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1. PILGERN AUF IRISCH

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Als Kind saß ich oft in meinem Zimmer am Fenster und schaute auf die Bucht von Belfast hinaus bis hinüber nach Bangor. Ich verbrachte Stunden damit, die Küste vor der Stadt mit dem Fernglas abzusuchen, und fragte mich, wie weit sie wohl entfernt sein mochte. Ich überlegte, ob es möglich wäre, hinüberzuschwimmen und dabei den Frachtschiffen und Fähren auszuweichen, die auf dem Weg nach Schottland, Liverpool oder zur Isle of Man waren und dabei die Bucht von Belfast durchquerten.

Als Teenager fand ich heraus, dass Bangor ungefähr fünf Meilen entfernt war – Luftlinie, oder besser: Wasserlinie – und dass es möglich war, diese Strecke zu schwimmen. Vorausgesetzt, man war verrückt genug, es zu versuchen. So verrückt wie einer meiner Freunde. An einem Sommertag schwamm Tommy von meiner Heimatstadt Carrickfergus durch die Bucht von Belfast bis nach Bangor. Einfach so, als Mutprobe. Er schaffte die Strecke von fünf Meilen, passierte sicher die Fahrrinnen der Schiffe, war aber, als er in Bangor ankam, so erledigt, dass er keine Kraft mehr hatte, nach Hause zurück zu schwimmen.

Leider war Tommy nicht so intelligent gewesen, sich genau dieses Szenario auszumalen, bevor er die Herausforderung seiner Kumpels annahm. So kam es, dass er auf der anderen Seite der Bucht strandete, mit nichts bekleidet als seiner knappen Speedo-Badehose. Ohne Geld, ohne Telefon – Handys waren noch nicht erfunden – und ohne irgendeine Möglichkeit, jemandem mitzuteilen, wo er war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zur Polizei zu gehen und dort um Hilfe zu bitten.

Ich kann mir vorstellen, was in den Köpfen der Polizeibeamten vor sich gegangen sein muss, als sie durch die getönten und schusssicheren Fenster ihrer Polizeibaracke schauten und draußen Speedoman erblickten. Sicher ein bizarres Bild. Ähnlich wie die Rätselfragen, die man mit Freunden im Pub löst: Ein Mann mit Rucksack ist tot aufgefunden worden. Er liegt mit dem Gesicht nach unten in der Wüste, kilometerweit entfernt von jeglicher Zivilisation. Was ist passiert?

Vielleicht brachte der seltsame Anblick von Speedoman in diesen verwirrten Beamten den Detektiv zum Vorschein. Möglicherweise wird dieser Vorfall sogar bis heute als Fallstudie in der Ausbildung junger Nachwuchspolizisten behandelt: Ein junger Mann trägt nichts außer einer leuchtend roten Badehose. Triefend nass nähert er sich der Wache. Was unternehmen Sie? Kreuzen Sie bitte die richtige Antwort an:

 Ich bitte ihn, sich auszuweisen.

 Ich fordere ihn auf, seine Taschen zu leeren.

 Ich führe einen Alkoholtest durch.

 Ich nehme ihn wegen anstößigen Benehmens fest.

 Ich frage ihn, ob er die Bucht von Belfast durchschwommen hat.

Natürlich wäre es denkbar, dass keine der oben genannten Möglichkeiten zutrifft. Der Mann könnte schlichtweg Räubern zum Opfer gefallen sein. Zugegeben, es hätten sehr verzweifelte Räuber sein müssen, da fast seine gesamte Kleidung fehlte. Aber ein Raub würde wiederum nicht die nasse Badebekleidung erklären. Außer natürlich, sie hätten ihr Opfer (das, nebenbei bemerkt, rein zufällig lieber eine Badehose als Unterwäsche trägt) untertauchen müssen, um an die Pin-Nummer seiner Kreditkarte zu kommen. In diesem Fall wären es wirklich sehr verzweifelte Räuber gewesen.

Aber möglicherweise würden die jungen und viel versprechenden Nachwuchspolizisten auch ein ganz anderes Szenario vorschlagen. Es hätte doch einen Zusammenhang zum Terrorismus geben können. Bedenken Sie: Es war das Nordirland der 1970er-Jahre. Möglicherweise handelte es sich um eine neue Taktik der IRA? (Ich bitte zu beachten, dass ich versuche, jede Art von Hatte-er-eine-Waffe-bei-sich-Witz zu vermeiden.) Aber welche Taktik könnte dahinterstecken, wenn ein junger Mann, der nichts als eine Badehose anhat, zu einem schwer bewaffneten Polizeirevier mitten in einem geschäftigen Stadtzentrum geschickt wird? Seien wir ehrlich: Es ist unwahrscheinlich, dass es sich um einen Selbstmordattentäter handelt, der größere Mengen Sprengstoff an seinem Körper versteckt.

