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Schuhe!

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Seth Peters war kein sonderlich gläubiger Mensch (hier und da mal ein Stoßgebet, aber das war’s dann auch), doch in einem Punkt war er sich sicher: Schuhe sind Werke des Teufels. Das wusste er mit Bestimmtheit, denn seine Freundin Lisa war eine – wie er es gerne sagte – „Schuhfetischistin“. Keine Woche verging, in der sie nicht breit grinsend mit mindestens zwei Schuhkartons unter den Armen nach Hause kam. Das waren nur im Ernstfall Sonderangebote – meistens handelte es sich um teure Designer-Dinger. Hässlich wie die Nacht, Schmerzen verursachend, aber im dreistelligen Bereich und mit Stil. Das war generell ihr bestes Argument, wenn sie ihrem fassungslosen Freund neue Schuhe präsentierte: sie hatten Stil. Und nur das zählte.

Wie oft wurden Seth und Lisa von Freunden eingeladen? Oft spontan, meistens zu solch simplen Sachen wie Bowling oder McDonalds. Orte, wo man die Seele baumeln lassen konnte. Seth hatte für solche Anlässe ausgefranste Turnschuhe in der hintersten Ecke seines Schrankes zu stehen. Ja, sie rochen nach alten Socken, und ja, sie hatten einen Klettverschluss (etwas, das ihm häufig als kindisch und blöd vorgeworfen wurde), aber mein Gott, man ging doch auch nicht zu einer Hochzeit!

Lisa war da anders. Sie brauchte erst mal eine Stunde, um die passenden Schuhe zu finden.

Gefielen sie ihr, musste man eine halbe Stunde einrechnen, bis die Schuhe an den Füßen waren.

Gefielen sie ihr nicht, sagte man besser schon mal den Freunden ab.

Seth erkundigte sich eines Tages über Sinn und Zweck, einfachen Schuhen so eine Bedeutung beizumessen. Es war einer dieser Abende, an denen Lisa nicht aus dem Knick kam, und er saß mit seinen Turnschuhen im Sessel. „Nicht jeder muss freiwillig als Penner rumlaufen“, sagte sie mit einem abwertenden Lächeln und blickte auf seine ausgeleierten Botten.

Mit diesen Schuhen hatte er bereits im zarten Alter von Dreizehn den Sportplatz bezwungen, und es passte ihm gar nicht, überhaupt nicht, dass sie so über seine Freunde herzog.

Ihre finanzielle Situation war unterdurchschnittlich. Seths Vater bangte um seine Existenz, und Seth ließ sich dazu überreden, etwas Geld zu schicken. Arthur Peters war Angestellter in einer Radiergummifabrik, die über die Jahre hinweg über immer größere Verluste klagte. „Unsere Konkurrenz hat jetzt Bleistifte mit Radiergummis im Angebot“, hatte Arthur in einem wehleidigen Ton am Telefon gesagt. „Und da können wir nicht mithalten.“

Seth und Lisa mussten fortan auf einige Dinge verzichten, um die Miete bezahlen zu können. Seth ließ sich von seiner Freundin sogar dazu überreden, einen abendlichen Nebenjob anzunehmen. Von sechs Uhr Abends bis Mitternacht wusch er die Teller in einem chinesischen Restaurant, begleitet von einem kaputten Radio, das alle zehn Minuten einfach ausging. Unterhaltungen mit seinen Kollegen liefen meist darauf hinaus, dass er kein Wort verstand, aber das war nicht weiter schlimm.

Schlimm war es, als er den Briefumschlag mit seinem ersten Gehalt nicht wiederfinden konnte. Unter dem Sofa war er nicht, unter dem Bett auch nicht, und Seth war kurz davor, einen hysterischen Heulkrampf zu bekommen. Da ging die Wohnungstür auf, und Lisa stolzierte herein wie die Königin von Schweden, unter dem linken Arm einen Schuhkarton. Er fragte, wo sein Geld sei. Sie fragte, was er mit seinem Geld meine. Sie habe einen Briefumschlag mit Geld auf dem Bett gefunden, und sich sehr über dieses Geschenk gefreut. So sehr, dass sie sich für die neuen, teuren Schuhe, die sie unter dem Arm hielt, sogar noch etwas aus der Haushaltskasse genommen hatte.

Seth schrie. Er schrie ihr keine direkten Worte entgegen, er schrie einfach. Als das erledigt war, rannte er an ihr vorbei durch die Wohnungstür. Er verbrachte den restlichen Nachmittag in dem kleinen Park hinter ihrem Haus, bemerkte nach etwa zehn Minuten, dass er nur schwarze Socken trug, und zuckte mit den Schultern. Später ging er zum China-Restaurant.

„Du hast doch gekündigt“, bemerkte der Inhaber.

„Ja“, sagte Seth tonlos.

