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Mountain View Estates, ein Viertel voller Multi-Millionen-Dollar-Villen in der noblen Vorstadt Calabasas, befindet sich im Santa-Monica-Nationalpark. Von der Innenstadt von L.A. aus fährt man 40 Minuten gen Westen – wenn kein Verkehr herrscht, was aber nie der Fall ist. Nur mit einer Einladung wird man in diese „gated community“ eingelassen. Sobald man vom Wachpersonal durchgewunken wurde, erwartet einen ein monumentaler Springbrunnen, der feinen Sprühregen in die Luft ausstößt. Außer einer sanften Brise herrscht hier Stille. Gelegentlich rollt ein Nobelschlitten aus einer Einfahrt. An einem freundlichen Nachmittag im Oktober 2014 genießen hier die Bewohner all die suburbane Pracht, während ein paar lateinamerikanische Arbeiter die Häuser und Grundstücke in Schuss halten. Ziegeldächer, schmiedeeiserne Skulpturen und auch bei Dürre makellos getrimmte Rasenflächen soweit das Auge reicht.

Mit seiner pompösen wie seelenlosen Architektur ist Calabasas ein Anzugspunkt für Reiche und Berühmte, die gerne zeigen, was sie haben. Mountain View Estates liegt genau westlich von Hidden Hills, das sich in den letzten Jahren einen Namen dank besonders prominenter Anwohner wie Kanye West und Kim Kardashian, Jennifer Lopez oder Drake gemacht hat.

Vier Monate lang hatte ich Jerry Heller erfolglos wegen eines Interviews genervt. Als ich ihm sage, dass ich gerne das Haus sehen würde, in dem Eazy-E gelebt hat, zwei Häuser von seinem entfernt, kündigt er zu meiner Überraschung dem Security-Mann mein Kommen an. Ich schieße ein paar Fotos von Eazys alter Bude: Großer Pool, atemraubender Ausblick, eine skurrile Statue von zwei Jungs auf dem Rasen, von denen einer eine Geige hält. Anschließend empfängt mich Heller vor seiner Garage für drei Autos, in der ein Jaguar und ein VW parken. Hellers 450 Quadratmeter großes, 1990 erbautes Haus hat ein Dach im spanischen Stil, ein großes Aussichtsfenster an der Vorderseite sowie einen schmuckvollen Balkon.

„Wir können uns unterhalten, aber kein Interview“, informierte mich der ehemalige Manager von N.W.A in einer E-Mail. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll, folge ihm aber, halb beklommen, halb neugierig, in sein Haus. So ziemlich jeder hat eine Meinung zu Jerry Heller. Er war die Zielscheibe von mindestens ebenso vielen Diss-Tracks wie Tipper Gore – und ich bin neugierig darauf, ihn privat kennenzulernen. Mittlerweile in seinem achten Lebensjahrzehnt angekommen, sieht man ihm sowohl sein Alter als auch die Nachwirkungen einer von Konflikten geprägten Karriere an: Sein Gesicht hängt herunter, seine weißen Haare sind ausgedünnt und sein Gang wirkt zaghaft. In seinen weißen Tennisschuhen und seinem blauen Poloshirt nimmt er einen Anruf entgegen, während ich die Einrichtung seines Wohnzimmers begutachte. Auf seinem Tisch stapeln sich Artikel aus Magazinen über ihn und N.W.A und alte Alben der World Class Wreckin’ Cru. Auch eine frühe Platte von Eazy-E und Ron-De-Vu mit dem Titel „L.A. Is The Place“ liegt dort. Die moderne Kunst an den Wänden wirkt kostspielig und über dem Kamin hängt ein Bild von ihm und seiner blonden, vollbusigen und viel jüngeren Exfrau Gayle Steiner. Die beiden verband eine Leidenschaft für Rettungshunde.

