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Thessaloniki und der kleine Prinz
ОглавлениеAm 8. November 2006 saß ich am Flughafen München und wartete auf meine Maschine nach Thessaloniki.
Eine neue Abenteuerreise begann.
Ich hatte kaum geschlafen und war so aufgeregt wie schon seit Jahren vor keiner Reise mehr.
Ich wusste nicht was mich erwartete, ich kannte George schließlich kaum. Eine Stadt, in der ich noch nie gewesen war.
Zwei Kulturen, zwei Sprachen.
Wir waren uns in unserem Leben höchstens 5 Stunden be-gegnet und nun war ich auf dem Weg in seine Heimat.
Ich sollte später erfahren, dass es in einem anderen Leben auch schon meine Heimat gewesen ist.
Für die ersten zwei Tage hatte ich ein Hotel in der Stadt gebucht.
Ab dem dritten Tag hatte ich ein Auto reserviert und hatte mir gedacht, dass ich einfach das Beste aus allem machen und mich schon zu Recht finden würde.
Schließlich war es Griechenland, meine, für mich zweite Heimat, die ich besuchen wollte. Ich hatte Lust darauf mir einfach eine schöne Zeit zu machen.
Ich wusste nichts von ihm und er wusste nichts von mir.
Mein Herz schlug wie verrückt und ich landete auf dem Airport von Thessaloniki.
Das Gepäck brauchte eine Ewigkeit und als sich dann das einzige, verlassene Gepäckband in Bewegung setzte, stellten die Passagiere fest, dass gerade das falsche Gepäck, nämlich das das nach Kavala weitergehen sollte, ausgeladen auf dem Band entlang lief. Typisch. Willkommen in Griechenland!
Also wartete ich weiterhin auf mein Gepäck und schalte erst einmal mein Handy ein. Ich sah, dass ich schon 6 Nachrichten von George hatte. Die erste Nachricht verkündigte mir, dass er den Bus verpasst hatte, die zweite sms verlangte, ich sollte doch schon mal in die Stadt ins Hotel fahren, er müsste noch etwas erledigen. Die dritte Nachricht war, dass er es nicht schaffte überhaupt zu kommen, die vierte sms verkündete, dass er es doch schaffte …
Dann also wartete ich auf einen, für mich, fremden Mann.
Eine Stunde später, war er am Airport angekommen und wir versuchten uns zu finden und telefonierten immer wieder.
Es gab aber 2 Etagen an diesem Flughafen, außerdem viele Ausgänge und dann war es auch noch eine Sache der Kom-munikation. Er sprach ständig griechisch, ich überlegte was es heißen könnte und antwortete auf Englisch.
Ich ging mit meinem Koffer zum Aufzug und fuhr vom Erdgeschoß in den 1. Stock nach oben.
Er irrte inzwischen am Eingang des Flughafens zwischen den Buchstaben A und B umher.
Und dann sahen wir uns endlich. Zwischen uns eine unübersichtliche lange Schlange mit Fluggästen, die alle in die Ferne fliegen wollten. Sie versperrten mit den Koffern und Taschen den Weg zwischen uns. Ich ließ alles stehen und wir liefen aufeinander zu und endlich nach 5 Monaten, schlossen wir uns in die Arme. Ich dachte, keiner von uns konnte es so wirklich glauben was gerade geschah, es war so unrealistisch. Ein bisschen wie im Film. Wir blickten uns in die Augen. Und nun sollte das Abenteuer endlich beginnen.
Wir fuhren mit dem Taxi zum Hotel, das mitten in der Innenstadt gelegen war. Vor dem Hotel sagte George zu mir, dass er nicht mitkommen könnte, weil er das alles nicht bezahlen kann und kein Geld hat. Ich versicherte ihm, dass alles schon bezahlt war und wir nun erst mal reingehen sollten. Er wartete mit Abstand in der Lobby und ich ging an die Rezeption. Wir bekamen einen Schlüssel, und der Hotelpage begleitete uns in das Zimmer.
Es war ganz wunderbar. Es bestand aus einem Schlafzimmer mit Schreibtisch und Fernseher und einem extra kleinen Raum mit Couch und einem zweiten Fernseher. Es gab ein kleines Bad mit Duschwanne und ich war glücklich und erschöpft, doch einfach auch viel zu aufgeregt.