„Willst du Job wiederhaben?“

„Ja“

Bis um zwei stand er an der Spüle und arbeitete in einem unheimlichen Tempo. Seine Hände waren wund gescheuert, die Haut riss an einigen Stellen auf und schwoll an. Na und? Es tat gut, Schmerzen zu haben. Der Schmerz kämpfte gegen das Feuer in seinem Herzen. Ich hasse Schuhe, dachte er, immer und immer wieder. Ich hasse Schuhe, ich hasse sie, ich hasse Schuhe…

Auf dem Heimweg arbeitete sein Kopf, schlug ihm absonderliche Dinge vor und wurde nicht müde zu betonen, dass er – Seth – sich rächen musste. Irgendwie. Zunächst malte er sich abenteuerliche Szenarien aus, die ihn irgendwann an Filmszenen erinnerten. Lisa, die in einem Jutesack zappelt und darauf wartet, vergraben zu werden. Lisa, die versehentlich ausrutscht und vom Balkon fällt. Lisa, die sich wundert, wo ihr Freund plötzlich die Axt herhat.

Nein. Nein, das konnte er nicht machen. Unter Kopfschmerzen musste er sich eingestehen, dass er sie trotzdem noch liebte und begehrte. Solche Taten ließen sich leicht denken, und natürlich zauberten sie ein Lächeln auf sein Gesicht, aber die Realität sah anders aus.

Da fiel ihm etwas anderes ein. Er konnte etwas töten, das sie liebte.

Es war ein Samstag, und Lisa musste arbeiten. Sie stand um Sechs auf, verbrachte eine Lebenszeit im Bad und verließ wortlos die Wohnung. Seth hatte auf dem Sofa genächtigt, ohne Decken, ohne Kissen, und er hatte keine einzige Minute geschlafen. Als die Wohnungstür zufiel, sprang er wie ein Kastenteufel auf, schob den Riegel vor die Tür und hechtete ins Schlafzimmer. Aus irgendwelchen Gründen, die ihm selbst nicht ganz bewusst waren, zog er die Vorhänge zu und streifte sich die schwarzen Handschuhe über, die er für den nahen Winter parat hatte.

Dann sah er den Wandschrank an.

In einer kranken Form von Evolution hatte er Lisa immer mehr Platz in diesem Schrank zugestanden. Anfangs war alles fachgerecht aufgeteilt; er besaß die linke Seite des Schrankes, sie die rechte. Leise und schleichend nahmen ihre Sachen immer mehr Platz ein, verdrängten Seths Kleidungsstücke und zwangen ihn schließlich dazu, seine Anzüge in derselben Schublade aufzubewahren wie seine Socken.

Er öffnete den Schrank, leise, als könnte ihn jemand hören. Sofort stieß ihm der Geruch von Parfüm, neuer Kleidung und Frau entgegen und ließ seine Augen tränen. Er konnte sich kaum sattsehen an der bunten Vielfalt von Kleidern, Hosen, Röcken, Strumpfhosen und… Schuhen. Diese nahmen den ganzen Boden und zwei weitere Schubfächer ein. All diese Schuhkartons, überall die verschiedenen Markennamen, überall Trauer und Leid.

Seine Hände wühlten herum, schoben Sachen beiseite und wühlten weiter. Beinahe wäre er in Panik verfallen, da er ihn zuerst nicht fand, doch unter einem schlampigen Haufen oft getragener Tops entdeckte er den Schuhkarton, den sie bei ihrem letzten großen Einkauf siegesbewusst unter dem Arm getragen hatte. Er nahm den Deckel ab und erblickte ein Paar hochhackiger Schuhe, dunkelblau. Die Marke überflog er wie Spam in einer Mail. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Lisa ihm sogar den Lebenslauf des Designers darlegen konnte, ohne eine Atempause zu gebrauchen.

Seth kicherte diabolisch. Er drückte den Karton an seine Brust, hastete ins Wohnzimmer und zum Balkon. Der war nicht sonderlich groß, erfüllte aber seinen Zweck. Sie hatten freie Sicht auf den kleinen Park, den er gestern zwecks Beruhigung besucht hatte. In diesen frühen Morgenstunden war niemand zu sehen. Das war gut. Es war fantastisch.

Der Grill stand trotz der einziehenden Kälte noch wacker seinen Mann. Kein neumodisches Elektrozeug, nein Sir, richtig viel Kohle, richtig viel Zündstoff, Feuer und Qualm. Niemand beschwerte sich über diesen altmodischen Grill, ausgenommen Herr und Frau Öko in der Nachbarwohnung, die mit ihren Tomaten und Paprika ins Bett gingen. Richtige Beschwerden gab es aber bisweilen nicht. Also würde sich auch niemand wundern, wenn’s bei Peters mal wieder qualmte.

Er holte ein Feuerzeug aus der Hosentasche, legte es auf das Balkongeländer und nahm den Schuhkarton in beide Hände. Es raschelte darin geheimnisvoll. Aber es waren nur zwei Schuhe. Zwei nutzlose, nach Fabrik stinkende Schuhe. Und gleich nur noch Staub und Asche.

Seth legte den Karton auf den Grill, begoss das Ganze mit ein bisschen Brennspiritus, der immer griffbereit neben dem Grill stand, und griff lechzend nach dem Feuerzeug.