Irgendwann beendet er sein Telefonat. Wir unterhalten uns ein paar Minuten lang, bevor er erneut einen Anruf erhält. Es hat irgendetwas mit dem Filmemacher Jim Sheridan zu tun, von dem er sagt, dass er dafür vorgesehen sei, seine Autobiografie Ruthless zu verfilmen. Schließlich schenkt er mir aber doch seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Darf ich mein Aufnahmegerät anstellen?“, frage ich ihn irgendwann. Seine Antwort darauf ist eindeutig: „Du kannst einen Scheißdreck haben!“ Er erklärt mir, dass die ständig wiederholten TV-Interviews, die er vor Jahren gegeben hat, ihm keinen Pfifferling eingebracht hätten. Außerdem hätten andere Autoren vor mir ihn schlecht aussehen lassen. (Er verklagte – erfolglos – den Autor und den Verlag des 1998 erschienenen Buches Have Gun Will Travel, das von Death Row Records handelt, weil er sich unfair dargestellt fühlte. Darüber hinaus läuft zur Zeit ein von ihm angestrengtes Verfahren gegen die Macher des Biopics Straight Outta Compton aus dem Jahr 2015.) Heller gibt sich abwechselnd ruhig und aufgebracht. Einerseits behauptet er, dass es ihm egal sei, was die Leute über ihn sagten, andererseits streitet er vehement verschiedene Anschuldigungen ab. Irgendwann gelingt es mir, ihm ein paar Zitate zum Album sowie tonnenweise spannende Hintergrundinformationen abzuringen. Als ich aufbreche, behalte ich ihn sowohl als abweisend als auch als ziemlich spendabel in Erinnerung. Als ein Jahr später meine Großmutter verstirbt, drückt er mir via Facebook sein Beileid aus.

Und so ist Heller auch. Mehr als an jeder anderen Person in diesem Buch scheiden sich an ihm die Geister. Viele Insider rund um Ruthless Records bestätigen seine wichtige Rolle bei der Entwicklung der involvierten Künstler. Es gibt einen Grund, sagen sie, warum N.W.A zu einem internationalen Phänomen aufstiegen, wohingegen anderen Gangsta-Rappern dieser Ära der große Wurf verwehrt blieb. Andere wiederum spucken förmlich auf den Boden, wenn sein Name fällt. DJ Speed, der Turntable-Künstler von N.W.A, nannte ihn mir gegenüber einen „Gauner“ und im Gespräch mit HipHopDX eine „Schlange“. (Heller revanchierte sich, indem er Speed als „Laufbursche, der Erics Wäsche machte“, bezeichnete.) Als Heller 2013 in der Murder Master Music Show, einem Podcast, zu Gast war, wurde er von einem Anrufer als „Zinswucherer“ beschimpft. Als er ein Jahr später erneut in der Show auftrat, wiederholte ein anderer Anrufer diesen Vorwurf.

Wie viele wissen, hat Ice Cube, nachdem die Stimmung zwischen ihm und Heller gekippt war, antisemitische Dinge über ihn gesagt. Doch es gab eine Zeit, in der sein Background – zumindest in den Augen vieler Acts, die er umwarb – als Qualität wahrgenommen wurde, es Geld regnen zu lassen. „Er war ein weißer, jüdischer Typ, der Leute kannte. Er wurde bei Plattenfirmen vorgelassen, zu denen wir nicht durchdringen konnten“, erzählt Arabian Prince. „Es war ja schon schwer genug für uns, Geld von unseren eigenen Konten abzuheben.“

Eines bestreitet aber niemand: Mit Hellers Hilfe mauserte sich Ruthless Records von einem regional erfolgreichen zu einem landesweit hochangesehenen und zugkräftigen Unternehmen.

Hellers Vater betrieb ein Geschäft für Altmetall. Er liebte es, Sportwetten abzuschließen, und bewegte sich in den Kreisen der jüdischen Mafia. Irgendwann ließ er sich dann mit seiner Familie in einem wohlhabenden Vorort von Cleveland namens Shaker Heights nieder. Als einer der wenigen ortsansässigen Juden fühlte sich Heller, wie er in Ruthless beschrieb, jedoch als Außenseiter. Nachdem er an der University of Southern California einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaft gemacht hatte, schwang er sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren in der Musikbranche in schwindelerregende Höhen auf. Er arbeitete als Agent für Marvin Gaye und CCR, lotste Elton John und Pink Floyd zu ihren ersten Amerika-Touren über den großen Teich und diente dem Musikmanager Irving Azoff als Mentor. Außerdem steckte er 1975 hinter der ersten US-Tour der deutschen Electronik-Pioniere Kraftwerk. Abgesehen davon machte er nicht weniger Party als die Rockstars, die er betreute.