Wir gingen ans Meer, das nur 100 Meter vom Hotel entfernt lag.
Die Sonne schien wunderbar warm, dafür dass wir Anfang November hatten. Wir gingen die kilometerlange Uferpromenade entlang.
Es war einfach phantastisch: Griechenland, Meer, Sonne.
Wir setzten uns am weißen Turm, dem Wahrzeichen von Thessaloniki, auf eine Mauer und redeten ununterbrochen über alles, was uns in den Sinn kam. Vor allem war für uns beide gleich klar, dass wir hier nur eine Freundschaft aufbauen wollten und nicht mehr. Keine anderen Gefühle. Und das war o.k.
Wir gingen zurück, entlang an der Uferpromenade und setzten uns an der Platia Aristotelous in ein Cafe. Wir schauten auf das Meer und erzählten, wie damals auf Lesbos, als würden wir uns schon ewig kennen.
Wieso war mir dieser Mann, obwohl wir uns kaum kannten, so vertraut?
Eine unglaubliche Atmosphäre. In diesem Augenblick brachte er mir meinen „verlorenen“ besten Freund Maurice zurück. Momente, die ich so sehr vermisste.
Wir gingen die Straßen entlang und sahen uns die Schaufenster der Geschäfte an. Es war kurz nach 17 Uhr, als wir noch einmal an die Promenade, direkt ans Meer zurückkamen. Die Sonne versank gerade blutrot im Meer.
Ein Sonnenuntergang, der unser Wiedersehen einfach wun-derschön untermalte, vollendete diesen Tag.
Die Sonne versank und wir schlenderten zurück zum Hotel um zu relaxen. Es war Abend geworden, wir waren müde und beschlossen im Hotel zu Abend zu essen.
An der Rezeption fragten wir, ob wir etwas Warmes zu essen bekommen könnten. Der nette Herr an der Rezeption sagte uns, dass er uns im Frühstücksraum, im 1. Stock schon mal das Licht und auch Musik anmachen würde. Es wären im Moment nicht so viele Gäste im Hotel. Selbstverständlich könnten wir auch etwas zu essen bekommen. Er gab uns eine Speisekarte und wir suchten gemeinsam etwas aus. Der Rezeptzionist nahm die Bestellung entgegen und George und ich machten uns auf den Weg in den ersten Stock.
Irgendwie war es ganz romantisch, denn wir waren die Einzigen und ich erzählte George, dass mich die Situation irgendwie an einen reichen Mann und eine Frau erinnerte, die ein ganzes Lokal für sich gemietet hatten um mit Zeit und in Ruhe alles was jetzt geschah zu genießen. Ein bisschen wie im Film. Wir hatten zwei Gläser Retsina, einen Cesar`s Salat und gebratenen Fisch, Spaghetti mit Meeresfrüchten und gegrilltes Gemüse bestellt. Das Essen wurde nach und nach serviert und der ganze Tisch war übervoll mit Essen. Wir erzählten, lachten, aßen, tranken und wir genossen diesen Abend sehr intensiv.
Danach bestellte ich mir noch einen Ouzo an der Bar, dann gingen wir zurück in unser Zimmer. Um halb zwölf Uhr fiel ich todmüde und voller neuer Eindrücke in meinem Kopf ins Bett.
George ging, ganz Gentlemen like, hinaus und kam erst eine halbe Stunde später zurück, um dann noch in einem kleinen, angrenzenden Raum Fernsehen zu schauen. Ich schlief sofort ein. Kalinichta. Gute Nacht.
Soviel Englisch hatte ich schon seit Jahren nicht mehr ge-sprochen. Es war anstrengend, aber ich wollte ihm so viele Geschichten aus meinem Leben erzählen.
Es tat so gut wieder zu reden. Gespräche mit einem Freund zu haben.
In Gedanken sah ich manchmal Maurice vor mir, er fehlte mir.
Um halb acht Uhr stand ich auf und nahm eine heiße Dusche, wie herrlich!
Es war kurz vor neun Uhr als ich ins Schlafzimmer ging und dort sah ich George noch sanft schlafen. Er sah aus wie ein Engel und wenn ich heute noch meine Augen schließe und daran denke, dann kommt sofort wieder dieses Bild zurück in meinen Kopf.
Ich wollte mir diesen Augenblick einprägen, er sah so friedlich, so sanft aus. Ich habe ihn jeden Morgen so beobachtet.
