Читать книгу Alles beginnt und endet im Kentucky Club - Benjamin Alire Saenz - Страница 9
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ОглавлениеDie Sonntage beanspruchte ich für mich. Der Rest der Woche gehörte meinen Verpflichtungen, meiner Familie, meinen Freunden, meinen Aufgaben. Ich konnte alle meine Tage für irgendetwas anderes dreingeben. Aber nicht die Sonntage. Ich liebte das Ruhige, Verhaltene dieses Tages. Las die Zeitung und atmete die Stille der Nachbarschaft ein, die sich von der Plackerei der Woche erholte. So eine Art Nachbarschaft war das.
Und dann, eines Sonntags, kamen wir ins Gespräch.
Ich stand am Tresen des Cafés, die New York Times in der Hand, und war gerade dabei mich zu entscheiden. Ein Croissant? Vielleicht einen Scone? Ich hatte Hunger.
»Sie nehmen nie einen Kaffee.«
Schon bevor ich mich umdrehte, wusste ich, dass er es war.
»Nein«, sagte ich.
»Mögen Sie keinen Kaffee?«
»Mein Kaffee wartet zu Hause auf mich.«
»Ihr Kaffee ist also wie eine Ehefrau?«
»Ja«, sagte ich, »genau wie eine Ehefrau.«
»Und wartet eine?«
»Wie bitte?«
»Eine Ehefrau?«
Ich streckte meine linke Hand aus. Kein Ring.
Er lächelte nicht, aber ich glaube, er verkniff es sich nur. Ich zahlte für meine Zeitung.
Er bestellte einen großen Becher »Kaffee des Tages«. Ich hatte recht gehabt: Er trank ihn schwarz. Seine Stimme war tief und sympathisch. Mit einem reizenden Akzent. Ich wollte das Gespräch nicht abreißen lassen. Aber gerade wenn es darauf ankommt, gibt es nie etwas zu sagen.
»Sie mögen Zeitungen«, sagte er.
»Ja.«
»Zeitungen sind von gestern. Und voller Lügen.«
Ich hob meine Zeitung hoch. »Das hier ist nicht El Diario.«
»Sind Sie etwa einer von denen?«
Ich sah ihm ins Gesicht. Er lächelte. »Einer von denen?« Jetzt lachte er. »Einer von den Mexikanern, die andere Mexikaner hassen.«
»Nein, an der Krankheit leide ich nicht.«
»Woran leiden Sie dann?«
Ich antwortete nicht. Ich sah ihm nur in die Augen. Die schokoladenbraunen Augen. Ich glaube, ich suchte nach Leiden.
»Sie sind kein richtiger Mexikaner«, sagte er.
»Kein Mexikaner. Kein Amerikaner. Scheiß drauf ! Das ist die Krankheit, an der ich leide.«
Wir setzten uns nach draußen. Es war ein kühler Morgen. Der Wind war zurückgekehrt, der Wind, der so sehr zu El Paso gehörte, der Wind, der sich weigerte, uns zu verlassen und verhinderte, dass wir die Sonne genießen.
»Sie frieren«, sagte er.
»Ich hab meine Jacke vergessen.«
»Wir können wieder reingehen.«
»Nein«, sagte ich. Wir taxierten einander. Meine Augen waren heller als seine. Rostbraun. »Ich wohne in der Nähe.«
Er überlegte.
»Ich will hier niemanden abschleppen.« Schon als mir diese Worte über die Lippen kamen, merkte ich, wie beleidigend sie klangen. Es tat mir leid, dass ich überhaupt etwas gesagt hatte.
»Nein«, erwiderte er, »zu einem Mann wie Ihnen passt das nicht.« Er lächelte. »Ich heiße Javier.«
»Javier«, sagte ich, »und ich bin – «
»Jeder weiß, wer Sie sind.«
»Niemand weiß das.«
Er lachte, dieser Javier, der seinen Kaffee schwarz trank.
»Also los. Ich möchte hören, wie Sie Ihren Namen sagen.«
»Juan Carlos.«
»Juan Carlos«, wiederholte er. »Und wo wohnen Sie?«
»Sunset Heights.«
Er tippte leicht an seinen Pappbecher. »Interessante Gegend.«