Читать книгу JAGD NACH DEN DRACHENMEDAILLONS - Barbara Muschl - Страница 3

– KAPITEL 2: DIE FÜNF AUFGABEN -

Оглавление

Professor Hammerschmids Stimme riss mich aus dem Schlaf. „So, Leute, packt eure Sachen zusammen, wir sind da!“ Ich öffnete die Augen. Der Bus hatte auf einer Waldlichtung gehalten, die von der untergehenden Nachmittagssonne in rötliches Licht getaucht wurde. Auf der Lichtung selbst stand ein großes Holzhaus, angeblich mit 22 Zimmern – ausreichend für 18 Schüler und Professor Hammerschmid.

Ich wandte den Blick vom Fenster ab und sah plötzlich direkt in Mareks Augen. „Gut geschlafen?“, grinste er. „Du Penner!“, fauchte ich. Seine Hand hielt mich nicht länger fest, sodass ich aufstand und über ihn steigen wollte, doch er war ebenfalls aufgestanden und ließ mich mit einer eleganten, geleitenden Handbewegung vorbei. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu, schnappte Sporttasche und Rucksack und stieg unter den wütenden Blicken der anderen Mädchen aus dem Bus.

Nachdem sich alle auf der Lichtung versammelt hatten, ergriff Professor Hammerschmid das Wort.

„Also, hier ein paar Worte zur Aufklärung. In diesem Haus gibt es, wie ich euch schon einmal gesagt habe, 22 Zimmer. Ich möchte, dass sich jeder von euch eines aussucht, seine Sachen auspackt und pünktlich um 18:00 Uhr im Speisesaal zum Essen erscheint. Es ist jetzt halb fünf, also habt ihr außerdem genug Zeit, um zu duschen, oder was immer ihr sonst tun wollt.“

Die Gruppe zerstreute sich und ich machte mich auf den Weg ins Haus.

Die Zimmer waren auf drei Stockwerke verteilt. Um möglichst meine Ruhe zu haben, nahm ich Zimmer 22 – im dritten Stock am Ende des Ganges. Ich hatte peinlich darauf geachtet, dass mir niemand folgte, denn ich war nicht scharf darauf, dass Marco wusste, wo er mich finden konnte und auch Marek musste ich nicht zwingend in meiner Nähe haben.

Das Zimmer war nicht besonders groß. Es bestand aus einem alten, hölzernen Bett mit modrigen Laken, mottenzerfressenen, staubigen Vorhängen, einem alten, undichten Fenster, einem knarrenden Schrank und einem kleinen Badezimmer, in dem sich ein Waschbecken, eine Dusche und ein WC befanden.

Ich warf mein Gepäck aufs Bett und zog Jacke und Schuhe aus. In meiner dreckverschmierten Jeans fühlte ich mich schmutzig, meine Hände und Knie brannten und mein Rücken tat weh.

Ich packte Duschgel und Haarshampoo aus und drehte das heiße Wasser in der Dusche auf. Es brauchte bestimmt einige Zeit um warm zu werden, da die Hütte leer stand, wenn sie nicht gemietet wurde.

Während ich wartete, zog ich die dreckigen Sachen aus und warf sie in den alten Kasten, ehe ich die Zimmertür abschloss und ins Bad ging. An einer der Duschwände befand sich ein großer Ganzkörperspiegel, dem ich zuerst nicht sonderlich viel Beachtung schenkte, denn als ich endlich unter der heißen Dusche stand, kämpfte ich erst einmal gegen das Brennen meiner blutigen Handflächen an.

Als ich allerdings doch einen Blick in den Spiegel warf, hielt ich kurz Inne und mein Blick fiel auf meinen Rücken – von dem Schlag gegen den Baumstamm hatte meine gesamte Haut eine hässliche Farbmischung aus dunkelblau und – violett angenommen. Es sah viel schlimmer aus, als es sich anfühlte und das heiße Wasser wurde langsam kühler, sodass ich mich mit dem Duschen beeilte.

Erst, als ich fertig war und versuchte, mir den Rücken abzutrocknen, spürte ich den Schmerz.

Ich verließ das Bad und suchte mir frische Unterwäsche aus meiner Sporttasche. Darüber zog ich eine neue Jeans an – auf das T-Shirt verzichtete ich noch, da ich es vermieden hatte, meinen Rücken mit dem Handtuch abzutrocknen. Ich ging zurück ins Bad und föhnte mir die Haare, als ich plötzlich von einem Klopfen unterbrochen wurde.

Ich ging zur Zimmertür und meinte leise: „Hallo?“ „Kimmy, mach die Tür auf, bitte. Ich bin’s, Marek!“ „Und warum sollte ich deshalb aufmachen? Ich hab kein T-Shirt an…“ „Ist mir egal, mach bitte die Tür auf! Meine Dusche ist kaputt, kann ich bei dir duschen?“

Langsam ging er mir auf die Nerven. Ich schloss die Tür auf und öffnete sie einen Spalt breit. „Die ist nicht kaputt, das Wasser braucht nur eine Weile, um warm zu werden.“, erklärte ich ihm. „Mir ist scheißegal ob das Wasser warm oder kalt ist, aber ich hab nicht mal Wasser…“ Ich seufzte und trat einen Schritt zurück. „Also gut, komm rein, aber beeil dich und dann verschwinde!“ Ich ließ ihn eintreten und ging zu meiner Sporttasche, um ein T-Shirt zu suchen. „Kimmy…“ „Was denn noch?“ Ich drehte mich zu ihm um und bemerkte sofort, dass sich sein Blick verändert hatte. Seine Augen schienen für einen kurzen Moment rot zu leuchten, doch sofort waren sie wieder blau und ich schob den Effekt auf die untergehende Abendsonne direkt vor dem Fenster.

„Dein Rücken…“, meinte er. Schnell kramte ich das erstbeste Shirt aus meiner Tasche und zog es über. „…hat dich nicht zu interessieren!“, vollendete ich seinen Satz. „Jetzt geh duschen, bevor ich meine Meinung ändere!“ Er ging mit seinen Sachen ins Bad und schloss die Tür. Kurz darauf hörte ich das Wasser laufen. Ich warf mich aufs Bett, was ich sofort bereute, denn ich war am Rücken gelandet und stöhnte vor Schmerz leise auf. Vorsichtig drehte ich mich auf den Bauch und atmete tief durch.

