Читать книгу Original Gangstas - Ben Westhoff - Страница 7

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Als großgewachsener, breitschultriger High-School-Schüler war Andre Young bereits in den frühen Achtzigerjahren ein Frauenheld, der die Mädchen zum Lachen brachte und sie mit seinen Hip-Hop-Skills in Staunen versetzte. Seine DJ-Gruppe Freak Patrol lieferte heiße Jams bei Partys und seine Tanzeinlagen während der Halbzeitpausen der Football-Matches der Fremont High School wurden stürmisch gefeiert. Dabei vollführte er zu einem Elektrobeat einen roboterhaften Tanz voller mechanisch anmutender Schritte, abrupter Pausen und Bewegungsabläufe, die aussahen, als würde er seine Gliedmaßen zuerst auskugeln und dann wieder zurück in die Gelenke bugsieren, das sogenannte Pop-Locking. Sein Outfit bestand aus Bruce-Lee-Tretern mit Gummisohlen sowie einer an Batman erinnernden Spezialanfertigung von Jacke inklusive kleinem Cape und seinem darauf aufgebügelten Spitznamen „Sir Romeo“, der sich von seinem zweiten Vornamen Romell ableitete.

Ein anderer bevorzugter Hotspot, um sich in Szene zu setzen, war der Club Eve After Dark, der sich in der Nähe von Compton in Willowbrook befand und von schick gekleideten jungen Erwachsenen frequentiert wurde. Der Name des Clubs war nicht leicht zu erklären, hatte jedoch etwas mit Evas paradiesischem Sündenfall zu tun – und die Gäste standen Schlange, um hineinzugelangen. Die Disco-Ära lag noch nicht allzu lange zurück und so drehte sich über der Tanzfläche eine Discokugel, während die DJs groovenden R&B, Funk, Rap und Electro auftischten.

Es war wie ein Garten Eden, bevor die Schlange alles ruinierte. Es wurde kein Alkohol serviert, nur Limonade. Der Besitzer des Clubs, Alonzo Williams, erlaubte auch keine Gang-Aufmachung und bevorzugte es, wenn seine männliche Klientel sich von der Eleganz eines Morris Day inspirieren ließen: lange Freizeithosen, Schuhe mit festen Sohlen und schmale Krawatte. Zwar betraten die Mädchen den Club manchmal mit einem Dutt, schüttelten sich die Haare dann aber auf der Toilette aus. „Bevor sie dann wieder nachhause aufbrachen, drehten sie ihre Haare wieder zusammen und sagten, wenn sie daheim ankamen, ganz locker: ‚Hi, Mom!‘“, erzählt Lonzo.

Andres Mutter setzte ihn mitsamt seinem Bruder Tyree und ihren Freunden ab, fuhr dann wieder nachhause, stellte sich den Wecker auf ein Uhr und legte sich ins Bett, bis es Zeit war, sie wieder abzuholen. Im Club gelang es Andre mitunter, Unterhaltungen mit zwei oder drei Frauen gleichzeitig zu führen. Ein Baggerpartner übernahm dann kurz in den Gesprächspausen, damit keine Verdacht schöpfte.

Bereits im Alter von 16 bekamen er und Cassandra Joy Greene ein gemeinsames Kind, einen Jungen namens Curtis, den er erst Jahrzehnte später anerkannte. Auch begann er, sich für eine hübsche 14-jährige Schülerin namens Lisa Johnson zu interessieren. Sie war in South Central aufgewachsen, lebte aber mittlerweile im Westen von Los Angeles. Ihr Dad hatte sich aus dem Staub gemacht und ihr Bruder war der Bandenbrutalität zum Opfer gefallen. Andre verführte sie, als sie die neunte Klasse besuchte, wie sie selbst sagt, doch ihre Beziehung war von Anfang an umstritten gewesen. Johnsons Mutter fand, sie wäre zu jung, um einen Freund zu haben, also schwänzten sie die Schule und trafen sich heimlich.

„Dann erhielt ich eines Tages diesen einen Anruf – den Anruf, den alle Mütter von Teenagern fürchten“, schrieb Andres Mutter Verna Griffin. Lisa Johnson war schwanger.

Sie begann noch die zehnte Klasse an der Fremont, hielt aber nur wenige Wochen durch. „Ich war schwanger und sie wollten mich nicht auf dem Schulgelände“, berichtete sie. Noch schlimmer: Johnson zerstritt sich mit ihrer Mutter, die fuchsteufelswild wegen der Schwangerschaft war und ihre Tochter vor die Tür setzte.

Im Januar 1983 gebar Johnson ihre erste Tochter namens La’Tanya. Johnson war 15 und Andre 17 Jahre alt. „Er war damals ein echt stolzer Vater“, erklärte Johnson. Andres Mutter ließ Johnson und das Baby eine Weile bei sich wohnen. Johnson schlief in Andres Zimmer, während der im Wohnzimmer übernachtete. Sie wohnten auch bei seiner Großmutter in Willowbrook, unweit des Eve After Dark. Dann wiederum nächtigten sie in trostlosen Motels wie dem Snooty Fox Motor Inn an der South Western Avenue, wo Zimmer stundenweise vermietet wurden. Jedoch dauerte es nicht lange, bis Andre eine weitere junge Frau namens LaVetta Washington schwängerte. Ihre Tochter Tyra kam im Mai 1984 zur Welt. Johnson war außer sich. Schließlich war auch sie erneut schwanger.

Andre Youngs ebenso patente wie elegante Mutter Verna Griffin startete ihre eigene Modelinie und veröffentlichte sogar ihre Memoiren. Außerdem war sie beinhart und nicht leicht aus der Fassung zu bringen. Eines Nachts in Los Angeles überfielen zwei junge Männer die junge Mutter und verlangten ihre Handtasche. „Ohne zu zögern zog ich meine Pistole und zielte auf sie“, schrieb sie. „Schon liefen sie davon.“

Sie und Andres Vater, Theodore Young, besuchten noch die High School, als er zur Welt kam, nur wenige Monate vor den Watts-Unruhen von 1965. Auf Vernas Mutters Drängen hin heirateten die beiden schnell und mieteten von Theodores Stiefvater ein Apartment in der 135th Street. Die wöchentliche Miete, 18 Dollar, war in Ordnung, doch die Arbeitslosigkeit zwang Theodore, mit Drogen zu dealen. Sehr zu Vernas Leidwesen, berauschten sich seine Klienten bei ihnen zu Hause. „Der abgestandene Marihuana-Geruch war so intensiv, dass es nicht einmal half, jeden Tag zu putzen“, schrieb sie. Nur kurze Zeit später zogen sie und Andre zurück zu ihren Eltern in ein gemeindefreies Gebiet im L.A. County nahe Compton. Theodore wurde hingegen schon bald bei einer Drogenrazzia festgenommen.