Nachdem er aufgewacht war und sich angezogen hatte, gingen wir hinaus und bestellten Cappuccino in einem Cafe an der Platia, Kalimera. Guten Morgen. Wir schauten wieder auf das Meer und genossen gemeinsam den Morgen.
Er wollte mir nun die ganze Stadt zeigen und wir liefen los. Er war voller Stolz mir alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen: Das Denkmal von Alexander dem Großen, den einheimischen Markt, auf dem ich ein paar Gewürze, Nüsse und Honig kaufte, den Triumphbogen und die Palastanlage des Galerius. An der Ostseite gelegen, den Bogen der Kamara, die antike Römische Agora und dann liefen wir durch unzählige Straßen und über Plätze, die immer wieder freigelegte Ausgrabungen hervorbrachten.
Plötzlich, in einem Häusereingang, es befand sich dort ein kleiner Buchladen, hielt er mich am Arm fest. Er sah mich an und sagte, dass er spürt, dass wir genau hier schon einmal gewesen sein müssten. Früher…..
Ich wusste was er mir sagen wollte, aber ich hatte an diesem Platz kein déjà-vu Gefühl.
Ich wollte etwas trinken und wir setzen uns ins Cafe. Wir un-terhielten uns lange mit einer Kellnerin namens Elvira und kauften Lose bei einem Losverkäufer, der gerade vorbeikam. Wir lachten und machten Spaß darüber und wir träumten vom sofortigen Reichtum.
Aber wir waren schon reich, nämlich reich mit Fülle an Erleb-nissen, es ging uns in diesem Augenblick so gut. In diesem Moment brauchten wir nicht mehr. Was ist schon Geld. Bedrucktes Papier und Münzen und je mehr die Menschen davon haben, desto mehr entfernen sie sich von dem wahren, inneren Reichtum. Oftmals verlieren sie das Gefühl und den Blick für das Wesentliche im Leben.
Nach langer Zeit verspürte ich wieder aus meiner tiefsten Seele Harmonie und Glück.
Wir besuchten unzählige Orte, wie die Acheiropoitos Kirche mit ihren monolithischen Säulen, die riesige Agios Dimitrios Basilika, die ich auch Jahre später immer wieder aufsuchte und natürlich die Kirche der Agia Sophia. Sie ist eine der monumentalsten Bauten von Thessaloniki. Wir zündeten überall Kerzen an und verehrten die Ikonen. In jeder Kirche fragte George für mich die anwesenden Einheimischen über die Geschichte und Bedeutung und den Schutzheiligen der jeweiligen Kir-che aus. Es waren so viele Eindrücke und soviel Neues.
Ich fühlte mich mal wieder, wie so oft in Griechenland, zu Hause angekommen.
Wann wird die Reise enden und wann werde ich endlich einmal bleiben können…
Bleiben an einem Ort, der für mich Heimat ausstrahlt.
Wir besuchten das Archäologische Museum und auf dem Weg vor dem Museum musste ich einmal anhalten, ihm in die Augen schauen und nun seinen Arm festhalten. Ich bedankte mich für den tollen Tag und küsste ihn auf die Wange. Ich bedankte mich für seine Freundschaft und die Zeit die wir miteinander verbrachten. Er brachte mir in diesen Tagen seine Heimat näher, George war so stolz und glücklich darauf.
Es war schon später Nachmittag und wir kamen an einem kleinen Museum vorbei, in dem eine Ikonenausstellung vom Berg Athos zu sehen war. Wir waren beide sehr beeindruckt von der Ausstellung und standen sehr lange vor den jahrhunderte alten Ikonen. Ich blieb vor einem Schwarzweißbild, auf dem ein Mönch auf dem Berg Athos im Klosterhof zu sehen war, stehen. Es beeindruckte mich so sehr und ich versank völlig in diesem Bild.
Die Ikonen hatten eine so starke Ausstrahlung und wir waren beide sehr berührt.
Wir kehrten zurück zum Hotel und ich wollte mich etwas ausruhen, es war spät geworden und wir waren den ganzen Tag gelaufen. Dann beschlossen wir doch noch einmal einen Cappuccino trinken zu gehen.
Wir gingen nur ein paar Schritte über die nächste Straße in ein Jugendstilcafe und setzen uns, weil es draußen noch angenehm warm war, auf die Stühle vor dem Fenster des Cafes. Wir bestellen zwei Cappuccino und ich merkte wie mein Herz wieder einmal zu rasen begann.