Ich fühlte mich körperlich ziemlich ausgelaugt und hatte eigentlich überhaupt keine Lust auf das angekündigte Abendprogramm, über das wir beim Essen mehr erfahren sollten.

Ich schloss die Augen und ruhte meinen Körper ein wenig aus, bis ich das Wasser im Bad nicht mehr hörte und kurz darauf die Badezimmertür aufging.

Vor mir stand Marek in seiner zerrissenen Jeans, aber ohne Hemd, die schwarzen Haare fielen in feuchten Strähnen wild durcheinander. Es war nicht zu leugnen, dass er durchaus gut aussah – sein Oberkörper war ebenso braun gebrannt, wie seine Arme und sein Gesicht und außerdem muskulös und durchtrainiert, wirkte dabei aber nicht künstlich aufgepumpt.

Ich spürte bei diesem Anblick ein leichtes Kribbeln in der Magengegend, doch sofort fasste ich mich wieder und meinte: „Willst du so zum Abendessen gehen?“ „Nein, natürlich nicht.“, meinte er. „Ich hab nur vergessen, mir ein T-Shirt aus meinem Zimmer mitzunehmen. Danke für die Dusche.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und im nächsten Moment hörte ich auf dem Gang hysterisches Mädchen-Gekreische und –Gestöhne. Scheinbar waren die verrückten Hühner Marek in dieses Stockwerk gefolgt und belagerten jetzt sein Zimmer – der Anblick seines nackten Oberkörpers schien sie nahezu um den Verstand gebracht zu haben.

Ich warf seufzend einen Blick auf die Uhr – dreiviertel Sechs. Also zog ich meine Schuhe an und machte mich auf den Weg ins Erdgeschoß, um den Speisesaal zu finden. Ich musste nicht lange suchen. Direkt neben dem Eingang erstreckte sich eine große Halle, in der fünf kleine Tische mit jeweils vier Sesseln standen. Marco und seine Jungs belagerten bereits einen davon und zu ihrem scheinbar großen Unbehagen hatte sich Professor Hammerschmid zu ihnen gesetzt.

Als ich ihren Tisch passierte, warf mir Marco einen eindeutigen, drohenden Blick zu, doch ich ignorierte ihn und suchte mir den Tisch in der hintersten Ecke aus. Der Speisesaal füllte sich relativ rasch und schließlich kam auch Marek, der es geschafft hatte, sich ein ärmelloses, schwarzes Shirt anzuziehen, in Begleitung von fünf aufgeregt schnatternden Mädchen, die um ihn herumwuselten, wie um einen Ladentisch beim Schlussverkauf.

Marek würdigte sie keines Blickes und steuerte schnurstracks auf mich zu. Die fünf verwirrt wirkenden Mädchen im Schlepptau blieb er vor meinem Tisch stehen. „Darf ich?“ Ich musterte erst ihn und dann die Mädchen und meinte: „Wenn es dir dein Harem gestattet.“

Die Schnatterzicken warfen mir wütende Blicke zu und Marek setzte sich neben mich. Es dauerte nicht lange, da hatten die fünf schon einen weiteren Tisch zu unserem gestellt und sich ebenfalls gesetzt, wobei sie es sich nicht nehmen ließen, mir wütende Blicke zuzuwerfen.

Das Abendessen wurde in Form eines Buffets serviert und ich stand als Erste auf, um dem Geschnatter von Mareks Fanklub zu entkommen, doch Marek folgte und so zog er natürlich auch die Mädchen mit.

Nachdem ich mir von allem ein Bisschen zum Kosten auf den Teller getan hatte, ging ich wieder zurück zum Tisch und setzte mich. Während wir aßen, erklärte uns Professor Hammerschmid das Abendprogramm.

„Nach dem Essen werden wir uns alle draußen am Lagerfeuer treffen. Jeder von euch darf eine Taschenlampe mitnehmen. Dann werdet ihr Zweierteams bilden. Im Wald gibt es fünf Stationen, die Aufgaben enthalten. Zuerst müsst ihr natürlich die Stationen finden und dann gilt es, die Aufgaben zu lösen. Für jede gelöste Aufgabe erhaltet ihr einen Stein – das Team, das als erstes alle Steine zusammen hat, gewinnt. Also überlegt euch eure Aufteilung gut. Die Stationen fordern Geschicklichkeit, Intelligenz und Kraft.“

Ich seufzte. „Also Schnitzeljagd im Dunkeln.“ Mareks Fanklub begann sogleich, sich gegenseitig verbal die Köpfe einzuschlagen, wer von ihnen Mareks Teampartnerin sein dürfte.

In diesem Moment spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und drehte mich um. Hinter mir stand Stefan, der mit mir in die Klasse ging. Er war – ohne es böse zu meinen – ein kompletter Idiot. Hässlich, picklig, selbstverliebt und arrogant. „Hey, Kimmy. Wie wär’s denn mit uns beiden? Zwei so gut aussehende und intelligente Teamkameraden wie wir können doch nur gewinnen.“ Er zwinkerte mir zu.

Ich verschluckte mich vor Lachen an meinem Apfelsaft und noch ehe ich antworten konnte, hatte Marek seinen Arm um meine Schulter gelegt und meinte: „Tut mir sehr leid, Stefan, aber sie hat schon mir zugesagt. Vielleicht klappt’s ja beim nächsten Mal.“ „Aber…“ Er sah gekränkt aus, doch sein Blick als er abzog war lange nichts im Vergleich zu der Schar Mädchen an unserem Tisch, die nun aussahen, als würde die Welt untergehen – zwei von ihnen begannen sogar zu weinen.

Ich sah Marek an. „Hab ich das?“ „Nun…“, er grinste. „Wenn du nicht mit dem gut aussehenden Stefan zusammenarbeiten willst, fürchte ich, hast du keine andere Wahl.“ „Du bist ein mieser, kleiner Erpresser, weißt du das?“ Er zwinkerte mir zu.

Nach dem Abendessen ging ich noch kurz aufs Zimmer, um mir meine Taschenlampe zu holen und einen Pulli überzuziehen. Außerdem steckte ich das Taschenmesser, das mir mein Vater vor seinem Tod geschenkt hatte, in die dafür vorgesehene Gürteltasche und verließ dann das Zimmer.