Sie behauptete, er hätte sie während ihrer turbulenten Ehe geschlagen. „Wenn ich in den Laden an der Ecke ging und zu lange fort blieb, ging er auf mich los“, schrieb Verna. „Wenn ich eine – wie er fand – ausgedehnte Unterhaltung mit einem seiner Kumpel führte, ging er auf mich los.“ (Leider konnte ich Theodore Young nicht für eine Stellungnahme erreichen.) Verna fügte noch hinzu, dass er sie auch schlug, als sie mit ihrem zweiten Kind, Jerome La Vonte Young, schwanger war, der als Kleinkind an einer seltenen Darmerkrankung starb. Er begann, ihr so heftig nachzustellen, dass sie Angst hatte, das Haus zu verlassen.

Obwohl sie nach der neunte Klasse von der Schule abgegangen war, war Verna smart und erfinderisch. Sie arbeitete in schlecht bezahlten Jobs für Handelsketten wie National Dollar, Sears und K-Mart. Ihre junge Familie bewegte sich stets scharf an der Armutsgrenze und hatte nicht immer Zugang zu Telefon, Auto oder Gas. Ein weiterer Sohn Vernas starb als Kleinkind, und nach der Geburt von Andres Bruder Tyree wäre sie fast selbst gestorben, als es den Ärzten misslang, ihre Plazenta zu entfernen. Später gebar sie noch ein gesundes Mädchen namens Shameka.

Andre Youngs Kindheit war von ständigen Umzügen geprägt. Einmal lebte die Familie nahe des Flughafens von Compton in der Sozialwohnsiedlung Wilmington Arms, die die L.A. Times später einen „berüchtigten Drogenbasar“ nannte, der laut einem Stadtrat am besten „plattgemacht werden sollte“. Verna und ihre Sprösslinge zogen über ein Dutzend Mal um und wohnten in Häusern und Apartments in South Central, Watts, Carson, Long Beach und Compton, wo sie in der Thorson Avenue nur ein paar Blocks entfernt von Eric Wright lebten. Diese Viertel waren ein raues Pflaster. Brutale Grobiane trieben dort ihr Unwesen und Einbrecher lauerten vor der Tür. Einmal wurde ein Mann direkt vor ihrem Haus ermordet. Ein anderes Mal, so erinnerte sich Verna, führte ein Streit zwischen zwei Kindergartenkindern zu einem Messerkampf zwischen ihren Müttern. Manchmal bezogen sie Notstandshilfe und als Andre 11 war, geriet die Familie in einen schweren Autounfall. Andres Gesicht war von Glasscherben übel zerschnitten worden. Er jammerte nur wenig, obwohl über einen Monat später festgestellt wurde, dass er sich auch noch das Schlüsselbein gebrochen hatte. „Er ging so tapfer mit dem Schmerz um“, schrieb Verna. „Ich fragte mich, ob es daran lag, dass ich ihm beigebracht hatte, wie wichtig es war, Schmerz zu ertragen.“

Tyree und Little Warren

Nach der endgültigen Trennung von Theodore traf Verna ihren zukünftigen Ehemann Curtis Crayon bei einer Strandparty. Doch auch diese Beziehung verlief schon bald in unrunden Bahnen. Nach ihrer Scheidung „drangsalierte er mich mit Gewaltandrohungen“, schrieb sie und erreichte schließlich eine einstweilige Verfügung.

Doch das Resultat ihrer Ehe, der gemeinsame Sohn Tyree Du-Sean Crayon, der drei Jahre jünger als Andre war, sollte dessen größter Unterstützer und Vertrauter werden. Tyree spielte Football, Basketball und betrieb Leichtathletik – und wurde schließlich das erste Familienmitglied, das die High School abschloss. Er fand Arbeit in einem Raumfahrtunternehmen und wurde Vater eines Jungen. „Mein Bruder war mein bester Freund und wir unternahmen alles zusammen. Es war einfach immer lustig mit ihm. Wenn er zur Tür hereinkam, nahm die Party Schwung auf“, erklärte Andre einmal. Verna heiratete noch ein drittes Mal, einen Angestellten eines Luftfahrtkonzerns aus Long Beach namens Warren Griffin Jr. Ihre Familien zogen unter ein Dach, ganz im Stil von Drei Mädchen und drei Jungen, nur dass hier nun gleich acht Kids sich ein Zuhause teilten. In dieser Kinderschar befand sich auch Warren Griffin III, ein ruhiger Junge mit Brille, der später als Rapper und Produzent Warren G zu Ruhm gelangen sollte.Warren Griffin Jr. war Freimaurer und ein Karate-Meister, der Andre, Warren und Tyree in Selbstverteidigung unterwies. An manchen Wochenenden lud Big Warren die ganze Rasselbande in seinen Ford-Kombi und führte sie ins Autokino aus. Verna entwickelte hingegen ein Interesse an Modedesign und rekrutierte die Kids für ihre Präsentationen. Zurechtgemacht in Klamotten à la Miami Vice alberte Tyree über den Laufsteg, während Andre R&B und Jazz auflegte. „Wir alle modelten“, erzählt Warren G. Verna eröffnete schließlich ihre eigene Boutique in der Mall von Carson und Andres neue Freundin, die aufstrebende R&B-Sängerin Michel’le, kamen, um sie zu bewerben und Autogramme zu schreiben.

Die Familie hielt zusammen, auch in schwierigen Zeiten, etwa während eines Streiks beim Flugzeughersteller in Long Beach, als des Öfteren Eipulver auf dem Speiseplan stand. Warren G verehrte seine älteren Stiefbrüder. Andre und Tyree nannten ihn „Kibbles“, weil sein Haar sie an das Hundefutter Kibbles ’N Bites erinnerte. Sie trieben sich auch im nahegelegenen Kelly Park herum, der zum Stammesgebiet von Eric Wrights Gang zählte. Die Kids zogen den kleinen Warren auf, weil er ursprünglich aus Long Beach war – und so zeigten ihm seine Stiefbrüder, wie er sich wehren konnte. Nicht nur ein wenig balgen, nein, richtig kämpfen, wie er betont. „Sie ließen mich auf die kleinen Jungs los, wenn einer von ihnen mal wieder losplapperte“, sagt Warren G. „‚Hol ihn dir, Kibbles!‘“

Rap Talker

Wegen seiner schlechten Noten verließ Andre die Centennial High School in Compton und wechselte an die Fremont in South Central. Doch auch nach dieser Luftveränderung verbesserten sich seine schulischen Leistungen nicht, weshalb er auch aus dem Team für Wasserspringen flog. Und doch sahen seine Pädagogen etwas in ihm. „Sein Englischlehrer sagte: ‚Ich weiß, dass er kein Dummkopf ist. Ich sehe ihn in der Mittagspause beim Schach und er schlägt jeden‘“, schrieb Verna. Als begabter Zeichner fand er auch Gefallen an technischem Zeichnen. Ein Lehrer ermutigte ihn, sich intensiver damit zu beschäftigen, aber letzten Endes brach er die Fremont ab. Er stritt sich mit seiner Mutter über seine Zukunft. Sie bestand darauf, dass er zurück an die Schule gehen oder sich einen geregelten Job suchen sollte.

