Читать книгу Original Gangstas - Ben Westhoff - Страница 8

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O’Shea Jacksons aufreibender Schulweg vom eingeschossigen, ordentlichen Elternhaus in der Van Wick Street bis zu seiner High School im San Fernando Valley dauerte morgens eine Stunde oder länger und der Rückweg am Nachmittag ebenfalls. Wenn er nachhause kam, besuchte er regelmäßig seinen Freund Sir Jinx, der einen Block entfernt wohnte. O’Shea wusste, dass er willkommen war, wenn das kaputte Garagentor mittels eines Besenstiels offengehalten wurde.

Draußen tobte ein Bandenkrieg. Doch drinnen befand sich der Hip-Hop-Himmel. Sir Jinx – er hieß eigentlich Tony Wheaton – war ein aufstrebender junger Produzent mit einer übergroßen Brille. Er besaß Turntables, eine DJ-Kabine und einen Cassettenrecorder, der an Lautsprecher angeschlossen war. Im Werkunterricht hatte er sich eine sargförmige Box gebastelt, in der er sein Mischpult und seine Plattenspieler unterbrachte. Die Turntable-Akrobaten des Viertels lieferten sich Battles. Breakdancer verrenkten sich auf Linoleum mit Schachbrettmuster. Angehende Produzenten bastelten Beats auf Sir Jinxs Drumcomputer, obwohl das Ding nicht sehr raffiniert war. Kein Wunder, schließlich hatte er es von einem befreundeten Drogendealer, der es von einem Crackhead in Zahlung genommen hatte.

O’Shea und Jinx lebten in einem gemeindefreien Teil von L.A. County, zwischen South Central und Inglewood. Mitte der Achtzigerjahre gab es im ganzen Süden von Los Angeles solche inoffiziellen Einrichtungen wie Sir Jinxs Garage. Aus der Sicht von Eltern waren diese Hip-Hop-Garagen ideal. Einerseits waren sie nahe genug am Haus, um ein Auge auf die Kids werfen zu können, andererseits aber auch weit genug vom Elternschlafzimmer entfernt, um nachts seine Ruhe zu haben. Ein aufstrebender DJ namens Battlecat werkelte in seiner Garage im Westen von South Central. Nur wenige Blocks von O’Sheas Haus entfernt lebte sein zukünftiger Mitstreiter bei Westside Connection namens WC. WCs Bruder DJ Crazy Toones lud wiederum Kids in seine Garage ein. In der nahegelegenen Haas Avenue tummelten sich vielversprechende DJs mit Namen wie DJ Slip oder Rockin’ Tom in der Garage von DJ Fat Jack, ließen die Disco-Scheiben ihrer Eltern rotieren und sammelten Loops für zukünftige Tracks.

O’Shea war besessen von Hip-Hop. In seiner Vorpubertät hatte ihn 1979 der erste große Genre-Hit, „Rapper’s Delight“ von der Sugarhill Gang, hypnotisiert. What you hear is not a test / I’m rappin’ to the beat. Später diskutierte O’Shea mit einem Mitschüler namens Terry „Kiddo“ Hayward während des Schreibmaschinenkurses der neunten Klasse an der Parkman Middle School über Hip-Hop.

„Hast du schon mal versucht, einen Rap zu schreiben?“, fragte ihn Kiddo.

O’Shea schüttelte den Kopf.

„Lass uns versuchen, einen zu schreiben“, sagte Kiddo. „Du schreibst einen und ich schreib einen – und dann schauen wir, welcher am besten ist.“

O’Shea dachte eine Minute lang nach und legte los: My name is Ice Cube and I want you to know/ I’m not Run-DMC or Kurtis Blow. Es war die erste Zeile, die er je gerappt hatte.

