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Helene hockte mit Gertrud unter der Treppe. Der Hohlraum unter den ausgetretenen Stufen war still, staubig und ihre eigene kleine Höhle. Hier trafen sich die beiden Freundinnen manchmal heimlich, um zusammen eine Zigarette zu rauchen, die das Nachbarsmädchen regelmäßig ihrem Onkel stibitzte. Gertrud war schon 16, kurvenreich und hatte es als Älteste mit fünf Brüdern faustdick hinter den Ohren.

Gerade erzählte sie von ihrem neuen Verehrer: Kurzwarenhändler und deutlich reifer als sie und sehr charmant. Natürlich durfte keiner davon wissen. Doch sie klang glücklich. Ein wenig dick trägt sie auf, dachte Helene, doch sie konnte immer etwas lernen bei Gertrud, und es war nie langweilig mit ihr. Außerdem brannte Helene eine Frage auf der Zunge; da war Gertrud sicher genau die Richtige …

Betont beiläufig fragte Helene sie: »Wie schmeckt denn so ’n Kuss? Ich meine, so ein richtiger?«

Gertrud hielt inne, blies runde Rauchwölkchen aus und musterte Helene aufmerksam und amüsiert. »Wat’n, biste valiebt?«

»Quatsch mit Soße!«, protestierte Helene etwas zu energisch. Vor Schreck verschluckte sie sich am kratzigen Zigarettenrauch und hustete lautstark. Sie schüttelte den Kopf.

»Is’ ja jut, irgendwann erwischt et jeden«, lachte Gertrud. »Jott sei Dank!« Helene sagte nichts, versuchte unschuldig und desinteressiert auszusehen; beides misslang gründlich.

Gertrud knuffte sie in die Seite. »Mach nich so ’n Gesicht wie sieben Tage Regenwetter! Is doch irre toll! Ich sach dir: Die sajen, so Küsse wie im Kinofilm, die gibt es jar nich in echt. Abba ick sage dir: Die gibt et tatsächlich. Genau so und noch viel schöner!« Helene sagte immer noch nichts.

Gertrud ließ von ihr ab und besann sich auf die Frage. »Also, so ’n Kuss, so ein echter – nich dit Rumjesabbere uff’m Schulhof – ja, der schmeckt … hm, schwer zu sagen: Irjendwie … süß. Ein bisschen wie Schokolade.«

»Wie Schokolade?«, fragte Helene verwundert.

»Ja. Aber manchmal auch nach Linsen oder Tabak. Je nachdem«, grinste Gertrud. »Nur das Gefühl … das ist ein bisschen wie Schokolade essen. Vorsichtig abbeißen und dann im Mund schmelzen lassen. Aber nur …«, an dieser Stelle hob sie den Zeigefinger, »wenn du ihn wirklich sehr magst.« Sie drückte den Zigarettenstummel auf dem Treppenabsatz aus und steckte ihn in die Tasche.

Helene kam ins Grübeln. Kino … Schokolade … das klang doch gar nicht schlecht. Warum hatte sie dann nur solch einen Bammel davor? Einerseits wünschte sie sich nichts sehnlicher, andererseits hatte sie eine Heidenangst davor, Hannes zu küssen. Warum nur?

Sie ahnte die Antwort bereits: Weil es mit Hannes etwas ganz Besonderes war. Das war kein blödes Kinderspiel, keine Mutprobe oder tölpelhaftes Ausprobieren – das hier war mehr. Das konnte sie ganz deutlich fühlen. In ihrem Bauch und in ihrem Herzen. Sie fasste Mut und beschloss, bei der nächsten Gelegenheit nicht wieder zu kneifen, sondern herauszufinden, wonach Hannes Lippen schmeckten: Zartbitter? Vollmilch? Mandel-Nuss? Sie würde es herauskriegen, »dit ist mal sicha!«

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