Читать книгу Tödlicher Besuch - Ben Worthmann - Страница 4

2.

Оглавление

Er versuchte den Mund zu öffnen, um zu schreien, aber sein Mund schmerzte zu sehr und schmeckte nach Blut und kaltem Schmutz. Er hatte schon im sprichwörtlichen Staub gelegen und kannte den bitteren Geschmack der Niederlage, aber das war lange her und dies hier war etwas völlig anderes. Das dämmerte ihm, als er den Kopf heben wollte, der sogleich wieder kraftlos auf den harten Boden sank. Er versuchte seinen Körper zu bewegen und begann damit, sich aus der halb seitlichen Lage auf den Rücken zu drehen, um den unter seinem Brustkorb eingeklemmten rechten Arm frei zu bekommen. Aber das kostete ihn enorme Mühe und verursachte weitere Schmerzen, stechend und bohrend von der Brust über die Bauchgegend bis zu den Hüften und Oberschenkeln.

Über sich sah er den schwarzen Himmel. Es war still, bis auf sein eigenes Stöhnen und Keuchen, das ihm wie aus fremder Ferne ins Ohr drang. Und es war kalt, viel zu kalt, um nur in Hemd und Hose dazuliegen. Mit einer großen Kraftanstrengung schaffte er es, sich aufzusetzen. Er starrte auf die Leuchte über der Haustür, die ein gelbliches Licht warf. Es waren nur ein paar Schritte bis dorthin, aber um sie zu gehen, müsste er erst einmal aufstehen. Und allein das erschien ihm im Moment wie eine Herausforderung weit jenseits seiner Möglichkeiten.

Er ließ sich wieder zurücksinken auf den harten, kalten Boden und zwang sich dazu, einige Male tief und ruhig durchzuatmen. Es hatte Zeiten gegeben, da er leichter mit Schmerzen umzugehen verstand, weil es dazugehörte, sie ignorieren zu können. Er versuchte sich daran zu erinnern, versuchte die alten Techniken zurück in sein Gehirn und seine Nerven und Muskeln zu rufen.

Mit einem Ruck richtete er sich erneut auf, schaffte es, in die Hocke zu gelangen und kroch auf Händen und Knien zur Haustür – um dort die niederschmetternde Entdeckung zu machen, dass sie geschlossen war. Er brauchte nicht erst in den Hosentaschen nach seinem Schlüssel zu kramen, da er wusste, dass die Taschen leer waren, tat es aber trotzdem und konnte anschließend nur noch in blinder Verzweiflung mit der Faust gegen das Holz hämmern.

Einen Moment lang, der sich zur Ewigkeit zu dehnen schien, blieb er vor der Tür hocken, die ihm den Zugang zu seinem eigenen Haus versperrte. Dann versuchte er, sich aufzurichten. Seine Finger fanden wenig Halt in den Fugen zwischen den diagonal angebrachten Holzelementen, aber als sie den dicken, runden Türknauf gefunden hatten, ging es besser. Er zog sich hoch und verharrte, den dröhnenden Schädel gegen die Tür gelehnt. Er musste nachdenken, was verdammt schwierig war.

Vielleicht hatte er ja vergessen, die große gläserne Flügeltür vom Wohnzimmer zur Terrasse hin an der Rückseite des Hauses abzuschließen, auch wenn das ziemlich unwahrscheinlich war. Aber um das zu überprüfen, war es in jedem Fall notwendig, um das Haus herum zu gehen. Nach drei Schritten musste er innehalten, weil ihm schwindelig wurde. Er ließ sich gegen die Hauswand fallen und dachte kurz daran, sich einfach hinzulegen auf den kalten, feuchten Rasen und dann abzuwarten, egal, was mit ihm geschehen würde.

Aufgeben musste schließlich nicht immer die schlechteste Option sein, auch das hatte er schon erfahren. Und mit den Grenzbereichen zur großen dunklen Nacht, wo das Leben nur noch langsam und kaum merklich floss, hatte er auch schon Bekanntschaft gemacht. Vielleicht war es von dort ja gar kein allzu weiter Schritt mehr zur gnädigen Ruhe.

Aber, zum Teufel, nein, so leicht wollte er es dem letzten großen Gegner dann doch nicht machen. Zumindest noch nicht jetzt. Ein paar Schritte nur würden bereits genügen, und er wäre an dieser blöden Terrassentür und hätte damit zumindest die theoretische Möglichkeit, zurück in sein Haus zu gelangen, endlich ins Warme, zu telefonieren und Hilfe zu holen. Er brauchte ganz dringend einen Arzt, so viel war ihm klar. Also weiter, auch wenn es wehtat und seine Beine sich wie Pudding anfühlten.

