Читать книгу JAGD NACH DEN DRACHENMEDAILLONS - Barbara Muschl - Страница 4
– KAPITEL 3: ÜBERLEBENSPARCOURS –
ОглавлениеAls ich erwachte, hielt ich die Augen fest geschlossen. Mein Körper fühlte sich an wie nach einem tagelangen Marathon, jede Zelle schien erschöpft und es war einfach traumhaft, nur dazuliegen und die warme Morgensonne, die durchs Fenster hereinschien, auf der Haut zu spüren. Ich hörte ein Klopfen an der Tür, doch ignorierte es. Es konnte nicht wichtig sein. Das Klopfen wiederholte sich und ich hörte eine Stimme neben meinem Kopf, die leise antwortete: „Ja?“
Eine Stimme neben meinem Kopf? Musste Einbildung gewesen sein… Moment mal, was war eigentlich passiert? Wieso tat mir alles so weh? Ich erinnerte mich an einen merkwürdigen Traum, in dem Marek vorgekommen war. Er hatte in dem Traum gelbe Augen gehabt und mich in seinem Zimmer eingesperrt… Gelbe Augen… Merkwürdig, was sich mein Kopf manchmal einbildete… Ich hörte, wie sich eine Tür öffnete und dann vernahm ich Mädchenschreie. Was war denn jetzt los?
Ich zwang mich, die Augen zu öffnen. Ich lag seitlich im Bett, nur in Jeans und BH, mein Shirt und der blutverschmierte Pulli auf dem Boden. Hinter mir lag Marek, ebenfalls in Jeans und ohne T-Shirt, einen Arm unter meinem Kopfpolster, den anderen um meine Taille gelegt. In der offenen Tür standen die fünf Schnatterzicken, die so verrückt nach Marek waren und langsam begann mein Hirn zu arbeiten und zu verstehen.
Es war kein Traum gewesen. Nichts davon – außer den gelben Augen, die waren bestimmt Einbildung gewesen. Der Schmerz nahm klare Linien an – in meinem Rücken und meiner Schulter. Ich wollte mich aufsetzen, doch Mareks entschlossener Griff hielt mich zurück. „Was soll das?“, meinte er wütend zu den Mädchen. „Wieso kommt ihr hier rein und weckt mich?“ „Naja… Du warst nicht beim Frühstück und in einer Stunde gibt es Mittagessen und da sollen wir alle auftauchen, weil die Hammerschmid was sagen will…“ Fünf Augenpaare funkelten mich von der Tür her wütend an und wenn Blicke töten könnten, wäre ich spätestens jetzt erledigt gewesen.
„Lass mich los!“, forderte ich. „Wie spät ist es?“, meinte Marek. „Halb zwölf.“, antwortete eines der Mädchen. „Danke für die Info – und jetzt raus hier und macht die Tür zu!“ Die fünf warfen mir noch einen letzten, hasserfüllten Blick zu und verschwanden. Wieder versuchte ich, mich aufzusetzen, doch Marek hielt mich noch immer fest. „Lass mich endlich los!“, zischte ich. Er lachte. „Na gut.“ Sein Griff lockerte sich und ich stand sofort auf, schnappte meine Kleidungsstücke vom Boden und verließ Mareks Zimmer.
Kaum auf dem Gang fingen mich die fünf Mädchen ab und versperrten mir den Weg. „Was läuft da zwischen euch?“ „Lass gefälligst die Finger von ihm, er gehört uns!“ „Ja, wenn du ihn noch einmal anfasst, bekommst du Probleme!“ Ich lachte. „Die hab ich schon längst. Eigentlich geht es euch nichts an, aber zwischen uns ist rein gar nichts und er ist derjenige, der mich heute Nacht wie eine Gefangene festgehalten hat. Von mir aus könnt ihr ihn gerne haben.“
Amüsiert über ihre dämlichen Gesichter drängte ich mich an ihnen vorbei und ging in mein Zimmer. Dort angekommen prüfte ich mich im Ganzkörperspiegel der Dusche. Mein Rücken hatte sich nun von blau-violett auf einen schwarzen Unterton verfärbt und mir fiel auf, dass meine Schulter verbunden war. Marek musste sie letzte Nacht, als ich geschlafen hatte, verarztet haben. Auch meine Hände waren einbandagiert. Ich kramte mir ein neues Shirt aus der Sporttasche und zog es an. Die dreckigen Klamotten pfefferte ich wieder in den Schrank.