Nein, die einzige logische Erklärung für eine terroristische Badehosenattacke scheint mir, dass die Polizeibeamten in der Ausübung ihrer Pflicht abgelenkt werden sollten. Was ziemlich genau dem entspricht, was geschah, als Speedoman sie mit den nackten Tatsachen konfrontierte – gut halbnackt, aber Sie wissen, was ich meine. Zwei Beamte fuhren ihn schließlich zurück nach Carrickfergus. Die Autofahrt dauerte fünfundvierzig Minuten. Gerade lang genug, um ihm einen Vortrag darüber zu halten, dass man Polizeibeamte nicht von der Arbeit abhalten durfte, und um dem jungen Tommy zu erklären, dass er dringend eine sinnvolle Beschäftigung brauchte.

Als Kind war ich nur am Osterdienstag in Bangor. Genau genommen, war ich an fünf Osterdienstagen hintereinander in Bangor, weil dort die jährliche Osterparade der Jugendabteilung des Oranier-Ordens stattfand. Als Mitglied der Loyal Orange Lodge Nummer 52 freute ich mich immer auf den Osterdienstag, weil ich dann mein nagelneues Hemd, die lilafarbene Krawatte und die weißen Handschuhe anziehen konnte und dazu die orangefarbene Schärpe, durch die ich eindeutig als Mitglied der LOL 52 zu erkennen war. Ich war erst zehn Jahre alt, aber ich fühlte mich viel älter, als ich mit meiner Sippe zum Rhythmus der Trommeln marschierte – einmal rund um unser Wohngebiet, bevor wir mit dem Bus nach Bangor fuhren, wo wir uns mit Dutzenden weiterer Logen und Kapellen für die große Parade trafen.

Ich freute mich darauf, in den »Kampf« zu ziehen, direkt hinter unserer Flötenkapelle, die stolz darauf war, lauter und rüpelhafter zu spielen als die so genannten »Blood and Thunder«-Bands. (In Wirklichkeit waren diese Bands wesentlich öfter »Thud and Blunder«, also Krach und Patzer statt Blut und Donner.) Ich freute mich auf die Zuschauer, die immer sagten: »Wie großartig die Jungs heute aussehen!«; auf den Hamburger-Stand meines Cousins an der Strecke, wo ich die Getränke zum Burger immer gratis bekam (was ihm nicht geschadet zu haben scheint, er ist heute ein millionenschwerer Geschäftsmann in Belfast); auf die Münzautomaten in der Spielhalle in der Stadt; darauf, ein Geschenk für meinen kleinen Bruder zu kaufen; und auf meine Fish and Chips, die ich immer auf dem Nachhauseweg im Bus aufaß, bevor wir eine bestimmte Gegend im Norden Belfasts passierten, in der unser Bus normalerweise von Kindern der »anderen Seite« mit Steinen beworfen wurde.

Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass diese Kinder vermutlich genauso so wenig darüber wussten, warum sie uns mit Steinen bewarfen, wie wir verstanden, warum wir eigentlich als Oranier in Bangor marschierten. Wir waren ziemlich naiv und vermutlich damals alle sehr grün – auch die mit den orangefarbenen Schärpen.

Fünfunddreißig Jahre später bin ich wieder auf dem Weg nach Bangor, wieder aus religiösen Gründen. Aber dieses Mal werde ich zum Rhythmus einer anderen Trommel marschieren. Nachdem ich meine ganz persönliche »Reformation« erlebt habe, verstehe ich, was es wirklich bedeutet, »Protestant« zu sein. Es ist für mich kein Begriff mehr, der festlegt, welcher Seite der konfessionellen Kluft eine Person in Nordirland zugeordnet wird. Es ist auch kein Begriff, der automatisch definiert, wo jemand politisch steht. Heute hat Protestantsein für mich etwas damit zu tun, praktizierender Christ zu sein. Es hat etwas damit zu tun, einen lebendigen Glauben an Gott zu bekennen, der auf dieser Erde wandelte, um jedes nur vorstellbare Hindernis niederzureißen und alle Grenzen zu überschreiten, damit Menschen mit seiner lebensverändernden Liebe erreicht werden.

