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Es war eine Sommernacht, wie man sie sich nur wünschen kann, mondhell und durchsichtig, die Luft noch leicht und mild von der Sonne des Tags. Aber Annas Laune war alles andere als gut und meine, ehrlich gesagt, auch nicht - so schön hätte eine Sommernacht gar nicht sein können, um daran groß etwas zu ändern.

Wir standen im Stau auf der Autobahn Richtung Berlin, ob immer noch im Süden von Mecklenburg-Vorpommern oder bereits im Norden von Brandenburg, hätte sich wahrscheinlich feststellen lassen. Aber ob das eine Rolle spielte, war nicht so sicher. Einerseits war es gut war um jeden Meter, den wir zwischen uns und jenen Ort brachten, in dem wir etwas Ruhe und Entspannung zu finden gehofft hatten, was sich als Illusion erwiesen hatte. Andererseits gab es keinen Grund, dem bevorstehenden Wiedereintritt in die Bahnen des Alltags mit jener Erleichterung entgegenzusehen, die sich normaler Weise bei Menschen einstellt, die einen missglückten Urlaub endlich hinter sich gebracht haben.

Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei dieser Sache gehabt. Manchmal denke ich, dass es ein Fehler ist, seinen Intuitionen nicht stärker zu vertrauen, auch als Mann. Inzwischen sah es nämlich so aus, als hätten sich zu meinen Ahnungen die passenden Tatsachen hinzugesellt, und gerade das ist es ja, was Ahnungen so unangenehm machen kann: dass sie sich bisweilen bewahrheiten. Ich hatte Anlass, mich um meinen Job zu sorgen, sofern ich nicht irgend etwas missverstanden hatte. Aber so wie es geklungen hatte, war daran eigentlich nichts Missverständliches gewesen. Es war ein regelrechter Alarmruf gewesen. Ich musste schnellstens zurück nach Berlin, das stand außer Zweifel. Doch mittlerweile kam es mir so vor, als versuchten finstere Mächte mich daran zu hindern. Wenn mir vor kurzem jemand erzählt hätte, man könne einen ganzen Abend und die halbe Nacht damit zubringen, diese Strecke von weniger als dreihundert Kilometern zurückzulegen, wäre es mir bestimmt schwergefallen, ihn nicht für etwas verschroben zu halten. Und dieser Stau war genau das, was uns noch gefehlt hatte.

Ich suchte meine Notreserven an Nervenkraft zusammen und bemühte mich, Anna zu beruhigen, indem ich unsere Situation - sowohl die aktuelle als auch die mittelfristige -, ein bisschen herunterspielte. Im Grunde sei doch alles nicht so schlimm, sagte ich zu ihr, womöglich werde sich manches im Licht des nächsten Tags schon ganz anders darstellen. Und dass wir nun hier ein Stündchen auf der Autobahn parken müssten, sei zwar ärgerlich, aber nun einmal nicht zu ändern.

„Wie deine Mutter“, sagte Anna, „du bist genau wie deine Mutter, und je älter du wirst, um so größer wird die Ähnlichkeit“.

Was sie mit dem Vergleich „wie deine Mutter“ zum Ausdruck bringen wollte, war mir durchaus klar. Anna ist der Ansicht, dass mir viele Dinge zu wenig nahegehen. Sie empfindet es als einen Akt der Illoyalität ihr gegenüber, wenn ich mich nicht genügend aufrege, wenn sie selbst etwas als bedrohlich oder zumindest beunruhigend empfindet – wie beispielsweise nächtliche Verkehrsbehinderungen auf einer Autobahn infolge eines Unfalls, bei dem es wahrscheinlich nicht nur Blechschäden gegeben hat. Sie moniert meine Mentalität als Stoizismus, und alle meine Versuche, sie über das eigentliche Wesen dieser altgriechischen Denkschule aufzuklären, sind über die Jahre fruchtlos geblieben. Die Stoiker verfügten über die Kunst der Gelassenheit, Ataraxia, was etwas völlig anderes ist als das, was Anna in meiner Mutter verkörpert sieht. Im Grunde waren die Stoiker eine Art Buddhisten, nur dass die Buddhisten heute jeder kennt. Buddhismus liegt im Trend, und ich gebe gern zu, dass ich ihm durchaus einiges abgewinnen kann.