Auf dem Gang traf ich auf Marek, der sich ebenfalls mit einer Taschenlampe und einer Lederjacke ausgerüstet hatte und wir gingen schweigend zusammen hinunter vor die Hütte.

Dort brannte mitten auf der Lichtung ein großes Lagerfeuer, um das herum sich bereits alle anderen versammelt hatten. Marco hatte sein Team mit Flo gebildet und für Luca war Stefan übergeblieben. Mareks Fanklub hatte sich ebenfalls in Zweierteams geteilt, bedacht darauf, in ihren High Heels und Miniröcken gut auszusehen – ich zweifelte jedoch an, dass ihnen das im dunklen Unterholz weiter half.

Professor Hammerschmid ergriff das Wort. „Also, ihr kennt ja die Regeln. Findet die Stationen und holt euch die Steine – aber seid vorsichtig, der Wald ist groß und gefährlich. Arbeitet klug zusammen. Ich wünsche euch viel Glück!“

„Na dann mal los!“, meinte Marek und zückte seine Taschenlampe. Ich hatte meine mit einer Schnur am Gürtel festgebunden und dort ließ ich sie auch. „Sind deine Batterien leer?“, meinte Marek verwirrt, als er das realisierte. „Nein, aber du hast auch eine. Ich hab keine Ahnung wie lange wir brauchen, um hier irgendwas zu finden, aber ich will zumindest nicht aus Dummheit verlieren. Wir brauchen nur eine Taschenlampe und falls deine Batterie schlapp macht, haben wir noch meine in Reserve.“ „Gut mitgedacht – Punkt für dich.“

Wir machten uns auf den Weg in den Wald. Mit jedem Schritt, den wir uns weiter vom Lagerfeuer entfernten wurde es dunkler und kälter. Nach wenigen Minuten waren wir so weit vom restlichen Geschehen entfernt, dass wir nichts mehr hören oder sehen konnten, außer dem Schrei einer Eule, dem Knacken der Äste unter unseren Füßen und den gespenstischen Schatten im Schein von Mareks Taschenlampe. Wir waren von tiefer Dunkelheit umgeben und auch, wenn ich wusste, dass hier nichts Gefährliches war, war es mir doch ein wenig unheimlich.

Plötzlich blieb Marek stehen. „Kimmy, siehst du das?“ „Was?“ „Dort hinten!“ Ich folgte seinem Blick. Zwischen den dunklen Bäumen blitzte ein rötlicher Lichtschimmer hervor. Marek und ich sahen uns an und gingen näher. Langsam nahm der Platz vor uns Gestalt an. Eine kleine Lichtung, auf der eine Fackel brannte, lag vor uns. An einen Baum war ein Laserpointer gebunden. Darunter hing ein Zettel. „Was steht da?“, meinte Marek. Ich nahm den Zettel und las im Schein der Fackel:

„Die Kraft von gebündeltem Licht kann äußerst wegweisend sein, wenn man nach Schätzen sucht. Doch lasst euch von den Reflexionen nicht irreführen – es gibt nur einen richtigen Weg.“ „Okay und was heißt das?“

„Mach mal die Taschenlampe aus, die Fackel hier gibt genug Licht.“ Marek tat, was ich ihm sagte. Mein Blick fiel wieder auf den Baumstamm. „Der Laserpointer…“ Er ließ sich nicht bewegen, aber ich konnte ihn anschalten. Der rote Lichtstrahl verlor sich in der Tiefe der Dunkelheit. „Warte mal…“, meinte Marek. Er folgte dem Lichtstrahl und kurz darauf hörte ich seine Stimme aus dem Dunkel des Waldes. „An dem Baum hier ist ein Spiegel befestigt.“

Ich folgte seiner Stimme und fand ihn schließlich. Er hatte Recht. An einem der Baumstämme war ein Spiegel angebracht und als Marek ihn in die richtige Richtung drehte, reflektierte er den Laserstrahl und warf ihn in eine andere Richtung. „Der Spiegel lässt sich nur in einem Winkel von etwa fünf Grad herumdrehen, also muss der nächste Spiegel irgendwo dort drüben sein.“, meinte er und deutete in die Richtung, in der sich der Strahl verlor.

Natürlich – ein Spiegelrätsel. Wir mussten dem Laserstrahl nur von Spiegel zu Spiegel folgen und würden am Ende den ersten Stein finden. Ich folgte dem Licht und stieß nach kurzer Zeit wieder auf einen Spiegel. Der Strahl ging knapp daneben vorbei. „Dreh den Spiegel ein Stück nach rechts!“, rief ich Marek zu. Der Laserstrahl bewegte sich und traf nun direkt den Spiegel, der ihn weiter reflektierte.

Es dauert nicht lange und wir hatten den Strahl über weitere sieben Spiegel geleitet und letztendlich standen wir vor einem Baum mit einem weiteren Spiegel, an dem eine kleine Box befestigt war. Als der Laser auch diesen Spiegel traf, sprang die Box auf. Darin befanden sich neun blutrot funkelnde Glassteine – einer für jedes Team.

Marek nahm einen Stein und steckte ihn in einen kleinen Beutel, den er an einer Schnur um den Hals trug. „Was ist das denn?“, meinte ich skeptisch. „Naja ich hab mir das vorher schnell zusammengebastelt… Falls wir auf Marco treffen, wird er bestimmt versuchen, uns die Steine abzunehmen und da sie bei mir sicherer sind – nichts für ungut – und in dem Beutel nicht verloren gehen können, hielt ich es für eine gute Idee.“

Er verschloss den Beutel und ließ ihn unter sein T-Shirt gleiten. „Ich geh jetzt mal nicht weiter darauf ein, dass sie bei dir sicherer sein sollen.“, meinte ich wütend. „Lass uns weiter gehen.“ „Warte noch.“

Marek verschwand im Dunkel der Bäume und kurze Zeit später erlosch der Lichtstrahl und die Box schloss sich. Marek kehrte zurück. „Was hast du gemacht?“ „Die Spiegel verdreht und den Laserpointer ausgeschaltet – wir wollen es den anderen Teams ja nicht zu leicht machen.“ Er grinste.