Ich hatte das oft in letzter Zeit. Ich konnte nichts trinken und versuchte ganz ruhig zu atmen. George merkte, dass etwas nicht stimmte und fragte mich, was los sei. Ich bat ihn mir ein Glas eiskaltes Wasser mit Eiswürfeln zu holen und erzählte ihm von meinen Problemen. Er ging hinein, brachte das Wasser und fragte, ob ich einen Arzt bräuchte. Ich sagte ihm, dass es mir bestimmt bald besser ginge. Er machte sich aber Sorgen und ging telefonieren.
Als er wieder zurückkam, sagte er mir, dass er mit einem Arzt gesprochen hätte und ich sollte mich sofort hinlegen. Er war sehr besorgt und kümmerte sich rührend. Er vertraute mir an, dass er am Liebsten jetzt zu Hause sein würde, denn seine Mutter wüsste bestimmt besser, was zu tun sei. Aber wir gingen ganz langsam zurück zum Hotel. Er erzählte mir auf dem Weg, dass er schon bevor wir losgingen gespürt hatte, dass wir nicht so weit gehen sollten, und nun wüsste er warum…
Ich schlief ein bisschen im Zimmer und dann lagen wir gemeinsam auf dem Bett und hörten Musik aus meinem i-Pod, den ich mitgebracht hatte, mit Liedern von meinen persönlichen Lieblings-CD´s zu Hause. Er sagte, er möge die Musik sehr. Jeder hatte einen Kopfhörer und wir lagen da und sahen uns an und lauschten der Musik.
Am nächsten Tag ging es mir besser und wir zogen wieder los. Wir gingen zur Kirche der Agia Sofia und ich musste sehr stark an meine „griechische Mama“ auf Kreta denken, denn sie heißt auch Sofia. George fragte mich warum ich eigentlich die Ikonen nie küsste. Ich sagte ihm, dass das doch nicht gehe, weil ich doch nicht griechisch-orthodox sei. Er sagte, dass es damit nichts zu tun hätte und ich es ruhig tun könnte und mich danach bestimmt besser fühlen würde.
Ich nahm allen Mut zusammen, zündete ein paar Kerzen an und küsste eine Ikone. Ein bisschen merkwürdig fühlte ich mich dabei schon und ich dachte, dass mich bestimmt nun alle Leute, die um uns herum waren beobachten würden, weil ich doch nicht so griechisch aussehe und hier einfach die Ikonen küssen würde.
Am Abend saßen wir in einem kleinen Fischrestaurant, dessen Name übersetzt Seeigel hieß. Ich hatte es entdeckt und es war direkt am Markt gelegen.
Die mint farbenen Stühle und die hübsche Dekoration luden geradezu ein, hier ein paar Stunden zu sitzen. Mit total verschwitztem T-Shirt vom Tag und Jeans saßen wir dann in diesem kleinem Lokal, alle anderen Gäste waren chic an-gezogen, alles war so gemütlich einladend und wir fühlten uns wohl. Wir saßen im ersten Stock und bestellten die leckersten, frischen Fischgerichte die ich seit langem gegessen hatte und tranken einen Wein dazu.
Eine Musik CD von Haris Alexiou lief gerade und ich kannte fast alle Lieder, da ich diese CD auch zu Hause habe.
Zum Abschluss des vorzüglichen Essens bekamen wir um-
sonst einen Rosenlikör.
Was für ein Abend !
Am dritten Tag, wurde in der Früh um 10 Uhr, das Auto das ich gemietet hatte, angeliefert. Wir packten unsere Sachen und luden sie ein.
Wir fuhren die Straße Richtung stadtauswärts. In diesen Stunden, in denen ich aus dem chaotischen Verkehr von Thessaloniki auf das Land raus fuhr, lernte ich die griechischen Worte für links und rechts, geradeaus und da hätten wir längs fahren müssen…Verkehrskreisel sind toll vor allem wenn man sie immer wieder rundherum fährt und man dann irgendwann wirklich, mit einem Griechen, der einen fast im Kofferraum mitfährt, doch noch den richtigen Weg fahren kann.