Wir waren noch nicht einmal 24 Stunden hier und schon hatten sich eine blutige, erdverschmierte Jeans, ein blutiges Shirt und ein blutiger Pulli angesammelt. Kein guter Schnitt, was meine Gesundheit betraf.
Ich holte Zähneputzen und Waschen vom Vorabend nach und ging anschließend gedankenversunken hinunter zum Mittagessen. Ich war die Erste und nahm mir wieder meinen Platz in der Ecke. Nach und nach füllte sich der Saal und als Marco in Begleitung seiner Jungs hereinkam – Flo wirkte ein wenig blass – war Professor Hammerschmid bereits anwesend, sodass sie nicht mehr tun konnten, als mir drohende Blicke zuzuwerfen und mit den Fingerknöcheln zu knacksen. Schließlich tauchte auch Marek auf – wie gewohnt in Begleitung seines Fanklubs. Er trug an diesem Tag wie üblich eine Jeans und darüber wie schon am ersten Tag ein schwarzes Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, zwei Knöpfe offen und dazu eine Kette, an der ein schwarzer Drachenanhänger glänzte.
Marek steuerte zielstrebig auf mich zu und setzte sich. „Wie fühlst du dich?“, meinte er fürsorglich. „Verprügelt und eingesperrt.“, gab ich bissig zurück. „Aber danke für den Verband…“ Er nickte und schenkte mir ein Lächeln. Nach dem Mittags-Buffet ergriff wieder Professor Hammerschmid das Wort.
„Ich hoffe, ihr seid alle gut ausgeruht und fit“ – ich hustete leise – „denn heute steht euch eine schwierige Aufgabe bevor. Ihr werdet um fünf Uhr in einen Bus steigen, der euch an einem Ort zwei Tagesmärsche von hier, aussetzen wird. Ihr bildet dieselben Zweierteams wie gestern. Ihr dürft nichts mitnehmen. Alles was euch zusteht, ist ein Rucksack pro Team, den ihr von mir bekommt. In jedem Rucksack werdet ihr für jeden gestern gesammelten Stein einen hilfreichen Gegenstand vorfinden – da aber nur ein Team alle fünf Steine gesammelt hat, gibt es auch nur einen vollständig ausgerüsteten Rucksack.
Die Aufgabe ist einfach: Findet den Weg zurück zur Hütte. Kämpft euch durch die Wildnis und stellt eure Instinkte und Fähigkeiten unter Beweis.“
Ich sah Marek an. „Ich soll zwei Tage mit dir durch die Wildnis irren? Das kann nicht ihr Ernst sein!“ Marek lachte. „Klingt doch nach Spaß, wir sind doch ein gutes Team.“ Die Mädchen wirkten alles andere als begeistert. Frau Hammerschmid ergriff noch einmal das Wort: „Natürlich dürft ihr euch gegenseitig helfen oder euch das Leben schwer machen. Es ist alles erlaubt.“
Mein Blick fiel auf Marco, der einen Blick aufgesetzt hatte, der nichts Gutes verhieß. In ihm spiegelte sich pure Rachelust.
„Wir sind tot.“, seufzte ich. Mareks Blick war entschlossen und er wirkte kampfbereit und irgendwie voller Vorfreude. „Die perfekte Gelegenheit, ihnen heimzuzahlen, was sie letzte Nacht getan haben.“ „Du bist verrückt…“ „Du bist ja so mutig!“, seufzte eines der Mädchen. „Und so stark!“, pflichtete ihre Freundin ihr bei. „Und zeitweise unausstehlich.“, fügte ich hinzu und erntete böse Blicke von den Mädchen und ein Lachen von Marek.