Doch während der New-Wave-Ära verlor Heller den roten Faden. 1985 musste er nach seiner Scheidung auf dem Sofa seiner Eltern in Encino schlafen, als ihn sein Freund Morey Alexander, ein weiterer Musikmanager, anrief und ihn darüber informierte, was sich gerade so bei Macola abspielte. Heller traf sich daraufhin mit Don Macmillan und Rudy Pardee, einer Hälfte des L.A. Dream Teams, um sich von ihnen die brandheiße Electro-Hip-Hop-Single „The Dream Team Is In the House!“ vorspielen zu lassen. Heller willigte ein, die Band in puncto Management zu unterstützen, und war außerdem sehr angetan von J.J. Fad, die auf demselben Label wie Dream Team waren.

Nachdem Heller infolge eines Auffahrunfalls auf dem Freeway eine Abfindung erhalten hatte, zog er in eine Eigentumswohnung im Simi Valley um und machte ernst in Bezug auf die urbane Musikszene von L.A. Er verhökerte Platten auf dem Roadium Swap Meet und stimmte zu, Acts wie die World Class Wreckin’ Cru und C.I.A. zu managen.

Mitte der Achtzigerjahre verbrachte Heller viel Zeit im Macola-Foyer und versuchte, „Acts aufzugabeln“, wie es Don Macmillan formulierte. Heller machte sich an Rapper und DJs heran, von denen er glaubte, dass ihr Talent nicht adäquat zur Geltung gebracht würde. „Ich kann mich an mehrere Situationen erinnern, in denen Produzenten mir gegenüber von Aufnahmeequipment schwärmten, das sie für 200 Dollar bei Toys ’R’ Us erstanden hatten“, schrieb er.

Sein Ruf war der eines Machers aus einer vergangenen Zeit. Vor allem Eazy konnte es nicht erwarten, ihn zu treffen. Er bezahlte Alonzo Williams sogar dafür, sie einander vorzustellen. Am Morgen des 3. März 1987 fuhr Eazy-E, begleitet von MC Ren, in seinem burgunderfarbenen Suzuki Samauri vor. Eazy hatte sich extra dafür herausgeputzt: Er trug Locs, brandneue niedrige Converse All-Stars, ein strahlend weißes T-Shirt und eine Golduhr, „der man ansah, dass sie echt war“, wie sich der Promoter Doug Young erinnerte. Young wohnte dem Treffen ebenfalls bei. Er hatte Eazy noch nie zuvor getroffen, doch eilte diesem sein Ruf voraus.

„Woher weißt du, dass sie das sind?“, erkundigte sich Heller bei Young, als Eazy und Ren auf der Bildfläche erschienen.

„Weil sie wie zwei Gang-Mitglieder aussehen.“

Nachdem Alonzo alle einander vorgestellt hatte, zog Eazy seine Kohle aus der Socke und bezahlte ihn. Dann begaben sie sich in Don Macmillans Büro, wo die Unterhaltung zunächst ein wenig ungelenk ablief. Heller fragte Eazy, ob er der „Dope Man“ aus dem gleichnamigen Song sei. Eazy verstummte, aber Heller ließ nicht locker.

„Ich habe einen Geldbaum im Garten stehen“, sagte Eazy schließlich.

Das lockerte die Stimmung merklich auf und Eazy erklärte, dass er für seine neue Gruppe N.W.A einen rauen Sound und ein taffes Image anstrebte. „Sie wird Hip-Hop sein, sie wird richtiges Straßen-Feeling haben“, fuhr er fort. „Aber sie wird die Art repräsentieren, wie wir hier in L.A. sprechen, wie wir uns verhalten. Sie wird die L.A.-Fahne hochhalten.“

Heller konnte sich rasch für die Musik der Gruppe erwärmen – vor allem für „The Boyz-N-The-Hood“. Er und Eazy einigten sich darauf, gemeinsame Sache zu machen und verabredeten sich bald darauf bei Martoni’s, einem Restaurant am Cahuenga Boulevard. Ebenfalls anwesend waren Hellers Partner Morey Alexander und weitere Macola-Acts, mit denen sie zusammenarbeiteten: Rodney O & Joe Cooley, Rudy Pardee, Russ Parr, Unknown DJ, Alonzo Williams, Arabian Prince und Egyptian Lover.