Ich bin als ordinierter methodistischer Pastor auf dem Weg nach Bangor und als Missionar, der die letzten dreizehn Jahre in Chemnitz, im Osten Deutschlands, gelebt und gedient hat. Meine nordirischen Wurzeln und meine Verbindung zu Deutschland machen meine Fahrt nach Bangor noch bedeutsamer. Ich beginne heute eine Reise, mit der ich in die Fußstapfen einer kleinen Gruppe irischer Mönche trete, die im späten sechsten Jahrhundert als Missionare von Bangor zum europäischen Kontinent aufbrachen. Diese zwölf missionarischen Mönche und ihr charismatischer Anführer Columban brachten das Evangelium auch den deutschsprachigen Menschen ihrer Zeit. Das ist es, was die Geschichte dieser Mönche aus Bangor für mich so faszinierend macht, denn ich lebe, arbeite und diene heute in Deutschland. Die Tatsache, dass meine Landsleute schon vor mir dort waren, das alles mitgemacht und das sprichwörtliche T-Shirt gekauft haben – und das vor vierzehnhundert Jahren –, löst in mir den Wunsch aus, heute in ihren Fußspuren zu folgen.

Meine Reise, die mich nach Frankreich, Deutschland, in die Schweiz, nach Österreich und Italien führen wird, ist für mich ein Novum. Zunächst ist es mein erstes Sabbatical, eine dreimonatige Pause von den Anforderungen des Dienstes zur Erholung, Entspannung und zum Aufladen der Akkus. Neu ist für mich auch, dass ich vorhabe, möglichst große Teile der Strecke zu laufen oder per Anhalter zurückzulegen. Ich könnte bequem mit dem Auto oder mit dem Zug fahren und unterwegs in Hotels übernachten, aber das wäre zu einfach. Es wäre nicht wirklich das, worum es mir bei dieser Reise geht. Ob es nun erste Anzeichen einer heraufziehenden Midlifecrisis sind oder nicht, ich finde die Idee, per Anhalter mit dem Rucksack durch Europa zu reisen, ziemlich reizvoll.

Die Route, auf der ich während meines Columban-Abenteuers unterwegs sein werde, ist kein anerkannter Pilgerweg wie der berühmte Camino de Santiago. Der Jakobsweg führt zur Kathedrale von Santiago de Compostela in Nordspanien, in der mutmaßlich der Apostel Jakobus begraben ist. Auf meinem Weg wird es keine offiziellen Pilgerherbergen geben und keine hilfreichen Schilder, die mir den Weg weisen. Mein Plan besteht einfach darin, mich auf die wichtigsten klösterlichen Zentren in Europa zu konzentrieren, die von Columban und seinen Jüngern gegründet wurden: Saint-Coulomb und Luxeuil (beide in Frankreich), St. Gallen (Schweiz), Bregenz (Österreich) und Bobbio (Italien).

Die konkrete Route, auf der ich diese Ziele erreichen werde, ist mir nicht so wichtig. Wahrscheinlich wird sie durch die Mitfahrgelegenheiten, die sich mir bieten, bestimmt werden. Mir reicht es, mich einfach treiben und alles andere auf mich zukommen zu lassen. Mit etwas Glück wird es dieses Mal nicht so nervenaufreibend wie damals, als ich kurz nach den Balkankriegen durch ein ehemaliges Kriegsgebiet in Kroatien fuhr, in dem alle Straßenschilder abmontiert waren, so dass ich am Ende die Fahrtrichtung anhand des Sonnenstands bestimmen musste. Und zumindest habe ich dieses Mal keine Frau und keine kleinen Kinder im Auto.

Das Reisen per Anhalter ist außerdem eine großartige Möglichkeit, Menschen zu begegnen und ein besseres Verständnis für ihre Region und Kultur zu entwickeln. Ich begegne liebend gerne neuen Menschen, das ist sozusagen mein Hobby. Wann immer ich die Möglichkeit habe, nehme ich Anhalter mit. Als ich noch im County Fermanagh nahe der Grenze zur Republik Irland lebte und arbeitete, habe ich oft den Daumen rausgestreckt, wenn ich wegen eines Termins nach Belfast musste – und das, obwohl ich ein eigenes Auto hatte.

Die Mönche von Bangor im sechsten Jahrhundert pflegten zu Fuß zu gehen, weil es auf diese Weise einfacher war, Menschen das Evangelium weiterzusagen. Das Wandern brachte den Missionar mit den Menschen in Kontakt, die er erreichen wollte. Das Fahren per Anhalter kann wohl als die moderne Entsprechung angesehen werden. Zumindest habe ich im Auto ein Publikum, das mir nicht entkommen kann.