Nach dem Essen ging ich zurück auf mein Zimmer und schloss die Tür ab. Ich hatte nun zweieinhalb Stunden Zeit, mich so gut es ging auf den Ausflug vorzubereiten. Zuerst nahm ich Mareks Verbände ab und ging duschen – wenn ich schon die nächsten zwei Tage kein Warmwasser sehen würde…
Anschließend räumte ich den Inhalt meiner Sporttasche aufs Bett und überlegte fieberhaft. Wir durften zwar nichts mitnehmen, aber Gewand war ja nicht verboten. Da ich keine Ahnung hatte, wie kalt die Nächte werden würden und was uns sonst so bevorstand, zog ich über mein Shirt einen Pulli und darüber die Jacke. Die Sneakers ließ ich am Zimmer und entschied mich für meine Raulederstiefel. Taschenmesser und Taschenlampe mussten hier bleiben…
Ich sah auf die Uhr – halb fünf. Ich seufzte und verließ das Zimmer. Auf dem Gang traf ich auf die fünf Mädels, die Marek soeben an seiner Zimmertür abgepasst hatten. „Wirst du uns beschützen?“, schnappte ich auf. „Ja, vor wilden Tieren und vor Marco!“ „Wir können doch zusammen gehen.“ Marek fing meinen Blick auf und ich wandte mich sofort ab und ging.
Er erschien sofort an meiner Seite. „Also was sagst du dazu?“, säuselten die Mädchen. „Bitte!“ Marek seufzte. „Wenn ihr mithalten könnt, könnt ihr uns begleiten. Aber erwartet keine Hilfe oder Unterstützung.“ Die Mädchen – wieder allesamt in High Heels und Miniröcken – ließen sich ein Stück zurückfallen. „Habt ihr das gehört, er hat gesagt er beschützt mich!“ „Unsinn, er beschützt mich!“ Ich verdrehte die Augen – das waren ja heitere Aussichten.
Wir stiegen in den Bus und nach einigen Stunden Fahrt waren wir scheinbar am Ziel angekommen. Der Bus hielt mitten in der Einöde auf einer kleinen Waldlichtung. Frau Hammerschmid ging durch den Gang und verteilte Rucksäcke. „Also, der Gegenstand, den ihr alle erhalten habt, weil jeder von euch einen Stein hatte, ist ein Kompass. Um zur Hütte zu gelangen müsst ihr Richtung Osten gehen. Mehr habe ich euch nicht zu sagen. Viel Glück.“ Wir nahmen unseren Rucksack entgegen und stiegen als erste aus dem Bus – Mareks Schnatterzicken im Schlepptau.
„Es ist schon spät.“, meinte ich. „Wir sollten uns einen geeigneten Lagerplatz suchen und morgen Früh aufbrechen.“ Marek nickte. „Guter Plan. Er zog den Kompass aus dem Rucksack und warf einen Blick darauf. „Am besten dort irgendwo.“ „Aber dort ist Westen!“, protestierte eines der Mädchen. „Du musst ja nicht mitkommen!“, fauchte ich sie an.
Mir war durchaus klar, warum Marek in die entgegengesetzte Richtung wollte – alle anderen würden sofort Richtung Osten losziehen. Wenn wir Marco also ausweichen wollten war es klug, die erste Nacht weit weg von ihm zu verbringen und am nächsten Morgen frisch ausgeruht durchzustarten.
Nach einer halben Stunde Fußmarsch mit den Mädels im Schlepptau, die darüber jammerten, dass ihnen die Füße weh taten, erreichten wir endlich eine kleine Lichtung. „Ich such Holz für’s Feuer – check du mal den Rucksack.“, meinte Marek.
Ich legte den Rucksack neben mir auf den Boden und grub mit den Händen ein Loch in die Erde. Drum herum legte ich Steine und als Marek zurückkam ließ er das Holz in die kleine Grube fallen und meinte: „Und? Was haben wir?“ Da wir keine Taschenlampe mitnehmen hatten dürfen, saßen wir nun in absoluter Dunkelheit. Im Schein des Mondlichts hatte ich unsere fünf Gegenstände ausgemacht. „Also wir haben den Kompass, ein Taschenmesser, eine Decke, eine Feldflasche und ein Seil.“ „Hm… nicht schlecht.“ „Wir haben nur einen Kompass…“, meinte eines der Mädchen weinerlich. „Und es ist kalt…“, fügte eine andere hinzu.