Manche seiner Klienten nahmen Hellers zunehmend enge Verbindung zu Eazy mit gemischten Gefühlen auf, da sie nichts mit seinem vulgären Stil anfangen konnten. Laut Eazy verkündete Heller, dass er sich Eazys neuem Label verpflichtet hätte und jeder, der sich ihm nicht anschließen wolle, sich nach einer neuen Vertretung umsehen müsste. Alonzo behauptete hingegen, dass Acts wie Pardee und Unknown DJ ihm ein Ultimatum gestellt hätten: „Entweder wir oder Eazy.“ Wie auch immer es gewesen sein mag, Heller und viele seiner Klienten gingen von nun an getrennte Wege.

Seine Entscheidung, auf Eazy zu setzen, war hastig gefallen. Laut Heller bot Eazy ihm eine fünfzigprozentige Beteiligung an Ruthless an, doch er bestand darauf, nur 20 Prozent nehmen zu wollen. „Für jeden Dollar, den Ruthless einnimmt, bekomme ich 20 Cent“, will er Eazy gesagt haben. „Dir gehört die Firma, ich arbeite für dich.“ Heller sollte neben N.W.A noch weitere Ruthless-Acts als Manager betreuen, doch die wichtigen Entscheidungen traf Eazy.

Arabian Prince beschloss, sich der Ruthless-Crew anzuschließen, stand dem von Heller vorgeschlagenen Arrangement jedoch schon bald skeptisch gegenüber. Schließlich will niemand, dass sein Manager und der Manager des Labels ein und dieselbe Person sind. Immerhin wünscht man sich bei Verhandlungen, dass sich jemand um die eigenen Interessen – und nicht gleichzeitig um die eines anderen – kümmert.

Solche Arrangements sind im Hip-Hop zwar nicht ganz unüblich, aber wirklich ethisch sind sie nicht, sagt etwa David Kronemyer, ein Beobachter der Branche und ehemaliger Senior-Vizepräsident bei Atlantic Records. „Der Künstler wünscht sich etwa finanzielle Unterstützung für eine Tour oder ein Video oder um sich auf gewisse Märkte, wo er gut ankommt, konzentrieren zu können. Die Plattenfirma vertritt in Bezug auf all das aber manchmal eine andere Sichtweise.“

Heller hält dem entgegen, dass er nicht alle Ruthless-Acts gemanagt habe, er aber, wenn er dies doch tat, „immer auf der Seite des Künstlers“ gestanden habe – somit wäre er der einzige gewesen, der sich mit einem Interessenskonflikt hätte auseinandersetzen müssen. Er fügte noch hinzu, dass er in solchen Fällen auch nur eine Provision absahnte und sich nie doppelt entlohnte.

Heller und Eazys Geschäftsbeziehung repräsentierte das Rückgrat von Ruthless Records. Das war eine komplizierte Sache, die viele bis heute nicht verstehen, und viele versuchten, sich zwischen die beiden zu drängen. „Die Leute rufen mich an und fragen mich, warum ich einen weißen Mann als Manager habe“, sagte Eazy. „Als ich mich nach einem Manager umsah, schloss ich meine verdammten Augen und sagte zu mir, dass ich den besten haben will – und Jerry war nun mal der beste.“

Ihre Beziehung umfasste auch Privates. Heller half Eazy dabei, seinen Führerschein zu machen und sein erstes Bankkonto zu eröffnen. Eazy verhalf Heller wiederum zu einer neuen Aufgabe.

„Eazy liebte seinen Vater, aber sie unterhielten sich nicht oft“, sagt Charis Henry, die später Eazys persönliche Assistentin wurde. Während Eazys Vater Richard sich eher introvertiert gab, übernahm Jerry eine aktivere Vaterrolle für ihn. „Er sagte, dass Jerry für ihn wie ein Vater war.“

Der, ganz auf die Musik konzentriert, überließ die Logistik, die dahinter steckte, Ruthless als Firma zu etablieren, lieber anderen. Aber auch er war anfangs angetan von Heller, was daran lag, dass der Manager der World Class Wreckin’ Cru dabei geholfen hatte, ausstehendes Geld bei ihrer Plattenfirma einzutreiben.