Seinen Spitznamen verdankte er seinem neun Jahre älteren Bruder Clyde, der ihn beschützte. Dieser zog seinen kleinen Bruder auf, weil er versuchte mit Clydes Freundinnen zu flirten, wenn diese anriefen. „Als er das herausfand“, so O’Shea, „fing er an, mich im Scherz Ice Cube zu nennen, weil er fand, dass ich versuchte, zu cool rüberzukommen.“

Doch wenn es ums Rappen ging, war O’Shea nicht gerade zimperlich. In einer Abwandlung der Freestyle-Circles in New York, wo MCs im Kreis standen und nacheinander Reime improvisierten, übten sie ihre Rhymes und rappten jeweils vier bis acht Takte lang. Wenn einer fertig war, gab er das Mikro an den nächsten weiter. Dabei ging es darum, einen smoothen Übergang hinzulegen und den Beat zu halten.

Die Garagenwände waren mit Graffiti geschmückt. Es war der Versuch der Jungs, Beat Street nachzuahmen, einen New Yorker Hip-Hop-Film aus dem Jahr 1984. O’Shea und seine Freunde waren besessen von New Yorker Acts wie den Beastie Boys, Slick Rick und Run-DMC, was sich auch in ihren Outfits widerspiegelte: große Brillen, Kangol-Kappen, Adidas-Pullis, Armeejacken und Goldketten. Ihr Treffpunkt war frei von Drogen, Alkohol und jeglichen Gang-Wahnsinns. O’Shea rügte persönlich all jene, die er beim Kiffen erwischte. Wen kümmerte es da schon, wenn der Geruch von Scheiße in der Luft lag? Jinxs heißgeliebte Hündin Princess legte gerne mal ein Ei in die Garage und die Jungs fanden sich des Öfteren inmitten eines Minenfeldes wieder. Es mochte zwar alles ein wenig heruntergekommen wirken, doch unter dem kaputten Garagentor duckte sich eine Reihe heißer Talente hindurch, so auch Candyman, der es 1990 mit seinem Hit „Knockin’ Boots“ in die Billboard-Top-10 schaffte.

O’Shea entwickelte schon bald jene Skills, die ihn zu Ice Cube machen sollten, einen fulminanten MC, der eine Strophe in ihre Einzelteile zerlegen und wieder zusammenfügen konnte.

„Es lag ihm einfach im Blut“, so sein Freund Cli-N-Tel von der World Class Wreckin’ Cru. „Damals knurrte er noch nicht, das kam erst später. Aber er hatte diesen Drive, diese Bereitschaft, alles zu tun, um besser zu werden.“

„Er war ein echt guter Geschichtenerzähler“, weiß Doug Young, der Promoter von N.W.A. „Bei ihm gab es Subjekte. Und Prädikate. Wenn man Ice Cube rappen hört, siehst du die Geschichte in deinem Kopf. Er malt ein Bild.“

Obwohl Ice Cube viele Stunden in Sir Jinxs Garage verbrachte, bezog er seine Inspiration für seine Raps immer mehr aus der explosiven Welt, die sich außerhalb dieser vier Wände befand.

Die Worte „South Central“ lösen bei manchen Leuten Angst aus. Doch es lassen sich nur schwer allgemein zutreffende Wahrheiten über diesen 130 Quadratkilometer großen Distrikt von Los Angeles formulieren, da die Bevölkerung und die Landschaft einfach zu mannigfaltig sind. Der nordwestliche Part umfasst das historische Viertel West Adams sowie die vornehmen Baldwin Hills, die auch „das schwarze Beverly Hills“ genannt werden. Die Central Avenue beheimatete in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Jazz-Szene von Weltruf und Leimert Park kann mit afrozentrischen Läden und kreativen Nonprofit-Organisationen aufwarten. Außerdem befand sich dort einst das Good Life Café, wo die Open-Mic-Nights des Labels Project Blowed gediegene (aber dennoch hammermäßige) Acts wie Freestyle Fellowship und Jurassic 5 anlockten.