Aber Andres große Leidenschaft war die Musik. Auf alles andere pfiff er. Verna hätte es besser wissen müssen, schließlich war das ihre größte Gemeinsamkeit. Sie trat als Mitglied der Gruppe Four Aces auf, die selbst Kompositionen fürs Klavier schrieben, und Andres zweiter Vorname Romell bezog sich auf die Gesangsgruppe seines Vaters, The Romells. Verna hatte eine überbordende Plattensammlung und schon als Kind setzte Andre bei ihren Partys die Nadel auf die Vinyl-Scheiben. Noch bevor er lesen konnte, wusste er die einzelnen Singles anhand der unterschiedlichen Label-Farben zu unterscheiden. „Jeder in meinem Viertel liebte Musik“, erzählte er einmal. „Wenn ich über den Zaun hinterm Haus sprang, war ich schon im Park, wo es überall Ghettoblaster gab.“

Verna fuhr besonders auf den Funk der Siebzigerjahre ab: Earth Wind and Fire, Parliament-Funkadelic, James Brown, Isaac Hayes und so weiter. Und so wuchs auch Andre damit auf. Ein Konzert von Parliament-Funkadelic, das er als 14-Jähriger im L.A. Coliseum besuchte, haute ihn total aus den Socken. Er stand mit offenem Mund da, als ein Funk-Raumschiff von oben herabschwebte und George Clinton seine Band auf seine extravagante, ausgeflippte Weise auf die Bühne führte. An Ort und Stelle beschloss Andre, sein Leben der Musik zu widmen. „Bevor ich von ihnen gehört hatte, wollte ich noch technischer Zeichner werden“, schrieb er später in der Los Angeles Times. „Aber die Musik von P-Funk [Parliament Funkadelic] öffnete meinen Verstand für die Idee, dass es keine Grenzen gab, außer jenen, an die man glaubte.“ Der Funk wurde zum prägenden Sound seines Lebens, zur Grundlage seines Schaffens.

Andre lernte Klavier zu spielen und Noten zu lesen. Doch vor allem war er mit einem ausgezeichneten Gehör für zusammenpassende Sounds gesegnet. Als er zu Weihnachten ein Mischpult geschenkt bekam, brachte er sich bei, Komponenten verschiedener Songs miteinander zu verbinden. „Das war das ultimative Geschenk“, sagte Andre. „Wer braucht schon ein Fahrrad, ich habe ein Mischpult!“

In den Siebziger- und Achtzigerjahren waren die DJs die Stars im Hip-Hop. Wenn ein Rapper auf den Plan trat, dann hauptsächlich, um den Mann an den Turntables hochleben zu lassen. Einer der ersten populären Rapper in L.A. war Ice-T. Sein Song „Reckless“ war im Grunde genommen ein ausführlicher Shout-out an seinen DJ, Chris „The Glove“ Taylor: The DJ named Glove has reigned supreme / As the turntable wizard of the hip-hop scene. „Reckless“ erschien auf dem Soundtrack zu Breakin’, einem Hip-Hop-Film aus dem Jahr 1984, in dem es auch jede Menge Pop-Locking zu sehen gab. Die MCs spielen nur eine untergeordnete Rolle. Im Abspann wird Ice-T als „rap talker“ angeführt.

Früher Hip-Hop wurde in erste Linie live aufgeführt, etwa auf Partys, und als Gruppen anfingen, ins Studio zu gehen, versuchten sie das dort vorherrschende gesellige Ambiente nachzuahmen. Doch schon bald wandten sich Gruppen wie Grandmaster Flash and the Furious Five mit Nummern wie „The Message“ (1982) soziopolitischen Themen zu und ab Mitte der Achtzigerjahre war Hip-Hop mit aggressiven Backing-Tracks ein großes Ding in New York. Run-DMC und LL Cool J rappten zu harten Beats und der MC begann den DJ als dominante Figur abzulösen.

Aber die Message hatte sich nicht bis L.A. herumgesprochen. Dort war die Party noch im vollen Gange. Ein flotterer, von starkem Synthie-Einsatz geprägter Electro-Dance-DJ-Sound inklusive maschineller Vocoder-Stimmen regierte nach wie vor die Dance­floors. Die Leute interessierten sich weniger für gepflegten Sprechgesang als dafür, ordentlich einen drauf zu machen. Angesagte DJs wie Egyptian Lover produzierten Sounds, die sich heutzutage eher nach Techno anhören. An den Turntables manipulierte er Schallplatten so, dass sie einen Drumbeat oder eine bestimmte Stelle eines Songs dreimal hintereinander spielten – boom, boom, boom! Egyptian Lover tat sich mit einer mobilen DJ-Crew zusammen, die sich Uncle Jamm’s Army nannte und ihr Audio-Equipment stets mitbrachte, wenn irgendwo eine Party abgehen sollte. Der Leader der Gruppe, Rodger Clayton, verfügte über jede Menge Swag und hatte ein Händchen für Vermarktung. Kids konnten ihre Adressen in Versandlisten eintragen und wurden von ihm durch Postkarten auf dem Laufenden gehalten.Uncle Jamm’s Army waren beeinflusst von Afrika Bambaataa, einem DJ-Pionier aus New York und ehemaligen Mitglied einer brutalen Gang aus der Bronx, den Black Spades, der schließlich die auf Hip-Hop ausgerichtete Bewegung Universal Zulu Nation aus der Taufe hob. Sein Song „Planet Rock“, der sich musikalisch bei den deutschen Electronic-Urvätern Kraftwerk bediente, wurde gleich nach seiner Veröffentlichung 1982 zu einem Dancefloor-Hit. Uncle Jamm’s extravagante Electronic-Eskapaden orientierten sich stark an Bambaataa und erfreuten sich in den frühen Achtzigerjahren großer Beliebtheit. Die Gruppe trat zunächst noch an Orten wie dem Veterans Memorial Auditorium in Culver City auf, irgendwann aber sogar auch in der L.A. Sports Arena – vor über 5.000 Bandana-Girls in Miniröcken und afroamerikanischen Mods, die in Trenchcoats skankten. Nach dem Vorbild von Run-DMC und den Fat Boys trugen die anwesenden B-Boys übergroße Cazal-Brillen und geflochtene Goldketten, sogenannte „Dookie-Ropes“.