Ich wandte mich Marek zu. „Das mit dem Holz ist ja schön und gut, aber wie machen wir Feuer?“ Er lachte und zeigte mir zwei Steine. „Hab ich gefunden.“ Er schlug sie ein paar Mal gegeneinander und schließlich sprang tatsächlich ein Funken über und entfachte allmählich ein Feuer. „Beeindruckend, muss ich zugeben.“, meinte ich.
Er lächelte mir zu. „Mit Essen ist heute nichts mehr.“, meinte er. „Ich hab eh keinen Hunger.“, gab ich zurück, doch Mareks nervender Fanklub verlangte nach Essen. „Ich hab euch gesagt, erwartet keine Hilfe!“, meinte Marek. „Jetzt haltet die Klappe, wir wollen schlafen.“
Das hatte gesessen und sofort kehrte Ruhe ein. Ich machte es mir neben dem Feuer so gut es ging auf dem harten, kalten Boden bequem und schlief sofort ein.
Als ich am nächsten Morgen erwachte tat mir alles noch mehr weh von dem harten Untergrund. Scheinbar hatte Marek mir in der Nacht die Decke übergeworfen. Er selbst lag auf dem Rücken mit dem Kopf auf einem Baumstamm und sein Fanklub hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn als Kopfpolster zu missbrauchen – sie lagen alle fünf mit dem Kopf auf seinem Oberkörper und schliefen tief.
Ich raffte mich hoch. Das Feuer war fast ausgegangen, doch mein Magen knurrte und so legte ich ein paar Holzscheite nach und verschwand im Wald. Schnell wurde ich fündig – ein Vogelnest. Die Eltern waren gerade nicht da und im Nest befanden sich vier Eier.
Das musste fürs Frühstück reichen. Ich schnappte die Eier und ging zurück zur Lichtung. Marek war bereits wach und als hätte er es geahnt, hatte er einen flachen Stein über dem Feuer auf zwei Äste gestützt, sodass wir die Eier nur noch auf der heißen Steinplatte aufschlagen mussten.
Die fünf Mädchen schliefen noch, als wir die Eier verputzt hatten und so machten wir uns leise ohne sie auf den Weg, wobei wir jedoch so nett waren, ihnen das Feuer brennen zu lassen.
Nun endlich ohne nervigen Anhang machten wir uns auf in Richtung Osten. Wir gingen relativ zügig und nach etwa zwei Stunden kamen wir an eine Klippe. Wir hielten an. „Wenn wir direkt nach Osten wollen, müssen wir da runter.“, meinte Marek. „Oder wir umgehen die Klippe und verlieren einen halben Tag.“ „Na dann – wozu haben wir ein Seil?“, meinte ich.
Der Abhang war gute zwanzig Meter tief, doch unser Seil sollte lang genug sein. Ehe ich es jedoch aus dem Rucksack nehmen konnte, zog mich Marek zu Boden und deutete die Klippe hinunter. Ich sah sofort, was los war. Am Fuß der Steinwand waren Marco, Flo, Luca und Stefan. „Mann, Marco, wir sind die ganze Nacht durchgelaufen, um diese blöde Klippe zu umgehen! Können wir jetzt endlich mal Rast machen?“, flehte Flo.
„Ja, bitte, ich bin fix und fertig!“, jammerte Luca. „Du pass das nächste Mal gefälligst besser auf!“, fauchte Marco Flo an. „Wenn du dich noch einmal von einem Mädchen verprügeln lässt setzt’s was!“ „Aber Marco, ich kann doch nichts dafür – das war total hinterhältig und überraschend!“ „Klappe halten! Also gut, legt euch hin und ruht euch aus!“
Die vier ließen die Rucksäcke fallen und legten sich im Schatten der Klippe schlafen. „Scheiße!“, flüsterte ich. „Was machen wir jetzt? Warten, bis die da wieder abhauen?“ „Quatsch, wir gehen weiter. Aber leise! Komm mit!“ Er führte mich einige Meter weiter entlang des Abhanges. Zwar waren wir immer noch im Blickfeld der Schlägerbande, doch sie schienen alle tief und fest zu schlafen und so befestigte Marek das Seil an einem Baumstamm. „Marek… Wenn wir da runter klettern, müssen wir das Seil zurück lassen…“
„Ich weiß… Aber ich glaube nicht, dass wir es noch mal brauchen werden.“ „Ich hoffe, du hast Recht…“ „Na dann… Ladies first!“, meinte er und deutete auf das Seil. Ich atmete noch einmal tief durch und machte mich dann an den Abstieg. Bemüht leise, und peinlich darauf achtend, dass ich ja keinen Stein lostrat, der die schlafenden Jungs wecken konnte, stieß ich mich immer wieder von der Felswand ab und rutschte stückweise am Seil hinunter.