Aus dem Wohnzimmer, wo nur die Stehlampe neben dem Sofa brannte, floss eine breite Bahn von Licht auf die Terrasse und ein Stück des angrenzenden Rasens, der von schmalen Rosenbeeten gesäumt war. Er packte die Türklinke und rüttelte daran, aber natürlich war sie abgeschlossen. Er unterdrückte den Impuls, mit den Fäusten gegen das Glas zu hämmern und überlegte stattdessen, was ihm anderes zu tun blieb. Die Tür gewaltsam öffnen, mit einem Spaten oder Stemmeisen? Das wäre sicherlich den Versuch wert gewesen. Aber die Gartengeräte befanden sich in der Garage, die gleichfalls abgeschlossen war. Noch während ihm die bittere Erkenntnis dämmerte, dass er im Grunde gar nichts tun konnte, außer wegzugehen, um anderswo Hilfe zu suchen, wurde sein Blick von dem angezogen, was durch die Türscheiben im Wohnzimmer zu sehen war.

Neben dem flachen Tisch lag auf dem Boden die Frau, von der er nicht viel mehr wusste, als dass sie Laura hieß.

Sie lag halb seitlich, das Gesicht mit den geschlossenen Augen ihm zugewandt, und so wie sie dalag, schien es ihm kaum vorstellbar, dass es andere Gründe dafür gab, als den, dass sie nicht mehr lebte. Woher er diese Gewissheit nahm, hätte er selbst nicht sagen können. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass er sich schon vor langer Zeit angewöhnt hatte, stets mit dem Schlimmsten zu rechnen. Und angesichts der fatalen Lage, in der er sich befand, blieb ihm ohnehin nicht viel anderes übrig, als auf alles gefasst zu sein. Zu seinem eigenen Erstaunen stellte er fest, dass er den Anblick der fremden toten Frau in seinem Wohnzimmer ertrug, ohne dass ihm erneut die Knie einknickten. Das geschah erst, nachdem er sich bis ans Grundstückstor geschleppt hatte. Mit keuchendem Atem musste er sich daran festhalten, bis er wieder genug Kraft gesammelt hatte, um auf die Straße zu treten, die dunkel und leer war.

Er versuchte abzuschätzen, wie spät es sein mochte. Zu dumm, dass er sich abgewöhnt hatte, eine Armbanduhr zu tragen, da ihn das Handy normalerweise mit allen notwendigen Daten versorgte. Aber das lag jetzt auf dem Wohnzimmertisch in seinem Haus, aus dem er ausgesperrt war. Es war kurz nach zwölf gewesen, als Laura erklärte hatte, sie wolle nun gehen. Und nur Minuten später war es dann auch schon passiert. Wie lange hatte er bewusstlos draußen vor der Tür gelegen? Immerhin war er von selbst wieder aus seiner Ohnmacht erwacht und aus eigener Kraft auf die Beine gekommen, wenn auch unter schmerzhaften Mühen. Das sprach aller Erfahrung nach dafür, dass er sich außer verschiedenen Prellungen eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte, aber wohl keine schwere, und gebrochen schien auch nichts zu sein.

Am besten wäre es, ein Auto anzuhalten, dachte er. Aber auf der schmalen Straße herrschte auch tagsüber nur wenig Verkehr und jetzt lag sie erst recht wie ausgestorben da. Sein Haus war das letzte vor dem Ortsausgang, von dort ging es durch ein Waldstück bis zur breit ausgebauten Landstraße. Stadteinwärts waren es in einem leichten Bogen etwa hundertfünfzig Meter bis zu der kleinen, schicken Neubausiedlung, wo die nächsten Nachbarn wohnten, meist junge Familien. Einige kannte er flüchtig vom Sehen, aber mehr als die üblichen Grußworte hatte er noch mit niemandem gewechselt. Die Vorstellung, jetzt mitten in der Nacht dort irgendwo anklingeln zu müssen, mutete ähnlich surreal an wie die Umstände, die ihn dazu zwangen.

Vor allem aber musste er es erst einmal schaffen, die Strecke bis dorthin hinter sich zu bringen. Alte Erinnerungen wurden wach, die ihm halfen, auf vermeintlich nicht mehr vorhandene Reserven zurückzugreifen, letzte Energien zu aktivieren und die Schmerzen so weit aus dem Bewusstsein zu verdrängen, dass sie ihre böse, lähmende Wirkung nicht voll entfalten konnten. Er merkte, wie die Bewegungen seines Körpers bald nur noch den Instinkten gehorchten, während seine Gedanken mit jedem Schritt klarer zu werden schienen.

Er hatte das Bild der Frau auf dem Boden des Wohnzimmers vor Augen, und im nächsten Moment sah er Anna vor sich - und sich selbst vielen Fragen ausgesetzt, nicht nur von ihr. Fragen, die er nicht beantworten konnte. Und damit stand für ihn fürs Erste zumindest eines fest: Er durfte jetzt nicht noch einen weiteren Fehler machen.

Tödlicher Besuch

Подняться наверх