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Rückblick 1999

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Ich hoffe sehr, dass Sie da draußen wenigstens einen guten Freund haben, dem Sie sich anvertrauen können. Ich hoffe, dass dieser Freund Sie dann auffängt.

Denn meine Freunde haben es getan.

Mein Leben hat viele Tiefen und Höhen und meine besten Freunde kennen diese Geschichten, haben diese zusammen mit mir erlebt, mich begleitet. Haben es oft nicht fassen können. Ich muss dazu sagen, dass ich ein sehr risikobereiter Mensch bin und dadurch habe ich wahrscheinlich mehr Erlebnisse als andere Menschen. Gute wie Schlechte.

Mein traumatischstes Erlebnis war 1999. Ich trennte mich von einem Partner, der sich daraufhin so stark in seiner Ehre gekränkt fühlte, dass er Amok lief.

Ich hatte beschlossen mich nach einem halben Jahr Partner-schaft von ihm zu trennen.

Ich versuchte in einem ruhigen Gespräch, bei mir zu Hause, ihm meine Gedanken und meinen Wunsch der Trennung nahe zu bringen. Ich versuchte es ihm so diplomatisch wie möglich zu erklären.

Doch er kam mit dieser Situation überhaupt nicht klar. Für ihn brach eine Welt zusammen.

Seit meiner Ausbildung als Köchin bewahrte ich meine Profi-Messer in einem Messerblock in der Küche auf.

Zuerst lief er in den Flur und sperrte meine Haustür und die Tür zum Wohn-/Essbereich hinter sich zu. Er steckte die Schlüssel in seine Hosentasche. Dann ging er in die Küche, nahm ein Messer mit einer 30 cm langen Klinge aus dem Messerblock, stürzte sich auf mich und hielt mir das Messer an den Hals. Ich fiel zu Boden und dann schrie er mich an, dass er mich umbringen würde, wenn ich nicht mit ihm zusammenbleiben würde.

Ich hatte Todesangst! Es dauerte Stunden und er ließ nicht locker.

Ich redete mit Engelszungen auf ihn ein, versuchte ihn zu beruhigen.

Immer wenn ich in meinem Leben in Extremsituationen gekom-men bin, hat mein Kopf völlig klar und logisch funktioniert. Das ist mein Glück. Ich blieb völlig ruhig und versuchte auf ihn einzugehen.

Ich versprach ihm, dass ich es mir noch einmal überlegen würde, wir über alles reden könnten.

Er war groß, über 1,80 Meter, war kräftig und ich hatte unter ihm keine Chance. Seine Augen funkelten mich an und er war sehr aggressiv.

Er packte mich an den Haaren, fuchtelte mit dem Messer permanent vor meinen Augen herum.

Dann riss er mir die Kleider vom Leib und vergewaltigte mich.

Nach dieser grauenvollen Tat musste er zur Arbeit gehen und

verließ somit dann Gott sei Dank das Haus.

Ich rief sofort meine Mutter im Büro an, berichtete ihr alles und sie ließ augenblicklich alles liegen und stehen und machte sich auf den Weg zu meiner Wohnung.

Ich hatte Angst und wollte meine Wohnung verlassen. Horst, der Sohn meiner Nachbarn Lothar und Anna kam gerade ins Treppenhaus rein und sah mich an. Ich brach in Tränen aus und er fragte mich, was passiert sei.

Ich erklärte ihm alles, und er bot sich an mich sofort zur nahegelegenen Polizeistation zu fahren.

Aber zuerst fuhren Horst und ich mit dem Auto zum nahe-gelegenen Baumarkt und kauften ein neues Schloss, denn mein Ex- Partner hatte natürlich den Schlüssel mitgenommen.

Meine Mutter war inzwischen aus dem Büro gekommen und wir warteten bis Horst das neue Schloss eingebaut hatte.

Wir fuhren zur nächsten Polizeistation und ein Beamter nahm den Fall auf.

Es kam zu einer Gerichtsverhandlung bei der mein Ex-Partner mit einer kleinen, lächerlichen Geldstrafe davon kam!

Er verfolgte mich nach dieser Geschichte noch fast ein Jahr, aber die Polizeibeamten erklärten mir, dass sie nur eingreifen könnten, wenn ich wieder tätlich angegriffen werde.

Ich wohnte teilweise bei Freunden. Meine Freunde haben mich daraufhin abwechselnd von meiner Arbeit abgeholt.

Eine Auszeit hatte ich nicht. Ich habe an dem Wochenende, als es passierte, bei meinem damaligen Chef angerufen und ihm alles erzählt.

Ich habe weder von ihm noch von meinen Kollegen, denen ich es erzählt hatte, Mitgefühl oder Verständnis erhalten! Der Betrieb musste weiter laufen, wenn da jeder mit seinen Privatproblemen ankäme!

Die einzigen die mich in dieser Zeit aufgefangen und beschützt haben, waren meine Freunde und ein Polizist, der den Fall betreut hat. Von ihm bekam ich viele gute Ratschläge. Er hat mich daheim, am Tatort des Geschehens aufgesucht und sehr lange und ruhig mit mir gesprochen, mir gute Tipps und Verhaltensregeln gegeben. Er war sehr engagiert, und bis heute habe ich immer noch sporadisch Kontakt zu ihm.