Sozialbausiedlungen ragen neben bunten, gedrungenen Residenzen in die Höhe und zwischen heruntergekommenen Häuserblöcken finden sich Häuser mit unglaublich detailverliebten Verzierungen und Gittern vor den Fenstern. Hier gibt es stattliche Kirchen, blühende Parks und Vorgärten mit Zitronenbäumen und Palmen, mitunter so groß wie Wassertürme, Latino-Minimärkte, Grillstellen, koreanische Schnapsläden und von Mexikanern betriebene Burgerbuden. Auf so manchem Rasen rosten alte Karren vor sich hin. Man kann auf Flohmärkten shoppen, sich in unabhängigen Boutiquen mit Beauty-Produkten eindecken, einen Moped-Laden besuchen oder etwas bei Garage Sales erstehen. So wie in jeder armen Gegend, gibt es hier eine starke Second-Hand-Kultur.

Immobilienmakler, die nördlich der Interstate 10 tätig sind, benennen mit Feuereifer Nachbarschaften um, um sie dadurch reizvoller zu machen. Die Gegend von Los Angeles, in der ich eine Zeitlang lebte, war nacheinander unter den Namen Mid-City, Miracle Mile, Mid-Wilshire und Picfair Village bekannt. Doch Ice Cubes Viertel war eher vom Bandenunwesen als von schönen Ortsnamen geprägt. Der Block entlang der Van Wick Street, wo er aufwuchs, stand unter der Kontrolle der 111 Neighbor Hood Crips, die sich nach der 111th Street, die sich zwei Blocks südlich befand, benannt hatten. Alternativ kennt man die Gang auch unter der Bezeichnung N-Hood. Und wenn man sich noch weiter südlich begab, über den Imperial Highway hinaus, landete man im Territorium der 115 Neighbor Hood Crips. In der Nähe gab es noch weitere Untergruppierungen der Crips, die jeweils Gebiete, die sich über zehn Blöcke oder weiter erstreckten, für sich in Anspruch nahmen.

Gang-Mitglieder kamen direkt auf einen zu, um zu fragen, woher man kam – und falls ihnen die Antwort missfiel, verpassten sie einem eine Abreibung. Man musste selbst gar kein Crip sein, um sich von deren Konkurrenz eine Tracht Prügel einzufangen. Es reichte schon aus, einfach nur in einem von Crips dominierten Viertel zu wohnen. Darum trauten sich die Kids aus Cubes Block auch nicht oft in die nahegelegene South Van Ness Street, die ausgewiesenes Bloods-Territorium war. Nicht einmal ahnungslose Kinder kamen ungeschoren davon. Als er die zweite Klasse besuchte, setzte sich Sir Jinx im Schulbus neben ein Mädchen, das sich nach seinem „Set“ erkundigte. „Set?“, fragte er. „Was ist das denn?“ Er sollte es noch früh genug erfahren.

Trotz allem war die Straße, in der außer Cube und Jinx auch viele brave Angestellte lebten und von wo aus man an klaren Tagen den berühmten Hollywood-Schriftzug sehen konnte, keine so schlechte Gegend. Zumindest relativ gesehen. Dane Webb, der frühere Chefredakteur von Rap Pages, beschreibt das Viertel als „mit Gangs übersät“, betont aber auch, dass es eher die „gehobene Arbeiterklasse“ repräsentierte.