Eine von Eazy und Hellers ersten Entscheidungen war, J.J. Fad unter Vertrag zu nehmen, was sich schon bald auszahlen sollte. Nachdem er die Songs gehört hatte, die die Girls mit Arabian Prince aufgenommen hatten, tat er sie nicht länger als „abgedroschen“ ab. Er überarbeitete „Supersonic“ und co-produzierte ihr gleichnamiges Debütalbum, das die Gruppe mit einer neuen Besetzung aufnahm. Eazy wollte Ruthless zwar als härtestes Label weit und breit etablieren, doch es war durchaus sinnvoll, zuerst einmal eine jugendfreie Gruppe zu veröffentlichen. „Jerry und Eric sagten: ‚Wir wollen wie ein seriöses Label wirken, also bringen wir zuerst die Mädels heraus‘“, berichtet MC J.B. Die Warner-Tochterfirma Atco Records verpflichtete sich, die Scheibe zu vertreiben. „Supersonic“ wurde 1988 im Windschatten von Salt-N-Peppas „Push It“ ein Riesenhit und heimste prompt eine goldene Schallplatte ein.

J.J. Fad und N.W.A traten am Valentinstag 1988 bei einer Benefizveranstaltung für unterprivilegierte Kinder im Hotel L’Ermitage in Beverly Hills auf. Moderiert wurde die Sause vom Mädchenschwarm Scott Valentine, der im Film Familienbande Mallorys Freund mit Bad-Boy-Allüren spielte. N.W.A performten einen „kinderfreundlichen“ Song, an den sich keiner mehr genau zu erinnern scheint, doch die Hauptattraktion beim jungen Publikum waren J.J. Fad. „Supersonic“ wurde 1989 sogar als „Best Rap Performance“ für einen Grammy nominiert. Es war das erste Mal, dass in dieser Kategorie ein Preis verliehen wurde. J.J. Fad trugen zur Zeremonie maßgeschneiderte Smokings und Miniröcke. Da die Grammy-Verleihung jedoch nicht im Fernsehen gezeigt wurde, boykottierten andere Nominierte wie Salt-N-Peppa sowie die Gewinner DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince die Preisverleihung.

Handwerk und Fachsprache

Trotz des Erfolgs von J.J. Fad hatte weder Atco noch ein anderes Label Interesse an N.W.A, deren Sound und Image viel gewagter wirkten. Als nun die Zukunft der Gruppe in der Schwebe hing, begann Ice Cube nach seinem High-School-Abschluss 1987 andere Pläne zu schmieden. Er folgte dem Rat eines seiner Lehrer, bestieg einen Zug nach Arizona und studierte ein Jahr lang architektonisches Zeichnen, für das er ein Zertifikat des mittlerweile geschlossenen Phoenix Institute of Technology erhielt.

Die anderen Mitglieder der Gruppe ließen weiterhin nicht locker, doch Cube zog es vor, seinem Plan B zu folgen. Er erinnert sich an einen zermürbenden Stundenplan und Arbeit, die intensive Konzentration voraussetzte. „Bei architektonischem Zeichnen geht es vor allem um Präzision und darum, das Handwerk und die Fachsprache zu lernen, damit du sie anwenden kannst“, erörtert er. „Die Zeichnungen wurden immer komplizierter, je länger das Jahr dauerte.“ Der Erfahrung verdankt er, wie er sagt, selbstständig leben gelernt zu haben. Er rappte nun mit der Crew seines Kumpels Phoenix Phil, doch dadurch ergab sich nichts Handfestes.

