Читать книгу Meine Berliner Jugend - Barbara Schilling - Страница 8

4

Оглавление

Wochen später waren die Wunden verheilt. Hannes war wieder der Alte, nur seine Finger nicht. Mittel-, Ring- und kleiner Finger der linken Hand blieben gekrümmt. Die Sehnen waren so stark verkürzt, dass er die Finger nicht mehr richtig strecken konnte. Das vernarbte Gewebe machte die Haut dort zwar noch weniger flexibler, aber er lernte schnell, dass er mit dieser Hand von nun anders umgehen, greifen und agieren musste. Er trug es mit Fassung, zumindest nach außen hin. Wenn ihn jemand darauf ansprach, scherzte er: »Na, Konzertpianist werde ick wohl nich mehr …«

Helene und Margot hatten zusammen mit den Erwachsenen die letzten Groschen hervorgekramt. Dem Arzt hatten sie einen Korb voll selbst gebackenen Brotes, Rosinenkuchen und Apfelmus als Dankeschön übergeben.

Irma hatte beim Zusammenpacken geschluckt, so sehr war ihr das Wasser im Mund zusammengelaufen. Doch dieses Mal hatte sie entgegen ihrer Neigung keinen einzigen Krümel stibitzt. Im Gegenteil, sie hatte ihre rote Haarschleife abgenommen und sie feierlich um den Henkel des Korbes gebunden, bevor die Kinder gemeinsam Herrn Dr. Busemann besucht hatten.

Es war Samstag. Ein schöner Tag und sie beide wollten noch einmal die weiße Pracht ausnutzen. Hannes wartete schon. Helene holte ihn ab, sie waren zum Eislaufen verabredet. Der Winter hatte die Stadt fest im Griff, die Luft schimmerte, die Umrisse der Häuser und Bäume traten scharf hervor und die Kälte ließ die Augen brennen. Alles war irgendwie … sauber.

Heute war ein guter Tag. Helene hatte die Schwestern zu Hause bei ihrer Mutter lassen können, der es wieder etwas besser ging. Helene hatte sogar wieder die Schule besuchen können. Dort hatte sie sich auch für den Nachmittag mit Hannes verabredet, nur sie beide …

Auf dem Rückweg schlenderten sie durch die Stadt, beobachteten die Herrschaften, die diverse Einkäufe erledigten. Noch immer blühte der Schwarzmarkt und heimlich träumten Hannes und Helene von der dicken Blockschokolade und dem Corned Beef der Alliierten. Die Erinnerung an den Geschmack war aber auch zu schön.

An der Heinestraße legten sie eine kleine Pause ein. Noch etwas ungeschickt holte Hannes mit der verstümmelten Hand ein Päckchen hervor. Zerknittertes Zeitungspapier war um etwas Längliches geschlungen. Behutsam wickelte er es aus und grinste schief, als er Helene eine Hälfte einer Wurststulle hinhielt.

»Nicht schön, aber selten«, sagte er angesichts der etwas lädiert aussehenden Gabe. Helene griff erfreut zu und biss sofort hinein.

»Macht nüscht«, lachte sie. »Hauptsache, es macht Fettflecke.« Sie kauten vergnügt, drängten sich tiefer in den noch immer zerbombten Hauseingang, um Schutz vor dem eisigen Januarwind zu suchen.

Helene wischte sich die Krümel von den Handschuhen und sah tiefer in das dunkle Loch hinein, das einmal der Eingang in ein gar nicht so schäbiges Wohnhaus gewesen war. Einst mit Teppich versehene Stufen führten in den ersten Stock hinauf.

»Das müssen wir uns bei Gelegenheit mal genauer anschauen«, sagte sie.

Hannes nickte eifrig. »Unbedingt, das müssen wir ausbaldowern, aber heut is’ schon zu spät.« Sie packten zusammen und gingen Seite an Seite nach Hause. Sie stupste ihn ungestüm in die Seite.

»Dumme Nuss«, gab er zurück und lachte.

Helene hatte eine Weile nachgedacht über sich und Hannes. Abends im Bett war sie kaum zur Ruhe gekommen, hatte an die Decke gestarrt, dem leisen Schnarchen Irmas neben sich gelauscht und sich vorgestellt, wie es wohl wäre, Hannes als Freund zu haben, als richtigen Freund.

Sie hatte es immer albern gefunden, wenn sie frisch Verliebte Hand in Hand gehen sah und wie die Täubchen turteln, doch so langsam begann sie zu ahnen, dass es irgendwie auch schön sein könnte. Dennoch fürchtete sie sich ein wenig davor, mit ihm allein zu sein, zugleich sehnte sie sich danach. Verflixt, es war nicht einfach. Mochte sie ihn? Liebte sie ihn gar? Nein, dafür war es noch zu früh. Aber, sie war sehr gern mit ihm zusammen, doch, ja. …

Ob er sie mochte? Ob er sich auch solche Gedanken machte? Ob er überhaupt an sie dachte? Sie glaubte schon … Zumindest wünschte sie es sich. Doch wie sollte sie es nun anstellen? Und ab wann war man eigentlich ein Paar? Ging das in ihrem Alter überhaupt? Und wie war das mit dem Küssen? Sie hatte so viele Fragen …

Meine Berliner Jugend

Подняться наверх