Als ich endlich unten angekommen war, gab ich Marek ein Zeichen und er folgte mir – ebenso lautlos. Als er endlich neben mir stand, machten wir uns auf den Weg an Marco vorbei und wieder ins Dickicht des Waldes. Plötzlich blieb Marek stehen und drehte um. „Was machst du?“, zischte ich. Marek schlich sich an Marco heran und ich hielt den Atem an, als er die beiden Kompasse aus den Rucksäcken zog. Genauso lautlos wie er sich angeschlichen hatte, kam er wieder zu mir zurück und grinste. „Das ist die Rache für das, was sie dir angetan haben.“ „Sei nicht blöd, gib die zurück – das bringt nur Ärger.“ Er zwinkerte und steckte die Kompasse ein.
Marco gab ein Schnarchen von sich und das war für mich ein Zeichen, schnellstmöglich zu verschwinden. Der Abstieg über die Felswand hatte uns einiges an Zeit gekostet und die Sonne verschwand langsam hinter den Baumwipfeln und warf einen roten Lichtschimmer über die Waldlandschaft. Mein Magen knurrte. Marek sah mich an.
„Du hast Hunger, oder?“ „Klar.“, meinte ich. „Wir sind seit heute Morgen unterwegs und hatten nichts außer zwei Eiern zu essen…“ Marek sah sich um. „Komm mit!“ Ich folgte ihm und nach kurzer Zeit fanden wir eine Höhle. „Da ist es sicherer als im Freien… Vor allem jetzt, wo Marco hier herumläuft.“ Wir brachten den Rucksack in die Höhle und während ich mich um ein Feuer kümmerte, verschwand Marek im Wald.
Nach einiger Zeit kam er zurück. In den Armen trug er vier Fische, die er auf Stöcke gespießt hatte und nun über dem Feuer anbrachte. „Nimm den Rucksack und komm mit – dort drüben ist ein kleiner Fluss. Wir können was trinken und die Flasche auffüllen, während die Fische braten.“
Ich war begeistert – es lief alles einwandfrei. Die Wildnis war für Marek offenbar keine Herausforderung. Ich folgte ihm zum Fluss und stillte meinen Durst. Dann füllten wir die Feldflasche an und kehrten schließlich zur Höhle zurück, wo der Fisch bereits wunderbar duftete.
Als wir aufgegessen hatten, herrschte vor der Höhle schon tiefste Dunkelheit, nur durchschnitten vom silbernen Schein des Vollmonds. Kälte zog in dieser Nacht über das Land und es begann zu regnen. Ich war heilfroh, dass wir die Höhle entdeckt hatten und uns am warmen Feuer wärmen konnten, doch Marek schien besorgt. „Was ist los?“, meinte ich. „Wir sollten das Feuer heute Nacht besser ausmachen…“, meinte er. „Wieso das denn? Es ist irre kalt!“ „Ich weiß, aber die Höhle ist nicht so leicht zu finden und wenn wir kein Licht haben, ist die Chance groß, dass Marco sie nicht entdeckt, während wir schlafen.“
Ich biss mir auf die Lippen. Natürlich hatte er Recht. Also löschten wir das Feuer und rollten uns im hintersten Eck der Höhle zusammen – Marek warf mir die Decke zu. „Nimm sie, dir ist kalt.“ „Dir nicht?“ Er lachte. „Nein, keine Sorge!“ Ich nahm sie dankbar an und da wir den ganzen Tag unterwegs gewesen waren, schlief ich vor Anstrengung auch sofort ein.