Vielmehr vermisste er seine Freunde zu Hause. „Sie riefen mich an und erzählten, dass sie nach Chicago und Atlanta fliegen würden“, erzählte er. „Und ich hatte noch sechs Monate Schule vor mir! Das war das schlimmste Jahr meines Lebens. Meine Träume ließen mich im Stich.“

In Cubes Abwesenheit trat MC Ren in den Vordergrund. Auch er war ein paar Jahre jünger als die anderen Mitglieder der Gruppe. Sein älterer Bruder war mit Eazy befreundet und die beiden Familien lebten in Compton nur zwei Block voneinander entfernt. Als Junge war Ren ein Jünger von DMC gewesen (und nicht von Run, wie die meisten anderen) und stand, wie Eazy auch, den Crips nahe. Er war sogar schon angeschossen worden. Während sich seine Rap-Skills entwickelten, schloss er sich mit einem Beatboxer namens Chip zum Duo Awesome Crew 2 zusammen. Den jugendlichen Künstlern gelang es schließlich, einen Gig im Roxy auf dem Sunset Strip zu ergattern. Als sie Ice-T im Publikum erkannten, schoss ihr Puls rasch in die Höhe. Immerhin war er gerade dabei, sein Label Rhyme Syndicate an den Start zu bringen, das später unter anderem Everlast und das Duo Low Profile veröffentlichte. Leider, so erinnert sich Ren, lief die ganze Sache schief. Der DJ gab an einer Stelle das falsche Tempo vor und brachte sie aus dem Rhythmus. „Wir mussten so schnell rappen, total abgefuckt“, erzählt er. „Als wir dann von der Bühne kamen, sagte Ice-T: ‚Nicht schlecht.‘“ Leider war das purer Sarkasmus.

Ren wollte sich der Army anschließen, brachte es jedoch nicht übers Herz, dem Hip-Hop den Rücken zu kehren. Er verblüffte Eazy mit seinen Freestyle-Raps in dessen Stucco-Garage, die sich inzwischen zu einem gediegenen Proberaum samt Turntables, Drumcomputern und einem Asteroids-Videospielautomaten entwickelt hatte.

Ren war ein Spitter, der in der Lage war, den Beat zu dominieren und noch etwas Extra-Würze ins Spiel zu bringen. Eazy nahm ihn zunächst solo unter Vertrag, erkannte jedoch schon bald seine Vorzüge als Ghostwriter. Ren schrieb die Raps zu „Eazy-Duz-It“, „Radio“ sowie „Ruthless Villain“, die 1988 auf Eazys Solo-Album Eazy-Duz-It landeten. Doch „Ruthless Villain“ war zu rasant für Eazys bescheidene Rap-Skills. „Also sagte Dre: ‚Mann, lass Ren das machen!‘“, erinnert sich Ren. Bald schon wurde er eingeladen, sich N.W.A anzuschließen.

Die erste N.W.A-Show fand am 11. März 1988 im Skateland statt. „Mein Homeboy Eazy-E und die ganze N.W.A-Posse sind am Start“, verkündete MC Ren und hinterlegte die Pausen zwischen den Strophen von „Boyz“ mit seinen Shout-outs. Viele der Texte waren abgeändert worden, um Schimpfwörter zu vermeiden. Die Gruppe trat schon bald auch auswärts auf und quetschte sich dafür in Eazys blauen Minivan, einen Ford Aerostar, und teilte sich billige Motelzimmer. Zuerst traten sie noch vor einer von Alonzo neu aufgestellten Formation der World Class Wreckin’ Cru auf, was in Anbetracht der unterschiedlichen Styles sowie der Tatsache, dass Dre und Yella ebendort ausgestiegen waren, eher unangenehm war. Aber ab 1988 teilten sich N.W.A schließlich die Bühne mit Acts wie Salt-N-Peppa, MC Hammer, Heavy D und UTFO. Mit ihren Jheri-Curl-Frisuren ernteten sie verwirrte Blicke. „Wer zum Geier seid ihr Niggas?“, wurden sie etwa gefragt. Als Cube im Laufe des Jahres 1988 zurückkehrte, blieb Ren der Gruppe erhalten.

Ein letzter Strohhalm

Obwohl N.W.A auf Tour Fuß fassten, halfen Jerry Heller seine Kontakte in der Musikbranche nicht viel weiter. Ende 1987 stand die Gruppe immer noch ohne Plattenvertrag da. Die Gründe dafür waren nicht allzu schwer zu verstehen. Zwar regierten schwarze Stars wie Michael Jackson und Prince die Charts, doch wurde von ihnen erwartet, dass sie sich artig verhielten. Die eine oder andere versteckte Anzüglichkeit wurde akzeptiert, doch N.W.A waren einfach zu brutal und zu real.