Wir fuhren aus der Stadt hinaus und irgendwann kam nur noch Einöde. Flaches Land, unzählige Baumwollfelder und die Berge umrandeten diese Landschaft, die mir so gut gefiel, obwohl es November war und es abends schnell dunkel wurde und es nichts Blühendes am Wegesrand mehr gab. Ich hielt an um ein paar Fotos zu machen und George konnte gar nicht verstehen, was ich an der Landschaft nun so schön fand. Ich pflückte zum ersten Mal in meinem Leben Baumwolle von einer Pflanze und sah das flauschige Büschel an, aus dem man mit vielen anderen zusammen ein T- Shirt machen konnte. Unglaublich!
Wir fuhren in Georges Heimatdorf Kria Vrissi. Doch zuvor, es wurde schon dunkel und auch sehr kalt, wollte er noch unbedingt an einer Konditorei vorbei, in der es angeblich das beste selbstgemachte Eis geben sollte. Später konnte ich die Heizung im Auto nicht anmachen, weil ich Angst hatte, dass das himmlische Eis schmilzt.
Die Straßen waren nicht beleuchtet, es gab irgendwann gar keine Straßenlaternen mehr und ich war froh, als wir die Konditorei endlich erreichten. Ich dachte mir, dass es dann ja nicht mehr weit bis zu George nach Hause sein konnte. Wir kauften Unmengen von Eis und Süßigkeiten. Er sagte mir im Auto, dass es ab hier noch ca. eine dreiviertel Stunde Fahrt sei. Ich schaute ihn an und konnte es nicht glauben. Ich war mir sicher, das Eis würde schmelzen. Doch er war guter Dinge. Wir legten es daraufhin in den Kofferraum.
Endlich in Kria Vrissi angekommen stellte er mir seine Familie vor. Seine zwei Brüder und seine Mutter Theodora. Seine Tante und die Familie wohnten im Vorderhaus. Alle diese Menschen haben mich mit einer Herzlichkeit und Freundlichkeit begrüßt, wie ich sie so oft in Griechenland schon erlebt hatte. Sie haben mich vom ersten Augenblick an in ihre Familie aufgenommen. Ich werde das niemals vergessen!
Theodora kochte mir einen Kaffee elleniko, einen starken Mokka in dem der Kaffeesatz am Boden der kleinen Tasse blieb, und ich war froh angekommen zu sein. Wir gingen dann alle gemeinsam zu seiner Tante in das Vorderhaus. Besonders beeindruckt hat mich der Satz, dass es ihr Problem sei, wo ich schlafen konnte und man nun darüber ausführlich beratschlagte.
Er hatte seiner Mutter nämlich nichts davon erzählt dass ich komme!
Ich glaube es war eine sehr ungewöhnliche Situation für die Familie und leider habe ich nicht viel verstanden weil alle durcheinander griechisch gesprochen haben.
Wir tranken dann wieder einen Kaffee und man zeigte mir das Haus.
Es war schon sehr spät geworden und ich war froh als George um 23.30 Uhr sagte, dass wir ins Bett gehen sollten.
Ich war so unglaublich müde und wollte mich einfach nur irgendwo hinlegen. Man hatte beschlossen, dass ich in dem Zimmer von George und seinem Bruder schlafen durfte. Sein Bruder, der das Priesteramt anstrebte, wurde kurzerhand am späten Abend noch ausquartiert.
In dem kleinen Zimmer stand ein Ofen, in dem immer noch mit Holz geheizt wurde. Es gab also nur ganz heiß oder sehr kalt. Außerdem befanden sich zwei Betten aus Holz darin und ein kleiner Schrank.
Dann habe ich nach ein paar Handtüchern gefragt und wo das Bad sei. Theodora zeigte mir alles und ich war glücklich mich in dem sehr einfachen Bad waschen zu können.
In Deutschland ist ein gewisser Standard, ich nenne es mal Luxus, immer vorhanden. Das wird mir auch jedes Mal wieder ganz bewusst, wenn ich in den Süden reise. Wir nehmen alles als selbstverständlich hin. Wir machen den Wasserhahn auf und das warme Wasser fließt.
Ich bin dann ins Bett gekrochen und meine Gedanken hatten so viele schöne Erlebnisse zu verarbeiten.