„Also gut, dann weiter!“

Marek zückte wieder seine Taschenlampe und wir machten uns erneut auf ins finstere Unterholz. Nach einigen Minuten Fußmarsch blieb Marek plötzlich stehen und knipste ohne Vorwarnung die Taschenlampe aus, woraufhin ich direkt in ihn hineinlief. „Au- spinnst du? Mach sofort das Licht wieder an!“ „Ruhe!“ „Ich geb‘ dir gleich Ruhe, du paranoides…“ Doch er ließ mich nicht ausreden. Seine Hand legte sich auf meinen Mund und er zog mich hinter ein Gebüsch, wo er mich von hinten festhielt. Ich konnte mich wehren, soviel ich wollte, doch er ließ einfach nicht los. Plötzlich hörte ich leise Stimmen und stoppte sofort meine Gegenwehr-Versuche.

Ich zog Mareks Hand vorsichtig von meinem Mund, und er schien zu merken, dass ich verstanden hatte. Regungslos kauerten wir hinter dem Gebüsch und spähten zwischen den Zweigen auf den sich nähernden Schein von zwei Taschenlampen. Die Stimmen nahmen langsam einen eindeutigen Klang an. Es war Marco. „… dämliches Rätsel kann doch kein Mensch lösen. Wahrscheinlich ist es gar nicht lösbar. Oder du bist einfach ein Idiot, Flo!“ „Wieso ich?“, ertönte Flos Stimme. „Du wusstest die Lösung doch auch nicht!“ „Gib jetzt bloß nicht mir die Schuld, sonst setzt’s was!“ „Ist ja schon gut, aber was machen wir jetzt? Wir brauchen den Stein!“ „Na was schon? Wir warten ab, bis uns irgendwelche Vollpfosten über den Weg laufen und holen uns ihre Steine!“ „Guter Plan…“

Die Stimmen wurden leiser und der Lichtschein entfernte sich. „Also ist da hinten eine Station, bei der es um ein Rätsel geht.“, kombinierte ich. Marek nickte und schaltete die Taschenlampe an. „Gehen wir.“

Wir mussten nicht lange suchen, um erneut eine Lichtung zu finden, die von zwei Fackeln erleuchtet wurde. In ihrem Schein standen reglos zwei Männer in Kapuzenumhängen. „Äh… Hallo?“ Ich ging vorsichtig auf die beiden zu. Sie rührten sich nicht. „Kimmy, warte!“ „Was ist denn?“ „Hier ist ein Zettel.“ Ich stellte mich neben Marek und las:

„Ihr seid weit gekommen,

jetzt macht euch bereit!

Denkt ganz genau nach,

nehmt euch genug Zeit!

Vor euch stehen zwei Brüder,

optisch ganz Ein.

Doch sie könnte ansonsten

verschiedener nicht sein.

Während einer von ihnen

stets ehrlich ist,

belügt euch der andere

immer mit List.

Die richtige Box zu finden

gilt es mit Verlaub,

doch ist euch nur

eine einzige Frage erlaubt.“

Marek sah verwirrt aus. Ich las das Rätsel noch einmal und sah mich dann um. „Da, schau! Hinter den Typen stehen zwei Boxen!“ Marek ging auf die Boxen zu, doch in diesem Moment schienen die Brüder in ihren Kapuzenumhängen zum Leben zu erwachen und versperrten ihm den Weg. Er blieb stehen und sah mich fragend an.

„Ganz klar.“, meinte ich schulterzuckend. „Was ganz klar?“ „Kapierst du’s denn nicht?“ „Ja doch… Wir müssen das Rätsel lösen… Wir müssen herausfinden, welche Box die richtige ist.“ „Genau. Und dazu müssen wir den beiden eine Frage stellen, aber wir haben nur einen Versuch. Einer von ihnen wird uns anlügen und der andere wird uns die Wahrheit sagen.“ „Aber wir wissen nicht, welcher der Lügner ist!“ „Warte mal…“ Ich überlegte fieberhaft.

„Vielleicht sollten wir einen von beiden etwas fragen, das den Lügner entlarvt.“, schlug Marek vor. „Sinnlos. Wir haben nur eine Frage. Selbst wenn wir damit herausfinden, wer lügt, haben wir keine Frage mehr, um den anderen nach der richtigen Box zu fragen.“ „Stimmt… Verdammt!“

„Warte mal…“ Mir kam eine Idee und ich dachte sie laut durch. „Ich glaub, ich hab‘s… Pass mal auf: Da wir nicht wissen, welcher von beiden lügt, brauchen wir eine Frage, bei der beide auf die gleiche Box zeigen müssen. Was wäre mit der Frage: ‚Welche Box würde uns dein Bruder zeigen, wenn wir ihn nach der richtigen fragen würden?‘ Nehmen wir folgende zwei Szenarien an:

1. Wir fragen den Lügner. Sein Bruder würde uns natürlich die richtige Box zeigen, aber das kann er uns nicht sagen, denn er lügt. Also zeigt er auf die falsche Box.

2. Wir fragen den, der die Wahrheit sagt. Sein Bruder würde uns die falsche Box zeigen, also wird er ebenfalls auf die falsche deuten.

In beiden Fällen deuten sie also auf die falsche Box, egal, wen wir fragen. Also ist die Box, auf die sie nicht deuten, die richtige.“

Marek klappte der Mund auf. „Kimmy… Das ist genial!“ Er trat vor und wandte sich an den linken der beiden Kapuzen-Männer. „Welche Box würde uns dein Bruder zeigen, wenn wir ihn nach der richtigen Box fragen würden?“

Der Mann musterte Marek, dann trat er beiseite und deutete auf die rechte Box. Nun durfte Marek passieren. „Dann wähle ich diese.“, meinte er und deutete auf die linke Box. Ich hielt den Atem an. Der Mann lächelte, nahm einen Schlüssel aus seinem Umhang und öffnete Marek die Box. „Volltreffer!“, meinte dieser und griff hinein. Der Mann verschloss die Box wieder und stellte sich zurück neben seinen Bruder, wo er reglos verharrte.

Marek kam zu mir und zeigte mir mit einem breiten Lächeln den giftgrün schillernden Stein, ehe er ihn in dem Beutel an seinem Hals verschwinden ließ.

