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Schaltstelle Gehirn
ОглавлениеSeien Sie vorsichtig, Sie stehen mitten auf einer glitschigen Masse, die sich optisch fast ein bisschen mit Pudding oder Tofu vergleichen lässt. Es ist finster hier, bitte holen Sie die Taschenlampe aus Ihrem Expeditionsgepäck. Klick: Was für ein Anblick! Da liegt es, unser Gehirn, mit seinen beigefarbenen imposanten Furchen und Windungen, umgeben von rot schimmernden Blutgefässen. Das meisterhafte Konstrukt von durchschnittlich eineinhalb Kilogramm ist die oberste Zentrale und Schaltstelle unseres Körpers. Einen direkten Zusammenhang zwischen Hirngewicht und Intelligenz gibt es übrigens nicht. In der gewaltigen Hirnstruktur befindet sich auch der Sitz unseres Denkens, unserer Gefühle, unseres Handelns und – sehr wichtig – unserer Seele und Psyche.
Das Gehirn hat die Aufgabe, Sinneseindrücke zu verarbeiten und lebenswichtige Körperfunktionen zu koordinieren. Dies geschieht ausschliesslich über Nervenzellen (Neurone). Schauen Sie genau hin, in den spinnennetzartigen Fortsätzen des Nervennetzes fliessen in rasender Geschwindigkeit elektrische Signale von der einen Nervenfaser zur andern. Für die korrekte Übertragung der Informationen sorgen chemische Botenstoffe, die in der Zelle selbst produziert werden. Wenn alle elektrischen Signalweiterleitungen visuelle Lichtblitze aussenden würden, dann sähen wir hier jetzt ein Feuerwerk der Sonderklasse! Denn es finden Millionen von Übermittlungen gleichzeitig statt. Stellen Sie sich vor, sie alle würden farbig leuchtende Funken sprühen. Was für ein eindrückliches Spektakel! Sie kämen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Halten Sie sich dieses Bild vor Augen, und speichern Sie es ab, denn so bleiben Ihnen die gewaltigen Hirnfunktionen am besten im Gedächtnis.
Das Gehirn ist ein Rechenzentrum von höchster Qualität. Rund 100 Milliarden Nervenzellen in Verbindung mit Billionen von Nervenübertrittsstellen (synaptischer Spalt) müssen ständig miteinander kommunizieren, damit wir fühlen, denken und handeln können. In Millisekunden finden unzählige chemische und elektrische Prozesse für nur eine einzige Handlung statt. Es ist sehr wichtig, zu wissen, dass restlos alle Funktionen im Gehirn, aber auch im Körper über Nervenzellen laufen. Diese steuern sämtliche Signale, die unsere lebensnotwendigen Funktionen aufrechterhalten. Ohne sie würde im Körper rein gar nichts geschehen. Liegen bei irgendeinem Nerv oder einer Nervengruppe Fehlsteuerungen vor, bekommen Sie das auf sehr unangenehme Art und Weise zu spüren. Es kann zu Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Taubheit, Funktionsstörungen oder gar zu Lähmungen führen. Vereinfacht erklärt, verfügt die Nervenzelle über drei Bereiche: den Zellkörper, die davon abgehenden sehr feinen Fortsätze (Dendrite) und einen schlauchartigen, langen Fortsatz (Axon), der sich am Ende ebenfalls verästelt.
Damit Sie sich die Vorgänge im Gehirn besser vorstellen können, vergleiche ich es mit einer Computerfestplatte. Dass es sich beim Gehirn um ein viel komplexeres Gebilde handelt, versteht sich von selbst. Sehr simpel ausgedrückt sind auf einer Festplatte Daten gespeichert, die in verschiedenen Ordnern abgelegt sind. Ähnlich ist es im Gehirn: All unsere motorischen oder sensorischen Funktionen entspringen den jeweils zuständigen Ordnern oder ihren Verknüpfungen zu anderen. Gefühle wie Freude, Glück, Wut, Trauer, Schmerz, Neid, Angst und Lust zum Beispiel sind Daten eines bestimmten Ordners.
Wir befinden uns jetzt im Grosshirn (Cerebrum) direkt unter der knöchernen Schädelkalotte. Es stülpt sich als grösster Hirnanteil wie der Hut eines Pilzes über das Mittel- und das Zwischenhirn und bildet die oberste Instanz des zentralen Nervensystems. All unsere Organe, Organsysteme und Gewebe werden von hier aus miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt. Reize aus der Körperinnen- und -aussenwelt werden über Empfänger (Rezeptoren) aufgenommen, weitergeleitet, beurteilt und verarbeitet. Je nach Reiz erfolgt eine Antwort über die Nervenbahnen zum entsprechenden Zielort des Körpers. Lesen Sie im Kapitel «Der Reiz und seine Antwort» mehr dazu.