George schaute noch fernsehen und kam dann später auch ins Zimmer. Die Zimmertür war eine Schiebetür, so wie ich sie aus meiner Kindheit, von meinem Kinderzimmer, her kannte. Ich bin mir ganz sicher, dass nachts jemand in das Zimmer geschaut hat, denn ich hörte das Quietschen der Schiebetür. Bestimmt wollten sie sicher gehen, ob wir beide nun auch getrennt in unseren Betten lagen, jeder an einer gegenüberliegenden Wandseite.
Ich wachte ein paar Mal auf und fühlte, dass der Ofen eine wohlige Wärme in den Raum brachte.
George schlief und irgendwie konnte ich das alles gar nicht glauben was in meinem Leben geschah. Ich lag nun hier, in seinem Bett, und schlief irgendwann sanft ein.
Am nächsten Morgen machte Theodora mir einen griechischen Kaffee. Sie zeigte mir stolz ihre Häkelarbeiten, sie waren wunderschön. Im Laufe der Jahre hatte sie eine ganze Truhe voll mit wunderschönen Decken bestickt und viele davon umhäkelt.
Nach dem Kaffee fuhren George und ich zum Supermarkt im Ort und kauften uns ein bisschen Proviant für den Tag. Zwei große Äpfel, Kekse und etwas zu trinken. Ich nahm noch ein Glas Oliven für daheim mit.
Als erstes fuhren wir nach Vergina um uns das Museum, das unter einem Hügel lag, und die Grabbauten von Phillip II anzuschauen.
Es war ein sehr beeindruckendes Museum, das in einen Hügel hinein gebaut worden war. Es war im Museum ganz dunkel und nur die Ausstellungsstücke wurden angeleuchtet.
Eine Treppe führte hinunter zu den original freigelegten Gräbern und George nahm meine Hand und führte mich sicher die steinerne Treppe nach unten.
Nach dem Museumsbesuch und einer kleinen Pause im hellen Sonnenlicht fuhren wir weiter in die südwestlichen Ausläufer der Zentralmakedonischen Ebene bis wir nach Veria kamen.
George zeigte mir die Stadt und die Sehenswürdigkeiten. An den Mosaiken der Apostel Paulus Predigtstelle verweilten wir eine halbe Stunde und sahen uns die Mosaiktafeln genau an. Es war erneut eine unglaubliche Stimmung und wir genossen im Anschluss einen Frappé an einem nahegelegenen großen Platz, saßen in der Sonne und spürten ihre Wärme auf unserem Gesicht.
Immer wieder fanden wir auf unseren Touren gemütliche Tavernen und die ganze Bandbreite der griechischen Küche stand auf unseren Tischen.
Die Rundfahrt ging weiter und wir besuchten die Wasserfälle in Edessa, auch Stadt des Wassers genannt.
Überall machte ich zahlreiche Fotos und ich war gespannt diese Bilder später in meinen Händen zu halten. Zu dieser Zeit hatte ich noch keine Digitalkamera und die Spannung wuchs bis zu dem Tag als ich die Fotos abholte. Diese Spannung ist heute leider verloren gegangen.
An dem Tag kamen wir bis nach Naoussa, einer größeren Stadt und bekanntes Weinanbaugebiet, am westlichen Rand der Zentralmakedonischen Tiefebene gelegen.
Voller Eindrücke und vielen Momenten, an denen ich eintauchen konnte in die noch touristisch ruhigeren Orte, kamen wir am Abend glücklich und erschöpft, in Georges Zuhause, zurück.
Seine Familie brachte mir viel Vertrauen, Liebe und unendliche Gastfreundschaft entgegen. Überall wo wir hinkamen, Freunde von ihm trafen, oder kleine Läden besuchten, fühlte ich mich herzlichst willkommen.
In einem Augenblick, als ich gerade den Wagen geparkt hatte, schaute er mich an und sagte mir, dass er sich gar nicht so gut fühlte. Ich fragte ihn warum und er er-klärte mir, dass er doch so wenig Geld habe und mir gar nichts bezahlen konnte. Ich sah ihn an und sagte ihm, dass ich ihm Folgendes jetzt nur einmal sagen würde.
Ich hätte das Hotel, den Wagen und das Essen bezahlt mit meinem Geld, aber was ist schon Geld im Vergleich zu dieser wunderbaren Zeit, die wir nie vergessen werden.
Diese gemeinsame Zeit die nie mehr zurückkehren wird. Er zeigte mir sein Leben, sein Land, seine Kultur, ich durfte das alles erleben. Das Leben ist ein Geben und ein Nehmen, ein Geschenk. Alles kehrt zu einem zurück.