„Das war einfach nur genial!“, wiederholte er. Ich lächelte. „Pass ja gut darauf auf.“, meinte ich. „Wenn du den Stein an Marco verlierst, für den ich so schwer gearbeitet hab, bin ich richtig sauer!“ „Klar!“, er grinste.

Da wir hier nichts mehr zu tun hatten, machten wir wieder kehrt und durchquerten den Wald weiter, diesmal jedoch um einiges vorsichtiger. Wir redeten kaum ein Wort miteinander und verharrten jedes Mal, wenn wir ein Geräusch hörten schlagartig. Ich kam mir ein bisschen paranoid vor, doch jetzt, wo wir wussten, dass Marco und Flo Jagd auf die anderen Teams machten, war extra viel Vorsicht geboten. „Ich glaub, da vorne ist die nächste Station.“, flüsterte Marek plötzlich.

Wieder folgten wir dem Lichtschimmer und kamen erneut zu einer Fackel mit Botschaft: „Dieser Baum ist hunderte Jahre alt und übertrifft in seiner Größe alles andere hier. Für gewöhnlich sind Schätze tief vergraben, doch diesen müsst ihr in fünfzehn Metern Höhe suchen – hoffentlich seid ihr schwindelfrei.“

Hinter der Fackel stand ein wirklich übermäßig hoher Baum. Seine Äste schienen gestutzt und standen in Abständen von etwa einem halben Meter ein wenig hervor. Darüber aufgehängt war eine Strickleiter, die nach oben ins ungewisse Dunkel führte. Ich kombinierte: „Das muss diese Kraft-Sache sein, von der die Hammerschmid gesprochen hat. Fünfzehn Meter auf einer Strickleiter hochklettern… Die macht doch wohl Scherze, das schaff ich doch im Schlaf!“

Ohne Mareks Reaktion abzuwarten ging ich auf den Baum zu und nahm die Strickleiter in die Hände. „Kimmy, sei bitte vorsichtig…“, meinte Marek. „Ja, ist ja gut. Ich bin kein kleines Kind…“ Ich machte mich an den Aufstieg. Die Leiter war nirgendwo befestigt, sodass sie schnell begann, hin und her zu schwingen, doch genauso schnell fand ich die richtige Taktik und setzte meine Füße so, dass ich mich mit den Zehen durch die Leitersprossen am Baumstamm abdrücken konnte.

Allerdings musste ich relativ schnell einsehen, dass es sehr leichtsinnig gewesen war, den Aufstieg so überstürzt zu beginnen. Als ich etwa in zehn Metern Höhe war, hörte ich ein merkwürdiges Geräusch und im nächsten Moment spürte ich, wie mir die Leiter entglitt und ich fiel. Ich schrie auf und meine Hände griffen instinktiv nach dem nächstbesten gestutzten Ast, was jedoch meine ohnehin schon verletzten Handflächen schwer beleidigte.

Mein Herz schlug wie wild, als ich hinunter sah, wo die abgerissene Strickleiter vor Mareks Füßen lag und mir klar wurde, dass mir meine Reaktion soeben den Hals gerettet hatte. Allerdings ließ sich nicht leugnen, dass es eine verzwickte Situation war, in acht Metern Höhe an einem Ast festzuhängen.

„Kimmy!“, rief Marek. „Geht’s dir gut?“ „Bestens!“, gab ich zurück. „Ich häng hier nur ein bisschen rum. Frag nicht so blöd, hol mich hier runter!“ „Lass los!“ „Spinnst du??“ „Lass den verdammten Ast los, ich fang dich!“ „Das sind mindestens acht Meter, du Wahnsinniger!“ „Weiß ich, jetzt vertrau mir und lass los!“ „Dir vertrauen? Wovon träumst du denn nachts?“ „Du hast keine andere Wahl!“

Auch wenn ich es ungern zugab – er hatte Recht. Ich konnte mich nicht mehr lange halten und einen anderen Ausweg gab es nicht. „Na gut, ich lass jetzt los… Aber wenn ich dabei draufgeh, bring ich dich um!“ Ich schloss die Augen und löste meinen Griff. Einige Augenblicke lang fühlte ich den freien Fall und bereitete mich auf den schmerzhaften Aufprall am harten Waldboden vor – doch der blieb aus. Ich fiel direkt in Mareks Arme, der sich nicht einmal anzustrengen schien, mich zu fangen.

Ich konnte es kaum glauben, dass dieser Plan funktioniert hatte. „Wie hast du das jetzt wieder gemacht…?“, meinte ich mit zitternder Stimme. Er zwinkerte nur. „Ich hab ja gesagt, vertrau mir.“ Er ließ mich sanft zu Boden und begutachtete dann die Leiter. „Jemand hat die Seile angeschnitten… Sieht verdammt nach Marco aus.“ „Dann können wir uns den Stein wohl abschminken.“, seufzte ich.

Marek grinste mich an. „Du gibst doch sonst nicht so schnell auf, was ist los mit dir?“ „Tut mir sehr leid.“, gab ich gereizt zurück. „Ich hab leider in der letzten Flugstunde gefehlt. Falls du’s verpasst hast – der verdammte Stein ist in fünfzehn Metern Höhe und die Strickleiter ist hinüber…“ „Hast du der Hammerschmid denn nicht zugehört? Kraft!“ „Was Kraft?“ Er lachte, zog seine Lederjacke aus und drückte sie mir in die Hand. „Halt die!“

Dann ging er auf den Baum zu, sprang vom Boden ab und ergriff den untersten Ast. Geschickt zog er sich hoch, bis der nächste Ast in Reichweite war und so hantelte er sich immer höher. Zuerst bezweifelte ich, dass er weit kommen würde. Nur mit den Armen hochziehen war verdammt anstrengend und forderte viel Kraft und die meisten Jungs, die ich kannte, waren nach spätestens zehn solcher Klimmzüge erledigt, doch Marek schien tapfer durchzuhalten und nach einigen Minuten war er so hoch, dass ich ihn in der Dunkelheit nicht mehr sehen konnte.

Ich wartete ungeduldig und nach einiger Zeit landete Marek wieder katzengleich neben mir auf der Erde – breit grinsend und einen sonnengelben Stein in der ausgestreckten Hand. Sein Shirt war durchgeschwitzt, doch ansonsten zeigte er keine Zeichen von Anstrengung. „Das war beeindruckend.“, gab ich zu. „Danke schön.“ Er packte den Stein zu den anderen beiden und wir verließen die Station und machten uns wieder auf den Weg ins Dunkel.