Manchmal träume ich davon, so weit zu sein, dass ich mit seiner Hilfe gewisser Situationen Herr werden kann, etwas solcher, in denen Anna auf dem Mütter-Thema herumreitet. Aber diesen Traum werde ich wohl noch lange träumen, so wie es aussieht. Interessanter Weise nützt es mir übrigens gar nichts, wenn ich - was selten geschieht - auch einmal etwas die Contenance verliere und mich weder stoisch noch buddhistisch gebe. Dann heißt es von Annas Seite sofort: „Wieso kannst denn nicht wenigstens du einmal die Ruhe bewahren? Nun nimm dich doch ein bisschen zusammen! Es reicht doch wohl, wenn ich mich aufrege“. Allzu häufig passiert es zum Glück nicht, dass ich mich so gehen. lasse, im Allgemeinen gelingt es mir relativ leicht, das Mutter-Thema einfach von der Tagesordnung abzusetzen. Doch dies war nicht mein Tag, die Nacht mit eingeschlossen, ich war alles in allem nicht weniger fertig als Anna. Es kam, wie es nicht hätte kommen dürfen - ich zahlte es ihr mit gleicher Münze heim.

„Guck dir doch dich und deine Mutter an, dann weisst du, wo die wirklichen Probleme liegen“ , entgegnete ich.

Annas Mutter ist auf übertriebene Weise ängstlich - übertrieben nicht nur nach den Maßstäben eines Schwiegersohns, dem angeblich der Makel übertriebener Unempfindlichkeit anhaftet. Annas Mutter macht sich schlichtweg mit allem verrückt, und Anna hat auch diese Neigung. Ich möchte nicht wissen, wie oft sie im Lauf unseres Lebens schon die Frage an mich gerichtet hat: „Meinst du, dass das gefährlich ist?“ Wobei es sich ebenso um einen Mückenstich wie um die Aids-Epidemie in Afrika oder ein Erdbeben in Guatemala oder auch um eine Glatteis-Warnung in Oberbayern handeln kann.

Außerdem hat Anna einen leichten Hang zur Klaustrophobie, der sich unter anderem daran zeigt, dass sie weder in Flugzeuge noch in Fahrstühle steigt. Allerdings steigt sie in Autos, obwohl sie wissen müsste, dass Autofahren gelegentlich mit Stau-Erfahrung verbunden ist - eine Situation, die auf Annas Gefährlichkeitsskala ebenfalls einen recht prominenten Rang einnimmt. Ihr diesbezügliches Verhalten ist, wie man ahnt, nicht frei von Widersprüchen. Wenn ich zu Anna sage „wie deine Mutter“, geschieht das üblicherweise in Notwehrsituationen, und ich habe dann meistens kein schlechtes Gewissen. In jener Nacht jedoch bereute ich es sofort, als ich sah, wie sie noch blasser wurde und sich in ihren Sitz kauerte, als wolle sie eins mit der Rückenlehne werden.

„Okay“, sagte ich, „vergiss es, es tut mir leid, wirklich. Lass uns jetzt bloß. nicht auch noch streiten.“

Aber ich wusste nicht, ob dieses Friedenssignal gebührend gewürdigt wurde. Das war ja auch alles ein bisschen viel gewesen in letzter Zeit. Man muss kein Defätist sein, um gelegentlich depressive Anwandlungen zu bekommen, wenn man so sieht, was innerhalb von ein paar Stunden passieren kann. Plötzlich kommt einem das Leben wie ein schnellwucherndes, bösartiges Unkraut vor, das nichts anderes im Sinn hat, als einem über den Kopf zu wachsen. Es gibt diese komprimierte Variante des Ketchup-Flaschen-Prinzips, jenes zweifelhaften Paradigmas, welches das menschliche Dasein nachhaltiger prägt als die meisten großen ideengeschichtlichen Entwürfe - erst kommt lange nichts und dann alles auf einmal. Doch es ist längst nicht immer von Segen, was da kommt, und wenn das Leben gerade einen schlechten Tag hat, kippt es einem die ganze Flasche über den Kopf, bevor man die kleinste Chance hat, in Deckung zu gehen. Wir standen im Stau auf der Autobahn in Ostdeutschland, und das

war, wie gesagt, genau jenes Quentchen zu viel. Ein Stau auf der Autobahn reicht unter normalen Bedingungen schon aus, um Anna stark zu beunruhigen, doch so wie die Dinge lagen, konnte man kaum von normalen Bedingungen sprechen.