„Es sieht zwar wie eine nette Nachbarschaft aus, aber sobald es dunkel wird, kannst du Schüsse hören“, erklärte Cube einmal. In seiner Kindheit wurde auch sein eigenes Zuhause beschossen: „Überall lagen Patronenhülsen, die die Polizei einsammelte. Direkt auf dem Rasen.“

Juice

Cube war untersetzt, gut gebaut, ein sportliches Naturtalent, das sowohl beim Basketball als auch beim Football mehr als eine gute Figur machte. Seine Freunde und er lieferten sich raue Football-Partien auf der Straße. Ihr Abschnitt der Van Wick Street gegen andere Blocks. Es war nichts Außergewöhnliches, wenn einen jemand vom Spielfeld auf den Rasen hinter dem Bürgersteig schob – oder sogar in geparkte Autos rammte. Cube spielte auch in der lokalen Pop-Warner-Liga, wo er als Outside Linebacker und Fullback zum Einsatz kam. Sein Bruder nannte ihn gelegentlich Juice (wie in „Orange Juice“), da er dieselben Initialen wie der ehemalige NFL-Star O.J. Simpson hatte.

O’Shea wuchs als jüngstes von vier Geschwistern in einer sich nahestehenden Familie auf. Als er älter wurde, kauften seine Eltern ihm einen VW-Käfer – damals der letzte Schrei. Sie arbeiteten an der UCLA, seine Mutter Doris in der Verwaltung und sein Vater Hosea als Platzwart. Der gradlinige Hosea besaß eine Garage voller Werkzeug und mähte vielen Leuten im Viertel den Rasen. Hosea brachte Cube bei, ein Anführer zu sein, wie er sagte, während ihm Clyde einbläute, dass Gangs Zeitverschwendung seien. „Mein Bruder hatten den ganzen Scheiß schon hinter sich, also sagte er, Mann, du brauchst das nicht zu tun“, erklärte Cube später. „Es ist echt nicht ganz ohne, immerhin sind ein paar dieser Motherfuckers von N-Hood mittlerweile echte Killer. Ich frage mich, wie ich mich ohne diese Familienstruktur entwickelt hätte.“

So wie alle anderen erlebte auch Cube schlimme Dinge. Am schlimmsten war aber, als am 29. Juni 1981, er war gerade zwölf, seine Halbschwester Beverly Jean Brown, Hoseas Tochter aus einer vorherigen Beziehung, von ihrem Mann umgebracht wurde. Beverly war 22, wunderschön und voller Leben. Sie und ihr Mann Carl Clifford Brown waren noch keine zwei Jahre verheiratet. Laut der Los Angeles Times nahm Brown Beverly nach einem „Ehestreit“ daheim in der West 53rd Street in South Central als Geisel. „Polizeibeamte, die das Haus umstellten, sagten, sie hätten dumpfe Schüsse gehört. Dennoch versuchten sie weiterhin, Brown per Megafon und Telefon zu kontaktieren. Nach Mitternacht betrat eine Spezialeinheit das Haus und fand den verwundeten Brown und seine tote Ehefrau.“ Brown erlag den Folgen seines Selbstmordversuches schließlich am am 27. Juli 1981, nicht ganz einen Monat später.

„Er war ein Möchtegern-Bulle“, sagte Cube. „Er bewarb sich beim LAPD, wurde aber nicht genommen. Dann verfiel er in eine Depression.“ Brown war im letzten Jahr des Vietnamkriegs Sergeant bei der Air Force gewesen und anschließend noch drei Jahre im Dienst geblieben. Er und Beverly Jean hinterließen einen Sohn, der damals erst eineinhalb Jahre alt war.