„Sag mal“, durchbrach ich die Stille. „findest du es nicht merkwürdig, dass wir schon drei von fünf Steinen haben und noch keinem anderen Team begegnet sind?“ Marek lachte. „Nein, ganz und gar nicht. Wenn Marco hier auf seine unfaire Art Jagd nach Steinen macht, würde es mich wundern, wenn außer ihm, Flo, Luca, Stefan und uns noch irgendein anderes Team im Rennen ist.“

„Aber dann müssten sie doch schon längst alle Steine haben… Wenn sie sechs andere Teams abgefangen haben, reicht das doch locker aus.“ „Nein… In der Box bei dem Rätsel mit den zwei Brüdern waren noch alle Steine drin, also hat außer uns noch niemand diese Aufgabe gelöst und bei dem Baum eben haben nur zwei Steine gefehlt – einer für Marco und Flo und einer für Luca und Stefan. Danach haben die Feiglinge das Seil gekappt.“ „Aber wenn das stimmt ist dir doch klar, dass die vier vermutlich gerade Jagd auf uns machen?“ Er grinste. „Das hoff ich doch stark – alles andere würde mich schwer enttäuschen.“

Wir gingen weiter, immer tiefer in den Wald und nach einer gefühlten halben Stunde trafen wir endlich auf die vierte Station. Vor uns stand wieder eine Fackel. Dahinter an einem Baumstamm befestigt ein Tablet-PC und hinter dem Baum eine scheinbar endlose Schlucht, die sich in der Dunkelheit verlor. Wir traten näher – unter dem Tablet hing eine Nachricht: „Jetzt ist euer Teamgeist und eure Intelligenz gefordert – vor euch seht ihr eine scheinbar unüberwindbare Schlucht. Über diese Schlucht führen unsichtbare Felder, die nur dann aktiviert werden, wenn ihr alle fünf Fragen richtig beantwortet – aber seid gewarnt: Nach jeder Frage verschwinden die Felder wieder und ihr müsst euch darauf verlassen, dass euer Partner euch sicher durch die Dunkelheit bringt – arbeitet also gut zusammen! Am anderen Ende der Schlucht findet ihr, was ihr sucht.“

Marek und ich sahen uns an. „Hast du Angst?“, meinte er. „Quatsch – ich werde gehen, du bedienst das blöde Tablet.“ „Na gut, dann mal los.“ Ich stellte mich an den Rand der Schlucht und wartete, dass Marek die erste Frage vorlas.

„1. Wie lange dauerte der hundertjährige Krieg?“ Er hielt kurz inne. „Ist doch simpel – 100 Jahre natürlich…“ „NEIN!“, unterbrach ich ihn. „Das ist ein Trick. Ich bin zwar super mies in Geschichte, aber das hab ich mal gehört. Der hundertjährige Krieg dauerte 116 Jahre.“ Marek sah mich verwirrt an. „Bist du dir sicher?“ „Ja, ganz sicher!“ „Na gut…“

Er gab meine Antwort ins Tablet ein und plötzlich erschienen über dem dunklen Abgrund fünf blau leuchtende Felder. Ich setzte vorsichtig einen Fuß auf das erste Feld und stellte fest, dass es tatsächlich stabil war. Nach und nach folgte ich den fünf Feldern und als ich am letzten angekommen war rief ich Marek zu: „Bin soweit, nächste Frage!“ Augenblicklich verschwanden die blauen Felder wieder und ich stand nun absolut im Dunkel, mitten über dem schwarzen Abgrund. „Was zum…?“ „Die Nachricht hat doch gesagt, die Felder verschwinden wieder.“, meinte Marek.

„Ja schon, aber das heißt ja scheinbar, wenn wir nicht alle Fragen richtig beantworten, sitz ich hier fest – ohne die beleuchteten Felder find ich hier nie wieder zurück!“ „Ja, das heißt es scheinbar… Keine Angst, wir schaffen das schon, bleib einfach ruhig.“ „Ruhig bleiben? Du sagst das so leicht, du stehst ja auch nicht da!“ „Ich hab dich ja gefragt, du wolltest doch unbedingt gehen!“ „Ja ist ja schon gut, jetzt mach schon weiter!“ „Also gut: 2. Zwei Väter und zwei Söhne gehen über eine Wiese. Plötzlich finden sie drei Äpfel. Wie können sie diese aufteilen, damit jeder gleich viel bekommt? Naja… warte… drei durch vier… drei Viertel…“ „Wieder falsch!“, unterbrach ich ihn. „Diese Fragen haben nichts mit Wissen zu tun – das sind alles Rätsel! Jeder bekommt genau einen Apfel – es sind nur drei Männer!“

„Aber hier steht zwei Väter und zwei Söhne.“ „Ja… wenn ein Junge mit seinem Vater und seinem Opa spazieren geht ist sein Vater natürlich ein Vater und der Opa der Vater von seinem Vater. Andersrum ist der Vater vom Kleinen der Sohn vom Opa und der Kleine der Sohn seines Vaters.“ Marek ließ sich meine Worte kurz durch den Kopf gehen. „Bist du hochbegabt, oder was?“ „Schwachsinn. Ich mag nur Rätsel recht gerne, und die meisten davon kenne ich eben schon… Ich bin doch beim ersten Mal genauso drauf reingefallen.“ „Also gut, wieder ein Stein, den du uns holst…“

Er gab die Antwort ein und wieder erschienen fünf blaue Felder, denen ich folgte. Auf mein Zeichen ließ er die nächste Frage stellen. „3. Wie viele Tiere nahm Moses mit auf die Arche? Verdammt, Religion, ich bin so gar nicht gläubig…“ „Ich auch nicht, aber ich hab’s dir schon mal erklärt: Das sind keine Wissensfragen, sondern Rätsel. Auf der Arche waren zwei Tiere von jeder Gattung, aber die Arche erbaute Noah und nicht Moses, also ist die Antwort ‚Null‘.“ Marek schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Da hätt ich auch drauf kommen können…“ Ich folgte den blauen Feldern, ehe sie wieder verschwanden und Marek die nächste Frage stellte: „4. Wie viele Steine passen in ein leeres Glas, wenn das Glas drei Liter fasst und ein Stein ein Volumen von 0,4m3 hat? Auch ein Rätsel nehm ich an und keine Mathe-Aufgabe?“