Anna sagte, sie halte das nicht länger aus, sie wolle jetzt nach Hause, und zwar sofort, außerdem sei dieser Ölgeruch kaum zu ertragen. Ich sagte ihr, erstens sei die Sache mit dem Öl halb so schlimm, das wisse sie doch inzwischen, zweitens sei daran jetzt nichts zu ändern und drittens müsse sie sich noch etwas gedulden mit der Weiterfahrt. So wie sie da neben mir saß in dem kurzen weißen Kleid, das ihr, ohne dass sie es zu bemerken schien, bis über die halben Schenkel hochgerutscht war, mit ihrer blonden Mähne, in der trotz der nächtlichen Dunkelheit immer noch die Sonnenbrille steckte, sah sie aus wie die Sünde, trotz dieses Gesichtsausdrucks, der alles andere als sexy war oder vielleicht auch doch, trotz allem. Frauen sind das größte Rätsel der Natur. Je länger man sie kennt, desto so weniger weiß man über sie, auch wenn es sich um Frauen

in einem seit Jahren höchst vertrauten Singular handelt.

„Manchmal bist du ein richtiger Blödmann“, sagte Anna, allerdings ohne besondere Schärfe. Das klang angesichts der Verhältnisse schon fast wie eine Liebeserklärung. Man glaubt nicht, wie beruhigend ein Schimpfwort aus dem Mund einer Beziehungsperson klingen kann. Julius erklärte vom Rücksitz aus, keine Sekunde länger werde er sich dies hier anhören. Was er nur verbrochen habe, mit solchen Eltern geschlagen zu sein, er werde jetzt aussteigen und sich die Füße vertreten, um seine Ruhe vor uns zu haben. Er war knapp dreizehn, in jenem Alter also, da Kinder oft entdecken, dass sie schwer erziehbare Eltern haben.

„Untersteh dich!“, fuhr seine Mutter ihn an und ihre Stimme hatte genau den Unterton, der mich an ihre Mutter erinnerte, was ich aber wohlweislich für mich behielt. Dieses Mütter-Thema ist ein Kapitel für sich - wenn man mich fragt, so ungefähr das dunkelste in der Geschichte der menschlichen Zweierbeziehung. Es markiert den Kulminationspunkt in der Kunst des Ehestreits, aber ob es sich dabei tatsächlich um einen Höhepunkt oder nicht eher um den Tiefpunkt handelt, das ist noch die Frage. Jedenfalls kann einen so leicht nichts mehr erschüttern, wenn man ihn erst erreicht hat.

Dabei ist - um kein falsches Bild entstehen zu lassen - eine leibhaftige Schwiegermutter gar nicht das Problem. Kommt beispielsweise Annas Mutter zu Besuch, macht mir das wenig aus, sofern sie nicht länger als zehn Tage bleibt. Ich habe mir sogar angewöhnt, sie mit Küsschen und Umarmung zu begrüßen und zu verabschieden, und zwischendurch bin ich hin und wieder regelrecht freundlich zu ihr.

Mit meiner Mutter, Annas Schwiegermutter, verhält es sich umgekehrt ähnlich. Man sollte Anna nur sehen, wenn sie zu Besuch da ist - Anna ist dann die Herzlichkeit in Person. Kein Mensch würde beim Anblick von mir oder von Anna in Gesellschaft der jeweiligen Schwiegermutter auf den Gedanken kommen, dass man es hier gewissermaßen mit wandelnden Zeitbomben zu tun hat, metaphorisch gesehen, die im Zweifelsfall fähig sind, das Rosenbett der ehelichen Harmonie schlagartig in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Wie gefährlich Schwiegermütter sein können, zeigt sich nämlich erst, wenn sie in sicherer Feme weilen - also grob geschätzt die meiste Zeit des Jahres. In ihrer Abwesenheit mutieren sie zur leibhaftigen Provokation, um nicht zu sagen, zu potenziellen Kriegsgründen.

