein!“, fuhr Rudolph dazwischen und fixierte sein Kind mit bohrendem Blick. „Valentina, ich verbiete dir das Studium!“ Doch der Befehl, der die Angelegenheit hätte erledigen sollen, ließ seine Tochter trotzen: „Mein Studium ist nicht verhandelbar!“

Lily, die sich eine Zigarette angezündet hatte, sah unmittelbar Gefahr in Verzug für den mühsam aufrechterhaltenen Haussegen. Indem sie Gelassenheit vortäuschte, wandte sie sich an Valentina: „Mein liebes Kind. Unsereins darf Gattin sein und Mutter – natürlich mehrfach. Vielleicht Lehrerin, Gouvernante, Hofdame oder Pflegerin im Sanatorium. Nonne ist auch möglich oder Geliebte eines der 1.000 Millionäre, die Wien aufzubieten hat. Aber Akademikerin, das ist eine unrealistische Karriere für Töchter aus gutem Hause.“ Der seltene Wortschwall, der sich bei Lily nur unter großem Stress ergoss, holte bei Valentina die Bitterkeit hervor, mit der sie ihre Mutter bis jetzt nur stumm betrachtet hatte.

„Mama, glaubst du wirklich, ich warte zehn Jahre an einer öden Kreuzung, nur um dann zu verstehen, dass das Leben an mir vorbeizieht, wie das bei dir der Fall ist?“

Lily inhalierte tief und suchte nach einer souveränen Erwiderung, die sie nicht rechtzeitig fand, denn schon holte ihr Gatte aus und verpasste seiner Tochter eine Ohrfeige. „Wenn du in deinem Leben noch etwas lernen wirst, dann ist das der Respekt vor deinen Eltern. Mach, dass du auf dein Zimmer kommst, und denk über dein hysterisches Getue nach. Wenn du glaubst, deinen Kopf durchsetzen zu müssen, hast du in meinem Haus nichts mehr zu suchen.“

Valentina stand am geöffneten Fenster ihres Zimmers, das sie hinter sich zugesperrt hatte, nachdem sie mit hochrotem Kopf von der Gesellschaft gehastet war – mit Anna auf den Fersen, die auf sie einzureden versuchte. Valentina drehte sich zur Frisierkommode, auf der ein Zinnsoldat ihres Vaters stand. Mit einem kräftigen Schlag warf sie ihn zu Boden und lächelte.

Moritz war aufstrebender Internist im Kinderspital, der seine Arbeit und seine Frau gleichermaßen liebte, was ihn dazu bewog, seine Zeit gut einzuteilen. Sein Ruf als medizinischer Praktiker war ihm schon bald nach dem Studium vorausgeeilt. Schnell etabliert, ließ er es sich nicht nehmen, regelmäßig mit Paulina in der Oper zu erscheinen und die häufigen Einladungen zu diversen Diners bei wichtigen Kollegen und Vorgesetzten anzunehmen. Auch kam es häufig vor, dass er selbst Einladungen in seine geräumige Wohnung, die sich in der Nähe der Universität befand, aussprach und die von Paulina umsichtig organisiert wurden. An Samstagnachmittagen aber blieb das Ehepaar unter sich und genoss die gemeinsame Lesestunde im Wohnzimmer, in dem drei Wände lückenlos mit Büchern tapeziert waren. Es war der Samstag nach Valentinas spektakulärem Geburtstag, als sie sich bei Onkel und Tante einfand, höflicherweise erst kurz nach der Lesestunde. Valentina hatte neben Paulina auf dem grün bespannten Plüschsofa Platz genommen und kuschelte sich an die Tante, die sie innig umarmte.

„Weißt du, Paulina, ich denke oft, dass der Unterschied zwischen dem, was ich bin, und dem, was von mir erwartet wird, viel zu groß ist, als dass ich ihn ertragen könnte.“

Paulina schob ihre Nichte sanft von sich, um mit klugen anthrazitfarbenen Augen im Gesicht des Mädchens zu forschen. „Dann werde, was du bist! Ich habe mit Moritz gesprochen. Du kannst bei uns wohnen, Kost und Logis sind garantiert, und für das, was du sonst noch brauchst – was hoffentlich nicht viel sein wird –, springen wir auch ein.“

Valentina richtete sich auf und verstand, dass es für sie nun doch eine lebenswerte Zukunft gab. Moritz, der sich bis jetzt, lesend, nicht am Gespräch beteiligt hatte, stand auf und holte einen schweren Lederband aus der Wand. Während er auf seine Nichte zuging, blätterte er darin, bis er Valentina die Abbildung eines entstellten Unfalltoten unter die Nase hielt. „An derlei entzückende Eindrücke wirst du dich gewöhnen müssen, Frau Doktor in spe“, und Moritz lachte, als sich bei Valentina entsetzter Widerwille abzeichnete. Sie nahm das Buch dennoch und blätterte unter Moritz’ amüsiertem Blick weiter.

„Ich glaube, ich borge mir dieses Horrorbuch am besten gleich aus“, sagte sie nach ein paar Seiten und blickte ihren Onkel fragend an. Moritz hatte es sich wieder in seinem Lesesessel bequem gemacht, schlug die Beine übereinander, zündete sich eine Zigarette an und musterte seine Nichte eingehend.

„Ich sehe, du bist auf dem besten Wege, kein typisches Frauchen zu werden – abgerichtet, ahnungslos, unpraktisch und unsicher, um dann vom Ehemann nach seiner Fasson erzogen zu werden. Wenn du von mir keine Perlenketten, Pelzroben und die neuesten Seidenkleider aus Paris brauchst, dann steht deinem Studium wohl nichts mehr im Weg.“

Valentina hielt ihr erstes medizinisches Lehrbuch umklammert und fühlte jenen bei ihr in den letzten Jahren selten gewordenen Tatendrang, mit dem sie jedes Hindernis glaubte überwinden zu können.

„Onkel Moritz, was bin ich froh, dass du nicht an einer Verarmungsneurose leidest. Ich zahle euch alles zurück, sobald ich selbst bei Kasse bin,“ frohlockte sie. Moritz war sich in dem Moment nicht sicher, ob er das noch erleben würde.

Das himmlische Banquet

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