„Richtig… Logischerweise ein Stein, danach ist das Glas nämlich nicht mehr leer und somit passt danach kein einziger Stein mehr in das leere Glas.“ Marek schüttelte den Kopf und flüsterte: „Genial…“, während er die Lösung eintippte und mich meine fünf Schritte gehen ließ. „Das sind alles klassische Rätsel…“, meinte ich. „Würd mich nicht wundern, wenn das letzte das Bauern-Rätsel ist…“

„Kannst du hellsehen?“, meinte Marek verwirrt. „Wieso? Hab ich Recht?“ „5. Ein Bauer steht vor folgendem Problem: Er muss mit seinem Boot eine Ziege, einen Wolf und einen Kohlkopf ans andere Ufer eines Flusses transportieren. Dummerweise passt immer nur eines dieser Dinge mit ihm in das Boot. Wenn er Ziege und Kohlkopf allein lässt, frisst die Ziege den Kohlkopf. Lässt er Ziege und Wolf alleine, frisst der Wolf die Ziege.“

Ich lachte. „Das war so klar.“ „Ist die Lösung, dass er den Kohlkopf auf den Schoß nimmt?“, riet Marek. „Nein, das wäre schummeln… Es ist eigentlich ganz simpel: Er nimmt zuerst die Ziege ans andere Ufer – Wolf und Kohlkopf tun sich ja nichts. Dann fährt er zurück und holt den Kohlkopf, bringt ihn zur Ziege, nimmt die Ziege wieder mit zurück zum Wolf, schnappt sich den Wolf, lässt die Ziege allein und bringt den Wolf zum Kohlkopf. Dann muss er nur noch einmal zurückfahren um die Ziege abzuholen und fertig.“

„So simpel und doch kommt man nicht drauf… Kein Wunder, dass Marco an solchen Dingen kläglich scheitert…“ „Du wärst auch an der ersten Frage gescheitert.“, gab ich zurück. „Ja, ist schon gut… Jetzt mach endlich die letzten Schritte und hol den blöden Stein, damit wir weitergehen können.“

Ich folgte den soeben erschienenen blauen Feldern und betrat wieder festen Boden. Erleichtert knipste ich die Taschenlampe an und fand eine Kiste auf dem Boden vor, neben der sich ein Schalter im Boden befand. Ich öffnete die Kiste und fand neun tiefblaue Steine darin. Scheinbar waren wir auch hier die ersten, die das Rätsel gelöst hatten. Nachdem ich mir einen der Steine geschnappt hatte, betätigte ich den Schalter und alle blauen Felder leuchteten wieder wegweisend auf, sodass ich den Weg zurück ganz leicht fand.

Ich gab Marek den Stein, der ihn sicher verwahrte und ehe wir uns erneut in die Dunkelheit des Waldes aufmachten, deaktivierte Marek die Felder mithilfe des Tablets wieder.

„Perfekt!“, meinte ich glücklich. „Jetzt fehlt nur noch ein Stein und dann können wir endlich raus aus diesem Wald. Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir Marco nicht in die Arme laufen…“ Marek schwieg und nickte.

Wir irrten wieder eine Weile planlos durch den Wald und irgendetwas kam mir werkwürdig vor. Es war komplett still. Keine Stimmen von anderen Gruppen, keine Lichter, keine Schritte. Scheinbar waren wirklich nur noch wir drei Teams im Spiel. „Vorsicht!“, rief Marek urplötzlich und packte mich hart am Arm. „Was soll das?“, meinte ich verärgert und als ich seinem Blick folgte, entdeckte ich eine gespannte Schnur zwischen zwei Bäumen. „Eine Stolperfalle…“ „Ja, vermutlich führt die Schnur irgendwo hin, wo einer von diesen Feiglingen lauert und auf das Ziehen an der Schnur reagieren würde.“

„Gar nicht so blöd, wie sie aussehen…“ „Komm, weiter! Und schau auf den Boden!“ Nun noch vorsichtiger als bisher setzten wir unsere Schritte und endlich konnten wir zwischen den Bäumen den altbekannten Schein einer Fackel erkennen. Vorsichtig näherten wir uns und als wir die Lichtung betraten, fanden wir außer der Fackel nur eine ungeschützte Box offen auf dem Boden stehen – in ihr lagen sieben violette Glassteine. Marek und ich sahen uns an.

„Das ist zu einfach…“, meinte er. „Das ist eine Falle…“ Gerade als wir herumwirbelten und uns Rücken an Rücken gestellt hatten, kamen vier Schatten aus der Dunkelheit um uns und nahmen Gestalt an: Marco, Flo, Luca und Stefan. Sie lachten. „Das letzte Team, das außer uns noch im Rennen ist. Was für ein außerordentliches Vergnügen.“, lachte Marco. „Diese Stationen sind ein Witz! Wir haben sechs Teams ausgeschaltet und keines von ihnen hatte mehr als einen Stein bei sich! Wie viele habt ihr?“ „Noch gar keinen.“, log ich. „Also könnt ihr uns einfach einen von denen hier geben und wir sind auch schon wieder weg.“

„Wir haben vier.“, meinte Marek. Ich sah ihn wütend an. Marcos Mine erstarrte. „Du lügst doch!“ „Wenn du das sagst… Aber sag mal… Was war an dieser Station geplant? Was war die Aufgabe? Diese Kiste wird hier wohl kaum ungeschützt offen herumgestanden sein.“ Marco lachte. „Es galt, einen Wächter zu besiegen – das war einfach. Als wir mit ihm fertig waren, ist der Feigling abgehauen und wir haben unseren Köder ausgelegt. Wenn ihr wirklich vier Steine habt, ist hier Endstation.“ Die vier lachten.

„Her mit den Steinen und wir lassen euch ausnahmsweise laufen.“ Marek lachte. „Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass wir euch die Steine geben, für die wir so hart gearbeitet haben?“ Die vier zogen den Kreis um uns enger.

„Hast du einen Plan?“, flüsterte ich Marek zu. „Nein…“ „Toll…“ Ohne Vorwarnung packte mich Flo plötzlich am Arm, zog mich an sich und hielt mir von hinten ein Klappmesser an den Hals.