Bei uns, bei Anna und bei mir, ist es in derartigen Konfliktsituationen so, dass der ursprüngliche Anlass sofort in den Hintergrund tritt, sobald die Mütter in Gefechtsstellung gebracht werden. Ein falsches Wort genügt - und schon nehmen die Dinge ihren Lauf. Der ursprüngliche Auslöser eines solchen Mütter-Gemetzels ist meistens so unbedeutend, dass kam ein vernünftiger Mensch auf die Idee käme, zwei leidlich gebildete, gesunde, an einander gewöhnte Bewohner der hochzivilisierten Regionen dieses Planeten könnten in der Lage sein, sich deswegen mehr als zwei oder vielleicht auch drei unfreundliche Worte an den Kopf zu werfen.

Mir fiel in diesem Zusammenhang manchmal Günter Schabowski ein, der vor ein paar Jahren mit einer einzigen Bemerkung die gesamte DDR exekutiert hatte. Ein falsches Wort zur rechten Zeit oder auch umgekehrt - und schon hatte man das größte Durcheinander. So wie im Sinne der Chaos-Theorie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Taifun auslösen kann, vermag eine im Grunde unbedeutende Verhaltensweise meinerseits in Anna den Mütter-Orkan mit einer Macht zu entfesseln, die mich von einer Sekunde zur nächsten in Schwindel stürzt und mir jeden Glauben an den Sinn der menschlichen Existenz raubt.

Ich kann zum Beispiel aus Versehen gegen einen Putzeimer treten, den Anna vor Stunden mitten im Wohnzimmer stehengelassen hat, weil ihr zwischendurch eingefallen ist, dass sie noch irgendetwas anderes zu erledigen hat. Schon heißt es: „Wie deine Mutter, tolpatschig, stößt gegen alles, stolpert.“

Oder ich habe ausnahmsweise einmal vergessen, mich einer eher unangenehmen Pflicht wie der Abgabe der Steuererklärung fristgerecht zu unterziehen. Was muss mich mir anhören? „Wie deine Mutter - für das normale Leben nicht geeignet, immer alles beiseite schieben und die Augen zumachen und denken, es wird sich schon von selbst erledigen.“ Dabei hat Anna, ich schwöre es, noch nie in ihrem Leben eine Steuererklärung ausgefüllt, so wenig wie meine Mutter. Beide wüssten gar nicht, wie man so etwas macht.

Oder Anna findet, ich würde mich nicht energisch und häufig genug nach den Lernfortschritten unserer Söhne erkundigen. „Wie deine Mutter - die hat sich auch nie dafür interessiert, was du als sogenannter Student die ganze Zeit getrieben hast.“ Dabei kannte mich Anna damals, als ich Student war, noch gar nicht.

Am tollsten ist es, wenn sie mir vorwirft, ich würde den Geburtstag meiner Mutter vergessen. Zwar kann sie das schlecht mit dem Zusatz vergiften „wie deine Mutter“, aber es geht exakt in dieselbe Richtung. Zuweilen frage ich mich, wie es wohl wäre, wenn ich schon Wochen vor dem Geburtstag meiner Mutter anzufangen versuchte, mit Anna darüber zu beraten, was ich wohl diesmal meiner Mutter zum Geburtstag schenken solle. Vorstellen möchte ich es mir lieber nicht. Ein Ehemann, der seine Mutter verehrt, macht in jedem Fall etwas falsch. Einer, der sich nicht übermäßig viel Gedanken um seine Mutter macht, aber auch. Ein Ehemann, der seiner Schwiegermutter etwas reserviert gegenübersteht, hat ohnehin ein Problem. Und einer, der zu beide Schwiegermütter zum Teufel wünscht, kommt selbst in Teufels Küche. Seine Chancen, in dieser Angelegenheit überhaupt etwas richtig zu machen oder wenigstens halbwegs ungeschoren davonzukommen, sind beschämend gering.