Als ich die Augen aufschlug, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte – eine dunkle Gestalt kniete über mir, ihre kalte Hand auf meinen Mund gepresst. Mit seinen Knien hielt der Unbekannte meine Hände an meine Seiten gedrückt und mit der freien Hand ein Messer an meinen Hals. Ich versuchte, zu schreien und mich zu wehren, doch umso mehr ich versuchte, ihm zu entkommen, umso fester wurde sein Griff und als plötzlich der Mond hinter einer Wolke hervorkam und die Höhle in silbernes Licht tauchte, sah ich seine schattenhaften Gesichtszüge – es war Flo.
Mein Herz raste und Flo beugte sich nun mit seinem Gesicht ganz nah zu mir und flüsterte mir ins Ohr: „Endlich hab ich dich… Du wirst bereuen, was du im Wald mit mir gemacht hast. Du hast mich vor meinen Freunden bloßgestellt… Aber genau deswegen bist du etwas ganz Besonderes… Ein Mädchen wie dich findet man nicht an jeder Ecke…“ Ich spürte, wie seine Lippen sanft meinen Hals berührten und vor Wut und Verzweiflung darüber, dass ich absolut machtlos war, lief mir eine Träne über die Wange.
„Hey, Marek!“, durchschnitt eine Stimme die Dunkelheit und im Höhleneingang standen zwei weitere Schatten – es war nicht schwer zu erraten, wer es war. „Diesmal solltest du nichts riskieren. Wenn du dich einen Millimeter bewegst, ist die kleine Kimmy tot.“ Die rechte Gestalt am Eingang – die sich als Marco herausstellte – knipste eine Taschenlampe an und tauchte die Höhle in einen gelben Schein. Marco ging auf unser ausgelöschtes Lagerfeuer zu und entzündete die Holzscheite erneut mit einem Feuerzeug – natürlich hatte er sich nicht an die Regel gehalten, dass man nichts mitnehmen durfte. Marco wandte sich an Flo. „Wir sind nicht zum Knutschen hier, du kannst später noch immer deinen Spaß mit ihr haben, aber zuerst kommen wir zum Geschäftlichen.“
Der flackernde Schein der Flammen tauchte nun die ganze Höhle in ein gelb-rotes Licht. Marek stand wie versteinert in einer Ecke, die Hände zu Fäusten geballt, jeden Muskel angespannt und zitternd vor Wut. Sein Blick huschte zwischen Flo, der immer noch auf mir kniete, und Marco hin und her und nun konnte ich es mir nicht mehr einbilden – seine Augen glühten blutrot.
„Der Trick mit den Augen war beim ersten Mal schon sehr beängstigend.“, meinte Marco zu ihm. „Auch wenn ich keine Ahnung hab, wie du das machst, aber es wird dir diesmal nicht weiterhelfen.“ Deshalb also waren sie auf der Raststation vor ihm geflohen… Flo strich mit dem Messer langsam an meinem Hals entlang und öffnete den Reißverschluss meiner Jacke mit einem widerlichen Grinsen. Marek machte einen drohenden Schritt auf ihn zu, doch Marco pfiff ihn zurück. „Bleib wo du bist! Vergiss nicht, dass ein Wort von mir ausreicht, um die Kleine für immer aus deinem Leben zu streichen.“
Aus Mareks Augen schienen Funken zu sprühen. In seinem Blick lag nichts anderes mehr, als abgrundtiefer Hass und der Wunsch, Marco in tausend Einzelteile zu zerreißen. Luca lachte. Aus Wut biss ich Flo in die Hand. Er schrie auf. „Du kleines Biest!“ „Was ist denn jetzt wieder?“, stöhnte Marco. „Das Miststück hat mich gebissen!“, fluchte Flo. „Dann erteil ihr endlich mal eine Lektion! Muss ich dir jetzt hier erklären, wie man mit Frauen umgeht?“
Ich sah etwa eine Sekunde lang Flos hämisches Grinsen, ehe mich seine Faust hart im Gesicht traf und ich spürte, wie ein warmes Rinnsal an meiner Wange hinunterlief – er hatte mir die Lippe blutig geschlagen. Ich leckte das Blut ab und spuckte ihm ins Gesicht. Er lachte. „Ich liebe diese Frau.“ Marek knurrte drohend, wagte aber nicht, sich zu bewegen.