Heiße Angst stieg in mir auf und ich war wie versteinert. Marco lachte. „Noch mal, Kleiner, gib uns die Steine, oder das Mädchen ist fällig.“ Marek sah mich an. „Gib sie ihm ja nicht, der blufft doch nur!“, rief ich ihm zu. Er schien fieberhaft zu überlegen, dann meinte er: „Also gut, ihr habt gewonnen…“ „NEIN!“, schrie ich, was sofort von Flo bestraft wurde, der seinen Griff um meinen Hals enger zog und mir die Luft abschnitt, ehe er mir „Ruhe!“ ins Ohr zischte.

Marek wandte sich an Marco. „Aber bitte, lass mich einen der violetten Steine für einen Moment in die Hand nehmen – wir haben so viele Mühen auf uns genommen, um die anderen vier zu bekommen, da möchte ich sie nur einmal kurz gemeinsam in der Hand halten.“ Marco lachte. „Na gut, nimm dir deine paar Sekunden Sentimentalität, bevor es vorbei ist.“

Marek warf mir einen kurzen Blick zu und plötzlich begriff ich, was er vorhatte. Er nahm unter Marcos Blick einen der violetten Steine und leerte anschließend den Inhalt aus dem Beutel ebenfalls in seine Hand. Wie die fünf Steine da im Schein der Fackel funkelten und blitzten fing ich seinen Blick auf und reagierte sofort. Mein Fuß kickte rücklings nach oben und traf Flo genau zwischen den Beinen.

Dieser zog aus Reflex seinen Griff fester, wobei er mich mit dem Messer an der Schulter erwischte, ehe er in die Knie ging. Den Überraschungsmoment ausnutzend packte mich Marek am Handgelenk und wir liefen los. So schnell wir konnten hetzten wir durchs Unterholz und der Schein von Mareks Taschenlampe erleuchtete unseren Weg. Ich spürte ein Stechen in der Seite, doch ich wusste, dass ich nicht stehen bleiben durfte und nach kurzer Zeit tauchte vor uns das rettende Flackern des Lagerfeuers vor der Hütte auf.

Wir brachen keuchend aus dem Unterholz hervor auf die Lichtung und ich fiel auf die Knie und wandte den Kopf Richtung Wald. Von Marco war weit und breit nichts zu sehen.

Vor uns stand Professor Hammerschmid und sah uns fragend an. Ohne ein Wort reichte ihr Marek die fünf Steine. Sie war hell erfreut, laberte irgendwas von wegen „Stolz auf unsere Intelligenz und unseren Zusammenhalt“ und Marek würgte sie mit den Worten „Jaja, schon gut, wir gehen jetzt ins Bett – wir sind todmüde.“ ab.

Er nahm meine Hand und half mir auf und wir beeilten uns, in die Hütte zu kommen. Wortlos eilten wir die Treppen hinauf und als wir im dritten Stock angekommen waren und ich nur noch in mein Bett gehen wollte, packte mich Marek sanft am Handgelenk und zog mich mit sich in sein Zimmer. Ich wollte widersprechen, doch es ging zu schnell und der Schock saß noch immer tief. Marek schloss die Tür hinter uns.

„Zieh den Pulli und das Shirt aus!“, meinte er. Ich sah ihn an. „Spinnst du jetzt?“ „Mach schon, ich will sehen, ob du verletzt bist.“ Mir fiel auf, dass ich, seit wir vor Marco geflohen waren, die Hand fest auf die Schulter gepresst hatte, wodurch Marek die Wunde gar nicht auffallen konnte. „Lass mich in Ruhe, mir geht’s gut.“, meinte ich und drängte mich an ihm vorbei zur Tür, doch seine Hand legte sich blitzschnell auf das dunkle Holz und hielt sie zu.

„Lass mich raus!“, meinte ich. Er sah mich entschieden an. „Nein! Zieh dein Shirt aus und ich lass dich vielleicht gehen.“ Ich funkelte ihn wütend an. „Ich diskutier nicht mit dir – wenn du heute Nacht noch schlafen willst, musst du mich wohl oder übel vorbei lassen, sonst beweg ich mich hier nicht von der Stelle.“ Er kam auf mich zu und in seinen Augen erkannte ich Wut.

„Zieh das Shirt aus!“ Er kam bedrohlich näher und diesmal war ich sicher – seine Augen hatten die Farbe geändert, und zwar auf Gelb. Gelbe, katzengleiche Augen funkelten mich drohend an und ich wich zurück. „Was zum…?“ „Bring mich nicht dazu, dich zu zwingen!“, knurrte er.

Ich schluckte. Sein Blick wirkte so fremd und bedrohlich, dass ich Angst vor ihm hatte, die ich mir aber nicht anmerken ließ. „Ist ja gut, du hast gewonnen…“, meinte ich leise und augenblicklich wurden seine Augen wieder tiefblau. Ich zog den Pulli und das Shirt aus und Mareks Blick wanderte über meinen blau-violetten Rücken und die blutigen Handflächen und blieb an der Schnittwunde an meiner Schulter hängen. „Dieser verdammte Penner!“, knurrte er. „Das wird ihm noch leidtun.“ „Forderung erfüllt!“, meinte ich wütend und griff wieder nach meinem Shirt. „Jetzt mach die Tür auf!“ Marek musterte mich. „Nein.“

„Was heißt hier nein, du hast gesagt du lässt mich gehen!“ „Falsch, ich hab gesagt ich lass dich vielleicht gehen.“ „Du verdammter Lügner!“ „Ich hab nicht gelogen. Das ist zu deiner eigenen Sicherheit. Leg dich hin, du schläfst heute hier.“

„Du bist ja nicht ganz dicht, du kannst mich hier nicht festhalten!“ „Ach nein?“, er grinste. Ohne Vorwarnung stieß er mich aufs Bett, legte sich neben mich und nahm mich so fest in den Arm, dass ich keine Chance hatte, zu entkommen. Jeder Befreiungsversuch tat weh und strengte jede ohnehin schon überstrapazierte Faser meines Körpers schmerzhaft an und es dauerte keine zwei Minuten, ehe ich vor Erschöpfung in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

JAGD NACH DEN DRACHENMEDAILLONS

Подняться наверх