Und es brannte Es brannte herrlich, lichterloh und reinigend. Der Qualm schoss sofort in den Himmel, aber niemand würde es bemerken. Die Menschheit schlief noch, und selbst die Frühaufsteher würden sich nichts aus dem bisschen Qualm machen.

„Brenne“, zischte Seth gierig. „Brenne!“

Zuerst verfärbte sich der Karton, von hell- über dunkelbraun bis hin zu schwarz. Dann fing es im Inneren an, zu knistern… und zu rascheln. Hätte man eine kleine Meise gehabt, man hätte denken können, der Schuh wolle sich aus der Feuerfalle befreien. Den Deckel heben und aus dem dritten Stock springen. Auf eine merkwürdige Art gefiel Seth der Gedanke.

„Aber leider geht das nicht“, murmelte er. „Leider bist du in Papier eingewickelt, ha-ha!“

Eben noch um ein leises, stilles Vorhaben bemüht, warf Seth Peters den Kopf in den Nacken und bellte vor Lachen. Es kümmerte ihn wenig, was für ein Bild er abgab. Da stand nur ein Kerl auf seinem Balkon, der lachend etwas verbrannte.

Und wie es brannte!


Seth gönnte sich einen Kaffee beim türkischen Bäcker seines Vertrauens, eine Straße weiter. Nach kurzer Träumerei entschied er sich dann noch für ein frisch belegtes Brötchen. Der Bäcker mit Namen Asluf bemerkte, das Seth gut gelaunt war.

„Weißt du, mein lieber Asluf, es gibt Tage im Leben eines Mannes, in denen er einfach mal zeigen muss, dass er ordentlich Eier in der Hose hat. Weißt du, was ich meine?“

Asluf stieß ein stolzes, schallendes Lachen aus und schlug Seth über den Tresen hinweg auf die Schulter. Seth grinste so sehr, dass seine Mundwinkel langsam schmerzten.

Mit dem Glück im Herzen und freudiger Leere im Kopf ging er wieder nach Hause und hüpfte die Stufen hinauf. Wie lange würde Lisa noch arbeiten? Gute sieben Stunden inklusive Heimfahrt. Und es stand noch ein Bier im Kühlschrank. Der Tag konnte gar nicht besser laufen.

Er ging zunächst ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Irgendeine Wiederholung eines Actionfilms. Es fing mit einer Explosion an, und das war doch schon mal nicht übel. Das nächste Ziel war die Küche. Das Bier war eiskalt und feuchtete seine Hände an. Es zischte angenehm, als er es öffnete. Er wollte sich gerade hinsetzen und vor sich hin muffeln, als er bemerkte, dass er seine Schuhe noch gar nicht ausgezogen hatte. Mit einem Anflug von Ironie (Schuhe, ha-ha-ha, Schuhe!) ging er ins Schlafzimmer, setzte sich auf das Bett und begann, seine Schnürsenkel auseinander zu fummeln. Sein Blick fuhr beiläufig zum Schrank, der weit offen stand.

Hatte er ihn nicht zugemacht? Die Frage nagte nicht an ihm, aber eigentlich war er sich ziemlich sicher, dass er in seiner korrekten Art die Tür geschlossen hatte.

„Ach, Scheiße“, sagte er. „Ist doch auch egal.“

Er ging hinüber und schloss die Tür. Dann ging es wieder weiter mit den Schnürsenkeln. Aus alter Gewohnheit machte er immer drei Knoten, bevor die Schleife an der Reihe war, und dementsprechend schwer war es im Nachhinein, die Dinger aufzukriegen.

Als es kurz quietschte, tat Seth das als normales Geräusch ab, so wie ein vorbeifahrendes Auto oder ein schreiendes Kind auf der Straße. Er schaute auf und sah die offene Schranktür.

„Okay“, murmelte er. „Was soll die Pisse?“

Er stand auf und steckte seinen Kopf in den dunklen, penetrant riechenden Schrank. Er stand beinahe schon im Inneren, vermutete irgendeinen defekten Mechanismus, im Ernstfall vielleicht ein wildes Tier. Als die Tür schwungvoll zugeworfen wurde und seinen Rücken traf, dachte er instinktiv an einen Mörder, ein verrücktes Kind oder einen wahnsinnigen Penner.

„Wer war das?“, rief er unter Schmerzen und stolperte zum Bett. Die Tür war zwar keine Guillotine, aber den harten Schlag des Holzes würde er auch morgen noch spüren. Und natürlich war auch niemand da, der die Schuld auf sich nehmen wollte. Nur Seth, der mörderische Schrank und ein offenes Bier im Nebenzimmer. Im Fernsehen schrie irgendjemand: „Scheiße, sie kommen!“ Seth ließ die Finger knacken, eine nervöse Tätigkeit seinerseits, und beruhigte sich selbst. Wer sollte denn schon hier sein? Er hatte die Tür abgeschlossen. Hundertprozentig. „Nur irgendein Defekt“, versicherte er sich und musste lachen. Sein realitätsnaher Verstand ließ selbstverständlich keine andere Lösung zu.