Ich bin allerdings bisher weder auf dem europäischen Kontinent per Anhalter gefahren noch habe ich jemals eine Reise angetreten, ohne mein genaues Ziel zu kennen oder wenigstens sicher zu wissen, dass ich ein Bett für die Nacht haben werde. Das ist definitiv neu für mich, aber zugleich eine Aussicht, die ich spannend finde. Ich sehe mich selbst als eine Art modernen Pilger, unterwegs im Geiste jener Mönche des sechsten Jahrhunderts, die alle weltlichen Besitztümer aufgaben, ihren Wohlfühlbereich verließen und sich allein auf Gottes Versorgung mit dem täglichen Brot verließen. Die Romantik dieser Vorstellung zieht mich an. Dennoch habe ich mich entschieden, mein iPhone und zwei Kreditkarten mitzunehmen, für alle Fälle. Das Zweifeln an Gottes Versorgung ist leider nichts Neues für mich.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass diese Reise eine neue Erfahrung für mich sein wird. Es ist meine erste Reise in die Geschichte der Mönche von Bangor, die im frühen Mittelalter die religiöse und kulturelle Landschaft weite Teile Europas veränderten. Während meines Studiums der Kirchengeschichte am Theologischen Seminar habe ich mich intensiv mit der Urkirche beschäftigt, die von der Apostelgeschichte bis zur Bekehrung des römischen Kaisers Konstantin reicht. Während der Regierungszeit Konstantins des Großen, zu Beginn des vierten Jahrhunderts, wurde das Christentum offizielle Religion des Römischen Reiches. Es ist faszinierend, wie das Christentum sich trotz scheinbar unüberwindlicher Probleme wie Irrlehren, Heidentum und erbitterter, systematischer Verfolgung ausgebreitet hat.

Ich lernte auch etwas über den heiligen Patrick und die Anfänge des Christentums im Irland des fünften Jahrhunderts. Patrick ist heute vor allem wegen der Legende bekannt, nach der er die Schlangen aus Irland vertrieben haben soll, was entgegen der verbreiteten Annahme nichts mit Tieren zu tun hat. Die Vertreibung der Schlangen bezieht sich auf Irlands Befreiung von den Heiden oder, wie die keltischen Christen sie nannten, den heidnischen Dämonen, die durch Schlangen symbolisiert wurden.

Trotzdem sehe ich immer noch echte Schlangen vor mir, wenn ich an meinen lieben alten Professor für Kirchengeschichte denke und an die Frage, mit der er sein Seminar über den heiligen Patrick begann: »Was sagte St. Patrick zu den Schlangen, als sie aus Irland ausfuhren?« Er gab seinen Studenten eine kurze Pause zum Nachdenken. Dann tat er, als hätte er ein Lenkrad in den Händen, und rief mit schelmischem Blick über die Schulter nach hinten: »Alles OK da hinten, Jungs?«

Wenn Sie mich fragen, kein schlechter Einstieg für ein Seminar. Der gute Mann hatte unsere volle Aufmerksamkeit, als er uns in den übrigen Stunden die wichtigen Dinge beibrachte.

Die Lehreinheiten über die Zeit der Reformation genoss ich ebenfalls sehr, ohne zu diesem Zeitpunkt ahnen zu können, dass ich später in Deutschland arbeiten würde. Um genau zu sein, in Thüringen, also in dem Land, in dem im Jahre 1517 ein Augustinermönch namens Martin Luther seine 95 Thesen an eine Kirchentür nagelte und damit einen Prozess auslöste, der schließlich in die Reformation und die Gründung der protestantischen Kirche mündete.

Während meiner Ausbildung in Irland zum ordinierten Pastor der Methodistenkirche konnte ich nicht umhin, auch die Kirchengeschichte des achtzehnten Jahrhunderts zu belegen, da sie für den Aufstieg des Methodismus und seine erneuernde Kraft für die Kirchen auf den Britischen Inseln sehr bedeutsam ist. Die Methodisten brachten mit ihrem zweifachen Fokus auf soziale Gerechtigkeit und geistliche Erneuerung eine gesunde Ausgewogenheit in eine Kirche zurück, die fast vollständig vom Weg abgekommen war. So gewährleistete sie eine echte Religion mit Hand und Herz, Wort und Tat.