Er ist mir ein guter Freund geworden, den ich in meinen schlechten Tagen immer anrufen konnte und mit dem ich mich auch heute noch per Email austauschen kann. Er liebt seinen Beruf und gibt mir bis heute immer ein sicheres Gefühl.

Er riet mir sechs Jahre lang, dass ich unbedingt eine Therapie machen müsste. Das erlebte, traumatische Ereignis könnte ich alleine nicht aufarbeiten.

2004 bin ich dann zusammengebrochen. Es begann schleichend. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Alles war mir zuviel.

Ich war mittlerweile nach Nordrhein Westfalen umgezogen, hatte einen neuen Partner und einen neuen Job. Nebenbei machte ich nach Dienstschluss noch ein Fernstudium.

Der erneut stressige Job, die neue Partnerschaft, das Fern-studium und das nie bearbeitete Trauma zehrten an meiner Psyche und an meinem Körper.

Nicht nur dass die Konzentration nachließ, es war mir schon zuviel mir morgens einen Kaffee zu machen.

Noch dazu kam, dass ich morgens mit dem Auto 80 km zur Arbeit fahren musste.

Eines Tages fuhr ich auf die Autobahn und die entgegen-kommenden Autos blendeten mich so sehr in meinen Augen, dass ich davon ganz nervös geworden bin. Ich fuhr auf den nächstgelegenen Rastplatz und machte eine kurze Pause.

Ich wollte aber nicht zu spät in die Arbeit kommen und fuhr nach 5 Minuten weiter.

Ich hätte auf eine andere Autobahn wechseln müssen aber ich verpasste die Anschlussstelle. Ich geriet in Panik. Ich fuhr wieder auf einen Rastplatz und rief meinen Freund an. Ich erzählte ihm tränenaufgelöst, dass ich mich nicht mehr auskennen würde und nicht mehr in die Arbeit finden würde.

Ich hatte das Glück, dass er selbstständig war und sich seine Zeit frei einteilen konnte.

Er kam an den Rastplatz gefahren, beruhigte mich erst mal und ich fuhr mit ihm zurück nach Hause.

Für diesen Tag meldete ich mich krank.

In den darauffolgenden Wochen war ich immer wieder völlig fertig, mein Körper fühlte sich schlapp an, ich hatte keine Energie mehr.

Ich bekam Schlafprobleme, lag nächtelang wach.

Eines Samstags ging ich in die Fußgängerzone und wollte etwas einkaufen.

Ich wusste auf einmal nicht mehr wo ich mich befand. Ich hatte keine Ahnung mehr, welche Bahn oder Straße ich nehmen müsste um nach Hause zu kommen. Ich setzte mich mitten in der Fußgängerzone auf den Boden und weinte. Passanten kamen vorbei und fragten, ob sie mir helfen könnten.

Ich sagte ihnen, dass mir schlecht sei und mich nur ein wenig ausruhen wollte. Ich rief wieder meinen Freund an und er kam und holte mich ab. Ich beschrieb ihm total umständlich wo ich mich befand. Ich nannte ihm die Namen der umliegenden Geschäfte und er machte sich auf den Weg.

Dann kam Weihnachten und er meinte ich sei total überarbeitet und wir würden erst mal ein paar Tage nach Holland fahren, ein Ferienhaus mieten und ich müsste endlich einmal total abschalten.

Als wir dort ankamen, freute ich mich auf eine schöne, ruhige Woche.

Wir richteten uns im Haus gemütlich ein, ich legte mich ins Bett und wollte einfach nur noch schlafen.

Mein Freund hat versucht mich zu wecken. Nach 8 Stunden Schlaf, nach 10 Stunden Schlaf, nach 12 Stunden Schlaf. Ich war so müde und erschöpft, dass ich einfach nicht mehr aufstehen konnte. Er machte mir liebevoll etwas zu Essen, brachte es mir ans Bett. Ich blieb auch am darauffolgenden Tag im Bett. Ich schlief und schlief.

Am dritten Tag stand ich das erste Mal wieder auf, duschte und wir machten einen Spaziergang am Meer. Das tat gut.

Ich fühlte mich aber immer noch nicht ausgeruht. Weihnachten verbrachte ich liegend auf dem Sofa am Kamin. Ich schlief wieder ununterbrochen.

Nach einer Woche mussten wir zurück nach Hause fahren.

Ich hatte noch Urlaub und fuhr auf Besuch zu meiner Mutter nach München.

Dort angekommen schlief ich wieder ununterbrochen und dann beschloss ich endlich zum Arzt zu gehen.

Von einer Bekannten bekam ich die Adresse des Arztes, der heute noch mein Hausarzt ist.

Bei ihm brach ich dann endlich völlig zusammen und erzählte ihm alles was ich in den letzten Jahren erlebt und verdrängt hatte.

Ich hatte ein Burn-Out Syndrom und außerdem ein Trauma.

Er schrieb mir sofort eine Notfalleinweisung für eine Kur-Klinik mit Therapie.

Ein paar Tage später erhielt ich ein Schreiben von einer Klinik am Chiemsee.

Dort verbrachte ich 10 Wochen. Endlich kam ich zur Ruhe. Konnte mir alles von der Seele reden, konnte spazieren gehen, die Landschaft genießen.

Ich dachte endlich zur Abwechslung nur an mich und nahm das Therapieangebot in allen Bereichen in Anspruch.

Es war Balsam für meine Seele.

Mut- Die Überlebensgeschichte der Belinda Lange

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