Dann wurde er in den Arsch getreten, seiner empfindlichsten Zone, abgesehen vom Schniedel. Er schrie auf und drehte sich ruckartig um. Niemand da. Niemand, der sich einen Scherz mit ihm erlaubte. Und wenn doch, musste es sich um ein Gespenst handeln. Vielleicht noch mit Bettlaken über dem Kopf, zwei Gucklöcher inklusive. Unsinn! Wahrscheinlich war es der Wind, der...

Noch ein Tritt, diesmal in die Ferse. Seth drehte sich reflexartig um, konnte auf Augenhöhe niemanden entdecken und sah weiter nach unten. Er wollte nervös lachen, konnte es aber nicht.

Da stand ein High Heel Pumps. Dunkelrot und ziemlich allein. Seth kniff die Augen zusammen und erinnerte sich, dass Lisa diese Schuhe häufig im Urlaub trug, meist um ihren vorgegaukelten Luxus in alle Welt zu tragen. Er konnte sich bei bestem Willen nicht entsinnen, dass der Pumps schon da stand, als er vor einer Stunde ins Schlafzimmer gekommen war.

„Das ist doch jetzt ein Scherz!“, sagte er. „Lisa! Komm raus! Ich weiß, dass du das bist! Es ist wegen deiner dämlichen Schuhe, oder?“

Halts Maul!“

Die Stimme klang schrill und wütend, aber Seth konnte sich bei aller Liebe nicht vorstellen, dass sie zu Lisa gehörte. Trotzdem kam die Stimme aus diesem Zimmer, sie kam… vom Pump? Konnte das ernsthaft wahr sein? Hatte ein Schuh ihn gerade angepöbelt?

„Was geht hier ab?“, sagte Seth und sah sich um.

„Was soll schon abgehen? Du sitzt in der Scheiße!“

Okay, die Stimme kam tatsächlich vom Schuh. Aber... das ist doch nur ein Stück Leder! Wie kann es sprechen? Wie kann es sich von selbst bewegen? Verdammt, wie kann es ihn überhaupt sehen?

„Schön...“, murmelte Seth. „Schön, schön. Ich werde hier gerade mächtig verarscht. Lisa, du denkst wohl du könntest mir mit deinem dummen Schuh und deiner verstellten Stimme Angst einjagen? Da hast du dich getäuscht, du dumme Kuh! Ich werde jetzt…„

Ein weiterer Tritt, diesmal gegen seinen Hinterkopf. Er war nicht schmerzhaft, erinnerte Seth eher an eine Nackenschelle mit dem Lineal, aber trotzdem schrie er überrascht auf und suchte die Stelle sofort nach einer Beule ab.

„Mach dich doch nicht lächerlich!“, sagte jemand anderes – diesmal eine Herrenstimme -, Seth drehte sich zu ihr, und in seinem Gedankengang explodierte irgendwo das letzte Fass Vernunft.

Seine Hausschuhe lehnten keck an der Unterseite seines Bettes. Die alten, braunen Kuscheldinger, die er irgendwann mal von seiner Mutter zum Geburtstag bekommen hatte.

Seths Augen sprangen aus ihren Höhlen. „Hast du ... hast du das gerade gesagt?“

Die Schuhe schnauften. Sie schnauften! „Wer sonst, dein Oberhemd? Hör mal zu, du verdammtes Arschloch. Das war eine ganz miese Nummer heute Morgen. Hast wohl gedacht wir sehen das nicht, hä? !? Antworte mir!“

„W-was meinst du denn, um Himmels Willen?“

„Stell dich doch nicht dümmer als du aussiehst!“, keifte der einzelne Pumps ihn uncharmant an. „Du hast ihn verbrannt! Du hast den armen, wehrlosen Neuankömmling verbrannt!“

Jetzt formten sich erste Umrisse dieser schlechten Horrorkomödie in Seths Gedanken. Er hatte heute Morgen einen Schuh angezündet und nun waren seine Brüder und Schwestern hinter dem Mörder her. Das klang nicht nur dämlich, es war dämlich! Es gab nur eine logische Erklärung für diese absurde Situation: er träumte. Ja, eigentlich lag er in seinem kuscheligen Bettchen, in das er nach seinem Besuch beim Bäcker gefallen war. Angespornt von diesem zweifelhaften Selbstvertrauen, baute sich Seth vor dem Pumps auf und maßte sich ein smartes Lächeln an. „Hört mal, ihr laufenden, schlechten Witze. Wir sind hier nicht in irgendeiner Geschichte von Stephen King, also packt euch wieder von alleine ein und wartet auf eure Herrin!“

Das löste bei den Schuhen tatsächlich so etwas wie überraschte Stille aus. Sie starrten ihn an (oder taten sie es nicht? Wo, zum Teufel, waren ihre Augen?) und schwiegen lange. Seth fühlte sich ein wenig gestärkt und fuhr fort: „Ich hab ein Bier im Wohnzimmer zu stehen, und ich würde es jetzt gerne trinken, Traum hin oder her. Also wenn ihr nicht in eure Schachteln wollte, muss ich…“

Schweig!“, schrie eine bis dato unbekannte Stimme, und Seth zuckte unter der tiefen Tonlage dieses Wortes tatsächlich zusammen. Ein paar stille Sekunden später wurde die oberste Schranktür (in der Seth und Lisa unwichtige Dinge wie Geschenke ihrer jeweiligen Eltern verstauten) aufgeworfen und ein greller Lichtstrahl erfasste ihn wie der Scheinwerfer eines nahenden Autos. Als er sich langsam an das gleißende Licht gewöhnte, konnte er seinen Augen nicht trauen.