Das ohrenbetäubende Arsenal spielte auch in der Werbung für die Veranstaltungen eine Rolle. Der Flyer, mit dem 1983 eine Show von Uncle Jamm’s Army in der Sports Arena angekündigt wurde, versprach etwa „100 Lautsprecher“, die in Pyramidenform übereinander gestapelt wurden. In mit Nieten besetzten Lederoutfits und mit Waschbärkappen geizten sie bei ihren Gigs auch nicht mit Nebel und Flammen. Die DJ-Crew umfasste Egyptian Lover, DJ Pooh, Keith Cooley (den Halbbruder des innovativen Turntable-Künstlers Joe Cooley) und Bobcat, der von der Ostküste zurückgekehrt war und sich dort den für Philadelphia typischen „Transformer-Sound“ zu eigen gemacht machte, dessen Bezeichnung sich von den gleichnamigen Actionfiguren herleitete. Diese Shows ähnelten weniger Konzerten, sondern eher dem, was wir heute unter einem Rave verstehen, auf dem ein DJ ohne Unterbrechung die Musik und somit die Party am Laufen hält. Obwohl Uncle Jamm’s Army Rap-Songs spielten, fanden sich keine Rapper in ihren Reihen (mit Ausnahme von Ice-T). „Es wurde öde“, erklärte Rodger Clayton. „Wir können Rapper nicht länger als zwei Minuten einsetzen, weil sie den Energielevel stören.“

Disco Lonzo

Obwohl kaum jemand noch weniger Gangsta als er war, ist Alonzo Williams wohl der unbesungene Architekt der Gangsta-Rap-Ära. Williams, ein angepasster Typ, der acht Jahre älter als Dre und in Willowbrook aufgewachsen war, hatte eine katholische Schule besucht. Als mobiler DJ legte er nun Disco und R&B auf und machte unter seinem Künstlernamen Disco Lonzo auch dank seiner extravaganten Outfits von sich reden. Er trug ein Superman-Shirt, eine Trillerpfeife und einen Bauarbeiterhelm mitsamt Sirene. Um seinen Hals hing eine Goldkette, die mit dem Wort „Lonzo“ verziert war und an der noch eine Rasierklinge baumelte, die er brauchte, um sein Kokain in Lines aufzuteilen. „Er war wie Disco Stu von den Simpsons“, beschrieb ihn Unknown DJ. Lonzo organisierte sich Helfer, die ihn allabendlich dabei unterstützten, seine Ausrüstung auf- und abzubauen und auch als Namensspender für seine Gruppe aus DJs Pate standen: World Class Wreckin’ Cru.

Lonzos Dad hatte ihn mit dem jungen Besitzer des Eve After Dark bekanntgemacht, der 1979 begann, dort Partys zu schmeißen. Er veranstaltete zum Beispiel einen „Super Freak Contest“, bei dem Frauen 100 Dollar gewinnen konnten, wenn sie „extrem erotische Moves“ hinlegten, um das Publikum anzutörnen. Er ließ auch männliche exotische Tänzer in einem Schaufenster auf Straßenebene auftreten, weil die „viel weniger zickig als die Tänzerinnen“ waren.

Andre Young fing an, das Eve After Dark an Wochenenden zu frequentieren. Der Club ermöglichte ihm auch seinen ersten Durchbruch, als er sich 1982 eines Abends auf die Bühne manövrierte, wo er an den Turntables einen Doo-Wop-Klassiker aus dem Jahr 1961, „Please Mr. Postman“ von den Marvelettes, mit Afrika Bambaataas „Planet Rock“ kombinierte. Die Clubgäste waren schwer beeindruckt, lange bevor Computer-Software solche Manöver alltäglich machte. „Die eine Platte war doppelt so schnell wie die andere. Also passten die Beats nicht alle genau, aber es funktionierte“, sagte Lonzo. „Es war eine Meisterleistung.“

Andre nahm manuell Songs direkt aus dem Radio auf, um sie mit einem Vierspurrekorder miteinander zu verweben. Diese krude Technik half ihm, die Mash-ups zu bewerkstelligen, die er sich ausgemalt hatte. „Du hörtest zwar ‚Oh Sheila‘ von Ready for the World, aber der Gesang stammte von einem Prince-Song und die Harmonie wiederum von jemand ganz anderem“, erinnert sich Greg Mack. „Die Leute meinten, dass er gar kein richtiger DJ sei, aber ich sagte, dass es mir egal wäre, wie sie es nannten. Der Shit klang gut!“

„Statt einfach in einem Club einen Hit nach dem anderen aufzulegen, versuchte ich eine richtige Show abzuziehen“, sagte Andre später. Er begann auch, sich selbst Dr. Dre zu nennen, wozu er sich vom Basketball-Star Julius „Dr. J“ Erving inspirieren ließ. Manchmal fügte er auch noch den Titel „The Master of Mixology“ hinzu. Lonzo zahlte ihm 50 Dollar pro Abend und lud ihn ein, sich der World Class Wreckin’ Cru anzuschließen. Auch ermöglichte er ihm den Zugang zu hochwertigem Aufnahmeequipment, inklusive eines erstklassigen Drumcomputers mit Bass-Soundeffekten.

Der frisch promovierte Dr. Dre knüpfte Kontakte zu KDAY, einem in Echo Park beheimateten AM-Radiosender, der zwar nur über ein leicht rauschendes Signal verfügte, aber dennoch der erste Sender der Welt war, der vorrangig Hip-Hop spielte. Er und DJ Yella, sein Kollege bei der Wrecking Cru, kreierten Mixes, die ideal für den Verkehrsstau waren, und Dre performte im Auftrag des Senders bei „Noon Dances“ in High Schools, die über das ganze Stadtgebiet verteilt waren. Während Schulkinder ihre Milch schlürften und ihre Sandwiches verschlangen, spielte er die aktuellsten Rap-Songs und mitunter sogar Parliament-Funkadelic, bis er sie soweit hatte, dass sie aufstanden.

Er wurde zu einem Fixstarter im Eve After Dark, ein Teenager hinter den Turntables, der wusste, was die Leute wollten, aber nicht immer bereit war, es auch zu spielen. So brachte er ein paar lokale Bloods gegen sich auf, weil er sich weigerte, den Bar-Kays-Song „Freak Show“ zu spielen, wie Stammgast Anthony Williams weiß. „Die Bloods liebten es, zu diesem Song zu pop-locken“, sagt er, „aber er ließ sich von niemandem sagen, was er spielen sollte.“

„Als ich anfing, meine Skills zu entwickeln, musste ich es auf die harte Tour lernen“, ergänzt Dre. „Es war praktisch wie learning by doing.“

Er nahm sich einfach alles

Während Andre beruflich expandierte, wurde sein Privatleben zunehmend kompliziert. Lisa Johnson behauptete, er hätte sie zweimal geschlagen, als sie mit ihrer zweiten gemeinsamen Tochter schwanger war – Anschuldigungen, die durch einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen ihn Substanz erhielten. Beim ersten Mal, als sie im sechsten Monat war, stieß er sie um und sie knallte mit ihrem Kopf gegen die Wand, woraufhin er sie „mehrmals“ schlug, wie im Protokoll ihrer Anzeige vom 7. Mai 1985 nachzulesen ist. Darin beschuldigt sie ihn auch, sie noch einmal geschlagen zu haben, als sie im achten Monat schwanger war. Sie gab an, er sei wütend darüber gewesen, dass sie seine Mutter über die neuerliche Schwangerschaft informiert hatte.