Rap war noch nicht einmal vor einem Jahrzehnt im Mainstream angekommen und viele Labels hielten es immer noch für einen vorübergehenden Trend. Der Vorstandsvorsitzende von Capitol erklärte Heller, dass N.W.A nie Platten verkaufen würden. David Geffen hingegen störte, wie sich N.W.A über Schwule äußerten. (Die weiße Geffen-Band Guns N’ Roses sollte sich auf ihrem Track „One in a Million“ schon bald selbst homophober und rassistischer Ausdrücke bedienen.)

Schließlich klammerte sich Heller an seinen letzten ihm verbliebenen Strohhalm und ließ sich im August 1988 auf ein Meeting mit Bryan Turner und Mark Cerami von Priority Records ein. Obwohl sie über einen tollen Vertrieb verfügten, war Priority nicht gerade eine Top-Adresse. Ihr größtes Zugpferd waren die California Raisins, getrocknete Weintrauben aus Knetmasse, mit denen regionale Rosinen beworben wurden. Wenn sie Motown-Klassiker und andere nostalgische Hits sangen, lieh ihnen Buddy Miles, der einst mit Jimi Hendrix gearbeitet hatte, seine Stimme. Der Look der Truppe variierte dabei zwischen einer Soul-Gruppe, im Trend liegenden B-Boys und einer Ansammlung von Scheißhaufen.

Die Raisins sollten letztlich über drei Millionen Tonträger absetzen. Dabei war dieser Erfolg alles andere als ein Zufallsprodukt. Turner und Cerami hatten beide bei K-Tel Records gearbeitet, wo sie alte Hits in Genre-Compilations neu verpackten, die spätnachts im Fernsehen beworben wurden. Heller vertraute auf Prioritys Fähigkeit, Musik abseits des Radios zu vermarkten, wo N.W.A aufgrund ihrer Kraftausdrücke chancenlos waren. Und so trafen er und seine Crew sich schließlich in einem verrauchten Konferenzzimmer in Hollywood mit Vertretern von Priority Records. Eazy, dessen Pager in seinen Hosentaschen surrten, platzierte lässig seine Air Jordans auf dem Tisch, während Ren finster aus der Wäsche blickte. Irgendwann gesellte sich Dre dazu und legte ein Tape mit „Gangsta Gangsta“, dem aktuellsten und bis dahin wohl auch derbsten und fokussiertesten Track der Gruppe, ein. Drinkin’ straight out the eight bottle, rappt Ice Cube nach einem Polizeisirenen-Intro über einen Midtempo-Beat und ein funkiges Gitarrenriff, das man sich bei Steve Arrington geborgt hatte.

Do I look like a muthafuckin role model?

To a kid lookin’ up to me: Life ain’t nothin’ but bitches and money.

Der Kanadier Turner fand sich nicht sofort damit zurecht. „Ich konnte nicht glauben, dass die Dinge, über die sie da sprachen, tatsächlich passierten“, sagte er später. Doch nach einem Auftritt der Gruppe auf einer Rollschuhbahn in Reseda war auch er hundertprozentig überzeugt. Das Publikum sang „Fuck tha Police“ wie aus einer Kehle – dabei war diese kontroverse Street-Hymne gar nicht offiziell veröffentlicht worden: Stattdessen verteilten Straßenteams, die aus Kids bestanden, die N.W.A in der ganzen Stadt bewarben, kostenlose Kopien an potenzielle Fans. Priority stimmte zu, sowohl Eazy-Es Solo-Album als auch das Debütalbum von N.W.A unter der Schirmherrschaft von Ruthless Records zu finanzieren und zu vertreiben. „Es war das beste aus beiden Welten – die Schlagkraft eines Major-Labels mit effektivem Indie-Vertrieb“, schrieb Heller.

„Sie hatten Leute fürs Marketing, einen ganzen Stab. Sie brachten die Platten in die Läden. Fast wie eine Westcoast-Version von Def Jam“, sagt Violet Brown von Wherehouse Records. „Sobald Priority mit von der Partie war, ging die Post ab.“

Original Gangstas

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