Da stand eine Sandale – ja, eine Sandale – und sah auf ihn hinab. Sie leuchtete wie ein Glühwürmchen und schien das Licht im Raum auf sich zu ziehen. Seth konnte sich nicht erinnern, in das oberste Fach jemals seine Sandalen getan zu haben. Es waren die Sandalen, die er bei einer Reise nach Italien eher aus Scherz gekauft hatte.

„Du elender Mensch!“, sagte die Sandale. Die Stimme erinnerte Seth an das tiefe Gebrumme von Louis Armstrong. „Du spottest über uns, doch dabei bist du selbst der Verspottete!“

„Was… aber… nein! Du bist nur eine Sandale!“

„Mach dich nicht über unseren Herrn lustig!“, rief ihm der Pumps zu und trat ihm auf den Fuß. Seth schrie auf vor Schmerz (der Absatz hatte sich in seinen großen Zeh gebohrt) und fiel der Länge nach rückwärts auf sein Bett. Dort blieb er gelähmt liegen und sah demütig zu der leuchtenden Sandale auf, die inmitten von altem Geschenkpapier und ungeliebten Geschenken aussah wie der Gott einer grotesken Kultur von Dingen, die nicht atmen konnten.

„Du hast einen der unseren getötet!“, sagte die Sandale. „Du hast ihn qualvoll in seinem Zuhause verbrannt, ohne dass er hätte flüchten können! Seine Schmerzensschreie waren laut und qualvoll.“

Seth stotterte. „I-ich weiß nicht was ihr meint! Ich habe geschlafen und war beim Bäcker!“

Die Sandale nickte – irgendwie! -, worauf zwei alte schwarze Herrenschuhe, die Seth nur ungern bei festlichen Anlässen trug, unter dem Bett hervorkamen und eine Kiste hinter sich her zogen. Auf dem Deckel war krumm und schief ein Kreuz gemalt, sowie das heutige Datum. Sie stellten die Kiste so ab, dass Seth sie problemlos im Liegen sehen konnte, und schlichen wieder unter das Bett.

„Öffne die Schachtel.“, sagte die Sandale.

Seth zögerte und biss sich auf die Lippen.

„Öffne die Schachtel!“

Er beugte sich nach vorne und zog den Deckel im Sitzen von dem Karton. Ein beißender Gestank von verbranntem Leder stieg ihm in die Nase. Die neuen Schuhe seiner Freundin lagen darin. Die, die er heute Morgen sadistisch verbrannt hatte. Nun waren sie nicht viel mehr als schwarze Kohlen, die auseinander fielen. Irgendjemand hatte das Innere mit rotem Samt geschmückt. Das reichte, um Seth wieder Mut zu schenken. Die Sache wurde ihm langsam wirklich zu blöde.

„Siehst du, was du getan hast?“, fragte die Sandale ihn. Die anderen Schuhe – der Pumps und die Hausschuhe – zischten ihm Flüche entgegen.

„Ja, oh Herr!“, antwortete Seth, nicht ganz ernst. „Ich habe ein Paar Schuhe verbrannt. Ich gebe es zu! Was wollt ihr nun mit mir machen? Meine Füße vergewaltigen?“

Das erzeugte erneut unheilvolle Stille, gefolgt von bösem Getuschel. Man konnte hören, wie sich andere Schuhe (das „Fußvolk“, dachte Seth amüsiert) im Schrank unterhielten, während das Papier ihrer Schuhkartons leise raschelte.

„Möchtest du wirklich diesen Weg einschlagen, mein Sohn?“, fragte die Sandale mit einer Spur von Trauer. „Möchtest du den Pfad der Schande betreten?“

Seth lachte humorlos. „Ich rotz dir gleich in die Sohle, du Penner!“

Die Sandale drehte sich langsam von rechts nach links. „Nun denn. So soll es sein.“

Seth malte sich bereits aus, wie er das ganze, verfluchte Schlafzimmer mit Benzin bespritzen würde, als ganz oben auf dem Schrank, aus der düsteren Düsternis, zwei Schlittschuhe – Lisas Schlittschuhe – heraustraten. Ihre Kufen funkelten im Licht der hereinfallenden Sonne, als hätten sie sich tatsächlich für diesen Anlass irgendwo schleifen lassen. Dann sprangen sie auf ihn zu, die messerscharfe Seite auf seinen erbärmlichen Menschenkopf gerichtet. Seth erwischte seinen Hodensack dabei, wie er auf minimale Größe schrumpfte.