(Dr. Dre ließ mir über seinen Anwalt ausrichten, dass er zu Johnsons Vorwürfen keine Stellung beziehen möchte. Und falls Dre den Behauptungen, die gegen ihn in der einstweiligen Verfügung erhoben worden waren, schriftlich widersprochen haben sollte, so waren mir diese Unterlagen leider nicht zugänglich.)

Auch die Geburt von La’Toya im September 1984 konnte die Wogen nicht glätten. Ein paar Tage vor Weihnachten jenes Jahres, so steht es im Polizeiprotokoll, schlug er sie im Haus von Johnsons Mutter auf den Mund und ihre Lippe platzte auf. Im April 1985 suchte er sie im Haus ihrer Tante in South Central auf, wo sie zu diesem Zeitpunkt wohnte. Er war gerade 20 geworden und sie war mittlerweile mit ihrer dritten gemeinsamen Tochter schwanger. Es war bereits Andres fünftes Kind. Sie sagte, sie wolle ihn nicht mehr sehen, weil er keinen Unterhalt für die Kinder bezahlte, woraufhin er sie laut Protokoll zweimal niederstieß. „Wenn meine Cousine Nessa nicht eingegriffen hätte, hätte er mich getreten, als ich am Boden lag“, gab sie an. „Nessa sagte, er solle mich in Ruhe lassen. Er sprang in sein Auto und sagte: ‚Ich komme wieder.‘“] Lisa Johnsons Tante, die darum gebeten hat, nicht namentlich erwähnt zu werden, erinnert sich ebenfalls an diesen Vorfall. „Er schlug sie auf den Kopf, er trat sie und gab ihr alle möglichen Schimpfnamen“, erzählte sie mir. „Ich ging dazwischen, packte ihn, zog ihn von ihr weg und stieß ihn in den Rosenbusch.“ Keine zwei Wochen später kam er, wie Lisa der Polizei berichtete, tatsächlich wieder. „Er hatte eine Pistole und rief: ‚Komm raus, Bitch.‘ Er würde mich umbringen und ich wüsste ja nicht, mit wem ich es zu tun hätte.“ Auch Johnsons Tante bestätigt diese Aussage.

Lisa Johnsons Anschuldigungen führten nie zu einer Gerichtsverhandlung, da sie keinen Strafantrag stellte. Aber ihre Tante half ihr, einen Antrag auf Unterhaltszahlungen sowie auf eine einstweilige Verfügung aufgrund häuslicher Gewalt einzureichen. Am 29. Mai 1985 ordnete der stellvertretende Richter Lee B. Ragins an, dass Andre sich 100 Yards von Johnson fernzuhalten und ihr monatlich 200 Dollar für jedes der Mädchen zu überweisen hätte. Laut Johnson ignorierte er jedoch beide Anweisungen. „Er zahlte keine Alimente und er hörte nicht auf, Kontakt zu mir aufzunehmen.“ Sie fügt noch hinzu, dass er erst für die Erziehung der Kinder aufkam, als ihn ein Gericht in den Neunzigerjahren dazu verpflichtete – lange nachdem er mit N.W.A und als Solo-Act zu einem großen Star geworden war.

„Er stellte ihr ganzes Leben auf den Kopf. Sie war seitdem nicht mehr dieselbe. Sie war einmal eine wunderschöne junge Lady“, sagt Johnsons Tante. „Er nahm sich einfach alles, was sie hatte.“

„Ich liebte ihn wirklich“, erklärt Johnson. „Er war jemand, zu dem ich aufblickte, weil er eine Vision hatte. Ich sah, wie er sich um seine Musik, die er machen wollte, bemühte, und ich glaubte an diesen Typen. Ich glaubte alles, was er mir sagte.“

„Er rackerte sich ab, Geld für die Kids aufzutreiben – aber keiner von uns hatte Kohle“, sagt Cli-N-Tel, das vierte Mitglied der World Class Wreckin’ Cru. „Es gab einen Punkt, an dem es nicht so aussah, als würden wir es mit der Musik schaffen.“

In ihren Memoiren beschuldigte Andres Mutter Johnson, mitunter eine verantwortungslose Mutter gewesen zu sein und außerdem „Geschichten zu erfinden“, damit Andre ihr Beachtung schenkte.

Drei weitere Frauen sollten Andre später vorwerfen, von ihm geschlagen worden zu sein, darunter auch eine Mutter eines seiner anderen Kinder.

Chirurgische Präzision

Die Musik bewahrte Andre davor, dass das Chaos in seinem Leben Überhand nahm. Doch obwohl er Hip-Hop liebte, war unklar, ob er auch davon würde leben können. Die Szene in L.A. befand sich immer noch in der Anfangsphase und es gingen noch keine Stars aus ihr hervor wie an der Ostküste. „Die Leute im Osten wussten nicht viel von dem, was im Westen abging“, sagte The Glove. „Damals war ihr Spitzname für Los Angeles ‚Southern‘.“

1983 holte Lonzo Run-DMC ins Eve After Dark und Dr. Dre war sehr inspiriert von ihrem Auftritt. Doch die New Yorker Gruppe in ihren Lederoutfits konnte mit dem lokalen Morris-Day-Style nicht viel anfangen. „Sie sahen uns an, als wären wir ein Haufen Schwuchteln“, sagte Lonzo.

„Ein paar Leute von der Ostküste hatten damals für niemanden Respekt übrig“, gesteht Afrika Bambaataa. Er hingegen respektierte die Westküste, wie er sagt. Und dieses Gefühl basierte auf Gegenseitigkeit. Die World Class Wreckin’ Cru bediente sich etwa bei ihrem Track „Planet“ ganz offensichtlich bei „Planet Rock“. We are the pilots of your shuttle, transporters of love, intonierten sie begleitet von außerirdisch anmutenden Synth-Effekten.

Die Besetzung der Gruppe stabilisierte sich schließlich und bestand nur noch aus vier Mitgliedern. Alle vier waren DJs, die bis zu einem gewissen Grad auch rappen konnten. Lonzo war zum Beispiel durch sein Lispeln eingeschränkt, und da Dr. Dre LL Cool J zu imitieren schien, wurde ihm der Spitznamen „LL Cool Dre“ verpasst. Ihre Songs nahmen sich einer breiten Palette von Themen an. „(Horney) Computer“ war zum Beispiel inspiriert von der cyber-erotischen Fixiertheit der damaligen Zeit, wohingegen „Gang Bang You’re Dead“ sich wiederum mit der aufsteigenden Gang-Kultur beschäftigte:

You wear red rags, blue rags, and big shoelaces

You drink 40 ounce brews by the cases

You dress so tacky ’til you look like a slob

And you wonder why you can’t get a job?