1970 fällte ein Richter das Urteil, dass der Los Angeles Unified School District Rassentrennung betrieb, und ordnete an, diesen Missstand zu beheben. Anfang der Achtziger wurde Cube in ein integratives Schulbus-Programm aufgenommen und besuchte ab der Junior-High eine Schule im San Fernando Valley. Die Schulen in seiner Nachbarschaft galten als problematisch. Die nächstgelegene High School, die Washington Preparatory, war zum Beispiel eine Hochburg der Crips. Die William Howard Taft High School war hingegen ein ferner, fast schon irrealer Ort, der von Eukalyptusbäumen gesäumt und von retro-futuristischer Architektur geprägt war. Die Schule verfügt über einen riesigen Outdoor-Sportkomplex und ist von Multimillionen-Dollar-Villen umgeben, wurde jedoch im Laufe der Jahre auch Schauplatz von Schießereien. Auch Sir Jinx besuchte kurzzeitig diese Schule und beschrieb sie als „Promi-Schule“ für reiche Kinder, die in Porsches vorfuhren. Zu ihren Absolventen zählen etwa Justine Bateman, Lisa Kudrow und Mitglieder von House of Pain. Cube war ein guter Schüler, der Einsen und Zweien nachhause brachte. Er spielte gemeinsam mit seinem Freund T-Bone, einem Tailback, als Fullback im Footballteam. Doch sein wahres Interesse war die Musik. Er und Sir Jinx formierten mit ihren Freunden Darrell Johnson (bekannt als K-Dee, was für Kid Disaster stand) und Barry Severe, der mit Cubes Schwester Patricia ausging, eine Gruppe. Da Severe älter war und schon ein Auto besaß, konnte er sie ins Studio chauffieren, wo man professionell klingende Tracks aufnahm. Sie nannten sich selbst Stereo Crew und waren Entertainer und keine Gang-Mitglieder. Laut K-Dee war Cubes erster Rap-Name eine Hommage sowohl an Ice-T als auch an Prince: Purple Ice.

Die Tracks klangen roh. Severe, der mittlerweile als Bewährungshelfer in Sacramento lebt, ließ mich an drei sehr raren Songs der Stereo Crew aus den frühen Achtzigerjahren teilhaben. „Sie klingen sehr altbacken“, warnte er mich – und tatsächlich finden sich hier scheppernde Drumcomputer gepaart mit mechanischen Stimmeffekten und einfachem Scratching, wie es im frühen Hip-Hop in L.A. üblich war. (Und dann noch diese bizarr heulenden Gitarrensolos!) „Bust It Up“ zieht sich über fast sechseinhalb Minuten. Cube wird darin von den anderen vorgestellt: The Ice is frozen, the Cube is fire / You will drop as he gets higher.

Doch Cube schien von Anfang an zu wissen, was er wollte. So swingte er etwa auf einem Track namens „To Reach the Top“: I never use a gun, or a knife / And I’ll be at the top for the rest of my life. Er rappt rasant und verständlich in seiner präpubertären Stimme. Sogar noch unwiderstehlicher ist die Anti-Gewalt-Hymne „Gangs“, die Randalierer anprangert, die alte Ladys ausrauben und nicht die Namen von Schützen preisgeben. Cubes Strophe ist das Highlight. In gerade einmal 45 Sekunden spinnt er eine tragische Geschichte von einem mit einer .44er bewaffneten Gang-Mitglied, dessen Normalo-Freund bei einem Drive-by abgeknallt wird. Der Gangster reagiert, indem er die Angreifer umbringt, was ihn schließlich auf den elektrischen Stuhl bringt. Es war eine für Cube typische Story mit moralischer Botschaft, die ein wenig seine Rolle in Boyz n the Hood vorwegnahm.

Als Teenager vertritt man mitunter starke Überzeugungen – und verabschiedet sich auch wieder von ihnen. Angesichts des explosiven Materials, das sie schon bald bei N.W.A produzieren sollten, ist es verblüffend, wie ablehnend sowohl Cube als auch Dre dem Thema Gang in ihren frühesten Aufnahmen gegenüberstanden.