Er wich dem ersten Schuh ohne Mühe aus, doch der zweite beschrieb eine Kurve in der Luft und erwischte Seths Wange. Das Eisen riss ein bisschen Fleisch weg und hinterließ eine gerade rote Linie. Mit etwas Pech würde das eine Narbe werden.

Die Schlittschuhe fielen zu Boden, überschlugen sich ein paar Mal und blieben dann reglos liegen. Seth wünschte sich verzweifelt, endlich aufzuwachen, als er im Augenwinkel sah, wie der Pumps pfeilgerade auf ihn zugeflogen kam. Seth war zu langsam. Der Pfennigabsatz erwischte ihn genau unter dem Knie. Es war keine atemberaubend tiefe Wunde (der Absatz war einfach zu stumpf), aber es tat höllisch weh und würde mindestens einen lila Fleck nach sich ziehen.

Aber damit nicht genug. Seine kuscheligen Hausschuhe kamen angepoltert wie zwei zu klein geratene Braunbären und flogen ihm ins Gesicht. Es fühlte sich an wie eine schallende Ohrfeige. Erneut wäre Seth beinahe umgefallen, konnte sich aber auf den Beinen halten. Als die Hausschuhe erneut zum Angriff ansetzten, fing er einen in der Luft ab und warf ihn geradewegs aus dem offenen Fenster. Dabei schrie er. Der Schuh schrie!

„Tötet den Mann!“, sagte der andere, verbliebene Hausschuh trocken und kam auf ihn zugeflogen. Seth war zu langsam, diesmal wurde er mit einem Schlag auf die Nase gestraft. Aus seinem Mund kam ein wütendes Winseln, er drehte sich zum Schrank, um das Oberhaupt, diese verfluchte Sandale, an sich zu reißen und in Stücke zu fetzen, als er den reinen Horror sah: aus dem Schrank kam eine Armee von Flip-Flops, jeweils seine und Lisas, ehemals Freunde an heißen Tagen. Doch nun glichen sie wilden Bestien, knurrten und hechelten, kamen direkt auf ihn zu. Ihre Schritte klangen wie Regen, der auf eine Plane tröpfelt. Und bevor er sich versah, klebten bereits einige wie Saugnäpfe an seinem Bein. Wilde Blutegel, in vielen verschiedenen Farben.

„Lasst mich in Ruhe!“, rief er panisch und schüttelte sein Bein. Das andere nutzte er indes, um zur Schlafzimmertür zu hüpfen. Er musste hier raus. So schnell wie möglich.

Aus dem Schrank strömten immer noch Schuhe, kleine und große, schwarze und bunte. Er sah Lisas Ballettschuhe, elegant eine Pirouette schlagend; sah seine grünen Gummistiefel, brüllend und ungezähmt wie wilde Nilpferde. Sie traten ihn in den Hintern, gegen das Schienbein, manche flogen gegen seine Brust und gegen seinen Kopf. Er schüttelte sie ab, wedelte wild mit den Armen und flog förmlich aus dem Zimmer. Er warf die Tür zu, drehte den Schlüssel, schloss sie ab. Die Schuhe schlugen dagegen. Bei den kleinen, leichten Dingern ertönte nur ein leises Plätschern, aber die großen Straßenschuhe knallten dagegen, dass es nur so wackelte.

Sein Kopf sagte ihm immer noch, dass das alles gar nicht passieren konnte, passieren durfte. Seinen Beinen war das relativ egal. Sie hasteten zur Wohnungstür. Kurz davor blieb er stehen und warf einen unsicheren Blick zurück. Einer der Schuhe rammte die Tür so sehr, das ein kleiner Riss entstand, der mit jeder Sekunde größer wurde. Er hörte Schreie, Flüche und empörtes Geplapper.

„Grundgütiger...“, murmelte er, öffnete die Wohnungstür und rannte ins Treppenhaus. Er nahm vier bis fünf Stufen auf einmal, wäre mehrfach beinahe ausgerutscht und blieb plötzlich stehen. Bisher hatte er nichts dagegen gehabt, dass manche Leute ihre Schuhe vor die Tür stellten, doch daran sollte sich nun etwas ändern. Die harmlosen Kinderschuhe der Kleinfamilie einen Stock tiefer zitterten anfallartig und drehten sich zu ihm. Ein Paar Turnschuhe wedelten mit ihren Schnürsenkeln, benutzten sie als spinnenartige Beine und richteten sich auf. Sie stellten sich ihm in den Weg.

Klonk. Klonk. Klonk.

Seth drehte sich langsam um. Eine Treppe höher standen zwei Springerstiefel, wahnsinnig groß, schwarz und glänzend. Ihr Scherzkeks von Besitzer hatte an der Vorderseite, jeweils an den Seiten der Schnürung, richtige Nieten befestigt. Die Schnürung zog sich auseinander, die Nieten waren plötzlich die Zähne eines vertikalen Mauls. Die Springerstiefel fauchten Seth an.