Cli-N-Tel hatte die Idee zu dem Song, nachdem ein Freund der Ban­den­gewalt zum Opfer gefallen war. Auch Lonzo und Dre trugen zum Song bei und es war einer der ersten Tracks, auf denen Dre rappte. Mit „Surgery“ lief er zur Hochform auf. Begleitet von Hauchlauten, heftigem Scratching und einem Synth-Lauf, der wie ein Herzmonitor piept, präsentierte er sich im Schürzenjäger-Modus: The nurses say I’m cute, they say I’m fine / So you better beware because I’ll blow your mind. Schrittweise legte er seine Fesseln ab und wurde immer vertrauter im Umgang mit dem Mikro. Allerdings hasste er den – wie er fand – entmannenden Song „Lovers“, der sich an LL Cool Js „I Need Love“ orientierte. Darin nahm die Sängerin Mona Lisa verbal jedes Mitglied der Gruppe der Reihe nach auseinander. Als der Song jedoch zu ihrem größten frühen Hit wurde, konnte er nur schwer dagegen argumentieren. „Dre und DJ Yella wollten anfangs keine langsamen Platten machen“, sagt Cli-N-Tel. „Lonzo und ich überzeugten sie, dass das eine gute Sache wäre. Doch als sie sahen, dass die Girls dazu komplett durchdrehten, waren sie ganz Feuer und Flamme.“

Feiner Zwirn

Wer den Namen des aus West Compton stammenden Antoine Carraby hört, denkt unweigerlich sofort an seine Turntable-Skills. Ursprünglich trat der introvertierte, eher hellhäutige Carraby unter dem Namen Bric Hard auf, bis er sich auf Anregung des ehemaligen Cru-Mitglieds Unknown DJ und in Anlehnung an den gleichnamigen New-Wave-Song der Gruppe Mr. Yellow aus dem Jahr 1981 in Yella umbenannte. Der obsessive Prince-Fan trug mit Vorliebe Paisleymuster und war für seine Moves bekannt, die er direkt aus Purple Rain übernommen zu haben schien. Er war entspannt, sorgte nicht für Stunk und gab sich unbeschwert.

Andre und Yella liebten es nicht nur, gemeinsam Frauen aufzugabeln, sie passten auch musikalisch hervorragend zusammen. Nach einer Show von Kurtis Blow unterwies dessen DJ, Davy DMX, Yella in der Scratch-Kunst, woraufhin der wiederum Dr. Dre Starthilfe gab. Das war eine große Sache: Nicht viele Leute an der Westküste scratchten damals – und Dre ließ von Anfang an nichts anbrennen. „Dre war schneller an den Turntables als Yella“, erinnert sich Cli-N-Tel. „Yella vermischte eher Tracks miteinander, während Dre lieber scratchte.“

Das Hauptquartier der Gruppe war Alonzo Williams Eigenheim in South Central, wo die Jungs aufnahmen, abhingen und ihre Dance-Moves übten. „Wir beobachteten uns im Fenster und sahen uns gegenseitig beim Üben zu“, erzählte mir Lonzo im Juli 2014. Wir unterhielten uns in seinem Studio, einem freistehenden Bungalow hinter besagtem Haus, in dem er immer noch lebt. Der Vorbesitzer war kein Geringerer als der berühmte Bandleader Johnny Otis. Lonzo hatte große Pläne und veröffentlichte ihre Debüt-LP World Class 1985 auf seinem eigenen Label Kru-Cut. Außerdem feilte er an ihrem Image. Das Coverfoto wurde in einem improvisierten Studio in den Büros von Macola Records fotografiert. Das Label war auch für die Pressung des Albums zuständig. Andres Mutter Verna und ein mit Lonzo befreundeter Schneider halfen dabei, ihre Klamotten anzufertigen. Für das Foto-Shooting trug Williams eine schwarze paillettenbesetzte Jacke und sternenförmige Ohrringe. Cli-N-Tel schlüpfte in ein lilafarbenes Smoking-Jackett aus Samt mit schwarzen Pailletten. Dazu trug er ein weißes Anzughemd, das er fast bis zum Nabel aufgeknöpft hatte. Yella trug eine ähnliche Jacke mit Schulterpolstern und seine Hände steckten in weißen Handschuhen. Als Grundlage für Dr. Dres mit weißen Pailletten besetztes, figurbetontes Outfit hatte ein Chirurgenkittel aus einem Laden für medizinisches Zubehör gedient. Um seinen Hals baumelte sogar ein Stethoskop. Make-up war für jede tanzbare Gruppe dieser Ära, die etwas auf sich hielt, quasi Pflicht – ganz zu schweigen von den Hair-Metal-Bands, die damals den Sunset Strip unsicher machten. Der World Class Wreckin’ Cru stand kein professioneller Maskenbildner zur Seite, weshalb sich die Managerin der Gruppe, Shirley Dixon, die Tochter der Blues-Legende Willie Dixon, ins Zeug legen musste. Sie puderte ihre Gesichter und fettete ihre Lippen ein, damit diese schön glänzten. Dre wurde mit etwas Rouge präpariert und zu guter Letzt wurden er und DJ Yella noch mit einem Hauch Eyeliner aufgepeppt. Hier war auch der Einfluss von Prince spürbar. „The Purple One“ hatte die allgemeine Vorstellung von Männlichkeit in der Popmusik drastisch verändert. Abgesehen davon scheuten sich auch Acts wie Afrika Bambaataas Soulsonic Force oder Dres Idole Parliament-Funkadelic nicht, farbenfrohe Outfits zu tragen und sich wild-dramatisch zu präsentieren. „Das waren die Achtziger!“, betont Lonzo. „Da hat man eben ein bisschen Make-up getragen.“

Die Cru begutachtete sich im Spiegel, wurde von Shirley abgesegnet und war startklar. Sie posierten für die Fotos, badeten im lila Licht und die Nebelanlage legte eine Doppelschicht ein. Ein paar der Shots waren absolute Volltreffer – andere weniger. Dr. Dre, zu Späßen aufgelegt, alberte herum. Er hatte ja keine Ahnung, dass diese Fotos ihn eines Tages noch verfolgen sollten. „Ich sag euch was, zumindest hatte ich nichts aus Spitze an – das war Yella“, murrte Dr. Dre später.

Dr. Dres Production-Skills verbesserten sich rasant. Er und Cli-N-Tel richteten sich tagelang im Studio ein und schickten die anderen los, um ihnen Essen und frische Klamotten zu holen.