Dre und seine Mutter Verna stritten sich häufig, da sie wollte, dass er entweder zur Schule ging oder sich eine Arbeit suchte – und DJ-Gigs ließ sie nicht als solche gelten. Da Dr. Dres Stiefvater Curtis Crayon gleichzeitig der Onkel von Sir Jinxs war, zog er, als sie ihn schließlich hinauswarf, zu seinem jüngeren Stiefcousin, der mit seinen Freundinnen in wilder Ehe lebte. Cube und seine Stereo-Crew-Kumpels waren begeistert, dass ein angehender Star bei ihnen im Block wohnte. Immerhin hatte sich Dre mit „Surgery“ lokal einen Namen gemacht. Die Stereo-Crew-Mitglieder wollten unbedingt mit ihm arbeiten, doch anfangs hatte Dre nur wenig Bock auf diese kleinen Rabauken. „Mann, ich will echt nichts mit denen zu tun haben“, sagte er. „Das ist mein Cousin und er geht mir auf die Nerven.“

Irgendwann gab Dre aber nach und willigte ein, sich Stereo Crew in der Garage anzusehen. Er war beeindruckt, vor allem von Cube, dessen Talent schon mit 15 offensichtlich war. Dre und Cube wurden rasch enge Freunde, gingen zu Rap-Shows, düsten mit dem Auto nach Crenshaw, fuhren Achterbahn in Disneyland oder baggerten Mädels an. Trotz des Altersunterschiedes – Dre ist vier Jahre älter – hatten sie nicht nur musikalisch viel gemeinsam. Beide interessierten sich für Bauzeichnen, hassten Gangs und hatten den Tod von Geschwistern verkraften müssen. „Ich schwänzte die Schule und er holte mich ab“, erzählte Cube. „Ich fuhr den ganzen Tag mit ihm herum. Wir hingen ab.“ Sogar wenn man sie heute sieht, wirkt es noch so, als wäre Dr. Dre Cubes großer Bruder.

Ungefähr zu dieser Zeit sponserte der Radiosender KDAY einen Rap-Wettbewerb unter dem Motto „Best Rapper in the West“, dem Gewinner winkte ein Plattenvertrag. Nachdem die Stereo Crew die Juroren in den ersten Runden noch mit Killer-Rhymes hatte überzeugen können, fielen sie im Finale, das im Hollywood Palladium stattfand, einem technischen Missgeschick zum Opfer: Der DJ ließ ihre Cassette an der falschen Stelle laufen. „Cube war stinksauer und ging rüber zum DJ und sagte: ‚Was machst du da? Du verkackst unsere Show!‘“, erinnert sich Severe an den Vorfall, der vermutlich schlechten Eindruck auf die Juroren machte. Sie belegten letztlich den zweiten Platz.

Doch zum Glück hatte die Gruppe bereits Kontakt zu einem Label, und zwar über Alonzo Williams, der sie durch Dre kennengelernt hatte. Lonzo half ihnen, einen Deal für einen Song bei Epic Records zu landen. Er und Dre produzierten schließlich gemeinsam den Track „She’s a Skag“, der 1986 veröffentlicht wurde. Obwohl der Song eher pillepalle war, enthielt er ein paar witzige Zeilen. Cube veralbert das Objekt seiner Begierde als schmuddeliges Girl, weil sie seine Avancen zurückweist. I said, ‚I’m Ice Cube from the Stereo Crew‘, rappt er. She looked at her friend and they both said ‚Who‘?