Das Grosshirn teilt sich in eine linke und eine rechte Hälfte (Hemisphären) mit unterschiedlichen Aufgaben. Man glaubt zu wissen, dass bei Linkshirndominanz das logische, analytische Denken sowie der Sinn für Zahlen vorherrschen. Rechtshirndominante Personen dagegen schweben mehr in der Gefühlswelt, sind intuitiv und kreativ. In der Tat gibt es auch den Ganzhirntyp. Seine Eigenschaften zeigen sich weniger ausgeprägt, dafür breiter gefächert. Ein gefundenes Fressen für Arbeitgeber, die das Wissen über die drei Gehirntypen bei Anstellungen ganz bewusst nutzen und Bewerberinnen und Bewerber entsprechend evaluieren. Machen Sie Gebrauch von der Möglichkeit, mit gezielten Übungen das Zusammenspiel von linker und rechter Gehirnhälfte bewusst zu trainieren. Die Karten liegen dann nicht mehr so offen auf dem Tisch, und Sie können mit einem multifunktionalen Auftritt brillieren.
Die zwei bis vier Millimeter dicke Rinde des Grosshirns (Kortex) ist stark aufgefaltet. Dies vergrössert die Oberfläche um ein Vielfaches. Sie teilt sich in verschiedene Rindenfelder, wo sensorische (Gefühl), aber auch motorische (Bewegung) Signale aufgenommen und verarbeitet werden.
Lassen Sie uns weitergehen. Es wird anstrengender, denn wir müssen uns tief durch all die Hirnwindungen durchkämpfen, damit wir zu den weiteren Ordnern der Festplatte gelangen. Und es ist nicht einfach, in dieser schwabbeligen Masse den Überblick zu behalten.
Das Kleinhirn (Cerebellum) ist der zweitgrösste Ordner des Gehirns. Es liegt in der hinteren Schädelgrube und ist hauptsächlich für die Koordination und die Steuerung der Bewegungen und des Gleichgewichts zuständig. Weiter ist es aber auch an vielen nicht motorischen Leistungen wie der Sprachverarbeitung beteiligt.
Das Zwischenhirn (Diencephalon) ist die Schaltstelle zwischen Grosshirn und Hirnstamm. Dort werden sämtliche Signale aus den fünf Sinnesorganen Haut, Augen, Ohr, Nase und Mund empfangen, verarbeitet und an das Grosshirn weitergeleitet. Ebenso werden wichtige Prozesse des autonomen (vegetativen) Nervensystems gesteuert. Auch die Regelung des Schlafrhythmus sowie des Temperatur- und Wasserhaushalts findet hier statt.
Das Mittelhirn (Mesencephalon) ist Teil des Hirnstamms und mit rund eineinhalb Zentimetern Länge der kleinste Abschnitt des Gehirns. Es erfüllt mehrere Aufgaben innerhalb des komplexen neuronalen Systems. Primär ist es für die Steuerung der optischen, aber auch der akustischen Signale zuständig (Augen, Ohren). Selbst in der Schmerzempfindung spielt es eine nicht unbedeutende Rolle.
Der Hirnstamm mit seinen Strukturen ist ein wichtiges Regulationszentrum. Alle auf- und absteigenden Bahnen des zentralen Nervensystems durchziehen ihn. Stellen Sie sich eine Autobahntangente vor, die Spuren in Richtung Hirn (afferente Bahnen) und Spuren durch das Rückenmark nach unten in den Körper (efferente Bahnen) aufweist. Auf dieser Verbindungsachse rasen in rekordverdächtigen Geschwindigkeiten lebensnotwendige Informationen vom Hirn zum Körper und von da zurück zum Hirn. Zum Glück gibt es weder Geschwindigkeitskontrollen noch Bussen auf dieser Strecke. Das käme teuer zu stehen.
Sehr spannend ist es, dass die Informationen von der linken Grosshirnhälfte über die rechte Spur und diejenigen der rechten Grosshirnhälfte über die linke laufen, also überkreuzt. Dieser Überkreuzungseffekt lässt sich in der Therapie nutzen. Ist zum Beispiel ein Körperteil aufgrund von Schmerzen oder einer Verletzung berührungsempfindlich, kann die gegenüberliegende Seite manuell behandelt werden. Die gesetzten Reize führen in gespiegelter Form ins Gehirn und werden dort verarbeitet. Die daraus resultierende Reizantwort gelangt auf indirektem Weg an den Zielort. Man nennt dies konsensuelle Wirkung.
Das Nachhirn, auch verlängertes Mark (Medulla oblongata) genannt, ist ebenfalls Teil des Hirnstamms und Zentrum für automatische Vorgänge wie Atmung, Herzschlag, Blutzirkulation, aber auch Kauen und Schlucken. Es ist ein lebenswichtiges Regulations- und Reflexzentrum.