Die erste Show der Cru fand stand, als die Gruppe vor New Edition an der Fremont High School auftrat. Die Jungs fingen schon bald an, immer mehr Leute anzuziehen, die schwüle Dancefloor-Nummern und sexy Slow-Jams geboten bekamen. Als das Eve After Dark 1985 schloss, begann Lonzo, Partys im Dooto’s in Compton zu veranstalten. Die Cru trat dort ebenso auf wie auf der angrenzenden Rollschuhbahn, wo die Leute immer noch gerne langsam tanzten. Lonzo spielte das Umhängekeyboard. Der Song „The Bird“ von Morris Day and The Time inspirierte eine der Tanz-Choreografien der Cru – inklusive Gleitschritten, Hüftschwüngen und vogelartigen Armbewegungen. In purpurnen oder blauen Arztkitteln aus Satin ließ Dre seinem Vergnügen freien Lauf und das Publikum fuhr auf ihre Energie ab. „Die Frauen fühlten sich zu uns hingezogen“, erinnerte sich DJ Yella später.

Mit Lonzo am Steuer fing das smart herausgeputzte Quartett nun an, im ganzen Land aufzutreten und teilte sich die Bühne mit Funk- und R&B-Acts wie den Bar-Kays, Oran „Juice“ Jones und Rick James’ Protegées, den Mary Jane Girls. Sie ließen schon bald die Rollschuhbahnen hinter sich und traten bei einem frühen Hip-Hop-Event auf, dem Fresh Fest in der 12.000 Zuschauer fassenden Londoner Wembley Hall. 1986 ergatterte die Gruppe schließlich einen Plattenvertrag bei CBS, der ihnen 100.000 Dollar Vorschuss einbrachte.

Doch schon bald gab es auch Probleme, als Cli-N-Tel in der Buchhaltung der Gruppe auf Ungereimtheiten stieß. Das reichte aus, um der Cru noch vor dem nächsten Album, Rapped in Romance, das bei der CBS-Tochter Epic erschien, den Rücken zu kehren. Lonzo gestand, dass er es war, der den Löwenanteil der 100.000 Dollar in die eigene Tasche gesteckt hatte. Der neue BMW und das neue Haus waren wirklich nicht leicht zu übersehen. Er betonte aber, dass ihm das als Investor und Besitzer des Labels zustünde und er außerdem vernünftiger mit seinen Ressourcen umzugehen wusste.

Als Rapped in Romance 1986 floppte, schickte CBS die Gruppe in die Wüste. Die Lage war trist. Als sie mit ihrem auf eigene Faust veröffentlichten Song „Turn Off The Lights“ 1987 ihren größten Hit hatten, gab es die Gruppe schon nicht mehr. Dr. Dre hatte die Schnauze voll. Es war nicht nur eine Frage des Geldes. Er war auch das überkandidelte Image leid und der Ansicht, dass ihre glatten Kuppler-Balladen nicht mehr dem Zeitgeist entsprächen. Er wollte Musik mit Ecken und Kanten machen, so wie Run-DMC oder in der Art von Ice-Ts „6 in the Mornin’“. Aber Lonzo hatte keinen Bock darauf – Balladen waren ihr täglich Brot. „Sie wollten meine Songs nicht“, sagte Dre. „Sie sagten, meine Songs würden nie im Radio gespielt werden.“

Doch Dre wusste es besser. Run-DMC erschütterten das Eve After Dark bis in seine Grundfesten. Obwohl sie gerade einmal zehn Minuten auf der Bühne standen, hinterließ die Show bei Dre einen nachhaltigen Eindruck. Ihre taffen Reime und ihr kraftstrotzender Beat zeigten ihm, dass resoluter, megascharfer Hip-Hop sehr wohl das Publikum in seinen Bann ziehen konnte. Und er war sich sicher, dass er das auch drauf hätte.

California Shake

Eric Wright hatte 1986 mit einem seiner Drogen-Partner Streit. Einer von Erics VW-Käfern brannte direkt in der Einfahrt seiner Eltern völlig aus, woraufhin Eric im Gegenzug das Auto seines Kontrahenten in Flammen aufgehen ließ. Allerdings wusste keiner, warum sich die beiden eigentlich zofften. „Es ging entweder um Kohle oder Frauen“, sagte Mark Rucker. Aber die Situation war eskaliert. Nicht einmal seiner eigenen Crew konnte Eric trauen. Sein Bote J.D. bediente sich selbst bei der Ware, um sich zuzudröhnen. Er stahl sogar Erics Autoradio.

Eric fühlte sich zusehends frustriert. Die Goldmine, die ihm sein erschossener Cousin Horace Butler hinterlassen hatte, war versiegt und Eric musste sich nun wie jeder andere Dealer auch um seinen Nachschub kümmern. Was einst wie leicht gemachtes Geld gewirkt hatte, war nun zu einer stressigen Aufgabe geworden. Andere Dealer hatten ihn auf dem Kieker und waren scharf auf seine Position. „Es gab ständig Todesdrohungen gegen Eric“, sagt sein Freund Arnold White.

Nur wenige wussten von Erics großer Leidenschaft, von der er sich erhoffte, das Drogengeschäft hinter sich lassen zu können: Hip-Hop. Mit seinem Freund MC Ren kaufte er Platten auf dem Roadium Swap Meet. Dieser Markt fand auf dem Grundstück eines ehemaligen Autokinos in Torrance statt und bot seinen Kunden Stände so weit das Auge reichte. Dort konnte man alles vom Waschmittel bis zu Airbrush-Shirts kaufen. Eric und Ren suchten regelmäßig den Stand von Steve Yano auf, einem Psychologiestudenten japanischer Abstammung, der aber sein Studium geschmissen hatte, um Plattenverkäufer zu werden. Einst hatten er und seine Frau Susan Disco-Partys bei sich zu Hause veranstaltet, doch mittlerweile wurde ihre Marktbude von Kids auf der Suche nach den neuesten heißen Scheiben frequentiert. Die Lage ihres Verkaufsstandes war optimal, direkt gegenüber einer Snackbar, von seiner Markise hingen Plattencover wie Michael Jacksons Thriller und im Tapedeck liefen Cassetten, um die Kids zu ködern. Eric wusste es damals zwar nicht, aber ein paar der Tapes, die die Yanos spielten, stammten von einem gewissen Andre Young. Eric kannte Young flüchtig aus dem Viertel, hatte aber keine Ahnung von seinen Turntable-Skills oder davon, dass er die angesagtesten Rap-Hits von Acts wie den Fat Boys, King Tee oder Rob Base & DJ E-Z Rock auf 60-Minuten-Cassetten kompilierte und ihnen seine typischen Scratches hinzufügte. Im Gegenzug für diese Tapes deckten die Yanos Andre mit Breakbeat-Platten ein, die er für seine eigenen Songs samplen konnte.