Cli-N-Tel verließ World Class Wreckin’ Cru noch vor ihrem Album Rapped in Romance, das 1986 erschien, und wurde durch Barry Severe ersetzt. Er wollte sich nun Master B nennen, doch Dr. Dre war der Meinung, dass „Shakespeare, the Poet of Love“ besser zu ihrer Mädchenschwarm-Truppe passte. Die verbliebenen Stereo-Crew-Mitglieder nannten sich von nun an C.I.A., was ursprünglich für „Criminals in Action“ stand, aber dann zu „Cru in Action“ abgeschwächt wurde. Sie traten in Clubs wie dem Eve After Dark auf und veröffentlichten 1987 einen Tonträger mit drei Tracks auf Alonzos Label. Ihr Beastie-Boys-Einfluss war besonders stark und mit „Ill-Legal“ eiferten sie ganz klar Licensed to Ill nach. Auch parodierten sie populäre Songs. So wurde Run-DMCs „My Adidas“ zu „My Penis“ und aus „Pee-Wee Herman“ wurde „VD Sermon“, ein humorvoller Schwank über Geschlechtskrankheiten, der beim Publikum großen Anklang fand. In dieser Phase, die dem Gangsta-Rap vorausging, waren solche Parodien schwer angesagt. Toddy Tee verwandelte Whodinis „The Freaks Come Out at Night“ in „The Clucks Come Out at Night“ – mit Clucks waren Crackheads gemeint. Sein von Dr. Dre produzierter Hit „Batteram“ war einerseits als Kommentar zu Daryl Gates’ bevorzugtem Kriegsgerät zu verstehen, andererseits aber auch als Anspielung auf Shane Browns „Rappin’ Duke“, das seinerseits eine Art Parodie war, die sich John Wayne als Rapper ausmalte. Auch Notorious B.I.G. nahm in „Juicy“ darauf Bezug: Remember ‚Rappin‘ Duke, duh-ha, duh-ha?

Jeder Radio-DJ, der etwas auf sich hielt, lieferte Parodien von Radiohits. Die Gruppe von DJ Russ Parr von der KDAY-Morgenshow, Jimmy & the Critters, verwandelte „Rumors“ (Look at all these rumors/ surrounding me every day) vom Timex Social Club in „Roaches“ (Look at all these roaches/ Around me every day.). Dieser Trend wurde sicherlich auch durch den Erfolg von „Weird“ Al Yankovic befeuert, der 1983 mit Songs wie „I Love Rocky Road“ und „Another One Rides the Bus“ auf der Bildfläche erschienen war. Immerhin war Yankovic in Lynwood aufgewachsen, das im Norden an Compton angrenzte. Die frühen Achtzigerjahre waren eine freundlichere, sanftmütigere Zeit für Westküsten-Hip-Hop. Und Ice Cube alberte nicht weniger herum als alle anderen auch – bis er überraschend den Kurs korrigierte.

Skateland

Rollschuhbahnen waren lange Zeit wichtige Brutkästen der urbanen Jugendkultur. Sie stehen nicht nur für guten, sauberen Spaß inklusive Zuckerschock für Kids mit Knubbelknien, sondern dienten auch Jugendlichen als Einstieg in die Nachtclub-Szene, die noch zu jung zum Trinken waren. „Miami bass“-DJs wie der Southern-Rap-Pionier Luke Campbell, der für seine Arbeit mit der 2 Live Crew bekannt wurde, legte in den Achtzigern auf Rollschuhbahnen Platten für Teens auf. Three 6 Mafia fanden in der Rollschuhbahn Crystal Palace in Memphis ein Zuhause und der Rapper Nelly nahm mit seiner Gruppe St. Lunatics in einer auf, die den Namen Saints trug. ATL, ein Jugend-Drama von 2006, das sich an die Realität anlehnte, zeigt den Rapper T.I., wie er eine Bahn in Atlanta namens Cascade unsicher macht.

Zwei Rollschuhbahnen waren von kritischer Bedeutung für den Hip-Hop der Achtzigerjahre in Los Angeles. Die eine, World on Wheels in Mid-City, wurde von Crips bevölkert. Der Teppich war verklebt mit Süßigkeiten und Limo und Bilder von Rollschuhen mit Flügeln zierten die Wände. Die Hartholzbahn selbst funkelte. „Jheri-Curl-Frisuren waren in Mode und es wurde so heiß da drinnen, dass die Böden nass wurden“, erinnert sich der KDAY-Programmgestalter Greg Mack. Im World on Wheels legte seine DJ-Crew Mixmasters Platten mittels einer speziell präparierten Telefonleitung für ein Live-Publikum zu Hause auf.