Ja, ich kann aufrichtig sagen, dass mich die Kirchengeschichte faszinierte und mein Studium mir Spaß machte. Allerdings habe ich nie mittelalterliche Kirchengeschichte studiert. Stattdessen hatte ich nämlich »Frühe christliche Lehren« gewählt und daher das Vergnügen, mich mit Irrlehren wie dem Donatismus, dem Gnostizismus und einigen weiteren »ismen« (Theologen lieben diese »ismen«) zu beschäftigen. Und dabei hätte ich in derselben Zeit von den Abenteuern von Columban, Gallus und anderen Mönchen aus Bangor lesen können, die denen von Indiana Jones um nichts nachstehen!

Noch etwas trug dazu bei, dass ich die Geschichte der Missionare aus dem Bangor des sechsten Jahrhunderts so lange ignorierte: Heiligkeit. Natürlich nicht meine eigene. Aber lassen Sie es mich erklären: Heilige, ganz allgemein betrachtet, stehen nicht sehr weit oben auf der protestantischen Hitliste. Anders ausgedrückt: Heilige sind eher eine katholische Angelegenheit. Oder zumindest keine Angelegenheit der Freikirchen, zu denen viele protestantische Kirchen zählen, auch die methodistische.

Der durchschnittliche, zweidimensionale Protestant aus Nordirland, wo Politik und Kirche immer schon schwierige Bettgenossen waren, ist sich zahlreicher bedeutsamer Teile seines nationalen christlichen Erbes nicht bewusst, und zwar deshalb, weil er sie für katholisch hält oder für irisch (also nicht britisch) oder etwas noch Schlimmeres. Darum sind alle, die die Bezeichnung »Heiliger« oder »Sankt« vor dem eigentlichen Namen tragen, höchst verdächtig. Selbst der gute alte heilige Patrick ist einigen der so genannten Protestanten aus Nordirland schon zu katholisch. Sicher können Sie sich vorstellen, wie diese Leute reagieren, wenn sie Namen wie St. Comgall, St. Columban oder St. Gallus hören. Für das geschärfte protestantische Gehör klingt das einfach zu katholisch oder zu papistisch, obwohl diese Jungs alle aus Bangor kamen, das heute paradoxerweise eine überwiegend protestantische Stadt ist.

Ich muss zugeben, dass ich Teile dieser verkehrten und engstirnigen Ansichten aus meiner eigenen Kindheit kenne. Ich bin ein Kind meiner Zeit. Einer Zeit, in der Protestanten und Katholiken in Nordirland aus religiösen Gründen getrennt wurden und auf unterschiedliche Schulen gingen; einer Zeit, in der auf beiden Seiten der religiösen Kluft Angst und Misstrauen den Nährboden für die Saat von Hass und Sektiererei bildeten; einer Zeit, in der die Vergangenheit wichtiger war als die Zukunft; einer Zeit, in der Politik von der Herkunft abhing und Religion von Menschen gemacht wurde, oft ohne Raum für Gott und das Gute. Während meiner Kindheit in einer Siedlung der protestantischen Arbeiterklasse in Carrickfergus hatte ich weder Gelegenheit noch Neigung, mich für ein paar obskure mittelalterliche Heilige mit katholisch klingenden Namen zu begeistern.

Aber heute ist alles anders. Heute fasziniert mich der Gedanke, diese Giganten der Mission kennenzulernen, die unbekannten Helden aus Ulster. Es ist an der Zeit, die Lücken zu schließen und die Punkte auf dem Papier miteinander zu verbinden, damit das ganze Bild zum Vorschein kommt – mitsamt den Heiligen.

Ich kann es kaum erwarten, zu erfahren, was Gott mir durch meine geistlichen Vorfahren des alten Irlands sagen möchte; was sie mich über das Leben und über den Glauben lehren können und darüber, wie man beides auf sinnvolle, bedeutsame Art miteinander verbinden kann, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich freue mich darauf, überrascht zu werden, wenn ich auf meiner Reise mit den mittelalterlichen Heiligen einigen modernen Heiligen des Alltags begegne.

Ich hoffe außerdem, dass meine Entdeckungsreise auf den Spuren Columbans und seiner zwölf missionarischen Begleiter aus Bangor Licht auf meine eigenen mittelalterlichen Scheuklappen wirft und mir ein paar Fragen beantwortet, die mich zurzeit verwirren – tiefschürfende Fragen, schwerwiegende Fragen, Gottesfragen, Lebensfragen. Fragen, die komplizierter sind als der Fall des Mannes mit dem Rucksack, der mit dem Gesicht nach unten tot in der Wüste lag ... dessen Fallschirm sich schlicht nicht geöffnet hat. Wer weiß? Vielleicht liegen die Antworten direkt vor unserer Nase.

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