„Er sagte zu Steve: ‚Das hier wird ein Hit, diese Platten musst du pushen‘“, erzählt Susan Yano. „Und er lag immer richtig.“ Irgendwann fingen die Yanos an, seine Tapes mit Titeln wie ’86 in the Mix für zehn Dollar zu verkaufen, woraufhin diese Cassetten selbst zu gefragten Produkten wurden. Es war zwar nicht wirklich legal, Musik zu verticken, an denen sie eigentlich keine Rechte besaßen, aber wie hätten sie es sonst geschafft, die Kids zu erreichen? Hip-Hop kam größtenteils aus New York und fast niemand sonst verkaufte ihn in Los Angeles. Die Tapes wurden schließlich so populär, dass Rapper wie Tone Loc und Young MC fragten, ob Dre sie nicht auch in seinen Mixtapes berücksichtigen könnte. Dre fügte auch seine eigenen Songs hinzu, was Eric besonders beeindruckte. „Was ist das?“, fragte er eines Tages, als er einen neuen Track hörte. Als Steve Yano ihn aufklärte, dämmerte es ihm: Es war die Musik seines Nachbarn! Er kaufte umgehend all seine Musik, die Yano auf Lager hatte, auf – und bezahlte mit einem Geldbündel, das er aus seinem Socken zog.

„Richte Andre aus, dass ich mich gerne mit ihm treffen möchte“, sagte Eric und erkundigte sich gleich auch nach dessen Nummer. Yano willigte ein, telefonisch ein Treffen der beiden zu arrangieren. „Als nächstes“, erzählte Yano später, „unterhielten wir uns zu dritt um zwei Uhr nachts am Telefon. Eric wollte einen Plattenladen eröffnen. Ich sagte ihm, dass er das besser lassen solle, weil es kein gutes Geschäft sei. Ich könnte ihm zeigen, wie es ginge, riet ihm aber, die Finger davon zu lassen. „Yano riet ihnen stattdessen, ein Plattenlabel zu gründen. Eric ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. In der Zwischenzeit suchte Andre einen neuen Sponsor. Er hatte ein paar neue Acts getroffen, brauchte aber Geld, um sie im Studio aufnehmen zu können. Er kannte zwei Leute, die ihm vielleicht unter die Arme greifen würden. Einer war ein lokaler Drogendealer namens Laylaw, der mit ihm an ein paar frühen Songs gearbeitet hatte, zum Beispiel 1985 an einem Halloween-Track mit dem Titel „Monster Rapping“, den Dre und Lonzo produzierten, während Laylaw mit seiner gruseligsten Bela Lugosi-Stimme darauf rappte.

Der andere Typ war Eric. Und genau ihn rief er nun an.

High Powered Crew

Nachdem Lonzo sich den BMW gegönnt hatte, überließ er Dr. Dre seinen alten Mazda RX-7. Es war ein auffälliger Wagen und Andre häufte eine ganze Latte von Verkehrsdelikten an, bis schließlich sogar ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde und er hinter Gittern landete.

Als Eric davon erfuhr, rief er Lonzo an. „Dre sitzt im Knast“, sagte er. „Gib mir Geld, damit ich ihn rausholen kann.“ Lonzo hatte Dre schon in der Vergangenheit immer wieder ausgelöst. Aber nun war er gerade knapp bei Kasse und zog es vor, seinen BMW abzubezahlen. Dre sollte für seine Rücksichtlosigkeit im Gefängnis schmoren. Eric beschloss, selbst für die Kaution aufzukommen, wodurch sich ihre Bindung weiter vertiefte. Dre schlug Eric vor, einen Teil seiner Gewinne aus dem Drogengeschäft in ein musikalisches Projekt zu investieren. Außerdem wollte er mit ihm Songs machen, die härter und mehr „aus dem Bauch heraus“ wären. Dre und Eric, beide nun Anfang zwanzig, begannen, in einem improvisierten Studio in Erics Garage Tapes zu bespielen und rappten dabei zu populären In­strumentalstücken. Unter ihren Kollaboratoren war auch DJ Pooh, der 1995 als Co-Autor des Films Friday Berühmtheit erlangte. „Wir wollten nicht einfach nur Mixtapes machen, sondern Musik, die es auf anderer Leute Mixtapes schaffte“, erklärte DJ Pooh. Und Erics Mutter kümmerte sich darum, dass ihnen das Kool-Aid nicht ausging. Dre und Eric begannen, bei Haus- und Poolpartys sowie Schulbällen als mobiles DJ-Team High Powered Crew aufzutreten. „Wir entschieden uns für diesen Namen, weil wir immer Geld in unseren Taschen hatten“, erklärt Horace „Mr. Sheen“ Taylor, Erics Cousin, weshalb sie diesen Begriff aus der Geldwirtschaft wählten.

Sie stellten Rapper vor und spielten Songs wie „My Adidas“ von Run-DMC. Damit traten sie überall in South L.A. auf, von Downey bis Lakewood. Dorthin gelangten sie in Erics schrottigem Ford, den sie „California Shake“ tauften, da die Kiste zu vibrieren begann, sobald sie schneller als 55 Stundenkilometer fuhr. Dre war ganz klar der Star, während Eric, der selbst ein wenig deejayen konnte, der Finanzier des Unternehmens war. Er kaufte die notwendige Ausrüstung und teilte die paar hundert Dollar auf, die die beiden pro Auftritt kassierten.

Nicht jeder wusste sich auf dieses Duo – hier der taffe Straßenjunge, dort der extravagante Entertainer – einen Reim zu machen. „Ich hielt ihn für schwul, weil er zwei Ohrringe trug“, sagte Mark Rucker über Dr. Dre. „Eric sagte, dass er cool wäre und sie zusammen dieses Musik-Ding durchziehen wollten.“

Als Eric Zwischenbilanz zog, kam er zu dem Schluss, dass er ziemliches Glück hatte. Anders als viele andere Dealer, war er noch am Leben und in Freiheit. Horace Butlers Schicksal belastete ihn schwer. „Ich begriff, dass es das nicht wirklich wert war, ich meine, mein Leben“, sagte Eric. „Mir wurde klar, dass ich zur Abwechslung auch mal was richtig machen könnte.“

Allerdings wollte er auch nicht unter der Fuchtel von irgendjemand stehen. Wie schon im Drogengeschäft zog er es vor, unabhängig zu arbeiten. „Wenn ich für mich selbst arbeitete, konnte ich meine eigenen verdammten Regeln aufstellen“, sagte er. Dre schlug ihm vor, gemeinsam ein Plattenlabel zu gründen. Eric mochte die Idee, aber sein Partner im Drogengeschäft dachte, er hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Was weißt du denn schon über Musik?“, fragte ihn Rucker. Das war ein berechtigter Einwand. Eric konnte definitiv nicht rappen. Doch die Skepsis verwandelte sich in Dankbarkeit, als Eric ihm ein paar Unzen Crack überließ. Er sollte sie verkaufen, denn Eric war fertig damit.

Es stand fest. Eric und Dr. Dre würden die Sache ernsthaft in Angriff nehmen. Allerdings waren sie noch immer nicht vollzählig. Erst mussten sie sich noch mit einem überaus selbstsicheren Jungen aus South Central verbünden, der immer noch jeden Tag mit dem Bus zur Schule fuhr.

Original Gangstas

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