„Also gut, mein Freund.“, meinte Marco hämisch und nickte Luca zu, der ein Seil aus dem Rucksack zog – zweifellos ein Stück von dem Seil, das wir zurückgelassen hatten – und auf Marek zuging.
„Wenn du Schwierigkeiten machst, legen wir die Kleine um, also bau ja keinen Mist!“, erinnerte Luca. „Und jetzt dreh dich um, Hände an die Wand und Beine auseinander. Marek tat, was Luca ihm befohlen hatte und nachdem er die Durchsuchung seiner Jeans über sich ergehen lassen hatte, ließ er sich von Luca die Hände hinter dem Rücken fesseln. Dann ging Marco auf ihn zu.
„Du hättest dich niemals in unsere Angelegenheiten einmischen sollen!“, fauchte er Marek an. „Jetzt wirst du dafür geradestehen.“ Er holte weit aus und schlug Marek mit voller Wucht ins Gesicht. „NEIN!“, schrie ich verzweifelt. „Lass ihn in Ruhe! Ich bin die, die ihr wollt! Er hat euch nichts getan! Lasst ihn gehen!“ „Flo, stopf deiner Freundin das Maul!“, befahl Marco genervt und Flo hielt mir erneut den Mund zu, nicht ohne mir zuzuflüstern: „Beiß mich noch einmal und mein nächster Schlag trifft deinen Freund da drüben!“ Ich funkelte ihn hasserfüllt an.
Marek schien Marcos Schlag tapfer weggesteckt zu haben – auch wenn er an der Schläfe blutete, stand er noch immer aufrecht und selbstsicher vor Marco und die beiden starrten sich wutentbrannt in die Augen. Marcos nächster Schlag traf ihn direkt in die Magengrube und ließ ihn auf die Knie fallen. Marco, Luca und Flo lachten. Luca fesselte Mareks Füße und band ihn letztendlich sitzend an einer Steinsäule fest.
„Bring die Kleine her!“, befahl Luca und Flo zog mich auf die Beine. Ich wehrte mich mit allen Kräften doch ein weiterer Schlag von Marco in den Magen ließ auch mich einknicken und ich fand mich wenige Augenblicke später ohne Jacke neben Marek an die Steinsäule gefesselt.
„Also gut.“, meinte Marco. „Wir haben unseren Teil der Abmachung erfüllt. Der Chef wird bei Sonnenaufgang am Treffpunkt auftauchen. Bis dahin legt euch hin und ruht euch aus – die beiden da drüben laufen uns ja jetzt nicht mehr weg. Luca lachte und Flo kam grinsend zu mir. Er kniete sich vor mir nieder, packte mich am Kinn und küsste mich auf die Stirn. „Schlaf gut, Süße!“ Dann ging er zu seinen Kumpels, löschte das Feuer und legte sich schlafen.
Ich war so sauer und fühlte mich so wehrlos und schwach, dass ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ich war froh über die Dunkelheit, denn so konnte Marek nicht sehen, dass ich weinte. „Es tut mir unendlich leid!“, hörte ich seine Stimme direkt an meinem Ohr. Unsere Schultern berührten sich und Wärme durchfuhr meinen Körper.
„Was tut dir leid?“, flüsterte ich. „Dass ich nicht gut genug auf dich aufgepasst hab… Das hätte ich nie zulassen dürfen.“ „Red‘ keinen Stuss, du kannst nichts dafür. Es war ein feiger Hinterhalt.“ „Ich hätte damit rechnen müssen.“ „Vergiss es.“ Er nahm meine Hand und erneut durchzog ein Kribbeln meinen Magen.
Er war so tapfer und mutig gewesen und hatte sich so oft zwischen mich und Marco gestellt und mich gerettet und jetzt tat es ihm auch noch leid, dass er es einmal nicht geschafft hatte. Wieder einmal überkam mich die Erschöpfung wie eine Flutwelle und ich war viel zu erledigt, um über Marcos letzte Worte nachzudenken. Mein Kopf sank auf Mareks Schulter und ich schlief ein.