„Für das, was wir an Streitereien dieser Art im Laufe der Jahre absolviert haben, hätten andere sich vermutlich schon mindestens ein dutzendmal scheiden lassen“, sagte ich einmal in einem lichten Moment zu Anna. Sie nickte nur und schaute mich dabei sehr freundlich an. Anna ist, wie bereits angedeutet, eine schöne, immer noch mädchenhafte Frau - auch nachdem sie drei Söhne zur Welt gebracht hat und über vierzig ist, ist sie das noch. Manchmal, wenn ich sie ansehe, werde ich noch genauso nervös wie vor zwanzig Jahren. Allein für so etwas muss man dankbar sein, das weiß ich zu schätzen, auch wenn mich bei ihrem Anblick gelegentlich die Mordlust packt. Um uns herum zerfielen die Ehen und sogenannten Langzeit- Beziehungen wie Papyrus unter den Fingern eines inkompetenten Archäologen. Das Verrückte ist, dass es mit den Jahren immer leichter zu werden scheint, einen sinnlosen Krieg vom Zaun zu brechen, obschon man eigentlich vermuten sollte, dass Eheleute im Lauf der Zeit ein wenig resistenter dagegen werden, dass sie allmählich die Kraft und die Lust daran verlieren, sich wegen Marginalien in die Haare zu geraten, aber weit gefehlt.

Ich habe mir auch nach dem Zusammenbruchs jenes utopischen Gedankengebäudes, in dem bis zum Jahr 1989 Gleichheit, Freiheit

und Brüderlichkeit und noch ein paar andere sympathische antikapitalistische Gespenster hausten, einen Rest von Glauben an die Lernfähigkeit des Menschen bewahrt. Offenbar bin ich ein bisschen naiv. Man darf wohl von der Lernfähigkeit nicht allzu viel erwarten, zumindest nicht, soweit sie sich auf die Friedensfähigkeit von Kleinstgruppen im Zweierformat bezieht. Je kleiner die Zahl der in Frage kommenden Menschen ist, desto kleiner wird womöglich die Lernfähigkeit - ganz im Gegensatz zu der verbreiteten These, dass es die Masse ist, die sich durch Dummheit auszeichnet. Zwei wissen kaum mehr als einer, und das ist so gut wie nichts. Das ist meine Erfahrung; und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie nicht allein gemacht habe.

Ganze Gesellschaften zu pädagogisieren ist ein Kinderspiel verglichen mit der Aufgabe, zwei Eheleute zu einem einigermaßen rationalen, kräftesparenden, konfliktvermeidenden Verhalten zu bringen, nicht einmal das Leben selbst schafft das. Paare in festen, langandauernden Beziehungen - und nur für sie kann ich sprechen - sind praktisch lernunfähig, und ihre Lernunfähigkeit steigt mit zunehmender Beziehungsdauer. Sie machen nicht nur immer wieder dieselben Fehler, sondern wenden einen Gutteil ihrer Zeit dafür auf, ständig neue Fehlermöglichkeiten zu ersinnen.

Vielleicht steckt dahinter eine Art von Masochismus, oder auch das Gegenteil davon, irgendeine eine besonders subtile Form von Hedonismus, was womöglich ein und dasselbe ist. Vielleicht sind die beiden Konfliktparteien einfach nur wild auf den Genuss, den es bereitet, jene Variante von Waffenstillstand auszuhandeln, die sie in ihrer Blauäugigkeit für Frieden halten. Vielleicht ist gerade dies das Elixier, das ihre Zweisamkeit am Leben erhält. Vielleicht kann eine Beziehung überhaupt nur dann sehr lange dauern, wenn die beiden Beteiligten sich ständig bemühen, Möglichkeiten für ihre Zerstörung zu erproben, nur um sich dann immer wieder zu dem Versuch durchzuringen, die Scherben anschließend so säuberlich zusammenzukitten, dass das Ganze wie neu aussieht. Auch Knochen, die einmal gebrochen und wieder zusammengewachsen sind, weisen ja angeblich in dieser Stelle eine erhöhte Festigkeit aus.

Meine Frau, der Osten und ich

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