Wir sprachen danach nie mehr über Geld.
Es gab Momente auf den Fahrten, in denen haben wir wie verrückt gelacht, manchmal nur der Musik im Radio gelauscht und manchmal auch mitgesungen. Ein anderes Mal haben wir eine Diskussion gehabt, sind lauter geworden oder wütend. Zwei Kulturen, zwei fremde Menschen. Mann und Frau. Zwei Sprachen und eine Dritte in der wir uns unterhielten. Das war nicht immer einfach.
George wollte mir etwas bieten und hatte sich in den Kopf gesetzt mich zu einer Kirche oben in den Bergen, zu bringen. Agia Soumela, südlich von Veria, im Bermion Gebirge gelegen.
Es war November und in den Bergen hatte es geschneit. Die kleinen, unbefestigten Straßen waren voller Schnee und Eis. Natürlich gab es hier keinen Winterdienst. Und selbstverständlich hatte ich auch keine Winterreifen am Mietauto.
Hätte ich vorher gewusst wo er hinfahren wollte, hätte ich ihn gefragt, ob er lebensmüde ist. Wir fuhren durch unzählige, kleine verschneite Orte und schon auf der Hauptstraße hatte der kleine Mietwagen so seine Probleme.
George meinte es sei alles kein Problem. Ich sah ihn nur an, als er mir sagte, ich sollte auf eine schmale kleine Straße abbiegen, die bergauf führte.
Er hatte schließlich noch nicht einmal den Führerschein, geschweige denn dass er sich mit Autos auskannte.
Ich fing an zu diskutieren und wollte sofort zurück fahren aber er beharrte darauf weiter zu fahren, es sei doch kein Problem. Wir wollten schließlich zu einer Kirche, die eine der drei wichtigsten Ikonen der Orthodoxie, die der heiligen Maria, beherbergte. Er meinte, wenn man zu einer Kirche fährt, ist Gott bei einem und es kann nichts passieren.
Ich hoffte nur still bei mir, dass Gott das auch hörte.
Also fuhren wir über schneebedeckte, eisglatte Straßen in das Gebirge zur Agia Soumela.
Am Parkplatz, der voll war mit rutschigen Eisplatten, hielten wir an und stiegen langsam aus. George drehte sich zu mir um und sah mich mit einem breiten Grinsen an. „Siehst Du, es hat doch alles super geklappt.“
Als wir in die Kirche kamen, roch es nach Weihrauch. Der Weihrauchnebel hatte die ganze Kirche durchzogen. Die Kirche war überfüllt mit Menschen die beteten und der Pfarrer sprach ununterbrochen Gebete.
Es war sehr beeindruckend und George zeigte mir, nachdem wir auch Kerzen angezündet hatten, einen Platz hinter der Kirche an dem es heiliges Wasser gab, dass wir uns ins Gesicht tupften und tranken. Es war eiskalt.
Als wir über die Eisplatten auf dem Boden zum Parkplatz zurückgeschlittert waren, kaufte ich noch ein paar Kleinigkeiten im anliegenden Kirchenladen.
Auf dem Weg zurück nach Naoussa fiel George ein, dass es noch einen landschaftlich reizvollen Ort in der Umgebung gab, und somit fuhren wir erneut hoch in die Berge. Es war zwar kalt aber hier lag noch nicht soviel Schnee.
Oben angekommen erwartete uns eine großartige Landschaft mit einem Fluss, in dem kristallklares Wasser floss, vielen alten Bäumen und einem Park, in dem eine kleine Kapelle stand.
Wir hielten an einem Parkplatz der zu einem Hotel gehörte.
Wir gingen erst gemeinsam durch den Park und als ich alleine über eine kleine Brücke weiterging, kam mir ein alter Mann entgegen, der mich vor einer kleinen Kapelle ansprach. Er wollte wissen, wo ich denn herkäme und lud mich ein, mit ihm einen Kaffee zu trinken. Ich habe ihm mit meinen paar Worten griechisch, die ich konnte, auf seine Fragen geantwortet, lehnte aber den angebotenen Kaffee höflich ab.
George war ein bisschen abseits des Weges und telefonierte ununterbrochen auf seinem Handy.
