Читать книгу Alles beginnt und endet im Kentucky Club - Benjamin Alire Saenz - Страница 15
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ОглавлениеZu den Klängen von Miles Davis aßen wir Kartoffelsuppe und tranken Wein. Ich fragte mich, ob es so für uns weitergehen könnte. Für mich und ihn. Javier und Juan Carlos. Ich sah ihm beim Essen zu. Und fragte mich, ob ein Mann wie ich jemals den Hunger stillen könnte, der in ihm steckte.
»Eine gute Suppe«, sagte er.
»Nichts Kompliziertes.«
»Es braucht ein Leben lang, um etwas richtig hinzukriegen, das so einfach ist.«
»Das stimmt. Aber nur fürs Essen.«
Er fuhr mit der Hand durch mein Haar.
Ich nahm seine Hand und küsste sie. »Was ist mit deiner Mutter passiert?«
»Woher weißt du, dass etwas mit ihr passiert ist?«
»Du hast gesagt, du hättest niemanden mehr.« Er wandte den Blick ab. »Sie wurde ermordet.«
»Wie?«
Javier goss sich noch ein Glas Wein ein. »Sie wurde ermordet. Ihre Leiche hat man nie gefunden. Sie war Sozialarbeiterin. Eine schöne Frau, meine Mutter. Hat mich mit siebzehn zur Welt gebracht. Eine junge, wilde Frau, unglaublich lebendig. Alle Männer haben sie angestarrt. Sie wurde politisch aktiv. Die Transvestiten haben sie dazu gebracht, glaube ich. Nicht dass ich es ihr übel genommen hätte, dass sie sich so engagiert hat. Und dann, eines Tages, ist sie nicht mehr nach Hause gekommen. Sie ist einfach verschwunden.«
Das war der Ausdruck, den er hatte, der Ausdruck in seinem Gesicht: die Überbleibsel alter Verletzungen, die emotionale Narbe, das Wissen, dass alles Lachen der Welt jeden Moment von einem launischen Wind hinweggefegt werden konnte. Und dass er nichts dagegen zu tun vermochte.
Seine Augen blieben trocken. »Ich hab sie gesucht und gesucht und gesucht. Die Polizei unternahm nichts. Niemand hat irgendetwas unternommen. Wer war sie auch schon? Bloß noch so eine Frau, die in der Wüste verschwand, ihr Fleisch vom gottverdammten Sand verschluckt.«
Dann kamen seine Tränen, genau so, wie Unwetter in der Wüste losbrechen, Donner, Blitze, wütender, ungeheurer Regen, der sich fast wie ein Geschosshagel anfühlt. Ich hielt ihn fest, während er weinte, und fragte mich, warum die Welt so grausam war und gute, schöne, anständige Menschen wie Javier so wenig zählten, wo sie doch so viel zählen müssten.
»Es ist nicht wahr«, flüsterte ich, »dass du niemanden mehr hast.« Ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände.
»Hörst du mich, Javier?«
Und dann nahm ich ihn, liebte ihn. Und dann nahm er mich, liebte mich.
Niemand hatte je meinen Namen so geflüstert, wie er es tat. Mit dem Klang meines Namens im Ohr schlief ich ein.
Als ich aufwachte, war er schon angezogen. Der Abend brach herein. »Ich muss ins Krankenhaus«, sagte er.
»Ich fahr dich hin.«
»Nein. Nicht für das kurze Stück.«
»Es ist kalt«, sagte ich. »Du hast keine Jacke dabei.« Ich stand auf und ging zum Wandschrank. »Hier. Zieh dir das über.«
Er machte keine Einwände. Er nahm die Jacke, zog sie an und küsste mich. Dann war er fort.