Okay, er musste wirklich hier weg. Mit zitternden Händen umfasste er das Geländer, sprang mit angezogenen Beinen darüber, vorbei an den Kinder- und Turnschuhen, und landete eine Etage tiefer. Dabei knackste er sich den Fuß unglücklich an einer Stufe an und zischte vor Schmerz. Doch es war keine Zeit für Wehleidigkeit. Die Turnschuhe bewegen sich hastig auf ihren Schnürsenkelbeinen auf ihn zu, pantherartig huschten die Springerstiefel über die Stufen. Seth – nun leicht humpelnd – bewältigte die nächste Treppe und sah die Haustür. Da hörte er ein Klackern. Bei seiner Flucht hatte er völlig den Niederländer im Erdgeschoss vergessen, der in seiner nationalen Verliebtheit ein Paar Holzschuhe vor seine Tür gestellt hatte. Seth zwang sich, keinen Rückzieher zu machen, nicht nach hinten zu schauen, immer die Haustüre im Blick zu haben. Als er endlich dort angekommen war, die Türklinke bereits in der Hand, raste das Paar Holzschuhe raketenartig an ihm vorbei und durch das Glas der Haustür. Glassplitter flogen um ihn herum, schnitten sein Gesicht auf. Die Holzschuhe landeten auf dem Gehweg und schienen nur noch zwei dumme Schuhe zu sein.

Egal. Tür auf und raus hier.

Die Morgenluft war herrlich, versetzte ihn fast in eine angenehme Benommenheit, die ihn zwang, ein paar Sekunden stehen zu bleiben. Dann spürte er kaltes Metall in seinem Bein und wärmende Nässe, die sich ausbreitete. Einer der Springerstiefel hatte sich angeschlichen und im richtigen Moment zugeschlagen. Seth hielt kurz inne, dann schrie er auf. Blut tropfte aus dem festen Biss des Stiefels, der nicht loslassen wollte und sich in das frische Fleisch verbiss. Seths Hände fuhren nach unten, packten den Stiefel am oberen Ende und zogen. Er spürte langsam, aber sicher, wie sich die Nieten aus seiner Wunde zogen, aber er konnte nicht länger warten. Mit einer letzten, großen Kraftanstrengung riss er den Springerstiefel von seinem Bein, seine Hose riss, die Wunde wurde nochmal um ein paar Zentimeter erweitert, aber das Ding war ab. Seth schwang es im Kreis und knallte es wie einen Football auf den Boden. Der Stiefel wimmerte wie ein angeschossenes Tier, zitterte und zuckte. Aus seinem Maul, der Schnürung, kam eine gelbliche Substanz. Seth wandte angewidert den Blick ab und humpelte weiter Richtung Straße. Er dachte an Asluf, den sympathischen Bäcker, und Hoffnung keimte in seinem Kopf auf. Der Bäcker befand sich bereits an der Straßenecke, und Seth zwang seine Beine, weiter zu laufen. Die Fleischwunde brannte.

Asluf stand an der Theke und blätterte relativ lustlos in einer Zeitung herum. Als Seth Peters wie ein abgestochenes Schwein durch die Eingangstür kam, wurden Aslufs Augen so groß wie Fußbälle.

„Asluf! Hilf mir! SCHUHE!“

Der Bäcker zeigte auf seine Ware. „Nichts Schuhe, nur Brötchen!“

Seth, der den Boden bereits mit Blut einsaute, bemerkte schnell, dass er hier keine konstruktive Hilfe erwarten konnte. Er fuhr sich durch die Haare, jammerte und verwand so schnell durch den Eingang, wie er hereingekommen war.

Kein Mensch in der Nähe. Kein Leben. Aus der Ferne konnte er Treten und Trampeln hören. Für einen kleinen Moment war er drauf und dran, eine Autoscheibe mit dem Ellenbogen einzuschlagen, als es hinter ihm zischte und fauchte. Seth drehte sich langsam um. Der andere Springerstiefel war inzwischen wütend geworden. Man hatte ihm seine Partnerin geraubt. Hinter dem Stiefel, aus einem kleinen Gebüsch, kamen die restlichen Schuhe angeschlichen. Die Flip-Flops hüpften wie aufgeregte Kinder hin und her, ein Gummistiefel sabberte und grunze.

Seth schüttelte den Kopf, begann bereits rückwärts weiterzulaufen, und fiel in seiner ganzen Länge auf den Asphalt der Straße. Seine Nase knackte und er spürte weiteres Blut, schmeckte bereits den metallischen Geschmack auf seiner Zunge. Er drehte sich auf den Rücken, schrie den Himmel an und sah an sich hinab. Seine eigenen Schuhe pulsierten an seinen Füßen. Was anfangs einer angenehmen Massage glich, weitete sich zu unfassbarem Schmerz. Die Schnürsenkel beider Schuhe flogen wie von Zauberhand durch die Luft und verknoteten sich ineinander.

„Was macht ihr denn?“, winselte Seth.