Comptons Antwort auf diese Starthilfe für Nachwuchsrapper hieß Skateland U.S.A., eine voluminöse Anlage, in der bei Partys und Konzerten bis zu 2.000 Kids Platz fanden. Skateland war Comptons erste Rollschuhbahn, die 1984 ihre Pforten öffnete, nachdem ein Vater-Sohn-Team eine über 3.700 Quadratmeter große, abgebrannte Bowlingbahn übernahm, in der sämtliche Kupferverdrahtungen und Rohrleitungen herausgerissen worden waren und deren Dach mit Löchern übersät war. „Der Schimmelgeruch war so intensiv, dass man ihn mit einem Messer hätte schneiden können“, erzählt Besitzer Craig Schweisinger. Er und sein Vater hatten die Immobilie einst für einen Spottpreis erstanden. Der jüngere Schweisinger verdiente sich seinen Ruf als „verrücktester weißer Mann in Compton“, da sich Skateland in der Nähe der West Piru Street, also inmitten des Stammesgebietes der Bloods befand. Die Events glichen einem Meer aus roten Hosen und Hüten. Nie sah man Leute in Blau. „Es gab nur einen Ein- und Ausgang“, so Sir Jinx. „Wenn du dich dorthin verirrt hattest, prügelten sie dir die Scheiße aus dem Leib.“

Das Vorgehen der Schweisingers war durchaus altruistisch. Sie renovierten die Einrichtung und ließen 1.500 Quadratmeter Boden aus hartem Ahornholz verlegen. Nach der Eröffnung von Skateland mussten alle Besucher durch Metalldetektoren hindurchgehen, um Waffen draußen zu halten, obwohl es Kids laut Schweisinger dennoch gelang „Stanley-Messer, Rasiermesser und chirurgische Scheren“ hineinzuschmuggeln.

Anlässlich einer besonders verrückten Show von Eric B, in die sie 2.600 Leute packten, bewaffneten sie zwei Security-Leute sogar mit Uzis. Dies sorgte für Unmut bei Feuerwehr und Polizei, die daraufhin mit einem Hubschrauber und Hunden anrückten. Dre trat bei der Eröffnung 1984 mit der World Class Wreckin’ Cru auf. Er wurde rasch zum Stammgast und spielte mit DJ Yella und Eric Wright spätnachts Domino an der Snackbar. Sie arbeiteten an Texten und übten in der DJ-Kabine. Allerdings musste sie Schweisinger ermahnen, ihre Cocktails – Pepsi mit E&J Brandy – nicht auf dem Mischpult zu verschütten.

Dr. Dre und Ice Cube gaben ebenfalls eine gemeinsame Show im Skateland. Der warnte Cube, dass das Publikum Mittelmäßigkeit nicht tolerieren würde. „Ich erklärte ihm, dass er diesem Publikum etwas bieten müsste, weil sie dir sonst volle Becher auf’n Arsch warfen“, sagte Dr. Dre. Sie brachten schmutzige Parodien, so wurde aus Salt-N-Peppas „I’ll Take Your Friend“ zum Beispiel „I’ll Fuck Your Friend“. Dre scratchte und Cube rappte, unter anderem eine frühe Version von „Gangsta Gangsta“.

„Es war ein schwieriges Publikum“, sagte Cube. „Ich war mir unsicher, ob unser gemeinsamer Kram funktionieren würde.“ Ihre Unsicherheit war unbegründet, denn das Skateland-Publikum liebte ihre Show – und fuhr auf jede Pointe ab. Die Wreckin’ Cru heuerte Cube an, um ihnen mit ein paar Tracks behilflich zu sein, darunter auch „Cabbage Patch“, das mit seinen Anspielungen auf die gleichnamigen pausbackigen Puppen einen landesweiten Tanztrend auslöste. Aber ab 1986 hatten Cube, 17 Jahre alt, und Dre, nun 21, die Scherz-Nummern satt. Ihr Potenzial übertraf zunehmend jenes ihrer Gruppen.

Original Gangstas

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