Auf dem Rückweg durch den Park beschlossen wir im Hotel etwas Warmes zu trinken und weil es langsam dunkel wurde, fuhren wir kurze Zeit später zurück nach Kria Vrissi.
Am letzten Abend kamen seine Cousine und deren Mutter zu Besuch.
Ich packte meinen Koffer und saß in seinem Zimmer. Ich war sehr traurig, dass ich wieder nach Deutschland abfahren musste. Da kam Theodora ins Zimmer und brachte mir Geschenke, die für mich und meine Mutter waren. Sie schenkte mir viele ihrer wunderschönen, feinen Häkelarbeiten. Kleine Deckchen und liebevoll umrandete Stoffservietten. Ich war so gerührt und musste ununterbrochen weinen. Die Menschen, die am wenigsten hatten, gaben mir noch Geschenke mit.
Dann klingelte schon seine Cousine und ich kehrte ins Wohnzimmer zurück da man mich rief.
Ich war in Tränen aufgelöst und habe erklärt, dass ich traurig sei wieder fahren zu müssen.
Später kam dann sein größerer Bruder, der mir sagte, dass ich von nun an immer herzlich willkommen sei in diesem Haus, die Türe stehe immer offen für mich…und die Tränen flossen…
Nach einer kurzen Nacht standen wir auf und Theodora machte mir noch einen Kaffee elliniko. Wir luden das Gepäck ein, ich wollte einfach nicht fahren, doch wir stiegen in das Auto und fuhren ca. eine Stunde Richtung Flughafen. Da wir noch etwas Zeit hatten, schlug George vor, ich sollte doch einen Umweg bis zur Stadt machen und noch mal am Meer vorbeifahren. Das tat ich und verabschiedete mich von der Stadt am Meer, die mir so ans Herz gewachsen war.
Am Flughafen angekommen, gab ich das Auto bei der Autovermietung zurück. Als ich zurück kam zur Abflughalle, war George nicht mehr zu sehen.
Ich weiß nicht, ob er Abschiede so hasst wie ich, aber er war einfach zum Bus gegangen und ist weggefahren.
5 Jahre später erfuhr ich, unabhängig voneinander, von einer Heilerin und einer hellsichtigen Freundin, dass ich schon viele Vorleben in Griechenland hatte. Nun war es für mich auch eine Erklärung dafür, warum ich immer wieder an verschiedenen Orten und Plätzen in Griechenland déjà-vu Erlebnisse hatte.
Ich wollte Erklärungen dafür, warum ich an ganz bestimmten Orten sehr stark anfing zu weinen und ich den Tränenfluss sehr oft gar nicht mehr stoppen konnte. Die Tränen liefen wie ein geöffneter Wasserhahn, der nicht mehr zuzudrehen war.
Mir war das immer wieder peinlich gewesen, doch jetzt wusste ich warum.
Ich hatte immer wieder geliebte Menschen bei schweren Unfällen verloren.
Meinen Mann bei einem Reitunfall. Es musste einen Friedhof geben auf dem heute ein Haus steht. Es ist das Haus, in dem George heute mit seiner Familie lebt. Ich saß dort im Wohnzimmer, auf dem Sofa, an einem ganz bestimmten Platz am Ende an der Lehne, und obwohl es eine fröhliche Runde war, konnte ich nicht dort sitzen bleiben. Es wurde mir ganz heiß am ganzen Körper und die Tränen begannen zu fließen. Es war mir sehr unangenehm. Ich setzte mich auf die andere Seite des Raumes auf einen Sessel und sofort hörte das Wärmegefühl im Körper auf und ich konnte aufhören zu weinen.
Ein anderes Mal, war es eine Stelle am Meer, an die ich jahrelang hintereinander zurückkehrte. Immer wieder dort fing die Energie an, durch meinen Körper zu fließen und ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Ich suchte jahrelang nach einer logischen Erklärung hierfür.
Die Heilerin sagte mir, dass ich einen griechischen Sohn gehabt hätte und er einen tödlichen Unfall bei der Fischerei hatte.
An dieser Stelle befindet sich heute das Hotel am Meer, in dem ich 1996 gearbeitet habe.
Nun denke ich, dass bestimmte Personen, die ich in meinem Leben getroffen habe, in einer ganz bestimmten Verbindung zu mir stehen. Für mich lassen sich nun viele Erlebnisse und Situationen besser verstehen.