Seine Schuhe hielten kurz inne. „Das einzig richtige, Kumpel.“

Als er den Springerstiefel kopfüber auf sich zu trampeln sah, schrie Seth Peters so laut wie nie.

„Er hat was getan?“, fragte Lisa Littau geschockt.

Der Polizist hatte buschige Koteletten und ließ einen Bleistift in der Hand umhertanzen. „Er hat Schuhe angeschrien, Frau Littau. Sie lagen friedlich um ihn herum und er brüllt und schreit als würde die Welt untergehen. Das sagt jedenfalls unser einziger Augenzeuge, ein gewisser Asluf. Vorher sei ihr Freund – Seth – zu ihm in den Laden gekommen und hätte etwas von Schuhen gefaselt. Da blutete sein Bein schon ziemlich stark.“

Lisa kämpfte um Fassung. „Wie konnte das passieren? Wer hat ihm das angetan?“

„Wir hatten zunächst den Verdacht, dass es der verrückte Postbote war, der seit einigen Wochen sein Unwesen treibt. Der wurde aber zur selben Zeit ganz woanders gesehen. Also nehmen wir an, dass er sich die Wunde irgendwie selbst zugefügt hat. Da wären wir auch gleich beim nächsten Punkt, Frau Littau. Ich schätze, ihr Freund muss in psychiatrische Behandlung.“

„Was? Aber…“

Der Polizist nickte und seufzte. „Es ist das Beste, Frau Littau. Auf der ganzen Straße lagen Schuhe verstreut, selbst von ihren Nachbarn. Als wir oben in ihrer Wohnung waren... nun, wie soll ich es sagen. Zwei Türen waren durchbrochen, auch dort lagen überall Schuhe. Der Fernseher lief und ein Bier stand auf dem Tisch. Bei ihm muss ganz plötzlich eine Sicherung durchgebrannt sein.“

Sie überlegte kurz. „Kann ich ihn sehen?“

„Wenn Sie unbedingt wollen. Aber seien Sie vorsichtig, er könnte gefährlich sein. Er ist hinten den Gang runter, die letzte Tür links. Ich hab dem Wachmann bereits gesagt, dass Sie kommen würden.“

Lisa nickte und ging. Auf halber Strecke rief ihm der Polizist noch etwas nach. „Und ziehen Sie ihre Schuhe vorher aus! Der Kerl wird ganz verrückt, wenn er welche sieht!“

Sie ging mit gespannten Erwartungen den Gang entlang und bekam vom aufsichtshabenden Polizisten tatsächlich den erhobenen Daumen präsentiert – alles super! -, bevor er sie hereinließ.

Der Raum war beige und ein vergittertes Fenster stand offen. Die Vögel zwitscherten, als wäre alles normal wie immer. Seth starrte seine Freundin forschend an. Er saß auf dem Boden, die Hände auf dem Rücken mit Handschellen verziert. Er wirkte ängstlich und ... nun, nicht ganz dicht.

„Seth?“, fragte sie. „Geht... es dir gut? Alles in Ordnung?“

Sein Blick fuhr schnell zu ihren Füßen, und als er keine Schuhe sah, schien er ungemein erleichtert zu sein. Dann hielt er kurz inne und sah zum Fenster hinaus.

„Sie haben mich angegriffen.“

„Was? Wer? Eine Bande? Wer, Seth? Wer?“

Er sah sie an, auf eine unheimliche Art wie Renfield, Draculas verrückter Diener. „Deine Schuhe, Liebling. Deine Schuhe! Sie haben mich angegriffen und wollten mich zerfleischen!“

Aus ihrer anfänglichen Hoffnung, dass ihr Freund wenigsten zu ihr ehrlich sein würde, wurde recht schnell Kummer und Zorn. Sie schüttelte wild mit dem Kopf. „Meine Schuhe? Ein paar Schuhe wollten dich also umbringen, ja?“

„Eine Sandale!“, rief er zusammenhangslos. „Ihr Anführer war eine Sandale! Diese olle Mistding aus Italien!“

Sie entfernte sich langsam Richtung Tür. Seinen Augen blitzten verrückt auf.

„Ich werde die Einweisungspapiere unterzeichnen, Seth.“

„Deine Schlittschuhe hätten mich fast ermeuchelt, du blöde Kuh!“

Das war der letzte Stoß, den sie brauchte. Sie ging wortlos aus dem Zimmer und rannte den Flur entlang, wahrscheinlich nach Hause, um ihre... ihre Schuhe wieder einzuräumen.

Aber er war wieder allein. So wunderbar allein. Er kicherte und rieb seine Füße aneinander wie zwei Stöcke. All der Trubel hatte dazu geführt, dass seine Socken ziemlich mitgenommen aussahen. Eine hatte ein großes Loch, das sich zu dehnen schien. Doch solange es hier keine Schuhe gab, war Seth glücklich. Er würde nie wieder welche tragen. Nie wieder!

„Seth“, sagte die Socke mit dem großen Loch. „Wir müssen uns mal unterhalten.“

Absurd

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